- Die chronische Insomnie
Schlaflosigkeit ist ein verbreitetes Gesundheitsproblem, das mit psychosozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Folgen verknüpft ist. Zirka 30% der Bevölkerung beklagen Schlafstörungen und über 10% leiden an chronischer Insomnie. Wegen der überholten Meinung, dass Schlaflosigkeit bloss ein Symptom einer Grunderkrankung darstelle, wird deren Behandlung noch immer vernachlässigt. Der Artikel präsentiert die heute gültige Definition der chronischen Insomnie, erklärt ihren eigenständigen Krankheitswert und beschreibt die nicht-pharmakologische Therapie der Insomnie, die als wissenschaftlich etablierte und nachhaltig wirksame Behandlung gilt.
Mit der Einführung der nationalen Akkreditierung von Zentren für Schlafmedizin in der Schweiz (1) hat das Fachgebiet der Schlafmedizin ab 1998 vermehrte Aufmerksamkeit erhalten. Inzwischen existieren schweizweit 32 Zentren für Schlafmedizin, die durch die Schweiz. Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC) akkreditiert wurden. Schlafbezogene Störungen werden seit einigen Jahren vermehrt beachtet und zunehmend häufiger abgeklärt. Neue Erkenntnisse aus der Schlafforschung, eine umfangreiche klinische Erfahrung und Fachliteratur haben im Verlauf der letzten 30 Jahre die Spezialisierung auf dem Gebiet der Schlafmedizin gefördert. Aus einer anfänglich interdisziplinär gestalteten Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Fachrichtungen hat sich die moderne Schlafmedizin – auch Somnologie genannt – zu einer fachübergreifenden eigenen Disziplin entwickelt. Die in Fachkreisen gebräuchliche Internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD) (2) unterteilt die mehr als 80 verschiedenen Schlaf-Wach-Störungen in sechs Kategorien (Insomnien, schlafbezogene Atemstörungen, Hypersomnien, zirkadiane Schlafrhythmusstörungen, Parasomnien und schlafbezogene Bewegungsstörungen).
Die beiden bekanntesten und häufigsten Schlafstörungen sind die Insomnie (Schlaflosigkeit) und die Schlafapnoe. Weil bei der obstruktiven Schlafapnoe Assoziationen mit Übergewicht, Hypertonie, Kreislauferkrankungen und Leistungsminderung bestehen ist die Ärzteschaft sensibilisiert für schlafbezogene Atemstörungen. Bei vermuteter Schlafapnoe ist zur Diagnostik eine Untersuchung von Atmung und Sauerstoffsättigung während des Schlafs erforderlich, und für die Therapie werden bei den meisten Schlafapnoe-Patienten Hilfsmittel während des Schlafs eingesetzt. Deshalb sind die Abklärung und Therapie der Schlafapnoe nicht nur in klinischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht attraktiv. Ganz anders sieht es bei der Insomnie aus. Für die Diagnose chronischer Schlaflosigkeit sind technische Untersuchungen nur in den wenigsten Fällen indiziert, denn die Insomnie ist ein subjektives Leiden, das nicht über messbare Körpersignale oder Parameter einer Schlafregistrierung definiert ist (Tab.1).
Chronische und komorbide Insomnie als eigene Krankheit
Die Therapie der Insomnie gehört traditionellerweise zu den Aufgaben des Grundversorgers. In der hausärztlichen Praxis können Einschlaf- und Durchschlafstörungen durch Beratung über gesunde Schlafgewohnheiten, durch Hilfe in der Stressbewältigung und durch die Behandlung von bestehenden Erkrankungen gelindert werden. In hartnäckigen Fällen werden oft Schlafmittel verschrieben. Die alternde Gesellschaft und der Trend zur Vermeidung von chronischem Schlafmittelkonsum verstärken aber den Druck, den Patienten mit chronischer Insomnie eine langfristig verträgliche Therapie anzubieten. Es ist heute unbestritten, dass eine chronische Insomnie behandelt werden soll, um negative gesundheitliche und soziale Konsequenzen der Schlafstörung zu vermeiden (3, 4). Die Einordnung von Insomniebeschwerden erfordert aber viel Erfahrung und Fachwissen, denn ohne eine fachärztliche Abklärung bleibt oft unklar, ob eine Insomnieklage klinisch relevant ist, ob die subjektiv berichtete Schlafdauer realistisch ist und ob dem verkürzten oder gestörten Schlaf eine organische Ursache zugrunde liegt. Entgegen der früher verbreiteten Ansicht, dass Insomnie bloss als Symptom einer körperlichen oder psychischen Grunderkrankung auftritt, wird die Insomnie seit über 20 Jahren in allen medizinischen Diagnosesystemen als eine eigenständige Krankheit anerkannt. Oft bleibt nämlich ein gestörter Schlaf als chronische Insomnie bestehen, selbst wenn der auslösende Stressor beseitigt oder die ursächliche Grunderkrankung vollständig ausgeheilt ist. Eine behindernde chronische Insomnie kann sich zudem auch bei sonst völlig gesunden Personen entwickeln.
Ein Vergleich mit der Depression verdeutlicht das Konzept der eigenständigen Insomnieerkrankung. Bei einer klinischen Depression gilt es als etabliert und medizinisch wichtig, dass diese zu behandeln ist, auch wenn sie durch eine Schmerzstörung, psychosoziale Belastung, Krebserkrankung oder chronische Schlafstörung ausgelöst wurde. Eine sekundäre Depression besitzt einen eigenständigen Krankheitswert und bedarf einer antidepressiven Behandlung, um die Gesamtprognose zu verbessern. Weil auch eine Insomnie sich zur unabhängigen Krankheit entwickeln kann und oft chronisch wird, soll sie ebenfalls stets behandelt werden, auch wenn sie im Rahmen einer Schmerzerkrankung, einer Depression oder anderen Störung entstanden ist. Die Prognose von psychischen und organischen Erkrankungen wird nachweislich verbessert, wenn die komorbide Insomnie gleichzeitig behandelt wird (5, 6). Bei Erkrankungen mit komorbider Insomnie ist deshalb die Frage bezüglich Therapiepriorität (Huhn oder Ei?) irrelevant, weil jede beteiligte Erkrankung eine spezifische Behandlung benötigt.
Definition und Mechanismus der chronischen Insomnie
Die Klage über einen gestörten, kurzen oder schlechten Schlaf gilt nur dann als Insomnie, wenn als Folge der Schlafstörung Beschwerden im Wachzustand wie Müdigkeit, Missstimmung, Konzentrations- oder Leistungseinbussen auftreten. Zur wichtigen Abgrenzung von chronischem Schlafmangel müssen bei der Insomnie die beklagten Schlaf- und Befindlichkeitsbeschwerden zudem in einer Situation mit ausreichend Zeit und Gelegenheit zum Schlafen bestehen (Tab.1) (2). In vielen Publikationen werden die Begriffe Schlaflosigkeit und Schlafmangel leider gerne vermischt, was eine seriöse Aufklärung über die Krankheit der Insomnie bzw. über den chronischen Schlafmangel in der Gesellschaft erschwert.
Nach dem Modell von Arthur J. Spielmann (7) entsteht eine Insomnie, wenn das Risiko für Insomnie eine bestimmte Schwelle überschreitet. Drei Komponenten tragen zum Insomnierisiko bei. Die prädisponierenden Faktoren (z.B. weibliches Geschlecht, ängstliches Temperament, familiäre Konstitution) und die auslösenden Faktoren (z.B. Erkrankungen, Todesfälle, Scheidung, Berufsstress) können in der Regel nicht beeinflusst bzw. rückgängig gemacht werden. Die dritte Risikokomponente betrifft Faktoren, die eine Schlafstörung aufrechterhalten und chronisch werden lassen. Zu diesen chronifizierenden Faktoren gehören z.B. eine Verlängerung der im Bett verbrachten Zeit, frustrierende lange Einschlafversuche, übertriebene Befürchtungen über Konsequenzen der Schlafstörung, das Verfolgen der Uhrzeit in der Nacht, eine Überbewertung kurzer Wachzeiten und die selektive Fokussierung auf Missstimmung und Fehlleistungen. Auf diese chronifizierenden Faktoren zielen die Verhaltenstherapien für Insomnie ab. Dabei ist es wichtig, dass der Patient die Mechanismen der Chronifizierung versteht um seine dysfunktionalen Gedanken und kontraproduktiven Verhaltensweisen anhaltend zu verändern.
Die Insomniebehandlung erster Wahl
Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I: Cognitive Behavioral Therapy for Isomnia) ist eine speziell entwickelte Therapie, die auf der Aufklärung zum Entstehungsmechanismus der Insomnie und auf der Anleitung zu Änderungen von kontraproduktiven Ansichten und Verhaltensweisen basiert. Die verschiedenen Elemente der CBT-I sind in Tabelle 2 zusammengestellt und kurz erläutert. Einzelne dieser Massnahmen können bereits wirksam sein, in der Regel werden in einer Behandlung aber mehrere Elemente kombiniert und individuell den krank machenden Ansichten und Verhaltensweisen der jeweiligen Person angepasst. Gewisse Elemente der Verhaltenstherapie können gelegentlich kontraindiziert sein. Zum Beispiel erhöht Schlafrestriktion bei vulnerablen Personen das Risiko für bipolare, epileptische oder parasomnische Störungen. Bei betagten Personen und bei Patienten mit Depression oder Angsterkrankung können gewisse Empfehlungen bezüglich Schlafgewohnheiten und Schlafhygiene zu einer Überforderung und Verstärkung der Insomnie führen. Bei einigen Patienten sind selbst Entspannungstechniken kontraindiziert, denn in 10-15% der Bevölkerung lösen diese paradoxerweise Angstreaktionen aus.
Informationsmaterial für Insomniepatienten und Artikel in Gesundheitsmagazinen enthalten meist gute Ratschläge zu Schlafhygiene und Verhaltensmassnahmen. Ohne fachkundige Anleitung und Begleitung werden diese Empfehlungen jedoch meist nicht konsequent und lange genug befolgt. Denn wegen des hohen Leidensdrucks bei chronischer Insomnie wird ein schneller Erfolg angestrebt, so dass die Ratschläge nur für wenige Tage und mit hohem Erwartungsdruck umgesetzt werden. Für eine erfolgreiche Therapie ist darum oft die Unterstützung durch eine Fachperson notwendig, obwohl die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) aus relativ einfachen Massnahmen besteht. Die Wirksamkeit dieser nicht-pharmakologischen Therapie ist gut etabliert (8), und es wurde gezeigt, dass sie gleich gut wirksam ist wie eine Behandlung mit Schlafmitteln (9). Ein wichtiger Vorteil besteht darin, dass mit der CBT-I eine langfristige Verbesserung des Schlafs erzielt wird (10).
International gibt es relativ wenige Fachleute, die in der Insomnietherapie geschult sind, was erahnen lässt, dass nur ein kleiner Teil der Patienten mit chronischer Insomnie in den Genuss einer Behandlung mit CBT-I kommt. Heute steht deshalb die Verbreitung der Insomnietherapie im Vordergrund der klinischen Forschung und Tätigkeit. Um viele Patienten zu erreichen werden und wurden weltweit Internet-basierte Therapieangebote entwickelt. Auch wenn diese Ferntherapien nicht immer durch eine Fachperson begleitet werden und nicht individuell auf jeden Patienten abgestimmt werden können, sind diese Therapieprogramme besser als der gänzliche Verzicht auf eine Insomniebehandlung. In vielen Ländern wird daran gearbeitet, Hausärzte und weitere Berufsgruppen im Gesundheitssektor (Pflege, Pharmazie) in der Vermittlung der verhaltensbasierten Insomnietherapie auszubilden.
Schlafmittel
Wenn schlafhygienische Massnahmen ausgeschöpft sind und Erkrankungen sowie Medikamente, die den Schlaf stören, kontrolliert sind, stellen die Schlafmittel die weitaus häufigste Behandlung von Schlafproblemen dar. Für eine akute Insomnie mit absehbarem Ende sind Benzodiazepine, Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon) und die neueren Schlafsubstanzen wie Melatonin-Rezeptor-Agonisten und Orexin-Rezeptor-Antagonisten eine wirksame Therapie. Eine schnelle Intervention bei Schlafstörungen ist schon deshalb angezeigt, weil damit die Entwicklung einer chronischen Insomnie verhindert werden kann. Wegen der vorübergehenden Absetzinsomnie werden Schlafmittel aber häufig dauerhaft verabreicht, um eine Schlafstörung langfristig zu kontrollieren. Das Ausschleichen von Schlafmitteln kann nur gelingen, wenn für das Schlafmittel eine alternative und wirksame Therapie angeboten wird. Dazu eignet sich die CBT-I als nicht-pharmakologische Therapie ideal. Die Verhaltensmassnahmen müssen vom Patienten aber zuerst beherrscht und verstanden werden, damit beim späteren Ausschleichen des Schlafmittels temporäre Schlafschwierigkeiten gut bewältigt werden können.
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Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Die Definition der Insomnie basiert auf dem subjektiven Leiden eines Patienten, was eine gezielte Anamnese und klinische Einschätzung der Schlafstörung erleichtert.
- Eine frühe Behandlung von akuten Schlafstörungen ist anzustreben, um die Entwicklung einer chronischen Insomnie zu verhindern.
- Eine Informations- und Verhaltenstherapie oder ein Schlafmittel (Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten oder neue Substanzen) kann als initiale Insomniebehandlung dienen.
- Bei der Langzeittherapie soll eine kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) an erster Stelle stehen, nötigenfalls unterstützt durch eine Pharmakotherapie.
- Eine chronische Insomnie soll – unabhängig von Begleiterkrankungen – wenn immer möglich behandelt werden.
1. Gugger M, Bassetti C, Bloch K, Blois R, Colomb E, Wirz-Justice A, Zagury S. Richtlinien zur Zertifizierung von «Zentren für Schlafmedizin» zur Durchführung von Polysomnographien. Schweiz Ärztezeitung 1998;79:2605-9.
2. International Classification of Sleep Disorders 3rd Ed. Darien, IL USA: American Academy of Sleep Medicine. 2014.
3. Kyle SD, Morgan K, Espie CA. Insomnia and health-related quality of life. SleepMed Rev. 2010;14:69-82.
4. Siebern AT, Manber R. Insomnia and its effective non-pharmacologic treatment. The Medical clinics of North America. 2010;94:581-591.
5. Lichstein KL, Wilson NM, Johnson CT. Psychological Treatment of secondary Insomnia. Psychol Aging 2000;15:232-240.
6. Simeit R, Deck R, Conta-Marx B. Sleep management training for cancer patients with insomnia. Support Care Cancer 2004;12:176-183.
7. Spielman AJ. Assessment of Insomnia. Clinical Psychology Review 1986;6:11-25.
8. Morin CM, Bootzin RR, Buysse DJ, Edinger JD, Espie CA, Lichstein KL. Psychological and behavioral treatment of insomnia: Update of the recent evidence (1998-2004). Sleep 2006;29:1398-1414.
9. Smith MT, Perlis ML, Park A, et al. Comparative meta-analysis of pharmacotherapy and behavior therapy for persistent insomnia. Am J Psychiatry 2002;159:5-11.
10. Edinger JD, Wohlgemuth WK, Radtke RA, et al. Cognitive behavioral therapy for treatment of chronic primary insomnia: a randomized controlled trial. JAMA 2001;285:1856
der informierte @rzt
- Vol. 10
- Ausgabe 7
- Juli 2020