- Experteninterviews ESMO 2020
Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Reinhard Dummer, UniversitätsSpital Zürich
Welche Resultate/Erkenntnisse am ESMO 2020 haben Sie überrascht? Positiv oder negativ?
Positiv überrascht war ich von der Wirksamkeit von anti-PD1 Antikörpern (Pembrolizumab) bei seltenen Hauttumoren. Es wurden sehr spannende Daten zur Wirksamkeit von Pembrolizumab beim klassischen Kaposi-Sarkom vorgestellt. Nach der Entscheidung, Interferone vom Markt zurück zu ziehen, haben diese Patienten sehr wenige sinnvolle Behandlungsoptionen. Mit anti-PD1 Antikörpern haben wir jetzt eine vielversprechende Alternative. Ich hoffe, dass dieses Medikament für die Indikation bald zugelassen wird. Positiv waren auch die Ergebnisse zum Einsatz von Cemiplimab bei Patienten mit Basalzellkarzinomen die nicht mehr mit Hedgehog-Inhibitoren behandelt werden können.
Enttäuscht hat mich das Ergebnis der COMBI-I Studie. Ich hätte erwartet, dass die Behandlung mit Spartalizumab Dabrafenib Trametinib wesentlich mehr Vorteile bringt.
Welche Probleme hat die Sars-CoV2 Pandemie für ihre persönliche Arbeit als Onkologe mit den Patienten gebracht?
Wir haben an unserer Klinik proaktiv Patienten und Mitarbeiter getestet und konnten so in einer COVID freien Umgebung arbeiten. Ich spüre vor allem sehr grosse Verunsicherung von Seiten der Patienten. Viele Patienten haben Angst in die Klinik zu kommen.
Welche Erkenntnisse haben für Ihre tägliche Praxis eine grosse Bedeutung?
Siehe die ersten beiden Punkte Antwort 1.
Welches sind Bereiche mit noch grösstem Forschungsbedarf?
Bei den Melanomen sind es sicherlich die Aderhautmelanome. Hier müssen wir verstehen lernen warum sie weder mit Immuntherapie noch mit zielgerichteten Thera-pien beeinflussbar sind. Wichtig wäre auch ein besseres Verständnis zu den kutanen Lymphomen insbesondere den primär kutanen B-Zelllymphomen.
Gibt es Fortschritte bei der Identifizierung von Biomarkern, die als Prädiktoren für das Ansprechen der Immuntherapie eine ausreichende Zuverlässigkeit garantieren?
In der Zwischenzeit haben wir doch sehr verlässliche Biomarker. Ich denke, dass eine Kombination aus Tumor Mutational Burden und Interferon Gamma Expressionsprofil bereits sehr viel zum Ausgang einer Immuntherapie aber auch einer zielgerichteten Behandlung sagen kann. Im Bereich von Forschungsprojekten können wir diese Untersuchungen schon durchführen. Für Routineanwendungen stehen diese Untersuchungen leider noch nicht zur Verfügung. Wenn wir in diesem Bereich vorankommen möchten, müssen möglichst viele Patienten am Zentrum behandelt werden, wo über entsprechendes Biobanking die Proben eingesammelt werden und in Kooperation mit Grundlageninstituten entsprechende Untersuchungen laufen. In Zürich ist das ein grosses interdisziplinäres Projekt (Tumorprofiler).
Wie sehen Sie die Schweiz als Forschungsplatz am ESMO repräsentiert?
Ich bin hier etwas zwiegespalten. In einigen Bereichen ist die Schweiz gut vertreten. In anderen Bereichen gar nicht. Insgesamt bin ich der Meinung: die klinische Forschung in der Schweiz entspricht nicht dem wissenschaftlichen Potential des Landes.
Ihre Highlights am diesjährigen virtuellen ESMO resp. ESMO in the Alps
Anti-PD1 Therapie bei Kaposi-Sarkom und bei therapieresistenten Basalzellkarzinom.
Eleonore E. Droux
Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Ulrich Güller, Thun
Welche Resultate/Erkenntnisse am ESMO 2020 haben Sie überrascht? Positiv oder negativ?
Eine erfreuliche Überraschung waren zweifelsohne die Daten des Checkmate-649 Trials. In dieser prospektiv randomisierten Studie wurden Patienten mit HER2-negativem, metastasiertem Adenokarzinom des Magens, des gastro-ösophagealen Überganges wie auch des distalen Oesophagus eingeschlossen. Die Patienten wurden zu einer Standard Erstlinien Chemotherapie (FOLFOX/CAPOX) versus Chemotherapie plus Nivolumab randomisiert. Die Co-primären Endpunkte waren das progressionsfreie und Gesamtüberleben. In dieser Studie waren im experimentellen Arm beide primären Endpunkte statistisch signifikant besser. Der Benefit bezüglich des medianen Gesamtüberlebens war besonders relevant in der a priori definierten Subgruppe von Patienten mit einem combined positive score (CPS) von 5 oder mehr (14.4 vs 11.1 Monate). Somit ist in der CPS-high Subgruppe Chemotherapie plus Nivolumab ein neuer Standard bei diesen Patienten. Positiv überrascht haben mich ebenfalls die Daten des randomisierten Phase III ASCENT Trials: in dieser Studie wurden stark vorbehandelte Patientinnen mit metastasiertem, triple-negativem Mammakarzinom 1: 1 randomisiert zu Chemotherapie nach Wahl des behandelnden Onkologen versus Sacituzumab Govitecan (SG). Das SG ist ein Antikörper-Chemotherapie Konjugat, welches gegen Trop-2 gerichtet ist. In dieser randomisierten Studie mit über 500 Patientinnen fanden sich im SG Arm eine statistisch signifikante und klinische sehr relevante Verbesserung des progressionsfreien und Gesamtüberlebens. Das mediane Gesamtüberleben war in der SG Gruppe mit 12.1 vs 6.7 Monate fast doppelt so lang, die hazard ratio betrug 0.48. Die Ansprechrate war mit 35% im Vergleich zum Standard Arm (5%) erstaunlich hoch. Bei ordentlich guter Verträglichkeit ist das SG zweifelsohne die neue Standardtherapie bei stark vorbehandelten Patientinnen mit metastasiertem, triple-negativem Mammakarzinom.
Welche Erkenntnisse haben für Ihre tägliche Praxis eine grosse Bedeutung?
Nebst der obgenannten Trials ist zweifelsohne die PROFOUND-Studie hervorzuheben bei Patienten mit metastasiertem, hormonrefraktärem Prostatakarzinom (mHRPC) und einer Mutation im DNA-Reparatur-Mechanismus durch homologe Rekombination (HRR) – z. b. BRCA1/2 oder ATM. Alle Patienten waren zuvor progredient unter Abirateron (ABI) und/oder Enzalutamid (ENZA); ca. zwei Drittel der Patienten waren ausserdem mit einem Taxan, meist Docetaxel, vorbehandelt. In der Studie wurden die Patienten 2: 1 zu Olaparib oder einer Behandlung mit ABI oder ENZA (je nach Wahl des Arztes und Vortherapie) randomisiert. In der Kohorte mit BRCA 1/2 und ATM Mutation (Kohorte A) zeigte sich eine statistisch signifikante und klinisch relevante Verbesserung des medianen Gesamtüberlebens mit 19.1 versus 14.7 Monaten, und dies trotz eines Cross-overs von über 80%! Der Vergleich ist also nicht «Olaparaib versus no Olaparib» sondern vielmehr «early versus late Olaparib»!
Was bedeutet dieses Studienresultat für die Praxis? Soll man Patienten mit mHRPC auf BRCA1/2-Mutationen testen – und falls ja, wann?
Ja, es ist wichtig, an diese Mutationsanalysen zu denken. An der letzten Advanced Prostate Cancer Consensus Conference (APCCC) in Basel sprachen sich 90% der Experten dafür aus, die Patienten zu testen. Diskutiert wurde ebenfalls der richtige Zeitpunkt: Eine Mehrzahl (52% des Experten-Panels) votierte dafür, gleich bei Diagnosestellung des metastasierten Prostatakarzinoms zu testen, die anderen waren der Meinung, erst nach der ersten Linie, weitere plädierten für eine Testung nach Ausschöpfern aller Standardtherapien. Ich bin der Ansicht, man sollte diese Analysen lieber früher als später durchführen, denn immerhin finden sich bei ca. 15 – 20% aller Patienten eine solche Mutation, und diese können u. U. von einem PARP-Inhibitor profitieren.
Welches sind Bereiche mit noch grösstem Forschungsbedarf?
Im GI-Bereich sicherlich das Pankreaskarzinom. Der am ESMO 2020 präsentierte Canadian Cancer Trials Group PA.7 ist ein weiteres von mehreren Dutzend Beispielen einer negativen randomisierten Studie bei Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom. In diesem Trial wurden Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom zu einer Standard-Erstlinien Chemotherapie mit Gemcitabine/nab-paclitaxel versus einer Immuno-Chemotherapie mit zusätzlich Durvalumab/Tremelimumab randomisiert. Die Hypothese war, dass die zusätzliche duale Checkpoint-Inhibitor Blockade das Gesamtüberleben verbessern würde. Leider fanden sich keine signifikanten Unterschiede, weder beim Gesamtüberleben, noch beim progressions-freien Überleben oder bei der Ansprechrate. Das Pankreasadenokarzinom gilt als «immunological desert» und Checkpoint Inhibitoren sind schlicht nicht wirksam.
Gibt es Fortschritte bei der Identifizierung von Biomarkern, die als Prädiktoren für das Ansprechen der Immuntherapie eine ausreichende Zuverlässigkeit garantieren?
Uns fehlen nach wie vor gute, prädiktive Marker für Checkpoint Inhibitoren. Der einzige, wirklich verlässliche Marker im Bereiche der gastroinestinalen Malginome ist die fehlende MMR-Proteinexpression, resp. Mikrosatelliteninstabilität (MSI-high). Diese Erkenntnis hat im 2020 auch zu einem Paradigmenwechsel geführt mit Pembrolizumab als neue Standard-Frontlinientherapie bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom und MMR-Defizienz/MSI-high (Keynote-177 Studie) und in derselben Situation beim metastasierten Magenkarzinom (Subgruppen-Analyse der Keynote 062-Studie). Wie bei diesem ESMO und speziell in der Checkmate-649 Studie gezeigt, haben Patienten mit hohem CPS einen grösseren Benefit von Checkpoint Inhibitoren. Nichtsdestotrotz stecken wir im Verständnis der prädiktiven Markern bei den gastro-intestinalen Malignomen in den Kinderschuhen. Die Identifikation neuer und verlässlicher Prädiktoren für die Wirksamkeit von Checkpoint Inhibitoren ist von kardinaler Bedeutung.
Eleonore E. Droux
Im Gespräch mit PD Dr. med. Richard Cathomas, Chur
Welche Resultate/Erkenntnisse am ESMO 2020 haben Sie überrascht? Positiv oder negativ?
Insgesamt hat mich dieses Jahr am ESMO erneut die Fülle an neuen Resultaten aus grossen Studien in fast allen Bereichen der Onkologie überrascht. Mittlerweile werden am ESMO fast mehr Phase 3 Studien vorgestellt als am ASCO und der Kongress ist enorm aktuell und gut organisiert – auch virtuell. Hier darf den Organisatoren der ESMO ein sehr grosses Lob ausgesprochen werden. Eine negative Tendenz ist die zunehmende Unart, dass Studien früh (oder zu früh) gezeigt werden, bevor die relevanten Endpunkte erreicht sind. Dies mag kurzfristig für die Industrie interessant sein, ist aber weder für uns Onkologen noch für die Patienten hilfreich sondern verwirrend und führt nicht selten auch zu falschen voreiligen Schlüssen.
Welche Probleme hat die Sars-CoV2 Pandemie für ihre persönliche Arbeit als Onkologe mit den Patienten gebracht?
Der Alltag in der Klinik hat sich mit Covid im Verlaufe der vergangenen Monate immer wieder geändert. Bei uns standen bei den Patienten anfänglich wie wohl überall Angst und Unsicherheit im Vordergrund. Mittlerweile scheinen sich die Meisten damit arrangiert zu haben wobei die Einschränkungen bei den Spitalbesuchen (Besucherregelungen, Maskenpflicht) von den Patienten vermehrt kritisch aufgenommen werden. Für die Mitarbeiter und Teams hat die Pandemie zunehmend negativen Einfluss auf die Zusammenarbeit und die Weiterbildung. Mir persönlich fehlt am meisten, dass ich beim Gespräch mit dem Patienten dessen Gesicht nicht sehen kann, was die Kommunikation und die optimale Begleitung immer wieder erschwert.
Welche Erkenntnisse haben für Ihre tägliche Praxis eine grosse Bedeutung?
Beim metastasierten Blasenkarzinom ist meines Erachtens mit den beiden negativen Phase 3 Studien Keynote-361 (Alva et al, abstract LBA 1572) und Danube (Powles et al, abstract 697O) der Einsatz von Immuntherapie in der Erstlinientherapie als alleinige Behandlung oder in Kombination mit Chemotherapie vorerst nicht indiziert. Stattdessen sollten die Patienten primär eine Platin-basierte Chemotherapie erhalten und anschliessend allenfalls eine Erhaltungstherapie mit dem Immunologikum Avelumab (Studie Javelin 100, abstract 704MO bzw. NEJM 2020). Beim Prostatakarzinom haben sich BRCA 1 und 2 als prädiktive Marker für die Therapie mit PARP Inhibitoren etabliert und sollten beim metastasierten kastrationsresistenten Patienten bestimmt werden (Studie Profound, abstract 610O bzw NEJM 2020).
Welches sind Bereiche mit noch grösstem Forschungsbedarf?
Sehr viele Gebiete in denen jahrelang fast keine Fortschritte erzielt wurden haben kürzlich einen grossen Schub erfahren. Das Gebiet mit den geringsten Fortschritten erscheint mir im Moment das kolorektale Karzinom. Hier haben das Screening und verbesserte Metastasenchirurgie einen grossen Impact gehabt, aber bei der Therapie in der Palliativsituation fehlen wirklich durchschlagende Erfolge und das zeigt sich auch in der Therapie dieser Patienten die oft frustrierend ist.
Gibt es Fortschritte bei der Identifizierung von Biomarkern, die als Prädiktoren für das Ansprechen der Immuntherapie eine ausreichende Zuverlässigkeit garantieren?
Nicht wirklich. PD-L1 stellt sich immer mehr als Trugbild heraus und kann in den meisten Fällen keine prädiktive Hilfe sein. Dasselbe gilt für den Mutationsload (TMB). Einzig das Vorhandensein von Mismatch-Repair (MMR) Defizienz scheint übergreifend prädiktiv für ein Ansprechen auf Immuntherapie zu sein und kann tumor-agnostisch verwendet werden. Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren weitere klare Subgruppen definiert werden können.
Wie sehen Sie die Schweiz als Forschungsplatz am ESMO repräsentiert?
Unter anderem Dank der aktuellen ESMO Präsidentin Prof. Solange Peters war die Schweiz in verschiedenen Sessions am scientific weekend des ESMO 2020 als Chair oder Discussant gut vetreten. Demgegenüber schafften es nur wenige Schweizer Studien in die oral sessions. Eine der wenigen Ausnahmen war die SARS-CoV2 Studie der SAKK die Prof. Markus Jörger an einer Mini-oral session vorstellen durfte (SAKK 80/20, abstract LBA 80).
Ihre Highlights am diesjährigen virtuellen ESMO resp. ESMO in the Alps?
Ich bin positiv überrascht gewesen, wie gut das Format des virtuellen Meetings geklappt hat. Das Format mit voraufgezeichneten Talks und anschliessender online Diskussion der Chairs und Referenten war lebhaft und spannend und war im Vergleich zu den Live-Kongressen eigentlich offener und direkter und somit aussagekräftiger. Dies machte das Fehlen der Diskussion der Resultate mit internationalen Kollegen bis zu einem gewissen Teil wett. Ich bin gespannt zu sehen, wie sich die grossen Meetings in den nächsten Jahren aufgrund der Erfahrungen von 2020 verändern werden.
Eleonore E. Droux
Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Miklos Pless, Winterthur
Welche Resultate/Erkenntnisse am ESMO 2020 haben Sie überrascht? Positiv oder negativ?
Dieses Jahr waren die positiven Resultate beim Ösophagus- und Magenkarzinom im Vordergrund. Es war auch höchste Zeit bei diesen beiden Entitäten Fortschritte zu sehen. Die gezeigten Resultate waren sehr ermutigend. Für mich als Lungenonkologen war vor allem die Lung-Art Studie interessant. Die Diskussion einer postoperativen Radiotherapie beim nichtkleinzelligen Bronchuskarzinom im Stadium IIIA/N2 ist über 30 Jahre alt und die Frage konnte jetzt endlich gelöst werden: Es braucht die postoperative Radiotherapie nicht.
Welche Probleme hat die Sars-CoV2 Pandemie für ihre persönliche Arbeit als Onkologe mit den Patienten gebracht?
Natürlich hat uns die Pandemie sehr betroffen, und auch betroffen gemacht. Für uns alle, Ärzte, Pflege, Forschende und vor allem Patienten ist das eine ganz neue und extrem herausfordernde Situation. Wir haben sehr früh auf einen Zweischichtbetrieb umgestellt, und alle nicht wirklich wichtigen Konsultationen, z.B. Nachsorgen oder Blutbildkontrollen virtuell durchgeführt oder ausgelassen. Eine grosse Sorge war und ist, dass die Onkologiepflege ausfallen könnte. Dann wäre es, wahrscheinlich über mehrere Wochen, unmöglich Chemotherapien zu verabreichen. Dieses Fachwissen ist praktisch nicht ersetzbar und die Dienstleistung kann man natürlich auch nicht virtuell anbieten. Glücklicherweise sind unserer Patienten sehr vorsichtig und befolgen die Hygienemassnahmen recht gewissenhaft.
Welche Erkenntnisse bezüglich Sars-COV2 konnten Sie mitnehmen:
Es gab dieses Jahr gleich 2 poffered paper sessions am ESMO. Das zeigt die enorme Wichtigkeit des Themas, aber auch, dass wichtige klinische Studien sofort eingeleitet wurden, unter anderem auch die SAKK Studie 80/20. Die Schwierigkeit aller Studien ist der Nenner: beziehen sich die Zahlen auf die ganze Bevölkerung? Auf alle Krebspatienten? Auf alle Patienten die Hospitalisiert werden mussten? Daher sind sehr viele bias unvermeidbar: Selection-bias z.B. underreporting (nur die schwer kranken Krebspatienten erfasst), undertreatment (keine IPS Plätze für Krebspatienten), misclassification (Differentialdiagnose Pneumonitis unter Immuntherapie vs. COVID Infekt) u.v.m. Es kristallisiert sich aber heraus, dass die Diagnose Krebs mit einem etwas höheren Risiko eines schweren Verlaufs korreliert, das scheint vor allem für Lungenkarzinome und noch mehr für hämatologische Tumore zuzutreffen. Für mich eine der qualitativ besten Arbeiten ist diejenige von Williamson et al, welche in Nature im Juli publiziert wurde. Sie hatten vom NHS Patienten-Angaben über 17 Millionen Patienten zur Verfügung, darunter fast 11’000 COVID19 Fälle: das sind sehr robuste Daten.
(doi: 10.1038/s41586-020-2521-4)
Welches sind Bereiche mit noch grösstem Forschungsbedarf?
Das ist jetzt ein Themenwechsel: für einen Kliniker ist das einfach, die Entitäten mit dem grössten Handlungsbedarf sind klar das Pankreaskarzinom und das Glioblastom.
Gibt es Fortschritte bei der Identifizierung von Biomarkern, die als Prädiktoren für das Ansprechen der Immuntherapie eine ausreichende Zuverlässigkeit garantieren?
Kurz gesagt: Nein
Wie sehen Sie die Schweiz als Forschungsplatz am ESMO repräsentiert?
Die Schweiz ist am ESMO recht gut repräsentiert. Einerseits durch verschiedene zusammenarbeiten mit internationalen kooperativen Gruppen wie der IBCSG, der EORTC, ETOP oder der Deutschen Hodgkin Gruppe. Andererseits zeigt die Schweiz eine konstante und qualitativ hochstehende eigene Forschungsleistung, vor allem repräsentiert durch die SAKK, das war auch dieses Jahr wieder der Fall.
Ihre Eindrücke zum virtuellen ESMO resp. ESMO in the Alps?
Dieses Jahr wurden alle grossen Kongresse virtuell durchgeführt. In vielerlei Hinsicht war das sehr eindrücklich: es ist bemerkenswert wie schnell grosse Organisationen wie ESMO sich dieser Herausforderung gestellt haben und innerhalb kurzer Zeit ein technisch und qualitativ hervorragendes Meeting organisieren konnten. Auch die Solidarität unter den Onkologen war schön mit zu erleben, man war tolerant, empathisch und enthusiastisch, trotz der widrigen Umstände. Dennoch vermisse ich, und ich bin damit sicher nicht alleine, den direkten Austausch mit den Kollegen und die Diskussion gerade im Anschluss an einen guten oder wichtigen Vortrag. Ich hoffe darum sehr, dass es uns bald wieder möglich sein wird «live» Meetings abzuhalten.
Eleonore E. Droux