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Immunogenität und Sicherheit

Impfung gegen Zeckenenzephalitis

Die durch Zecken übertragene Enzephalitis (FSME) nimmt in Europa jährlich zu. Ziel einer kürzlich erschienenen Arbeit war es, die Immunogenität und Sicherheit der FSME-Impfung auf der Basis von Daten aus den Jahren 2009-2019 zu untersuchen.



Die in 27 europäischen Ländern endemische Zeckenenzephalitis (FSME, Frühsommermeningoenzephalitis) mit jährlich etwa 5 000 -10 000 gemeldeten Fällen ist eine der wichtigsten Ursachen für virale Enzephalitis und die häufigste Ursache für virale Meningitis in Europa. Der geographische Schwerpunkt der FSME liegt in Mittel- und Osteuropa, den baltischen Staaten, Russland und Japan, wobei sowohl eine Ausweitung der Risikogebiete als auch eine Zunahme der Inzidenz zu beobachten ist. In der Schweiz hat die Inzidenz von FSME in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im Jahr 2018 wurden mehr als 350 Fälle registriert (1).
FSME wird durch das humanpathogene FSME-Virus verursacht, das zur Familie der Flaviviridae gehört. Drei Subtypen, basierend auf der geographischen Herkunft und den antigenen Eigenschaften, sind für den Menschen von Bedeutung: Fernöstlich, sibirisch und europäisch (2, 3). Die meisten europäischen FSME-Fälle werden durch die Zecke Ixodes ricinus übertragen, wobei mehr als 100 Arten von Wild- und Haustieren als Wirtsreservoir wirken (4, 5, 6). Zusätzlich treten in bestimmten Gebieten FSME-Fälle der sogenannten alimentären Zeckenenzephalitis, übertragen durch das Einnehmen von nicht pasteurisierter Milch oder Milchprodukten von infizierten Tieren, sowie FSME-Infektionen, die durch die Dermacentor-reticulatus-Zecken übertragen wurden.
In einer systematischen bei PROSPERO registrierten Übersichtsarbeit wurden von insgesamt 2464 Datensätzen aus CINAHI, Cochrane, Embase, PubMed und Scopus Original-Forschungspublikationen auf Immunogenität und Sicherheit ausgewertet (7).

Immunogenität

Siebenunddreissig untersuchte Originalartikel berichteten über Daten zur Immunogenität. Bei vollständig geimpften Personen wurde unabhängig von der Art der Impfung oder von verzögerten Auffrischungsintervallen eine ausreichende Immunantwort festgestellt (8-11). Darüber hinaus zeigte der in Europa zugelassene Impfstoff FSME-Immun® auch eine Kreuzimmunität gegen fernöstliche und sibirische FSMEV-Stamm-Subtypen (2). Bei Erwachsenen mit Allergien wurden im Vergleich zu Geimpften ohne Allergien höhere Antikörperspiegel nach erfolgter FSME-Impfung gefunden (12). Hohe Spiegel an schützenden Antikörpern garantieren allerdings keine FSME-Prävention (13). Die Zahl der Impfversager war gering und ging mit einer schwereren Erkrankung einher, die häufiger bei älteren Menschen auftrat (14-16).
Die älteren Menschen haben niedrigere Antikörperspiegel mit einer abnehmenden Immunantwort, eine Entwicklung, die bei Personen im Alter von über 60 Jahren und sogar bei Personen im Alter von über 50 Jahren beginnt (4, 12, 14). Die meisten untersuchten Impfstoffversagen traten bei Personen im Alter von 50 oder mehr Jahren auf, aber auch bei jüngeren Personen können Versager auftreten (15, 17). Darüber hinaus wurde bei Personen ab 60 Jahren, die eine zusätzliche Priming-Dosis erhalten hatten, kein FSME-Impfversagen berichtet (16).
Bei Kindern im Alter von 1-15 Jahren führen die Impfstoffformeln von Encepur® und FSME-Immun® zu einer hohen Immunogenität von 95,6 % bis zu 100 % und einer hohen Langzeitseropositivität bis zu 5 Jahren nach der Erstimpfung (16, 20, 21). Es scheint keine altersbedingten Unterschiede in der Avidität und funktionellen Aktivität der durch die Impfung induzierten Antikörper zu geben (2, 22).

Booster-Intervall

Bei Kindern wurde eine Langzeit-Seropositivität für die Impfstoffe Encepur® und FSME-Immun® Junior bis zu 5 Jahren bzw. 10 Jahren nach der Primärimpfung berichtet (19, 22). Bei Erwachsenen führten sowohl die Primärimpfung mit Encepur® als auch diejenige mit FSME-Immun® zu einer hohen Langzeit-Seropositivität (77,3%-94%) bei zehnjährigem Follow-up und 91,8% bei einem Median von 15 Jahren Follow-up (8, 12, 25). Altersgruppen über 60 Jahre zeigten jedoch einen schnelleren Rückgang der Seropositivitätswerte (18, 22, 25).

Austauschbarkeit von FSME-Impfstoffen

Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern können die FSME-Impfstoffe für die Erst- und Auffrischungsimpfung weitgehend ausgetauscht werden (22, 23, 26, 29). Eine Studie zeigte jedoch eine schnellere Abnahme der Seropositivität bei Kindern, die ein gemischtes Primärimpfschema erhielten (zwei Dosen FSME-Immun® Junior gefolgt von einer Dosis Encepur® Kinder) (19).

Sicherheit

Siebzehn Originalartikel berichteten über Sicherheitsdaten. Lokale Reaktionen/leichte unerwünschte Ereignisse wie Schmerzen an der Injektionsstelle, Empfindlichkeit oder lokale Schwellungen wurden bei 24,8% (4.3-54%) der Studienteilnehmer beschrieben (10, 22, 23, 25-31). Systemische Reaktionen wurden bei etwa 30% (0,6-45,9%) der Impflinge berichtet. Fieber traten bei 3,4% (0-9,7%) der Geimpften auf. Systemische Reaktionen waren nach der 2. Dosis im Vergleich zur Verabreichung der ersten Dosis geringer, wie berichtet wurde (28). Höhere Raten von lokalen und systemischen Reaktionen traten bei 7- bis 11-jährigen Kindern im Vergleich zu den Altersgruppen 1-2 und 3-6 Jahre auf (26). Bei Erwachsenen wurde kein Altersmuster der unerwünschten Ereignisse gefunden. Weiterhin führte der Applikationsweg zu Unterschieden in der Nebenwirkungsmeldung: In der Gruppe mit intramuskulär verabreichter Impfung wurde eine signifikant niedrigere Rate an lokalen Nebenwirkungen wie Rötung, Schwellung und lokale Schmerzen berichtet als in der Gruppe mit subkutaner Injektion. Systemische Reaktionen traten in der Gruppe mit intra-muskulärer Verabreichung vermehrt auf, dies war jedoch statistisch nicht signifikant (27).
Anhand der Daten war es nicht möglich, geschlechtsspezifische Muster von unerwünschten Ereignissen zu identifizieren. Allerdings zeigte eine Arbeit, dass die Rate unerwünschter Ereignisse bei gesunden Frauen und bei Frauen mit Allergien ohne spezifische Immuntherapie im Vergleich zu gesunden Männern und Männern mit Allergien ohne spezifische Immuntherapie höher war (30).
Die Durchimpfungsrate der FSME-Impfung wird in der Schweiz nicht aktiv überwacht und daher ist es nicht möglich, die tatsächliche Durchimpfungsrate, die Menge der verwendeten Impfstoffe oder die Feldwirksamkeit der FSME-Impfstoffe in der Schweizer Bevölkerung zu beschreiben. Um die Durchimpfungsrate zu erhöhen, wurden in der Schweiz 2015 die Regeln für die Verfügbarkeit von Impfungen angepasst: Bestimmte Kantone erlaubten Gemeindeapothekern mit Impfzertifikat die rezeptfreie Verabreichung bestimmter Impfstoffe, wie z. B. FSME-Impfstoff (32). Um die Durchimpfung mit FSME-Impfstoffen auszuweiten, empfiehlt die Schweizer Armee seit 2007 eine freiwillige FSME-Impfung bei jungen Rekruten (33). Da der Dienst nur für Schweizer Männer obligatorisch ist, muss ein anderer Weg gefunden werden, um auch Schweizerinnen und Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft zu erreichen.

Schlussfolgerungen

Die FSME-Impfung ist generell sicher mit seltenen schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen. Die Impfpläne sollten, wenn möglich, die gleiche Impfstoffmarke (nicht gemischt) verwenden. FSME-Impfstoffe sind immunogen in Bezug auf die Antikörperantwort, jedoch weniger, wenn die Erstimpfung nach dem 50. Altersjahr erfolgt.

Quelle: Rampa JE et al. Immunogenicity and safety of the tick-borne encephalitis vaccination (2009–2019): A systematic review. Travel Medicine and Infectious Disease2020 ; 37 : 101876.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

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(Accessed 29 October 2019).
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  • Vol. 11
  • Ausgabe 2
  • Februar 2021