Fortbildung AIM

Eine seltene Infektionskrankheit mit vielen Gesichtern

Tularämie

Die Tularämie ist eine zoonotische Infektionskrankheit durch Francisella tularensis und wird in der Schweiz immer noch selten diagnostiziert. Da die Fallzahlen seit dem Jahr 2015 deutlich ansteigen, besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, dass sich Patienten mit Symptomen einer Tularämie in der Grundversorgerpraxis vorstellen. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der Tularämie ist wichtig, um Komplikationen und unnötige Abklärungen zu verhindern.



Fallbeispiel

Ein 25-jähriger Bauer mit Psoriasis unter Therapie mit Humira (Adalimumab) stellte sich mit seit einigen Tagen bestehendem intermittierendem Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiss und einem schmerzhaften supraclaviculären Lymphknoten rechts vor. Das CRP (160 mg/l), die Leukozytenzahl (15.2 G/l), das LDH (558 U/l) und die Leberwerte (AST 84 U/l, ALT 126 U/l, GGT 136 U/l) waren erhöht. Im konventionellen Röntgen und im CT Thorax liessen sich eine pulmonale Raumforderung am rechten Hilus sowie eine mediastinale Lymphadenopathie erkennen, so dass der Verdacht auf ein Bronchuskarzinom geäussert wurde. Zur Tumorsuche wurde eine (FDG)-PET/CT, eine Bronchoskopie mit transbronchialer Biopsie und bei unschlüssigen Befunden schliesslich auch eine Mediastinoskopie durchgeführt, alle ohne Nachweis maligner Zellen. Histopathologisch fanden sich Granulome. Mittels positiver PCR auf F. tularensis ssp. holarctica aus den operativ gewonnenen Gewebeproben konnte eine atypische pulmonale Tularämie diagnostiziert und erfolgreich mit Ciprofloxacin p.o. behandelt werden. Der Patient war in der Folge rasch beschwerdefrei und kam mit unnötigen Abklärungen und dem Schrecken davon.

Einleitung und Mikrobiologie

Die Tularämie, auch Hasenpest genannt, ist eine Zoonose, die durch das Gram-negative Bakterium Francisella tularensis verursacht wird. Bereits eine kleine Erregermenge von lediglich 10-25 Bakterien kann die Krankheit auslösen (1). Bei uns in Europa verursacht die Subspezies F. tularensis ssp. holarctica die Krankheitsfälle. Es können zwar langwierige Krankheitsverläufe auftreten, Todesfälle treten jedoch praktisch nie auf. Im Gegensatz dazu ist in den USA und Kanada v.a. der Subtyp F. tularensis ssp. tularensis endemisch, der deutlich virulenter ist und bioterroristisches Potential besitzt.

Epidemiologie

Der Mensch kann sich auf mehrere Arten mit F. tularensis infizieren. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist jedoch nicht bekannt (1). Der in der Schweiz wichtigste Übertragungsweg ist der Zeckenstich (2). Auch ein direkter Kontakt mit befallenen Tieren (v.a. Nagetiere wie Hasen, Kaninchen, Mäuse, Ratten, Eichhörnchen etc.) aber auch indirekter Kontakt mit kontaminiertem Wasser, Erde oder dessen Inhalation oder orale Aufnahme kann die Keime übertragen, da F. tularensis monatelang in der Umwelt überleben können (3). Gefährdet sind somit Menschen, die sich beruflich oder freizeitlich oft draussen aufhalten oder einen direkten Umgang mit Kleintieren haben wie bspw. Jäger, Gärtner, Kleintierzüchter oder Bauern. Auch Katzen- und Hundehalter sind gefährdet, da deren Haustiere durch ihr Jagdverhalten den Bakterien ausgesetzt sind (4, 5) und diese so dem Besitzer übertragen können. Es wird immer wieder über Fälle mit kuriosen Ansteckungen berichtet wie bspw. die Kopfverletzung einer Joggerin durch einen Greifvogelangriff mit vermuteter Übertragung der Keime über die kontaminierten Krallen oder ein Krankheitsausbruch mit mehreren Erkrankten nach Konsum von frischgepresstem Traubensaft nach der Weintraubenernte (6, 7). Grössere Tularämie-Ausbrüche können nach der Einnahme von kontaminierten Lebensmitteln oder Wasser auftreten. Pneumonien nach Mäharbeiten oder im Umgang mit Laubbläsern durch konsekutive Staub- und Aerosolinhalation sind ebenfalls möglich.
Die Inzidenz der Tularämie ist in nordischen Ländern in Europa am höchsten. Die Fallzahlen der seit 2004 in der Schweiz meldepflichtigen Erkrankung (Labornachweis und Meldung zum klinischen Befund durch den Arzt) sind deutlich steigend mit 146 gemeldeten Fällen im Jahr 2019 (Inzidenz 1.7/100000 Einwohner. Quelle: BAG). Über die Ursachen der steigenden Fallzahlen kann bisher nur spekuliert werden. Es sind lokale Häufungen von Tularämieerkrankungen zu beobachten, wo vielleicht eine höhere Durchseuchung bei Zecken und/oder Kleintieren vorliegt. Die Zunahme der Fallzahlen könnte aber auch teilweise durch sensitivere molekulare Diagnostikmethoden und die zunehmend sensibilisierte Ärzteschaft bedingt sein. Die meisten Fälle im Jahr 2019 stammen aus den Kantonen Zürich, St. Gallen, Aargau und Bern (Quelle: BAG). Ein eindeutiges Reservoir für F. tularensis ist bisher nicht bekannt. Der biologische Zyklus unterliegt vermutlich grossen regionalen Unterschieden.

Klinik

Nach einer kurzen Inkubationszeit von in der Regel 3-5 Tagen (wobei auch sehr kurze und längere Inkubationszeiten von 1-21 Tage beschrieben sind) können plötzlich unspezifische Allgemeinsymptome wie Glieder-/Gelenkschmerzen mit oder ohne Fieber auftreten. Die weiteren Symptome können sechs klinischen Hauptmanifestationsformen zugeordnet werden (Tab. 1). Die häufigste Manifestation bei uns ist die (ulzero-) glanduläre Tularämie mit lokaler Lymphadenopathie und ggf. einem Eschar (lokales, nekrotisches Ulkus) an der Eintrittsstelle des Bakteriums (Ort des Zeckenstichs, Abb. 1). Die Lymphadenopathie kann ein eindrückliches Ausmass annehmen und auch noch unter adäquater antimikrobieller Therapie abszedieren oder fisteln und die weitere Therapie erschweren und verlängern.
Eine atypische oder seltene Klinik ist möglich wie bspw. das oben geschilderte Fallbeispiel einer pulmonalen Tularämie mit initial Neoplasie-suspektem pulmonalen Befund, eine Meningitis oder eine Herzbeteiligung (8).

Differentialdiagnose

Die möglichen Differentialdiagnosen sind zahlreich. Eine Auswahl ist tabellarisch dargestellt (Tab. 2).

Diagnose

Da die initiale Klinik unspezifisch ist, sind die Expositions- und Risikoanamnese und ein genauer Status mit Suche einer Lymphadenopathie und einem Eschar essentiell. Spezifische allgemeine labor-analytische Veränderungen finden sich bei der Tularämie nicht: in der Regel sind jedoch erhöhte Entzündungsparameter und oft auch leicht erhöhte Leberwerte und eine leichte Thrombozytopenie nachweisbar.
Die Diagnose kann mittels Serologie oder einem direkten Erregernachweis in Kultur oder mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) gestellt werden. Die heutigen PCR-Untersuchungsmethoden bieten den Vorteil einer raschen und zuverlässigen Diagnostik. Die kulturelle Anzucht ist schwierig und hat in der Klinik kaum Bedeutung, zudem muss auch das Labor wegen des hohen Infektionsrisikos über die Verdachtsdiagnose informiert werden. Eine serologische Diagnose ist wie bei anderen Infektionskrankheiten herausfordernd, da die Serologie in den ersten 1-2 Wochen noch negativ sein kann. Ein einzelner hoher Titer macht eine Tularämie wahrscheinlich, eine Serokonversion oder ein vierfacher Titeranstieg sind beweisend. Für die Praxis empfehlen wir folgendes Vorgehen: bei klinischem Verdacht auf eine (ulzero-)glanduläre Tularämie und Symptomdauer von weniger als 2 Wochen kann primär eine spezifische PCR aus einem Wundabstrich, einer Nadelaspiration oder einer Hautbiopsie des Eschars oder der vergrösserten bzw. abszedierenden Lymphknoten erfolgen (9), wobei ein negatives Resultat eine Tularämie nicht ausschliesst und mit einer Serologie ergänzt werden sollte. Bei Symptomdauer über 2 Wochen kann die Diagnose serologisch gestellt werden. Ist das Resultat der Serologie unschlüssig oder negativ, sollte bei anhaltend hohem Verdacht eine Verlaufsserologie nach 2-4 Wochen erfolgen.
Nach der atypischen pulmonalen Form kann serologisch oder mittels PCR aus einer respiratorischen Probe (bevorzugt aus einer bronchoalveolären Lavage) gesucht werden.
Histologisch können Granulome mit Nekrosen gefunden werden, wobei dann v.a. auch an die Differentialdiagnose einer Tuberkulose gedacht werden sollte.

Therapie

Grundsätzlich ist die Tularämie in der Schweiz gut mit peroralen Antibiotika behandelbar. Die Therapie sollte aber möglichst früh begonnen werden, um Komplikationen (v.a. Abszedierungen, Fisteln, Notwendigkeit von invasiven Eingriffen) zu minimieren.
Grundsätzlich sind für schwere Fälle die bakteriziden Aminoglykoside wie bspw. das Gentamicin Therapie der Wahl, wobei schwere Infektionen mit dem benigneren Subtyp F. tularensis ssp. holarctica in Europa selten sind. Somit kann in der Schweiz meist eine ambulante orale Behandlung mit Doxycyclin oder Ciprofloxacin erfolgen, wobei das bakterizide Ciprofloxacin wahrscheinlich eine bessere Wirkung hat und weniger Rückfälle zeigt. Doxycyclin bietet sich jedoch zur empirischen Therapie nach Zeckenstichen an, da andere Zecken-assoziierte Erreger oder auch Superinfektionen mitbehandelt werden. Makrolide (Azithromycin) sollten wegen der Resistenzlage in der Schweiz nicht als Primärtherapie eingesetzt werden, können aber bei Schwangerschaft eine Behandlungsmöglichkeit darstellen (10). Die antimikrobielle Behandlungsdauer beträgt (10-) 14 Tage, wobei die Therapie wegen Auftreten von Lokalkomplikationen nicht selten verlängert wird. Es ist umstritten, ob die längere Antibiotikagabe sinnvoll ist, da eher ein immunologisches Geschehen als Ursache der anhaltenden Entzündung postuliert wird.
Neben der antimikrobiellen Therapie sollten bei der (ulzero-) glandulären Tularämie grundsätzlich früh kleinchirurgische Eingriffe (repetitive Punktionen, Abszessinzisionen etc.) evaluiert werden, damit langwierige Verläufe mit lokalen Abszedierungen und Fistelungen verhindert werden können. Eine Übersicht der antimikro-biellen Therapieoptionen ist in Tab. 3 zu sehen.

Prävention

(Tote) Wildtiere und insbesondere Nager sollten nicht barhändig angefasst werden. Eine gute Händehygiene im Umgang mit Tieren und nach Garten- oder Waldarbeiten ist wichtig. Zecken- und Mückenstiche sollten vermieden werden (bspw. geschlossene Kleidung tragen, Repellentien benutzen). Nahrungsmittel wie Wildtierfleisch sollten nur gut gekocht konsumiert werden.

Dipl. Arzt Manuel Frischknecht

Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen
manuel.frischknecht@kssg.ch

manuel.frischknecht@kssg.ch

Dr. med. Carol Strahm

Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die Tularämie ist eine seltene, aber zunehmend häufige Infektionskrankheit, an deren Differentialdiagnose v.a. bei einer Lymphaden-opathie mit oder ohne Eschar gedacht werden sollte.
  • Bei unklarer pulmonaler Raumforderung kann auch eine atypische pulmonale Tularämie vorliegen.
  • Die Erkrankung ist meist gut ambulant mit Ciprofloxacin oder Doxy-cyclin therapierbar, langwierige Verläufe mit Abszedierungen sind jedoch häufig. Grundsätzlich sollten frühzeitig kleinchirurgische Interventionen evaluiert werden.
  • Eine Prävention durch Insektenschutz und gute Händehygiene nach Aussenaktivitäten oder im Umgang mit (Wild-)Tieren ist wichtig.

1. Tärnvik A, Berglund L. Tularaemia. Eur Respir J. 2003 Feb;21(2):361–73.
2. Wittwer M, Altpeter E, Pilo P, Gygli SM, Beuret C, Foucault F, et al. Population Genomics of Francisella tularensis subsp. holarctica and its Implication on the Eco-Epidemiology of Tularemia in Switzerland. Front Cell Infect Microbiol. 2018;8(March):1–16.
3. Maurin M, Gyuranecz M. Tularaemia: clinical aspects in Europe. Lancet Infect Dis. 2016;16(1):113–24.
4. Eliasson H, Lindbäck J, Pekka Nuorti J, Arneborn M, Giesecke J, Tegnell A. The 2000 tularemia outbreak: A case-control study of risk factors in disease-endemic and emergent areas, Sweden. Emerg Infect Dis. 2002;8(9):956–60.
5. Kwit NA, Schwartz A, Kugeler KJ, Mead PS, Nelson CA. Human tularaemia associated with exposure to domestic dogs-United States, 2006-2016. Zoonoses Public Health. 2019 Jun;66(4):417–21.
6. Ehrensperger F, Riederer L, Friedl A. Tularämie nach Angriff eines Mäuse bussards auf eine Joggerin : Ein „ One Health “ -Fallbericht. SAT|ASMV Schwezer Arch für Tierheilkd. 2018;160(3):185–8.
7. Wetzstein N, Kärcher I, Küpper-tetzel CP, Kann G, Hogardt M, Jozsa K, et al. Clinical characteristics in a sentinel case as well as in a cluster of tularemia patients associated with grape harvest. Int J Infect Dis. 2019;84:116–20.
8. Frischknecht M, Meier A, Mani B, Joerg L, Chan O, Kim H, et al. Tularemia : an experience of 13 cases including a rare myocarditis in a referral center in Eastern Switzerland ( Central Europe ) and a review of the literature. Infection. 2019;0(0):0.
9. Tärnvik A, Chu MC. New Approaches to Diagnosis and Therapy of Tularemia. Ann New York Acad Sci. 2007;404:378–404.
10. Johnsrud JJ, Smith CR, Bradsher RW. Serendipitous Treatment of Tularemia in Pregnancy. Open Forum Infect Dis. 2019;6(10):1–3.
11. Mailles A, Vaillant V. 10 years of surveillance of human tularaemia in France. Euro Surveill. 2014 Nov 13;19(45):20956.