- Update Refresher Endokrinologie
Am Update Refresher Innere Medizin in Lausanne vom 12.2. 2021 stand die Endokrinologie, Diabetologie im Mittelpunkt. Spezialisten des Departements für Endokrinologie und Diabetologie des CHUV referierten über Diagnose und Therapie von Schilddrüsenkrankheiten, Erkrankungen der Hypophyse und der Nebennieren, Behandlung des Diabetes Typ 2 und Dia-
gnose und Behandlung diabetischer Komplikationen. Dieser Bericht befasst sich mit den Schilddrüsenerkrankungen.
Erkrankungen der Schilddrüse – Differentialdiagnose und Therapie
Erarbeiten aller Ursachen der Hyper- und Hypothyreose und deren Behandlung, Verdichtung der Informationen aus Nachschlagewerken, Entwicklung einer eigenen Argumentation angesichts eines Verdachts auf Dysthyreose, Kenntnis der üblichen Fallstricke und Umgang mit ihnen, bessere Beurteilung des Patienten, bevor/statt den Rat eines Endokrinologen einzuholen, Überprüfung der neuesten Nachrichten über Behandlungsmöglichkeiten, Untersuchung der Zusammenhänge zwischen COVID-19 und der Schilddrüse − dies waren die Ziele des Referats von Prof. Dr. med. Gerasimos Sykiotis, Service d’ endocrinologie et diabétologie, CHUV.
Der Referent beleuchtete zunächst die Frage des TSH Screenings. Soll bei einem asymptomatischen Erwachsenen ein Screening des TSH gemacht werden?
Die Empfehlungen der United States Prevention Services Task Force sagen nein. Die American Thyroid Association sagt ja, ab 35 Jahren alle 5 Jahre, die American Association of Clinical Endocrinologists sagt ebenfalls ja, bei betagten Personen (ohne definierte Altersschwelle).
Fazit
Das Screening der Schilddrüsenfunktion erfolgt durch TSH.
Die Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone sollte bei normalem TSH vermieden werden, denn diese Bestimmungen sind auf gewissen Automaten weniger vertrauenswürdig. Sie sind durch multiple Faktoren beeinflusst und die Referenzwerte sind zweifelhaft.
Einfluss von COVID-19 auf die Schilddrüse: ein Update
Es ist bekannt, dass die Schilddrüse und die Virusinfektion mit den damit verbundenen entzündlich-immunen Reaktionen in einem komplexen Wechselspiel stehen. SARS-CoV-2 nutzt ACE2 in Kombination mit der Transmembranprotease Serin 2 (TMPRSS2) als molekularen Schlüsselkomplex zur Infektion der Wirtszellen. Interessanterweise sind die ACE2- und TMPRSS2-Expressionsniveaus in der Schilddrüse hoch und höher als in der Lunge, was darauf hinweist, dass die Schilddrüse und die gesamte Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse relevante Ziele der Schädigung durch SARS-CoV-2 sein könnten. Konkret gehören zu den COVID-19-bedingten Schilddrüsenstörungen Thyreotoxikose, Hypothyreose sowie das nicht-thyreoidale Krankheitssyndrom (Scappaticcio L et al. Impact of COVID-19 on the thyroid gland: an update Endocr Metab Disord 2020; 25;1-13).
Die persönlichen Schlussfolgerungen zu COVID-19 und Schilddrüsenerkrankungen des Referenten waren: SARS-CoV-2 kann eine virale/postvirale Thyreoiditis verursachen, wie andere Viren auch, möglicherweise mit weniger oder ohne Schmerzen aufgrund einer Lymphopenie. Die Störung der Schilddrüsenfunktion kann unbemerkt bleiben, wenn das Halsweh auf eine COVID-19-Infektion zurückgeführt wird. Es gibt keine weiteren gut etablierten Assoziationen zwischen COVID-19 und Schilddrüsenerkrankungen. Mehrere Studien sind von unzureichender Qualität. Die Patienten sind Mehrfachbelastungen ausgesetzt (Kortikosteroide, Heparine, jodhaltige Kontrastmittel, akute Erkrankungen usw.) Es gibt keine Epidemien von Hyper- oder Hypothyreose im Zusammenhang mit SARS CoV-2 in der Westschweiz, weder stationär noch ambulant.
Die Überlegungen des Spezialisten bei gestörten Schilddrüsentests
Hat der Patient Symptome und/oder Zeichen eine Dysthyreose? Hat der Patient einen Kropf? Sind Hypothalamus und Hypophyse intakt? Kann man dem Labor vertrauen? Hat der Patient eine akute Erkrankung? Erholt sich der Patient gerade von einer akuten Erkrankung? Welches sind die Medikamente, die der Patient einnimmt? War der Patient einer pharmakologischen Dosis von Jod ausgesetzt?
Klinische Manifestationen – Pathogenese
Einerseits gibt es kardiometabolische Manifestationen, deren Hauptmechanismus eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Katecholaminen ist. Dies führt zur Stimulation des autonomen sympathischen Systems und einem katabolen Zustand.
Andrerseits führen hormonelle Manifestationen zu erhöhter Produktion von hepatischen Vektorproteinen, was zu einer Verminderung der freien (bioaktiven) Hormone führt.
Zudem kommt es zu einer Erhöhung von SHBG (Sexhormon bindendes Globulin), was mit einer Abnahme des freien Estradiols und einem verminderten Peak des LH und infolgedessen einer Anovulation einhergeht.
Ursachenspezifische Manifestationen sind das TSH sezernierende hypophysäre Adenom mit Folgen wie Kopfschmerzen, Hyperprolaktinämie, hormonelle Mängel der anderen Hypophysennebenachsen, Morbus Basedow, Orbitopathie (exophthalmische Inflammation, Ophthalmoplegie, usw.) und Dermatopathie.
Teprotumumab, ein monoklonarer Antikörper, der an den IGF-1 Rezeptor bindet, führt bei Graves’ Disease und aktiver Augenerkrankung zu einer Reduktion des Exophthalmus um ≥2mm.
Subakute Thyeroiditis nach De Quervain: Inflammation der Drüse mit Zerstörung der Follikel, Freisetzung von Hormonen, initiale Hyperthyreose. Hauptsymptome sind Apathie, Depression, Lethargie, Kälteintoleranz, Appetitverminderung, Konstipation, Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Haarausfall, spröde Nägel und Karpaltunnelsyndrom, bei Frauen Oligo-Amenorrhoe oder Menorrhagie und verminderte Fruchtbarkeit.
Bei Dysthyreose sollten die Fragen bezüglich Krankheitsurlaub, Fahrgenehmigung, Schwangerschaft / Wunsch nach Schwangerschaft und Depression nicht vergessen werden.
Probleme der Symptomatologie
Die Probleme mit der Symptomatologie sind Mangel an Sensibilität bei subklinischer Hyper-und Hypothyreose, TSH ausserhalb der Norm mit normalen T4 und T3, keine oder wenig Symptome.
Apathische Hyperthyreose: Mangel an Symptomen trotz einer offenen Hyperthyreose, häufig bei betagten Personen. Die Symptomatologie ist wenig spezifisch. Die Manifestationen sind Depression, Angstzustände, Übergewicht. Es existiert eine positive Korrelation zwischen TSH und BMI, Leptin →↑TRH→↑TSH, Gewichtsverlust kann diskret erhöhtes TSH normalisieren.
Wozu dient dann die Klinik?
Die Symptomatologie und die klinische Untersuchung werden verwendet zur Bestätigung oder zum Ausschluss eines Verdachts, was durch eine Hormonuntersuchung bestätigt wird.
Bei Unstimmigkeiten zwischen Klinik und Labor sind eine Reihe von Fällen zu beachten. Es gibt zwei Typen von Schilddrüsenproblemen: Funktionsstörungen: Euthyreose, Hyperthyreose. Hypothyreose und Störungen der Anatomie: normale (oder nicht palpable) Schilddrüsengrösse, diffuse Struma, knotige Struma.
Funktionsstörungen sind nicht gleich Störungen der Anatomie. Beispiele sind: ein M. Basedow kann sich als Hyperthyreose präsentieren mit diffuser Struma, mit knotiger Struma oder ohne Struma. Ein Schilddrüsenknoten kann sich mit einer Hyperthyreose (toxischer Knoten), einer Euthyreose (nicht funktioneller Knoten) oder einer Hypothyreose (koexistierende Hashimoto Thyreoiditis) präsentieren.
Was bringt es denn, die Schilddrüse zu untersuchen?
Erkennen von Knoten, die eine Zytopunktur erfordern. Zur Orientierung über die wahrscheinliche Ursache der Dysthyreose, sofern das Labor eine Dysthyreose bestätigt. Kenntnis wie man die Schilddrüse palpiert unter (https//www.youtube.com/watch?v=Ed2WE7heOdU). Es muss dabei aufgepasst werden, dass man keine Palpationsthyreose verursacht.
Es gibt zwei Kategorien von Ursachen für Schilddrüsenfunktionsstörungen, abhängig von der Aktivität der Schilddrüse. Die hormonelle Hyperproduktion, die zu einer Steigerung der Schilddrüsenaktivität führt und die Abnahme von Schilddrüsenhormonen, die zu einer verminderten Aktivität führt.
Ursachen einer Hypothyreose
Mögliche Ursachen sind Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, (Hashimoto Krankheit), Nach Schilddrüsenablation, (totale Thyreoidektomie, Lobektomie (20% Hypothyreoserisiko, radiometabolische Ablation wegen M. Basedow), ungenügende Schilddrüsenhormon-Substitution oder abgebrochene Substitution (nach Thyreoiditis, medikamentös, kongenitaler, post-operativer Mangel an TSH/TRH, nach Hypophysenapoplex, Schilddrüsenhormonresistenzsyndrom, TSH-Resistenzsyndrom, kongenitale Hypothyreose, Jodmangel).
Sind der Hypothalamus und die Hypophyse intakt?
Die Hypophysen-Schilddrüsen-Achse ist ein mehrgliedriger Regelkreis zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse und der Schilddrüse, der auch als Thyreoidea-Achse bezeichnet wird. Er reguliert die Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blutplasma. Wenn das freie T4 um einen Faktor 2 ändert, ändert TSH um einen Faktor 100!
Übliche Überlegungen zur Diagnose
Vorausgesetzt, dass das Steuerungssystem intakt ist.
Offene Hyperthyreose: TSH erniedrigt, T4 und/oder T3↑
Subklinische Hyperthyreose: TSH erniedrigt, T4 und T3 normal.
Offene Hypothyreose: TSH↑, T4 erniedrigt.
Amiodaron und Schilddrüse
Mehrere pathogene Mechanismen sind möglich. Dazu gehören die Inhibition der Umwandlung von T4 in T3, die Inhibition der Schilddrüsenhormonrezeptoren, direkte toxische Wirkung auf die Schilddrüse, Jodüberlastung (eine 200mg Tablette enthält 3mg Jod. Der tägliche Bedarf ist 150µg).
Dysthyreose unter Amiodaron: Die Empfehlungen sind Messung von TSH alle 3-4 Monate, nach Absetzen Status während mindestens 12 Monaten verfolgen.
Hypothyreose bei weniger als 20% der Patienten, leicht behandelbar (Substitution, mit Amiodaron weiterfahren).
Hyperthyreose (medizinischer Notfall!) bei weniger als 10-12% der Patienten, diagnostische und therapeutische Herausforderung. Diese Situation ist mit erhöhter Mortalität assoziiert.
Bei allen Hyperthyreosen unter Amiodaron sollte die Endokrinologie schnell konsultiert werden!
Symptomatische Behandlung der Hyperthyreose
Betabocker: Propanolol mehrmals pro Tag, nicht kardioselektiv Atenolol, Metoprolol: 1x/Tag, kardioselektiv.
Ziel: Normalisierung der Herzfrequenz (<90/min). Diese Medikamente sind auch wirksam gegen Zittern, Angst und Hitzeintoleranz. Der Einsatz empfiehlt sich, weil synthetische Anti-Schilddrüsen-Medikamente nicht sofort wirksam sind. Sie inhibieren die Jodinierung des Thyreoglobulins, aber nicht die Sezernierung der bereits produzierten Hormone.
Behandlung der De Quervain Thyreoiditis
Keine synthetischen Anti-Schilddrüsen-Medikamente (Freisetzung vorgefertigter Hormone ohne aktive Hypersekretion), Symptomatische Behandlung der Hyperthyreose mit Betablockern, symptomatische Behandlung der Inflammation mit NSAR oder Kortikosteroiden.
Therapeutische Optionen bei M. Basedow
Thyreostatika: seit über 50 Jahren angewandt, Wirkung nach einigen Wochen, verschwindet einige Tage nach Absetzen des Medikaments. Iod-131: wird seit über 70 Jahren angewandt. Progressive Wirkung im Allgemeinen nach 3-10 Wochen.
Chirurgie: seit über 100 Jahren angewandt. Die Wirkung entsteht unmittelbar (nach wenigen Tagen).
Adenome und toxische Struma – therapeutische Strategien
Synthetische Antithyreostatika werden initial angewandt zur Normalisierung der Funktion. Die lebenslängliche Behandlung sollte vermieden werden, ausser bei betagten Menschen. Die prinzipiellen Risiken sind Agranulozytose, Teratogenese.
Schilddrüsenablation: radioaktives Jod, Chirurgie (Adenom → Lobektomie, multinoduläre Struma → Lobektomie oder totale Thyreoidektomie.
Radiofrequenz: ambulante Behandlung (interventionelle Radiologie).
Behandlung der Hypothyreose
In der Schweiz existieren 3 Produkte für Levothyroxin (T4):
Euthyrox® (Tabletten), Eltroxin® (Tabletten), Tirosint®- Sol (flüssige Form von Levothyroxin für folgende Zustände: Hypothyreose und TSH-Unterdrückung bei der Behandlung von Schilddrüsenkrebs.
Welche Dosierung? Dosis für komplette oder partielle Substitution je nach Fall. Komplette Substitution (1.6mg/kg, z.B. nach Thyreoidektomie, partielle Dosis bei subklinischer Hypothyreose, nach Thyreoiditis, etc.
Welcher Zielwert? Bei primärer Hypothyreose: TSH normalisieren.
Zentrale Hypothyreose: Freies T4 normalisieren. Wann Neudosierung? 6-8 Wochen nach Dosisanpassung.
Labor nüchtern oder nicht? Keine Notwenigkeit für Nüchternheit. Bei Bestimmung von freiem T4 Substitution nicht am Morgen vor der Blutentnahme.
Was machen im Falle von Vergessen? Doppelte Dosis am nächsten Tag.
Quelle: FOMF Update Refresher Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetes, Lausanne 12.02. 2021.
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