- Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz
Demenz-Erkrankungen zeigen nicht nur kognitive, sondern auch nicht-kognitive psychiatrische Symptome. Diese erschweren den Verlauf. Oft werden Psychopharmaka eingesetzt, die ein hohes Nebenwirkungsrisiko aufweisen. Die nicht-pharmakologischen Therapieoptionen stehen deswegen im Vordergrund. In diesem Artikel werden einzelne Interventionsmöglichkeiten auf der Basis der Empfehlungen der Schweizer Fachgesellschaften diskutiert.
Die Alzheimer-Demenz (AD) und andere Formen der Demenz-Erkrankungen haben eine Reihe von nicht-kognitiven Begleitsymptomen, die unter «behaviorale und psychologische Symptome der Demenz (BPSD)» zusammengefasst werden. Depression und Apathie sind die häufigsten Symptome, aber auch Agitation, Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, Angst, Euphorie, Irritabilität, Enthemmung und Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen gehören zu BPSD (1). Fast alle Betroffene entwickeln im Krankheitsverlauf diese Symptome, zum Teil mehrere zeitgleich. Während Depression die AD von Anfang an begleiten kann, treten psychotische Symptome und Aggression eher im Spätstadium der Demenz auf.
Die BPSD haben schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und deren Betreuer (2): die Alltagsfähigkeiten und die Lebensqualität verschlechtern sich, der kognitive Abbau schreitet schneller voran, und die Betreuung wird immer schwieriger. Die betreuenden Angehörigen entwickeln häufig selbst Depressionen. Im weiteren Verlauf der Demenz wird eine Institutionalisierung notwendig, weil vor allem aufgrund der BPSD eine Betreuung und Behandlung zuhause nicht mehr möglich ist.
Therapiemöglichkeiten für die BPSD
Heute steht eine Reihe von Therapiemöglichkeiten für die BPSD zur Verfügung. Hauptsächlich werden diese Symptome aber mit Psychopharmaka behandelt, die gerade in dieser vulnerablen Patientenpopulation zu Nebenwirkungen führen können. Die Schweizer Fachgesellschaften haben unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -Psychotherapie (SGAP) 2014 die «Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD)» veröffentlicht, die einen interprofessionellen und interdisziplinären Ansatz für die Therapie der BPSD vorschlagen und die nicht-pharmakologischen Optionen in den Vordergrund stellen. Die Empfehlungen sind evidenzbasiert und berücksichtigen die klinischen Erfahrungen der Experten bei Interventionsmöglichkeiten, für die keine ausreichende Evidenz besteht.
Die Erfassung der BPSD ist die Basis für eine erfolgreiche Therapie. Anamnese inklusive Fremdanamnese, Verhaltensbeobachtung und standardisierte klinische Untersuchung sind Teil der Diagnostik. Verfahren wie das «Neuropsychiatrische Inventar (NPI)», die «Behavioral Pathology in Alzheimer’s Disease Rating Scale (BEHAVE-AD)» und das «Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease-Behavior Rating Scale for Dementia (CERAD-BRSD)» werden als Instrumente zur Erfassung der BPSD empfohlen (2). Als diagnostisches Instrument in der Pflege hat sich das Cohen-Mansfield-Agitation-Inventory zur Erfassung von agitiertem Verhalten bewährt. Für die Abklärung der Demenz-Erkrankung werden die Standards der Swiss Memory Clinics (3) und zur Diagnostik des Delirs als Differentialdiagnose die Empfehlungen der Schweizer Fachgesellschaften zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter (4) beigezogen.
Ältere Menschen mit Demenz weisen oft eine hohe Multimorbidität und infolge derer eine Polypharmazie auf. Der Einsatz von Psychopharmaka ist bei dieser Patientengruppe sehr problematisch, und mit erhöhtem Interaktions- und Nebenwirkungsrisiko verbunden. Die gängigen Leitlinien für die Therapie der BPSD empfehlen deswegen durchgehend die nicht-pharmakologischen Therapien als erste Wahl anzubieten und erst wenn diese nicht ausreichend wirken, die Option der Psychopharmakotherapie in Erwägung zu ziehen (2, 5 – 8). Und wenn Psychopharmaka eingesetzt werden, sollen die nicht-pharmakologischen Interventionen begleitend weiterhin angeboten werden.
Nicht-pharmakologische Interventionen
Die pflegerischen Interventionen mit einem «verstehenden Ansatz» auf der Basis des «Bedürfnisbedingten Demenz-Verhaltensmodells (Need-Driven-Dementia-Compromised Behavior Modell-NDB)» haben sich in der Grundpflege von Demenz-Patienten mit BPSD gut bewährt (2). Bei diesem Modell werden die BPSD als Ausdruck der Unfähigkeit, Bedürfnisse ausreichend zu vermitteln, verstanden. Durch Beobachtung und Einbezug der individuellen Vorgeschichte des Betroffenen sollen die Bedürfnisse verstanden und gestillt werden. Verfahren wie «Serial Trial Intervention-STI» und Fallgespräche, die Bezugspersonenarbeit, den Informationsaustausch und die Zielvereinbarungen verbessern, können dabei die Umsetzung erleichtern. Für besondere Problemsymptome wie Aggressivität, disruptive Vokalisation und sexuelle Enthemmung sind strukturierte Empfehlungen vorhanden.
Psychosoziale Interventionen mit einem psychoedukativen Ansatz und Sozialberatung sind bewährte Interventionen (2). Bei der Psychoedukation wird Wissen über die Erkrankung, Prognose, Selbsthilfestrategien und Therapiemöglichkeiten vermittelt. Diese Intervention kann als Einzelgespräch oder in Gruppe angeboten werden, und ist wirksamer, wenn die Angehörigen miteinbezogen werden. Die Sozialberatung berät die Betroffenen und ihre Angehörige über gesetzliche, soziale, finanzielle und organisatorische Aspekte in Zusammenhang mit der Krankheit und trägt so zur Entlastung der Betreuer bei. Milieutherapeutische Massnahmen, die ein strukturiertes und gesichertes Umfeld anbieten lindern BPSD.
Eine Reihe von anderen nicht-pharmakologischen Interventionen helfen BPSD zu reduzieren (2, 5, 6). Bei Agitation ist Aromatherapie mit Lavendel- oder Melissenöl wirksam. Musiktherapie, einzeln oder in Gruppe individualisiert angeboten, wirkt bei agitierten Patienten, aber nicht bei Apathie. Die Befunde über die Wirksamkeit von sensorischer/basaler Stimulation sind sehr heterogen, aber als Teil der Körperpflege eingesetzt trägt sie durchaus zur Beruhigung der Betroffenen bei. Snoezelen ist ein multisensorisches Stimulationsverfahren, welches visuelle, akustische, olfaktorische, taktile und vestibuläre Stimuli anbietet damit die Patienten in speziell dafür konstruierten Räumlichkeiten Ruhe finden. Es hilft bei Aggressivität, Agitation und Apathie. Leider gibt es für die Aktivierungstherapie keine gute Evidenz, aber die klinische Erfahrung zeigt, dass die gezielte Förderung von Alltagsfähigkeiten mit individueller Bedeutung helfen kann, BPSD zu verbessern. Schliesslich besteht die beste Evidenzlage für die Bewegungsförderung bei Demenz-Patienten. Oft kombiniert mit Musik, Tanz und Orientierungshilfen im Alltag kann sie in verschiedenen Formen angeboten werden und hat positive Auswirkungen auf funktionelle und kognitive Leistungsfähigkeit.
Psychologisch-psychotherapeutische Verfahren wie z.B. Verhaltensmanagement, Interventionen bei Betreuern, kognitive Stimulation, Stimuluskontrolle, strukturierter Lebensrückblick und Aufbau angenehmer, strukturierter Aktivitäten haben positive und anhaltende Wirksamkeit bei verbal zugänglichen leicht bis mittelgradig dementen Patienten (2, 6). Vor allem der kombinierte Einsatz von Psychotherapie, Psychoedukation und praktischer Unterstützung der Angehörigen zeigt die beste Wirksamkeit, vor allem bei Depression und Angst. Lichttherapie ist vor allem bei Schlafstörungen und bei zirkadianen Rhythmusstörungen eine gute Option.
Pharmakologische Interventionen
Wenn diese Verfahren keine Linderung der Symptome bringen kann eine Pharmakotherapie erwogen werden. Der Einsatz der Psychopharmaka in dieser Patientengruppe muss aber sehr kritisch betrachtet werden (2). Die Indikation soll regelmässig überprüft werden und der Einsatz soll zeitlich limitiert erfolgen. Die Pharmakokinetik und -dynamik der Medikamente ändern sich im Alter, weswegen die Grundsätze des Einsatzes von Psychopharmaka bei älteren Menschen eingehalten werden müssen (2): in erster Linie nicht-pharmakologische Optionen erwägen, ein individueller Therapieplan, Erfassung der aktuellen Medikamente, der Interaktionen und der Nebenwirkungen, wenn möglich Monotherapie in niedrigster Dosierung, möglichst auf viele kleinere Dosis verteilt und Vermeidung von Anticholinergika, Antihistaminika und Dopaminagonisten.
Weil sie neben kognitiven Symptomen auch BPSD positiv beeinflussen können und weil ihr Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu alternativen Medikamenten vorteilhaft ist, sind die Antidementiva Medikamente der ersten Wahl in der Pharmakotherapie der BPSD (2). Die
Cholinesterasehemmer wirken dabei eher bei Apathie, Depression und Irritabilität, und Memantin eher bei Agitation, Aggressivität, Wahn und Halluzinationen. Die Behandlung der Depression und Angst mit Antidepressiva, vorzugsweise mit Serotoninwiederaufnahmehemmer (keine trizyklischen Antidepressiva!), verbessert nicht nur die BPSD sondern auch Kognition und Alltagsfähigkeiten. Da der Einsatz von Antipsychotika mit erhöhter Mortalität, Schlaganfallrisiko und Nebenwirkungen verbunden ist, soll der Einsatz dieser Substanzen bei klarer Indikation und zeitlich begrenzt erfolgen. Atypische Antipsychotika sind zu bevorzugen, Haloperidol kann bei Übergängen zum Delir eingesetzt werden. Der Einsatz von Neuroleptika erfolgt in meisten Fällen off-Label! Kurz wirksame Benzodiazepine werden nur bei Notfällen und zeitlich limitiert empfohlen. Carbamazepin wird erst empfohlen, wenn die anderen Medikamente nicht wirken, vom Valproat wird grundsätzlich abgeraten. Für Medikamente wie Gabapentin und Lamotrigin sind keine kontrollierten Studien vorhanden, aber die klinische Erfahrung zeigt gute Wirksamkeit bei einzelnen BPSD. Chloralhydrat und Clomethiazol werden nicht empfohlen. Schmerzbehandlung mit Analgetika kann BPSD lindern und soll deswegen angeboten werden. Bei Demenz mit Lewy-Körperchen und Parkinson-Demenz werden Cholinesterasehemmer, Quetiapin oder Clozapin empfohlen. Bei der frontotemporalen Demenz zeigt die Pharmakotherapie keine Wirksamkeit.
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Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Nicht-kognitive Symptome (BPSD: Behaviorale und psychologische Symptome der Demenz) wie Depression, Apathie, Agitation, Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, Angst, Euphorie, Irritabilität, Enthemmung und Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen begleiten Demenz-Erkrankungen.
- BPSD sind sehr häufig. Fast alle PatientInnen entwickeln im Verlauf mindestens ein Symptom.
- Während Symptome wie Depression und Apathie vom Anfang an die Demenz begleiten können, treten BPSD wie Aggressivität, Agitation und psychotische Symptome erst im späteren Verlauf auf.
- Nicht-pharmakologische Interventionsmöglichkeiten sind Therapie der ersten Wahl, weil bei älteren Betroffenen die Nebenwirkungen und Interaktionen der Psychopharmaka stärker ausgeprägt sind.
- Wenn bei älteren Personen Psychopharmaka eingesetzt werden müssen, sollen allgemeine Richtlinien des Psychopharmaka-Einsatzes strenger gehandhabt werden.
1. Lyketsos CG, Carrillo MC, Ryan JM, Khachaturian AS, Trzepacz P, Amatniek J, Cedarbaum J, Brashear R, Miller DS. Neuropsychiatric symptoms in Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement, 2011;7(5):532-9.
2. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M, Fischlin R, Georgescu D, Giardini U, Hatzinger M, Hemmeter U, Justiniano I, Kressig RW, Monsch A, Mosimann UP, Mueri R, Munk A, Popp J, Schmid R, Wollmer MA. Recommendations for diagnosis and therapy of behavioral and psychological symptoms in dementia (BPSD). Praxis, 2014;103(3):135-48.
3. Bürge M, Bieri G, Brühlmeier M, Colombo F, Demonet JF, Felbecker A, Georgescu D, Gietl A, Brioschi Guevara A, Jüngling F, Kirsch E, Kressig RW, Kulic L, Monsch AU, Ott M, Pihan H, Popp J, Rampa L, Rüegger-Frey B, Schneitter M, Unschuld PG, von Gunten A, Weinheimer B, Wiest R, Savaskan E. Recommendations of Swiss Memory Clinics for the Diagnosis of Dementia. Praxis, 2018;107(8):435-451.
4. Savaskan E, Baumgartner M, Georgescu D, Hafner M, Hasemann W, Kressig RW, Popp J, Rohrbach E, Schmid R, Verloo H. Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter. Praxis, 2016;105(16):941-52.
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- Vol. 10
- Ausgabe 9
- September 2020