- Kosten dominieren die gesundheitspolitische Diskussion (Teil 2)
In der Herbstsession tagten National- und Ständerat wieder im Bundeshaus. Hier der zweite Teil des Überblicks über hängige krebspolitisch relevante Vorlagen (1):
Pflegeinitiative und indirekter Gegenvorschlag (2)
Die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» will Bund und Kantone verpflichten, für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität zu sorgen und dazu insbesondere genügend diplomiertes Pflegefachpersonal auszubilden. Der Bundesrat lehnt es ab, «einer spezifischen Berufsgruppe eine Sonderstellung in der Verfassung einzuräumen und ihr insbesondere die Berechtigung zur direkten Abrechnung von Leistungen zu erteilen». Er hat dem Parlament deshalb beantragt, die Initiative Volk und Ständen ohne Gegenentwurf zur Ablehnung zu empfehlen.
Auch die vorberatende Gesundheitskommission des Nationalrates (SGK-N) lehnte die Pflegeinitiative ab, erachtet aber den Status quo als ungenügend. Deshalb hat sie eine parlamentarische Initiative eingereicht, um mit einer Ausbildungsoffensive den Mangel an Pflegefachpersonen zu mildern und die Attraktivität des Pflegeberufs dank zusätzlichen Kompetenzen zu steigern. Die Eckwerte des Gegenvorschlags sind die Folgenden:
- Zur Sicherung der Pflegequalität und der Patientensicherheit wird genügend Personal (insbesondere Pflegefachpersonen) ausgebildet, eingesetzt und im Beruf erhalten;
- Eigenverantwortliche Handlungsbereiche werden für Pflegefachpersonen abgebildet;
- Leistungen, welche in der notwendigen Qualität, effizient und wirtschaftlich erbracht werden, werden angemessen vergütet;
- Die Aus- und Weiterbildung wird angemessen finanziert.
Der Bundesrat teilt zwar das Anliegen der parlamentarischen Initiative und will dem Mangel an im Inland ausgebildeten Pflegefachkräften mit gezielten Bildungsmassnahmen und verschiedenen Massnahmen zur Aufwertung ihres Berufsstatus begegnen. Trotzdem lehnt er auch diesen Entwurf teilweise ab. Insbesondere der vorgeschlagenen KVG-Änderung, die Pflegefachpersonen berechtigt, bestimmte Leistungen direkt zulasten der OKP abzurechnen, steht er kritisch gegenüber. Als Gründe gibt er die Gefahr der Mengenausweitung sowie dem Widerspruch für die koordinierte Versorgung an. Sowohl der Nationalrat wie auch der Ständerat befürworten grundsätzlich den Gegenvorschlag. Der Handlungsbedarf ist weitgehend unbestritten. Beide Räte sind den Pflegenden in einem zentralen Anliegen entgegengekommen: Pflegende sollen gewisse Leistungen selbständig und somit ohne Anordnung einer Ärztin oder eines Arztes zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen können. Welche Leistungen genau, soll der Bundesrat festlegen. Zu zwei Aspekten gibt es allerdings Differenzen:
- Kompetenzen der Pflegefachpersonen: Der Ständerat knüpfte die erweiterten Bedingungen an ein zusätzliches Kriterium: Nur jene Pflegefachpersonen, Spitexorganisationen und Pflegeheime sollen von der neuen Möglichkeit profitieren, die mit den Krankenversicherern vorgängig eine Vereinbarung abgeschlossen haben. Der Nationalrat sprach sich in der Herbstsession gegen diese Vertragspflicht aus.
- Ausbildungsbeiträge: Der Nationalrat will die Kantone verpflichten, angehende Pflegefachkräfte während der Ausbildung mit einem Beitrag an den Lebensunterhalt zu unterstützen und veranschlagt dafür 469 Millionen Franken. Der Bund soll die Kantone während acht Jahren unterstützen. Der Ständerat will diese Leistung der Kantone jedoch als freiwillig gestalten und beantragt 369 Millionen Franken. Der Nationalrat hat in der Herbstsession an seiner Version festgehalten.
Kostendämpfungspaket 1
- Basierend auf einem Expertenbericht zu den Gesundheitskosten enthält dieses Paket (3) erste Massnahmen gegen höhere Kosten im Gesundheitswesen, mit denen mehrere hundert Millionen Franken pro Jahr gespart werden sollen:
- Verschärfung der Rechnungskontrolle (1a)
- nationale Tariforganisation und Pauschaltarife im ambulanten Bereich (1a)
- Experimentierartikel (1a)
- Referenzpreissystem für Generika (1b)
- Massnahmen zur Kostensteuerung (1b)
- Beschwerderecht für die Versicherer gegen die kantonale Spitalplanung (1b)
In der Sommersession hat der Nationalrat den Entwurf des Bundesrats in zwei Pakete – 1a mit den weniger umstrittenen und 1b mit umstritteneren Massnahmen – aufgeteilt. Mit diesem Vorgehen will er rasch erste Schritte zur Dämpfung der Gesundheitskosten machen können. Doch auch der erste Teil sorgte in der Debatte des Nationalrats in der Sommerssession und derjenigen des Ständerats in der Herbstsession für Diskussionen:
- Einig sind sich die Räte, dass die Rechnungskontrolle verbessert werden soll, indem Leistungserbringer den Patientinnen und Patienten immer eine Rechnungskopie zustellen müssen, sofern diese von der Krankenkasse direkt gezahlt wird. Das soll auch elektronisch möglich sein. Wer wiederholte unvollständige oder unkorrekte Rechnungen ausstellt, soll mit bis zu 20’000 Franken gebüsst werden. Der Ständerat lehnt allerdings eine vom Nationalrat beschlossene Möglichkeit für den Bund ab, Organisationen zu subventionieren, die Patientinnen und Patienten bei der Interpretation und allenfalls bei der Anfechtung einer Rechnung unterstützen.
- National- und Ständerat befürworten den neuen Experimentierartikel, der Pilotprojekte ausserhalb vom geltenden Recht zur Eindämmung der Kosten oder zur Stärkung der Qualität im Gesundheitswesen ermöglichen soll. Der Ständerat ergänzte dabei Projekte zur Förderung der Digitalisierung. Beide Räte lehnen inhaltliche Einschränkungen für Pilotprojekte ab. Der Bundesrat hatte einen entsprechenden Katalog im Gesetz vorgeschlagen, um verfassungswidrige Pilotprojekte zu verunmöglichen. Diese müssen allerdings in jedem Fall vom Innendepartement bewilligt werden.
- Gutgeheissen hat der Nationalrat die Einführung landesweit einheitlicher Tarifstrukturen für ambulante Pauschaltarife. Vorgesehen ist auch eine Eingriffskompetenz für den Bundesrat, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Eine Pflicht für Pauschalen soll es aber nicht geben. Der Ständerat lehnt ambulante Pauschaltarife hingegen knapp ab. Er ist der Meinung Pauschalen müssten weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen.
- Beide Räte befürworten zudem die Schaffung eines nationalen Tarifbüros im ambulanten Bereich. Dieses soll für die Erarbeitung und Anpassung der ambulanten Tarifstruktur Tarmed zuständig sein. Ziel ist es, Blockaden zu verhindern.
Die Massnahmen des Pakets 1b berät der Nationalrat anlässlich seiner Sondersession Ende Oktober:
- Eine der umstrittensten Massnahmen dieses Pakets ist das vom Bundesrat vorgeschlagene Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel. In ihrer Vorberatung hat sich die nationalrätliche Gesundheitskommission (SGK-N) dagegen ausgesprochen. Stattdessen will die Kommission mit mehreren Massnahmen, die der Bundesrat teilweise auf Verordnungsebene umsetzen kann, rasch dafür sorgen, dass die Kosten sinken.
- Leistungserbringer und Versicherer sollen verpflichtet werden, in gesamtschweizerisch geltenden Verträgen in den Bereichen, in denen sie die Tarife und Preise vereinbaren müssen, auch Massnahmen zur Steuerung der Kosten vorzusehen. Die SGK-N schlägt zudem vor, dass auch degressive Tarife zur Korrektur bei ungerechtfertigten Mengenerhöhungen und Kosten vorzusehen sind.
- Vericherer sollen neu ein Recht zur Beschwerde gegen Beschlüsse der Kantonsregierungen zur Spital- und Pflegeheimplanung erhalten. Die SGK-N will verhindern, dass solche Beschwerden eine aufschiebende Wirkung haben.
Kostendämpfungspaket 2 (4)
Am 19. August 2020 hat der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Kostendämpfungspaket 2 eröffnet. Die Vorlage gilt gleichzeitig als indirekter Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative. Folgende Massnahmen schlägt der Bundesrat vor:
- Einführung einer Zielvorgabe, welche Kostenziele für das OKP-Wachstum definieren sowie Massnahmen zur Korrektur bei allfälligen Zielüberschreitungen festlegen sollen.
- Damit soll übermässige Kostenentwicklung erkannt und gleichzeitig für gerechtfertigte Kostensteigerungen mehr Verständnis erreicht werden. In Bezug auf Korrekturmassnahmen bei nichtgerechtfertigter Kostenzunahmen wird eine verbindliche und eine weniger verbindliche Variante vorgeschlagen.
- Einführung einer Erstberatungsstelle, an die sich die Versicherten bei gesundheitlichen Problemen zuerst wenden. Diese Stelle berät die Patienten und behandelt sie selber oder verweist sie an einen anderen Leistungserbringer. Die Erstberatungsstelle soll zum Standardversicherungsmodell werden (im Sinne des bisherigen fakultativen prämienreduzierenden Hausarzt- oder Gatekeepingmodell).
- Stärkung der koordinierten Versorgung durch die Definition von «Netzwerken zur koordinierten Versorgung» als eigene Leistungserbringer. Mit dieser Massnahme sollen Leistungserbringer dazu motiviert werden, sich in Netzwerken zu interprofessionellen und interdisziplinären Teams zusammenzuschliessen – die eine koordinierte, den Patientenbedürfnissen entsprechende medizinische Betreuung über die ganze Versorgungskette hinweg anbieten und gegenüber den Versicherern als eine Organisation (bzw. Leistungserbringer) auftreten.
- Förderung von Programmen der Patientenversorgung zur Stärkung der koordinierten Versorgung. Im Rahmen von ärztlich geleiteten, strukturierten Programmen zur koordinierten Patientenversorgung mit Beteiligung verschiedener Leistungserbringer sowie Qualitätssicherungsmassnahmen sollen spezifische Leistungen neu auch durch nicht-ärztliche Leistungserbringer (die nach KVG zugelassen sind) zu Lasten der OKP erbracht werden können.
- Regelung für die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen. Die rechtlichen Grundlagen für Preismodelle sollen auf Gesetzesstufe zur Stärkung der Rechtssicherheit gefestigt werden. Der Bundesrat soll dabei die Kompetenz erhalten zu regeln, wie und wann Preismodelle eingesetzt werden. Dazu gehört, bei der Preisfestsetzung Rückerstattungen auf dem Höchstpreis der Spezialitätenliste festzulegen.
- Ausnahme vom Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen im Rahmen von Preismodellen. Der Zugang nach dem Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) zu Unterlagen in Bezug auf die Rückerstattung auf die Höchstpreise der Spezialitätenliste soll verweigert werden können um die Rolle des Bundes in den Preisverhandlungen zu stärken.
- Schaffung von Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien sowie für die Bemessung einer möglichst kostengünstigen Vergütung von Analysen, Arzneimitteln sowie Mitteln und Gegenständen.
- Festlegung von Referenztarifen für ausserkantonale Wahlbehandlungen zur Förderung des kantonsübergreifenden Wettbewerbs unter den Spitälern.
- Verpflichtung der Leistungserbringer und Versicherer zur elektronischen Rechnungsübermittlung. Die genaue Ausgestaltung der elektronischen Übermittlung wird den Tarifpartnern überlassen. Die Versicherten werden nicht zum elektronischen Empfang einer Rechnung verpflichtet.
- Analoge oder gleichgerichtete Ausgestaltung der Invalidenversicherung wie im KVG betreffend einzelner oben genannten Bestimmungen.
Seit der Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens werden die vorgeschlagenen Massnahmen unter den Akteuren im Gesundheitswesen und auch medial kontrovers diskutiert. Mit Spannung dürfen die Vernehmlassungsantworten der interessierten Kreise erwartet werden und – sobald der Bundesrat im nächsten Jahr seinen Entwurf verabschiedet hat – die Diskussion im Parlament.
Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz