- Spondylodiszitis der Halswirbelsäule
Anhand des Fallberichtes einer Spondylodiszitis der Halswirbelsäule werden im folgenden Artikel die klinische Bedeutung dieses Krankheitsbildes, die zweckmässigen Abklärungen und Behandlungsmöglichkeiten kritisch dargestellt, sowie auch die Konsequenzen einer vom Patienten abgelehnten Behandlung diskutiert.
Osteomyelitis oder Knochenmarkentzündung (altgriechisch ὀστέον («ostéon») – Knochen und μυελός («myelós») – Mark) ist eine Infektion (meistens bakteriell) des Knochens und Knochenmarks.
Eine Spondylodiszitis bezeichnet eine Osteomyelitis des Bandscheibenraums sowie der angrenzenden Wirbelkörper. Das Symptomspektrum ist breit mit möglicherweise unspezifischen Anzeichen bis hin zu neurologischer Ausfallssymptomatik, Epiduralabszessen oder Sepsis. Durch eine späte Erkennung kann der Krankheitsverlauf schwer und vital bedrohlich sein.
Staphylococcus aureus stellt den häufigsten bakteriellen Erreger einer Osteomyelitis beziehungsweise Spondylitis dar, wenn es die Wirbelsäule betrifft (Knochen- bzw. Knochenmarkentzündungen), oder auch einer Spondylodiszitis, wenn die Entzündung primär von der Zwischenwirbelscheibe ausgeht. Die Erreger können via endogene oder eine exogene Infektionsroute ins Knochenmark gelangen. Die endogene Entzündung entsteht von einem bereits vorhandenen Infektionsfokus im Körper durch eine hämatogene Verbreiterung (z.B. bei Kindern und Jugendlichen mit Tonsillitiden), bei Erwachsenen muss hierbei eine bakterielle Endokarditis in Betracht gezogen resp. ausgeschlossen werden. Die exogene Infektion kann sich posttraumatisch oder iatrogen (postoperativ) vor allem bei immunsupprimierten Patienten entwickeln.
Die Diagnosestellung der Knochenmarkentzündung erfolgt durch körperliche Untersuchungen, Blutanalysen, Blutkulturen mit Antibiogramm und Bildgebung.
Es besteht aktuell keine klare Richtlinie über die Dauer der Behandlung (je jünger der Patient, umso kürzer wird antibiotisch therapiert. Bei Kindern in der Regel zwei Wochen, bei Erwachsenen 4 – 6 Wochen). Bei Spondylodiszitis muss in Fällen mit neurologischer Ausfallsymptomatik oder bei Befall der Dura (z.B. Epiduralabszess) zusätzlich eine chirurgische Intervention in Betracht gezogen werden.
Im Falle der exogenen Osteomyelitis oder Spondylodiszitis ist neben einer medikamentösen Therapie häufig eine chirurgische Sanierung (Aufbohrung, Spülung des Markraums, Abtragung des abgestorbenen oder infizierten Gewebes, Darstellung der vitalen und gut durchbluteten Absetzungsränder) mit einer Spongiosaplastik (Knochentransplantation) nötig. Sollte die Ursache in bereits vorhandenen Implantaten/Fremdkörpern liegen, wird empfohlen diese zumindest vorübergehend komplett zu entfernen.
Die Resektionsgrenzen werden individuell durch den behandelnden Chirurgen festgelegt (1).
Ein operatives Vorgehen bei Spondylodiszitis besteht aus vier Schritten (2)
- Radikale Sequestrektomie
- Totraummanagement
- Plastische Weichteilrekonstruktion
- Wiederherstellung der Knochenstabilität
Parallel sollten eine resistenzgerechte systemische Antibiotikatherapie und eine adäquate Schmerzbehandlung etabliert werden.
Die Prognose ist abhängig von
- Ätiologie
- Rascher Diagnosestellung und Einleiten der richtigen Therapie
- Patientencompliance
- Chronifizierung
- Verlauf
Sofern eine Herdsanierung nicht gelingt, ist mit periodischen Infekt-exazerbationen und einem chronifizierenden Verlauf zu rechnen. Jede Knochenmarkentzündung kann akut und chronisch verlaufen. Eine akute Osteomyelitis kann vollständig ausheilen, sofern sie zeitnah erkannt und möglichst rasch behandelt wird. Eine Chronifizierung sollte immer verhindert werden, da diese erschwert behandelbar ist und mit einem komplikationsreichen Verlauf einhergehen kann.
Bei schlechtem Allgemeinzustand des Patienten werden palliative Massnahmen mit dem Ziel der Infektkontrolle und Schmerzlinderung, z.B. mittels Markraumtrepanation, lokaler Sequestrektomie, Weichteilrevisionen oder Dauerdrainagen, bevorzugt.
In diesem Artikel werden die Behandlungsmöglichkeiten und Komplikationen einer inadäquat behandelten Halswirbelkörperfraktur und damit einhergehenden Spondylodiszitis beschrieben.
Fallbericht
Anamnese
Ein 39-jähriger, untergewichtiger Patient stellte sich mit Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) in unserer Ambulanz vor. Laut seiner Vorgeschichte war er in seinem Herkunftsland körperlicher Gewalt vor allem gegen den Nacken ausgesetzt.
Daraus resultierte eine instabile Fraktur der Halswirbelkörper (HWK) 6 und 7 mit einhergehender neurologischer Ausfallsymptomatik. Zunächst erfolgte keine adäquate Behandlung, was zur Folge hatte, dass sich die neurologischen Symptome weiter verschlechterten. Nach acht Monaten musste der inzwischen rollstuhlgängige Patient schliesslich in seinem Herkunftsland notfallmässig operiert werden. Die chirurgische Versorgung erfolgte mittels Korporektomie von HWK 5 und 6, sowie durch einen Wirbelkörperersatz aus Titan (Mesh-Körbchen) von HWK 4 bis HWK 7 (Abb. 1). Unmittelbar postoperativ zeigte sich ein komplikationsloser Verlauf (3). Gemäss Patientenangaben konnte er seinen Kopf gerade halten und wieder selbständig gehen. Nach vier Wochen kam es jedoch zu einer postoperativen Kyphosierung mit massiver Schmerzexazerbation. Die ausgeprägte Deformität führte zu einer kompletten Unselbstständigkeit (4, 5).
Status
Hierzulande präsentierte sich der Patient erstmals fünf Monate nach der Operation. Er wurde bei Verdacht auf eine Sepsis und Verschlechterung des Allgemeinzustandes aus einem Partnerspital zu uns verlegt.
Im Rahmen der Eintrittsuntersuchung zeigte sich der afebrile Patient in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand. Er konnte seinen Kopf aus der kyphosierten Haltung ohne Unterstützung nicht anheben. Die Wirbelsäule zeigte eine ausgeprägte Hyperkyphose im Halsbereich, eine thorakale Verflachung, sowie eine leichte thorako-lumbale rechtskonvexe Skoliose. Neben den extremen Deformitäten fielen noch eine spastische Tetraparese mit positiven Pyramidenbahnzeichen, eine Atrophie der peripheren Muskulatur in allen Extremitäten sowie sensomotorische Ausfallsymptomatik im linken Arm und Bein auf.
Bildgebung
In der initial durchgeführten Computertomographie (CT) wurde eine Instabilität im Bereich der HWS diagnostiziert (Abb. 2). In der darauffolgenden Magnetresonanztomographie (MRI) zeigte sich eine leicht progrediente Anterolisthesis von HWK4 bei vorbestehender langstreckiger Kompression des Myelons mit Zeichen einer Myelopathie sowie diffusem Ödem. Eine Lockerung des Osteosynthesematerials konnte zwar nicht eindeutig nachgewiesen werden (Abb. 3), was eine solche naturgemäss nicht ausschliesst, jedoch wurde der Verdacht einer aus dem Implantat ausgehenden Spondylodiszitis gestellt (Abb. 4).
Bei zusätzlich angegebenen rechtsseitigen Bauchschmerzen führten wir zur Fokussuche eine CT des Abdomens durch. Bildmorphologisch konnte eine 5.2 x 6.5 cm grosse Raumforderung im rechten Leberlappen dargestellt werden (Abb. 5) und eine Biopsie wurde empfohlen.
Therapieplanung
Nach einer interdisziplinären medizinischen, infektiologischen und neurochirurgischen Evaluation und Zusammenschau aller Befunde wurde eine operative Versorgung vorgeschlagen. Das Ziel war, den mutmasslichen Ursprung der Spondylodiszitis und die ausgeprägte Kyphose zu behandeln (Abb. 6). Anhand der aktuellen Behandlungskonzepte wurde eine 360° Stabilisierung mit Einbringen eines distrahierbaren Cages, ventraler Verplattung und dorsolateraler occipito-zervikaler Spondylodese mit einem Schrauben-Stab-System von C0 bis Th1 angestrebt (6, 7).
Für eine vordere Verplattung der Wirbelsäule erfüllten sich bei diesem Patienten alle in der Literatur beschriebenen vier Kriterien (9): die beeinträchtigte klinische Stabilität und strukturelle Integrität der Wirbelsäule musste wiederhergestellt, eine Deformation musste ausgerichtet und korrigiert, das Fortschreiten einer weiteren Absenkung musste verhindert und eine Schmerzlinderung sollte erreicht werden. Bei einer suffizienten Biomechanik des Implantats und der Halswirbelsäule nach mehrstufiger Diskektomie und Fusionen sollte das Pseudoarthrosen-Risiko bei einem guten Verlauf geringer werden (9), wenn es auch nicht beseitigt werden kann. Der Vorteil dieser Wirbelsäuleninstrumentierung ist die sofortige postoperative Stabilisierung der Operationszone, noch vor der Ausbildung einer Knochenfusion, sowie die beseitigte Transplantatextrusion und dadurch verringerte Kyphose. Da unser Patient unter einer sehr schweren Spondylodiszitis litt und wir nach radikaler Sequestrektomie sowie Totraummanagement mit einen grossen Knochendefekt/Instabilität rechnen mussten, war das zuvor beschriebene Verfahren die Methode erster Wahl. Um ein langfristig gutes Ergebnis erzielen zu können und dabei die Risiken einer erneuten neurologischen Verschlechterung zu verhindern, wurde für 3 Monate postinterventionell eine Ruhigstellung in einem Halo-Fixateur geplant (8). Neben den eindeutigen Vorteilen im Falle einer erfolgreichen Operation mussten wir andererseits die wichtigsten Komplikationen des anterioren Zugangs, wie Perforation der Speiseröhre, Sepsis, neurologische Komplikationen (Parese der N. laryngeus recurrens, Horner-Syndrom mit Ptosis, Pupillen-Miosis und Gesichtsanhidrose, Auftreten einer postoperativen Radikulopathie oder Verletzung des Rückenmarks selbst) oder Gefässverletzungen (A. carotis oder A. vertebralis) aufklären. In diesem extremen Fall konnte es aufgrund der HWS-Kyphose sogar zu einer Rückenmarksverletzung bei der Positionierung oder Instrumentierung des Patienten kommen. Deswegen sollten während der Operation eine übermässige Beugung und Streckung des Halses vermieden werden.
Behandlungsverlauf
Zu diesem Zeitpunkt war der Patient bezüglich chirurgischer Behandlung noch unschlüssig. Vor allem weil einerseits die hochkomplexe Operation und die lange Nachsorge keine vollständige Genesung garantieren konnten, andererseits der chirurgische Eingriff das Risiko einer kompletten Lähmung oder des Versterbens barg. Die Operation konnte schliesslich nicht durchgeführt werden, weshalb eine konservative Behandlung erfolgen musste. Die initiale antibiotische Therapie mit Meropenem und Vancomycin wurde resistenzgerecht auf Vancomycin und Ceftriaxon umgestellt. Nach Besserung des Allgemeinzustands erfolgte die Oralisierung auf Co-Amoxicillin sowie die ambulante Weiterbetreuung.
Nach Entlassung kam es bei chronischen Schmerzen zu einer akuten psychischen Dekompensation, weshalb der Patient zusätzliche psychiatrische Behandlung benötigte. Im weiteren Verlauf exazerbierten die somatischen Beschwerden mit linksseitigen Kribbelparästhesien, Kraftlosigkeit und Schmerzen im gesamten Körper. Der Patient entschied sich dennoch gegen die Operation und brach in der Folge auch den ambulanten Kontakt mit der Klinik ab.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Assistenzärztin Klinik für Innere Medizin
Departement Medizin
Kantonsspital Winterthur
Chefarzt Klinik für Neurochirurgie Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
8401 Winterthur
Und Neurochirurgie, Fakultät für Gesundheitswissenschaften,
gemeinsame Fakultät der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus – Senftenberg, der Medizinischen Hochschule Brandenburg
Theodor, Fontane und der Universität Potsdam
alex.alfieri@ksw.ch
Die Autoren geben an, dass in Zusammenhang mit diesem Artikel kein Interessenskonflikt besteht.
- Eine posttraumatische Halswirbelsäuleninstabilität ist häufig sehr komplikationsreich und soll vollumfänglich möglichst früh behandelt werden
- Der häufigste Erreger bei Spondylodiszitis und auch Osteomyelitis ist Staphylococcus aureus. Er kann durch endogene oder exogene Infektionsrouten in den Knochen gelangen
- Die exogene Spondylodiszitis kann posttraumatisch oder iatrogen (postoperativ) entstehen, vor allem bei immunsupprimierten Patienten
- Nach Diagnosestellung bei Erwachsenen wird die antibiotische Therapie bei akuten Fällen für mind. 4–6 Wochen empfohlen. Eine Endokarditis muss abgeklärt werden.
- Bei chronifizierten Infektionen ist die Komplikationsrate sehr hoch und kann lebensbedrohlich sein.
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- Vol. 10
- Ausgabe 5
- Mai 2020