- Update zur konservativen Therapie bei Harninkontinenz
Die Folgen von Harninkontinenz sind die Beeinträchtigung der Lebensqualität, des Sexuallebens, der Verzicht auf Freizeitaktivitäten und Sport, und der Verlust von sozialen Kontakten. Solche Einschränkungen sind belastend und eigentlich nicht nötig. Schon mit relativ einfachen, konservativen Methoden kann Abhilfe geschaffen werden. Wichtig ist, dass Betroffene durch Öffentlichkeitsarbeit aufgeklärt werden und sich bei Fachpersonen melden, um eine geeignete Therapie zu finden.
Les conséquences d’une incontinence urinaire sont la détérioration de la qualité de vie, de la sexualité, avec l’abandon d’ activités récréatives et sportives et la perte des contacts sociaux. De telles restrictions sont lourdes et n’ont réellement pas de raison d’être. Déjà des mesures conservatrices simples peuvent porter remède. Il est important que les personnes souffrant de ces problèmes aient accès aux informations grand public et soient mises en contact avec et osent finalement consulter les spécialistes dans ce domaine afin de pouvoir profiter des thérapies adéquates.
Harninkontinenz ist eine der häufigsten Erkrankungen der Frau mit einer Prävalenz von 16%. Das Risiko für Inkontinenz ist altersabhängig. Während 7% der 20-39-Jährigen daran leiden, sind es bei den 40-59-Jährigen über 17%, bei den 60-79-Jährigen 23% und bei den über 80-Jährigen 32% (1). Die drei häufigsten Inkontinenzformen sind die Belastungsinkontinenz (48%), die Dranginkontinenz (17%), und die Mischharninkontinenz (34%) mit gleichzeitiger Belastungs- und Drangsymptomatik (2). Die Belastungsinkontinenz kommt bei unter 55-Jährigen am häufigsten vor, ab 55 Jahren wird die Mischharninkontinenz dominant (3).
Laut einer Umfrage der Deutschen Kontinenzgesellschaft ist die Dunkelziffer der an Inkontinenz Erkrankten aber noch deutlich höher, denn 60% der Betroffenen gehen erst gar nicht zum Arzt. Nicht nur die Patientin sondern auch der Arzt haben oft Hemmungen, über Inkontinenz zu sprechen; es handelt sich also um ein «doppeltes Tabuthema». Dazu kommt, dass eine Patientin, die ihre Inkontinenz einmal thematisiert hat, dann aber vom Arzt nicht ernst genommen worden ist, es zu 50% nicht nochmals versuchen wird. Deshalb ist es besonders wichtig, dass der Arzt bei der Anamnese das Thema Harninkontinenz gezielt anspricht (4, 5).
Definition und Ursache der Belastungsinkontinenz
Unter Belastungsinkontinenz versteht man den Urinverlust bei körperlichen Anstrengungen. Dabei werden verschiedene Schweregrade unterschieden (nach Stamey): Grad I beim Husten, Niesen, Lachen; Grad II bei abrupten Körperbewegungen, beim Aufstehen, Hinsetzen, beim Aufheben schwerer Lasten; Grad III bei minimen Bewegungen, im Liegen und sogar im Schlaf (6). Ursachen für die Belastungsinkontinenz sind eine Schwächung der Beckenbodenmuskulatur oder ein ungenügender Harnröhrenverschlussmechanismus, der dem höheren intravesikalen Druck nicht standhalten kann. Das kann schon bei jungen Frauen vorkommen, z.B. als Folge von Schwangerschaft und Geburt. Mit zunehmendem Alter nimmt das Risiko für Inkontinenz zu, z.B. weil Anzahl und Dichte der Muskelfasern um die Harnröhre kontinuierlich abnehmen (7). Zudem führen tiefe Östrogenkonzentrationen im Blut, während und nach den Wechseljahren, zu Gewebeabbau und dünnen Schleimhäuten und dadurch zu einer verminderten Unterstützung der Harnröhre. Weitere Risikofaktoren für Belastungsinkontinenz sind Adipositas, Rauchen, chronischer Husten oder Obstipation (8).
Konservative Behandlung der Belastungsinkontinenz
Eine Belastungsinkontinenz sollte zuerst immer konservativ behandelt werden. Schon eine Gewichtsreduktion bei einem erhöhten Body-Mass-Index oder der Verzicht auf Zigaretten können helfen.
Die erfolgreichste Therapie ist die Beckenbodenphysiotherapie (9). Speziell geschulte Physiotherapeutinnen zeigen, wie die Beckenbodenmuskeln wieder aufgebaut und bei Belastungen reflexartig angespannt werden können. Eine moderne Therapieform stellt die Kombination von Physiotherapie mit Vibrationstherapie dar. Dabei steht die Patientin auf einer vibrierenden Plattform (Abb. 1). Die mechanischen Schwingungen lösen reflektorische Muskelkontraktionen aus. Das führt zu einer Erhöhung der Ruhespannung im kleinen Becken, einer Verbesserung der Kontraktionsfähigkeit der Beckenbodenmuskulatur und somit zur Kontinenz (10, 11). Auch Elektrostimulation und Biofeedback können die Physiotherapie ergänzen, um die Beckenbodenmuskulatur besser wahrzunehmen und gezielt zu stärken (12, 13).
Die Pessartherapie behebt die Inkontinenzbeschwerden sofort und effektiv. Pessare werden in die Scheide eingelegt und bieten ein Widerlager unter der Harnröhre. So kann sich bei körperlicher Belastung die Harnröhre nicht unkontrolliert öffnen und ein Harnverlust wird verhindert (Abb. 2). Pessare können entweder nur beim Sport oder aber den ganzen Tag getragen werden. Meist werden sie über einige Monate angewendet, bis sich, unterstützt durch andere Therapien wie Beckenbodentraining oder Hormonbehandlung, die Beschwerden gebessert haben. Pessare unterscheiden sich in Material, Form und Grösse (Abb. 3). Wichtig für den Erfolg ist die individuelle Wahl des geeigneten Pessarmodells und eine kompetente Beratung mit Instruktion zur Anwendung (14). Zum Einführen von Pessaren sollten niedrig dosierte Hormoncremen verwendet werden. Hormonmangel-bedingte Beschwerden, wie eine dünne, empfindliche Haut im Urogenitalbereich (vaginale und vulväre Atrophie) und der Abbau von Binde- und Muskelgewebe, sprechen sehr rasch auf eine Hormonbehandlung an (15). Die Östrogene können vaginal als Creme, Ovula, Tabletten, oder systemisch oral oder transdermal angewendet werden. Systemische Hormongaben nach den Wechseljahren beheben oder verbessern auch andere Beschwerden, wie Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, sexuelle Dysfunktionen, Leistungs- und Gedächtnisverminderung, Knochen- und Gelenksymptome, Osteoporose, trockene Schleimhäute in den Augen, Kopfhaarverlust, Faltenbildung.
Wenn nach drei Monaten trotz der konservativen Massnahmen keine Heilung oder Besserung festgestellt werden kann und wenn das Gewebe mit lokalen Östrogenen gut aufgebaut ist, wird in der Regel eine Operation empfohlen.
Definition und Ursache der Dranginkontinenz («OAB wet»)
Beim imperativen Harndrang mit unkontrollierbarer Blasenkontraktion und einem unwillkürlichen Urinverlust spricht man von einer Dranginkontinenz («OAB wet»). Die Patientinnen haben eine sogenannte «hyperaktive Blase», «Overactive Bladder» (OAB) oder «Reizblase». Per Definition ist die OAB charakterisiert durch einen persistierenden Harndrang, in der Regel begleitet von einer erhöhten Miktionsfrequenz (≥ 8 Mal während der Wachphase) und Nykturie (≥ 1 Mal pro Nacht), mit oder ohne Dranginkontinenz, in der Abwesenheit eines Harnwegsinfekts, und ohne eine offensichtliche andere Pathologie (16). Da bei der Dranginkontinenz imperativ meist grosse Urinmengen verloren gehen, ist der Leidensdruck meist grösser als bei der Belastungsinkontinenz.
Die Dranginkontinenz tritt oft als Begleitsymptom von anderen Erkrankungen auf. Diese müssen identifiziert und adäquat behandelt werden. Beispiele solcher Erkrankungen sind: rezidivierender Harnwegsinfekt, urogenitale Atrophie, Deszensus, Fremdkörper in der Blase, Blasentumor oder -steine, Urethraobstruktion, Strahlenzystitis, Interstitielle Zystitis, Kolpitis, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, Adipositas, medikamentöse oder psychogene Ursachen, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, zerebrovaskuläre Erkrankung, Querschnittsyndrom, senile Demenz, Alkoholismus. Falls keine Ursache gefunden wird, spricht man von einer «idiopathischen» Dranginkontinenz.
Konservative Behandlung der Dranginkontinenz («OAB wet»)
Bei der Behandlung der idiopathischen Dranginkontinenz werden multimodale Therapien empfohlen. Wie bei der Belastungsinkontinenz helfen auch hier eine Gewichtsreduktion, ein gesunder Lebensstil («Lifestyle-Faktoren») (17, 18), die Anwendung von Pessaren oder eine lokale Östrogenisierung. Ebenfalls hilft Beckenbodenrelaxation durch individuelle Physiotherapie (18). Durch Trink- und Miktionstraining können die funktionelle Blasenkapazität gesteigert und die Miktionsintervalle verlängert werden. Pro Tag sollten über zwei Liter getrunken werden, um Miktionsvolumina von über 300 ml zu erreichen. Reiz auslösende Nahrungsmittel und Getränke wie Kaffee, Alkohol, Scharfes oder Saures sollten vermieden werden (18). Um die optimale Diät individuell herauszufinden, empfiehlt es sich, ein Ernährungstagebuch zu führen.
Mechanische Reizauslöser wie zu enge Kleidung, irritierende Duschmittel oder raues Toilettenpapier sollten vermieden werden. Beachtung sollte der Intimpflege gegeben werden: Waschen mit einer pH-neutralen, rückfettenden Waschlotion, Anwendung einer Fettcreme, Aufbau der Schleimhaut mit einer Hormoncreme oder Unterstützung zum Aufbau einer gesunden Scheidenflora mit Milchsäurebakterien-Produkten. Blasenentspannend und entzündungshemmend wirken Phytotherapeutika (Abb. 4), zum Beispiel Nieren- und Blasendragées oder Preiselbeersaft.
Sollten obige Massnahmen zu keinem befriedigenden Resultat führen, kann eine Dranginkontinenz auch medikamentös therapiert werden (8). Die sogenannten «Anticholinergika» hemmen die Kontraktion des Detrusormuskels und entspannen somit die Blase. Die Substanzklasse der «Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten» wirkt ebenfalls blasenentspannend, aber indem die Muskelentspannung direkt aktiviert wird. Mit diesen beiden Substanzklassen können sowohl Inkontinenz- und Drangepisoden als auch die Miktionshäufigkeit reduziert werden. Dabei wird das Miktionsvolumen gesteigert.
Fazit
Harninkontinenz ist belastend und einschränkend. Betroffene sollen diesen Zustand aber nicht einfach so akzeptieren, sondern müssen wissen, dass etwas dagegen getan werden kann. Schon einfache, konservative Massnahmen können die Beschwerden rasch lindern und die Lebensqualität wieder verbessern. Die Behandlungsmöglichkeiten sind multimodal und vielfältig, die geeignete Therapie muss individuell auf die Patientin abgestimmt werden. Wichtig ist, dass die Patientinnen sich zur Abklärung und Behandlung bei einem Spezialisten melden. Dazu braucht es eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit und gut ausgebildete Fachkräfte.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Co-Chefarzt Frauenklinik, Chefarzt Urogynäkologie
Kantonsspital Frauenfeld
Frauenklinik, Blasen- und Beckenbodenzentrum
8501 Frauenfeld
volker.viereck@stgag.ch
Leitende Fachfrau für Blasen- und Intimbeschwerden
Kantonsspital Frauenfeld
Frauenklinik, Blasen- und Beckenbodenzentrum
8501 Frauenfeld
marlies.von-siebenthal@stgag.ch
Wissenschaftliche Projektleiterin
Kantonsspital Frauenfeld
Frauenklinik, Blasen- und Beckenbodenzentrum
8501 Frauenfeld
marianne.gamper@stgag.ch
Die Autoren haben keinen Interessenskonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
- Die häufigsten Inkontinenzformen sind die Belastungs- und die Dranginkontinenz.
- Zur Therapie sollen zuerst konservative Massnahmen angewendet werden, schon eine Lifestyle-Änderung kann helfen.
- Wichtig ist die sorgfältige Abklärung beim Spezialisten.
- Bei der Belastungsinkontinenz helfen Beckenbodenphysiotherapie, oft in Kombination mit Elektrostimulation und Vibrationstherapie. Die Pessartherapie mit lokaler Hormonapplikation stellt eine gute Soforthilfe dar.
- Kann bei der Dranginkontinenz keine spezifische Ursache gefunden werden, helfen ein Trink- und Miktionstraining, die Änderung der Ernährungsgewohnheiten, eine schonende Intimpflege, die medikamentöse Therapie mit Anticholinergika oder Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten, sowie Phytotherapeutika und die individuelle Physiotherapie.
Messages à retenir
- Les formes d’incontinence les plus fréquentes sont l’incontinence
d’effort et l’urgence mictionnelle avec incontinence («OAB wet»). - En traitement de première intention, des mesures conservatrices devraient être favorisées. Déjà un changement du style de vie peut être salutaire.
- Les investigations soigneuses chez le spécialiste sont primordiales.
- Pour l’incontinence d’effort aide la physiothérapie du plancher
pelvien, souvent combinée avec l’électrostimulation et le vibromas-sage (plateforme vibrante «Galileo»). La thérapie par pessaire avec hormonothérapie locale représente une bonne mesure immédiate. - En cas d’incontinence avec des urgences mictionnelles, pour laquelle une raison spécifique n’a pas été trouvée, les thérapies suivantes peuvent aider: Entrainement mictionnel et consommation de boissons planifiée et régulière, adaptation des habitudes alimentaires, soins intimes sans savons/produits irritants, la thérapie médicamenteuse avec des anticholinergiques ou des agonistes des récepteurs beta-3-adrénergiques, des phytothérapeutiques et la physiothérapie individualisée.
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- Vol. 10
- Ausgabe 5
- Oktober 2020