- Therapie der Angst im zahnmedizinischen Kontext mit Hypnose
Patienten befinden sich in medizinischen Institutionen in einem emotionalen Ausnahmezustand individuell unterschiedlicher Ausprägung. Dieser wird gerade im somato-interventionellen Kontext, im Speziellen in der Zahnmedizin, durch das hohe Potential an negativen Suggestionen verstärkt und kann mit existentiellen Ängsten verbunden sein. Die medizinische Hypnose ist eine wirksame psychosomatische Kommunikations- und Therapiemethode, um solche Angstzustände im medizinischen Umfeld zu vermeiden bzw. zu behandeln.
Patienten fühlen sich häufig in Ihrer Existenz bedroht und haben Angst. Dabei können neben einer oder mehreren Erkrankungen eine ganze Reihe anderer Faktoren ursächlich wirksam werden. So zeigen Betroffene eine deutlich erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit für die Atmosphäre im ihnen fremden Umfeld und für die Gestimmtheit des (zahn-) medizinischen Personals. Aussagen werden häufig wörtlich und mit negativer Auswirkung auf das Selbst verstanden. Die Menschen erstarren (Katalepsie), entsprechend werden sie vielfach und fälschlicherweise als ruhig wahrgenommen. Weiter besteht die grosse Gefahr, dass Informationen oder Handlungen ausgeblendet (selektive Amnesie) werden, was zu Missverständnissen bei der Aufklärung vor Interventionen oder bei der Therapie führen kann. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Umgebung und der Zeit sind verändert. Die Menschen zeigen eine stark erhöhte Suggestibilität. Dabei weisen gerade in der somato-interventionellen Medizin apparative Ausrüstung und Handlungen ein besonders hohes Potential für negative Suggestionen auf (1, 2). Im Folgenden sollen diese Ängste und deren Therapie durch Hypnose am speziellen Beispiel der Zahnmedizin dargestellt werden.
Zahnbehandlungsangst – eine seltsame Angst
In der frühkindlichen Entwicklung verschliesst sich die Mundhöhle schon sehr bald für Handlungen durch das soziale Umfeld. Nach Durchlaufen der Phase des Saugens (Stillzeit) und der Exploration, in der die hohe Sensitivität der Mundhöhle für das Entdecken der Welt genutzt wird, beginnt das Kleinkind selbst zu entscheiden, für was und wen es seinen Mund öffnet. Missachtung dieses Eigenwillens kann zu Übergriffen mit hohem traumatischem Potential führen (3). Dabei verstärkt die ausgeprägte Sensitivität der Mundhöhle, die im Gehirn in einem grossen Areal des primär sensiblen Cortex ihre Abbildung findet, negativ konnotierte Reize deutlich (4). Angst im zahnmedizinischen Kontext entsteht aber nicht nur durch Selbsterfahrung, sondern kann auch Folge einer Tradierung durch das soziale Umfeld sein. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit negativer Selbsterfahrungen oder Tradierung von Furcht und Angst mit der Häufung allgemeiner bzw. oraler Gesundheitsprobleme (5).
Schliesslich spielen auch die emotionalen Grundbedürfnisse des Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Entstehung von Angst. Insbesondere die Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz, Orientierung und Bezogenheit werden allein schon durch die spezielle Untersuchungs- und Behandlungsposition des Patienten mit individuell unterschiedlichster Auswirkung verletzt oder ganz in Frage gestellt (6).
Keine Seltenheit
Etwa 60 – 80% der Patienten erfahren ein deutliches Unbehagen bis hin zu Angst im zahnmedizinischen Kontext. 10 – 20% leiden unter einer deutlichen Zahnbehandlungsangst (7). Diese wird durch verschiedenste Reize ausgelöst, die einen oder mehrere der fünf Sinne ansprechen. Allein der für Zahnarztpraxen typische Geruch vermag bereits eine solche Angstreaktion auszulösen. Dabei können die gesamten diagnostischen und therapeutischen Vorgänge zu einer besonderen Herausforderung werden, oder nur Teilaspekte betroffen sein, wie etwa die Angst vor dem Nadeleinstich im Rahmen einer Lokal- oder Leitungsanästhesie (Nadelphobie) (8). In diesem Zusammenhang wird im Wesentlichen zwischen zwei unterschiedlichen Formen und Ausprägungen der Angst unterschieden. Einerseits umfasst diese einen emotionalen Zustand, der noch vor der erstmaligen Exposition mit dem Reiz auftritt und mit Furchtsamkeit oder Ängstlichkeit (dental anxiety) umschrieben werden kann. Andererseits kann die Angst eine Reaktion auf eine bereits bekannte Situation sein und zu einem Konflikt führen, bei dem die Betroffenen vor die Entscheidung Verharren (Totstellreflex), Vermeiden (Flucht) oder Abwehr (Kampf) gestellt werden (dental fear) (9, 10).
Für rund 5% der Patienten erreicht diese Angst eine Dimension, die für sie nicht mehr bewältigbar ist. Diese Menschen leiden an einer Odontophobie. Diese wird als eine persistierende, unrealistische und das Selbst bedrohende Angst beschrieben, die zu einer totalen Vermeidung oralmedizinischer Diagnostik und Therapie führen kann, oft mit fatalen Folgen für die Zahn-, Mund- und allgemeine Gesundheit. Im Gegensatz zu Ängstlichkeit und Angst stellt die Odontophobie eine psychische Erkrankung dar (7, 9, 10).
Medizinische Hypnose
Eine nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeit von Furchtsamkeit, Angst und Phobie im somato-interventionellen, also auch zahnmedizinischen Kontext stellt die Hypnose dar. Es handelt sich dabei um eine psychosomatische Behandlungsmethode, die durch zahlreiche Studien ihre wissenschaftliche Begründung gefunden hat. So konnte gezeigt werden, dass die medizinische Hypnose eine geeignete Methode darstellt, um Furcht, Angst und Phobie im (zahn-) medizinischen Kontext zu behandeln (11, 12).
Die medizinische Hypnose nutzt verbale, paraverbale und nonverbale Kommunikationssignale mit dem Ziel, den Patienten in einen Bewusstseinszustand möglichst tiefer Entspannung zu führen, in der die Aufmerksamkeit fokussiert und eine erhöhte Achtsamkeit erzeugt wird. Es entsteht ein Zustand hoher Suggestibilität und Kreativität, der auch als Trance bezeichnet wird und sich vom Alltagsdenken deutlich unterscheidet (13). Der Mensch gewinnt die notwendige Distanz und somit Unvoreingenommenheit zu psychischen und somatischen Herausforderungen, um neue Lösungswege zu finden, die ihm auf der autobiographischen Bewusstseinsebene nicht in vergleichbarem Ausmass zur Verfügung stehen. Hierzu wird die Wirkung problembezogener Suggestionen, Metaphern und Geschichten genutzt, die eine innere Vorstellung erzeugen, mit der es Betroffenen möglich wird, psychische und physische Abläufe positiv zu verändern. Gefühle können je nach Bedarf für das Wohlbefinden der Betroffenen verstärkt oder abgeschwächt, Schmerzen und Angstzustände positiv beeinflusst werden (11, 12). Hypnotische Zustände bzw. Trance können fremd, durch eine therapeutische Fachperson oder selbst induziert werden. Somit hat die Hypnotherapie auch das Ziel, den Patienten selbst zu befähigen, mit Hypnose die gestellten Herausforderungen, also auch Furchtsamkeit oder Angst im somato-interventionellen Kontext schliesslich selbständig bewältigen zu können (14).
Fallbeispiel
Eine 45-jährige Frau, von Beruf Grundschullehrerin, beantwortete im Anamnesebogen, der vor der Erstkonsultation ausgefüllt wurde, die Frage nach Zahnbehandlungsangst positiv. Zudem gab sie an, über deutlich mehr als zehn Jahre jeden zahnmedizinischen Kontakt vermieden zu haben. Deshalb erfolgte die Erstkonsultation bewusst in einem neutralen Büroraum, der auf Augenhöhe eine von Angst auslösenden Faktoren dissoziierte Exploration der Patientensituation erlaubte. Dabei wurde als Metapher für die bevorstehende zahnmedizinische Diagnostik und Therapie die Planung einer Bergtour verwendet, bei der es ja auch darum geht, Vertrauen zur führenden Person und zur sicheren Bewältigung der Herausforderung zu gewinnen (Abb. 1).
Die Patientin vermochte auf diese Weise differenziert aus ihrer Sicht über die Ursachen für die Odontophobie zu berichten. Sie war als Kind in einer Urwaldschule aufgewachsen und unterrichtet worden, in der ihre Eltern als Lehrpersonen tätig waren. In der Pubertät kehrte sie mit ihren Eltern in die Schweiz zurück und wurde hier mit einer ihr völlig fremden Gesellschaft und insbesondere mit einem durch sie als äusserst einengenden Schulsystem konfrontiert. Zusätzlich wurde bei ihr nach Diagnose einer Kiefer- und Zahnfehlstellung eine festsitzende kieferorthopädische Therapie begonnen, die das Mädchen in ihrer schwierigen Lebenssituation vollends überforderte und die damit verbundenen Sorgen bzw. Ängste in nur noch schwer zu ertragendem Mass steigerte. Die häufig notwendigen Kontrollsitzungen wurden schliesslich zu einer nicht mehr bewältigbaren Belastung, sodass es zum Abbruch der Therapie kam. Danach erfolgte keine zahnmedizinische Betreuung mehr, bis die Angst vor Zahn- und Munderkrankungen die Odontophobie zu überwiegen begann.
Wie sich herausstellte, war die Patientin in ihrer Freizeit eine passionierte Berggängerin. Beim Klettern bezwang sie schwierige Passagen, wo die physische Kraft allein nicht ausreichte, mit ihrem unbändigen Willen, oder wie sie sagte, «mit ihrem harten Kopf». Diese Passion wurde zur möglichen Ressource für die Bewältigung der Angst, indem der Patientin angeboten wurde, während der Behandlung mit der ihr vertrauten lockeren, aber hoch fokussierten Art klettern zu gehen. Entsprechend wurde in der zweiten Konsultation bereits im Behandlungszimmer mit Hilfe der Suggestion einer Bergtour eine so tiefe Trance erzielt, dass die klinische und radiologische Diagnostik entspannt durchgeführt werden konnte. Im Nachgespräch zeigte sich die Patientin überrascht über die dissoziative Wirkung der hypnotischen Intervention und über die Möglichkeit, nach den suggerierten Kletterpartien in den kommenden Behandlungssitzungen gesunde Zähne zurückzubekommen. Durch das empfohlene Training der Selbstinduktion einer entspannenden Trance wurde das Mass der hypnotischen Unterstützung durch das Behandlungsteam vor und während der nachfolgenden Interventionen immer geringer. Mit Abschluss der Therapie war die Patientin in der Lage, die herausfordernde Situation im zahnmedizinischen Kontext selbständig und ohne belastende Emotionen zu bewältigen.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Klinik für Orale Gesundheit und Medizin sowie
Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin
Universitäres Zentrum für Zahnmedizin, Universität Basel
Riedstrasse 9
6430 Schwyz
christian.besimo@bluewin.ch
CB ist Mitglied, Ausbildner und Supervisor der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose SMSH. Im Zusammenhang mit diesem Artikel haben die Autoren ansonsten keine Interessenskonflikte deklariert.
- Menschen im medizinischen Kontext befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, die Ängste induzieren und die Kommunikation erschweren können.
- Furchtsamkeit und Angst treten in der somato-interventionellen Medizin sehr häufig auf, wie das Beispiel der Zahnmedizin zeigt.
- Die Odontophobie ist eine psychische Erkrankung und bedroht bei fehlender Behandlung nicht nur die orale, sondern auch die allgemeine Gesundheit.
- Die Hypnose ist eine geeignete psychosomatische Methode für die Behandlung von Ängsten und Phobien, die im medizinischen Kontext auftreten können.
- Die Anwendung der Hypnose erfordert allerdings eine fundierte Ausbildung, die in der Schweiz von der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose SMSH oder der Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz ghyps angeboten wird.
1. Hansen E, Zimmermann M, Dünzl G: Hypnotische Kommunikation mit Notfallpatienten. Notfall + Rettungsmedizin 2010; 13: 314-321.
2. Wehrli H: Hypnotische Kommunikation und Hypnose in der ärztlichen Praxis. Praxis 2014; 103: 833-839.
3. Piaget J: Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Beltz, Weilheim 2016.
4. Penfield W, Rasmussen T: The cerebral cortex of man: a clinical study of localization of function. Macmillan Company, New York 1950.
5. Hmud R, Walsh LJ: Dental anxiety: causes, complications and management approaches. J Minim Interv Dent 2009; 2: 67-78.
6. Deci EL, Ryan RM: Self-determination theory: a macrotheory of human motivation, development, and health. Canadian Psychology 2008; 49: 182-185.
7. Enkling N, Marwinski G, Jöhren P: Dental anxiety in a representative sample of residents of a large German city. Clin Oral Investig 2006; 10: 84-91.
8. Oosterink FMD, De Jongh A, Aartman I: What are people afraid of during dental treatment? Anxiety provoking capacity of 67 stimuli characteristic of the dental setting. Eur J oral Sci 2008:116; 44-51.
9. Appukuttan DP: Strategies to manage patients with dental anxiety and dental phobia: literature review. Clin Cosmet Investig Dent 2016; 8; 35-50.
10. Armfield JM, Heaton LJ: Management of fear and anxiety in the dental clinic: a review. Aust Dent J 2013; 58: 390-407.
11. Hermes D, Gerdes V, Trübger D, Hakim SG, Sieg P: Evaluation des intraoperativen Einsatzes standardisierter Hypnose mit State-Trait-Angst-Inventar (STAI). Mund Kiefer GesichtsChir 2004; 8: 111-117.
12. Glaesmer H, Geupel H, Haak R: A controlled trial on the effect of hypnosis on dental anxiety in tooth removal patients. Patient Educ Couns 2015; 98: 1112-1115.
13. Halsband U, Wolf TG: Functional changes in brain activity after hypnosis. Neurobiological mechanisms and application to patients with a specific phobia-limitations and future directions. Int J Clin Exp Hypn 2019; 67: 449-474.
14. Besimo C: Hypnotische Intervention bei Zahnbehandlungsangst. CH-Hypnose 2013; 1: 25-27.
der informierte @rzt
- Vol. 10
- Ausgabe 5
- Mai 2020