Wieso nicht immer die Medikation als Vorspeise?

Nahrungs- und Arzneimittel-Interaktionen

Arzneimittelinteraktionen (drug-drug) wurde unter anderem aufgrund steigender Polymedikation vermehrt Beachtung geschenkt: Einerseits ist unter Medizinalpersonen das Bewusstsein für die Interaktionen und deren potenzielle Folgen vorhanden, andererseits stehen eine wachsende Anzahl Datenbanken und Tools zur Verfügung, um mögliche Interaktionen zu detektierten und interpretieren. Gleichzeitig sind aber Wechselwirkungen von pharmazeutischen Produkten mit der Nahrung resp. Bestandteile derer (drug-food, aber auch drug-herb) wenig oder oft nur unpräzise dokumentiert. Wieso kommt es zu Interaktionen zwischen Arzneimitteln und Nahrung? Mit welchen Folgen müssen wir rechnen? Und welche Fragen müssen wir uns beantworten, um mögliche negative Auswirkungen einer Wechselwirkung verhindern zu können?



Unter den Möglichkeiten ein Arzneimittel zu verabreichen ist die perorale Einnahme die weitaus beliebteste, einfachste und günstigste. Die Anwendung des Medikamentes ist für die Patient*in unkompliziert und für viele Wirkstoffe durchaus möglich: Wirkstoffe, welche aufgrund ihrer Eigenschaften oder galenischen Formulierung den Magen unbeschadet passieren und im Darm aufgenommen werden, können grundsätzlich in eine feste oder flüssige Arzneiform verpackt und so vertrieben werden. Die pharmazeutische Formulierung eines Medikamentes beeinflusst somit u.a. die Konzentration des Wirkstoffes im Körper. Die Galenik eines Arzneimittels kann einen Schutz für den Wirkstoff oder Organismus bieten, resp. ein Targeting – also ein zielgerichtetes Erreichen des Wirkortes – durch kontrollierte Freigabe realisieren (Freisetzung; Liberation). Das Ziel der peroralen Gabe ist aber schlussendlich immer die erfolgreiche enterale Resorption: Der Wirkstoff muss also am Ziel, im Duodenum, so vorliegen, dass er über die grosse Oberfläche der Darmzotten aufgenommen werden kann. Im Alltag können diese Prozesse durch äussere Einflüsse wie die Nahrungsaufnahme, welche über dieselben Verkehrswege gleichzeitig oder in kurzem Abstand wie die Medikation verlaufen, beeinflusst werden.
Nahrungsmittel können in zweierlei Weisen mit Arzneimittel interagieren: Einerseits können Nahrungsbestandteile direkt mit dem Wirkstoff interagieren, ihn z.B. komplexieren oder vorzeitig reduzieren. Andererseits kann die Nahrungsaufnahme von der Magenfüllung abhängig sein, welche abh. von der Menge und der Zusammensetzung der Mahlzeit wie auch abh. von der Grunderkrankung kürzer oder länger bestehen bleibt. Zudem ändert die Nahrung den pH des Magensaftes. Diese Umstände können einen Einfluss haben auf versch. kinetische Parameter wie die maximale Plasmakonzentration (Cmax), den Zeitpunkt der maximalen Plasmakonzentration (tmax), aber auch ganz grundsätzlich auf die Bioverfügbarkeit (BV). Das Medikament kann dadurch seine Wirkung teilweise oder ganz verlieren oder es kann im Gegenteil dazu führen, dass die Wirkung aufgrund der erhöhten Bioverfügbarkeit – und damit auch die Risiken und Nebenwirkungen, bis in den Bereich der Toxizität – verstärkt wird.
Nahrungsmittel-Interaktionen hängen somit nicht nur von den physikalisch-chemischen Eigenschaften der Wirkstoffe ab, sondern auch von der galenischen Formulierung des Medikamentes, also wie die Nahrung die pharmazeutische Technologie ausser Kraft setzen kann.

Das LADME-Konzept

Im Folgenden sollen mögliche Interaktionen von Nahrung und Medikamenten mit deren Konsequenzen auf die Kinetik der Arzneimittel (gegliedert nach LADME-Konzept: Liberation, Absorption, Distribution, Metabolismus, Elimination) aufgezeigt werden.
Liberation (Freisetzung): Nahrungsmittel im Magen stimulieren die Sekretion von Magensäure, was zu einer Änderung des pH-Wertes im Magen führt. Daraus kann resultieren, dass der magensaftresistente Überzug des Medikamentes schon im Magen aufgelöst und der Wirkstoff freigesetzt und inaktiviert wird. Beispiel hierfür sind die instabilen Säuren wie Penicillamin oder Erythromycin (z.B. Erythrocin®), die besonders empfindlich auf pH-Schwankungen sind: Nach einer Mahlzeit kann die Bioverfügbarkeit bis zu 50% vermindert sein (1; 2).
Absorption (Resorption): Nahrungsbestandteile können zur Oxidation/Reduktion von Wirkstoffen führen sowie zur Bildung von schwerlöslichen Komplexen, welche eine enterale Absorption verunmöglichen oder erschweren. Nahrung kann auch die Löslichkeit des Arzneistoffes beeinflussen: fetthaltige Speisen verbessern die Löslichkeit von lipophilen Arzneistoffen (Itraconazol, Mefloquin, Acitretin) (3; 4), saure Getränke verbessern hingegen die Löslichkeit von basischen Arzneistoffen (Indinavir). Zudem verändert Nahrung die Verweildauer von Arzneimitteln im Magen: Die Magen-Darm-Motilität hängt stark von der Menge und der Zusammensetzung der Nahrung ab. Grosse Mageninhalte mit hohem Energiegehalt (Fette, Kalorien und hohe Temperatur) sowie hohe Viskosität verlängern die Verweildauer im Magen. Dies hat insofern eine Konsequenz bei Wirkstoffen, deren Resorption im Magen nötig ist: Sie wird von einer verzögerten Magenentleerungsrate begünstigt. Dieser Aspekt ist zum Beispiel bei der Resorption von Montelukast relevant (5).
Andererseits hat es auch eine zeitliche Konsequenz: Bei gut löslichen Wirkstoffen wie auch Medikamenten mit schnell zerfallender Galenik (z.B. Brausetabletten) übernimmt die Magenentleerungsgeschwindigkeit die Kontrolle des Wirkungseintrittes. Hingegen bei schlecht löslichen Arzneistoffen und nichtzerfallender Galenik (magensaftresistenten und Retardformulierungen), wird der Wirkungseintritt in der Regel durch den Arzneistoff beziehungsweise die Arzneiform bestimmt.
Distribution (Verteilung): Fettreiche Nahrung führt vermehrt zur Freisetzung freier Fettsäuren aus den Lipozyten ins Plasma. Hierbei kann es zu Wechselwirkungen zwischen fettlöslichen Wirkstoffen in ihrer Plasmaproteinbindung geben. Da es eine begrenzte Anzahl solcher Eiweisse gibt, kommt es zur Konkurrenz an deren Bindungsstellen. Dies führt durch Verdrängung zu einer Erhöhung der Plasmaspiegel (6). Die klinische Relevanz bei diesem Phänomen ist aber gering (7). Es gibt lediglich Hinweise zu einer Verdrängung von Tamoxifen (selektives Antiöstrogen), Ticagrelor (Antikoagulans) und Propranolol (unselektiver Betablocker) durch Flavonoide aus ihrer Plasmaproteinbindung (8): Diese sekundären Pflanzeninhaltsstoffe sind in diversen Obstsorten (Äpfel, Birnen, Trauben, etc.), Gemüse (Aubergine, Soja) und beispielsweise im grünen/schwarzen Tee enthalten. Um eine vermehrte Abgabe ins Plasma zu erzeugen, müssten jedoch enorme Mengen eingenommen werden, da sie meist eine schlechte Bioverfügbarkeit zeigen (< 3%) (9).
Metabolismus (Abbau): Nahrung wie auch Genussmittel können mit Leberenzymen wie mit dem CYP P450-Enzymsystem interagieren und so einen indirekten Einfluss auf den Abbau/Umbau eines Wirkstoffes haben. So resultieren Induktion oder Inhibition dieser Leberenzyme in erniedrigten resp. erhöhten Plasmaspiegeln des Wirkstoffes, welcher ein Substrat des betroffenen Enzymes ist; Prodrugs wieder­um, welche durch ein CYP-Enzym erst in ihre aktive Form umgebaut werden, können in ihrer Pharmakodynamik beeinflusst sein.
Prominente Beispiele für die Interaktion von Nahrungs- resp. Genussmitteln mit Enzymen des CYP P450-Komplexes sind der Grapefruitsaft (CYP3A4-Inhibitor), das Rauchen (CYP1A2-Induktor) sowie das Johanniskraut (CYP3A4-Induktor). Dem CYP3A4 kommt eine besondere Bedeutung zu, da 30 bis 50% der Arzneistoffe auf dem Markt über dieses Isoenzym verstoffwechselt werden (10).
Aber ebenfalls das Rauchverhalten spielt eine wesentliche Rolle: die in den Raucherwaren enthaltenen Kohlenwasserstoffe bewirken einen vermehrten Abbau von CYP1A2-Substraten wie zum Beispiel Duloxetin, Theophyllin und Tizanidin (11), was sich im Falle eines Rauchstopps massiv auf deren Plasmaspiegel auswirken kann.
Elimination (Ausscheidung): Wassertreibende Tees können die Clearance von vorwiegend renal eliminierten Substanzen erhöhen und laxierende Nahrungsmittel erhöhen die Geschwindigkeit der Ausscheidung von Arzneimitteln resp. deren Metaboliten, welche über die Faeces ausgeschieden werden.

Praktischer Leitfaden

Medikamente sollten grundsätzlich nicht zusammen mit Milch, schwarzem oder grünem Tee (gerbstoffhaltig) oder Kaffee geschluckt werden. Auch Mineralwasser kann mit einigen Arzneimitteln interagieren. Zum Hinunterschlucken oder Lösen von Medikamenten sollte normales Leitungswasser verwendet werden (ausser explizit in der Fachinformation anders angegeben). Wenn eine Einnahme mit «genügend Flüssigkeit» empfohlen wird, ist in der Regel ein grosses Glas Wasser (ca. 200 ml) ausreichend.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dipl. ApothekerMarcel Rainer

Kantonsapotheke Zürich, Klinikbetreuung, Spöndlistrasse 9, 8006 Zürich

spitalapotheke@kaz.zh.ch

Dipl. ApothekerinFabrizia Negrini

Kantonsapotheke Zürich, Klinikbetreuung, Spöndlistrasse 9, 8006 Zürich

Dipl. ApothekerinAndrea Burch

Kantonsapotheke Zürich, Klinikbetreuung, Spöndlistrasse 9, 8006 Zürich

Dipl. ApothekerinGiorgia Vella

Kantonsapotheke Zürich, Klinikbetreuung, Spöndlistrasse 9, 8006 Zürich

Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte deklariert.

◆ Nebst den klassischen Arzneimittelinteraktionen (drug-drug) dürfen bei der Verschreibung von Arzneimitteln die Interaktionen von Arzneimitteln mit Nahrung resp. -bestandteilen (drug-food; drug-herb) nicht vergessen werden.
◆ Bei Therapieversagern, vermehrten Nebenwirkungen oder gar Toxizität und schwankenden Plasmaspiegeln im Rahmen eines Therapeutic Drug Monitorings (TDM) soll die Einnahmeroutine in Bezug auf die Mahlzeiten sowie grundsätzlich die Nahrungsgewohnheiten der Patient*in erfragt werden.
◆ Bei der Verschreibung eines Arzneimittels muss bewusst sein, welche Konsequenzen eine Mahlzeit in Bezug auf die Einnahme des Medikamentes haben kann.
◆ Die Patient*in muss klar instruiert werden, wie resp. ob und wieviel Zeit vor oder nach einer Mahlzeit das Medikament eingenommen werden soll.

1. Digenis GA, Sandefer EP, Parr AF, Beihn R, McClain C, Scheinthal BM, Ghebre-Sellassie I, Iyer U, Nesbitt RU, Randinitis E. Gastrointestinal behavior of orally administered radiolabeled erythromycin pellets in man as determined by gamma scintigraphy. J Clin Pharmacol. 1990;, 30:, 621-31.
2. Osman MA, Patel RB, Schuna A, Sundstrom WR, Welling PG. Reduction in oral penicillamine absorption by food, antacid, and ferrous sulfate. Clin Pharmacol Ther. 1983;, 33:, 465-70.
3. Fachinformationen Schweiz.
4. Zimmermann T, Yeates RA, Laufen H, Pfaff G, Wildfeuer A. Influence of concomitant food intake on the oral absorption of two triazole antifungal agents, itraconazole and fluconazole. Eur J Clin Pharmacol. 1994;, 46:, 147-50.
5. Schoors DF, De Smet M, Reiss T, Margolskee D, Cheng H, Larson D, Amin R, Somers G. Single dose pharmacokinetics, safety and tolerability of MK-0476, a new leukotriene D4-receptor antagonist, in healthy volunteers. Br J Clin Pharmacol. 1995;, 40:, 277-80.
6. Krieglstein, J. Zur Plasmaproteinbindung von Arzneimitteln. Klin Wochenschr. 1969;, 47, 1125-30.
7. Sellers, EM. Plasma Protein Displacement Interactions Are Rarely of Clinical Significance. Pharmacology. 1979;, 18:, 225-7.
8. Anallely López-Yerena, et al. Insights into the Binding of Dietary Phenolic. Pharmaceutics. 2020;, 12:, 1123.
9. DGEinfo. Sekundäre Pflanzenstoffe und ihre Wirkung auf die Gesundheit – Eine Aktualisierung anhand des Ernährungsberichts. s.l. : Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 2012.
10. Urquhart BL, Nolin TD,. Drug Metabolism in Chronic Kidney Disease. Chronic Renal Disease. 2. 2020.
11. Zhou SF, Yang LP, Zhou ZW, Liu YH, Chan E. Insights into the Substrate Specificity, Inhibitors, Regulation, and Polymorphisms and the Clinical Impact of Human Cytochrome P450 1A2. AAPS J. 2009;, 11:, 481-94.