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Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie

Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie
vorgestellt und kommentiert von Prof. Markus G. Manz und PD Dr. Alexandre Theocharides
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Universitätsspital Zürich
Alexandre.Theocharides@usz.ch



Orale Azacitidin-Erhaltungstherapie bei akuter myeloischer Leukämie in Erstremission

Quelle: Wei AH et al. Oral Azacitidine Maintenance Therapy for Acute Myeloid Leukemia in First Remission. N Engl J Med 2020;383:2526-37.

Hintergrund

Obwohl eine Induktionschemotherapie bei vielen älteren Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) zu einer Remission führt, sind Rückfälle häufig und das Gesamtüberleben ist schlecht.

Methode

Die Autoren führten eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-3-Studie durch mit der oralen Formulierung von Azacitidin (CC-486, ein hypomethylierender Wirkstoff, der nicht bioäquivalent zu injizierbarem Azacitidin ist), als Erhaltungstherapie bei Patienten mit AML, die sich in Erstremission nach intensiver Chemotherapie befanden.
Patienten im Alter von 55 Jahren oder älter, die sich in kompletter Remission mit oder ohne Erholung des Blutbildes befanden und die nicht Kandidaten für eine hämatopoetische Stammzelltransplantation waren, wurden randomisiert mit CC-486 (300 mg) oder Placebo einmal täglich während 14 Tagen pro 28-Tage-Zyklus behandelt. Der primäre Endpunkt war das Gesamtüberleben. Sekundäre Endpunkte waren das rezidivfreie Überleben und die gesundheitsbezogene Lebensqualität.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 472 Patienten randomisiert; 238 wurden der CC-486- und 234 der Placebo-Gruppe zugeordnet. Das mediane Alter betrug 68 Jahre (55 bis 86 Jahre). Das mediane Gesamtüberleben ab dem Zeitpunkt der Randomisierung war signifikant länger unter CC-486 als unter Placebo (24,7 Monate bzw. 14,8 Monate; P< 0,001). Das mediane rezidivfreie Überleben war unter CC-486 ebenfalls signifikant länger als unter Placebo (10,2 Monate bzw. 4,8 Monate; P< 0.001). Der Nutzen von CC-486 in Bezug auf das Gesamt- und rezidivfreie Überleben zeigte sich in den meisten Subgruppen, die anhand der Ausgangscharakteristika definiert wurden.
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in beiden Gruppen waren gastrointestinale Ereignisse Grad 1 oder 2. Häufige unerwünschte Ereignisse Grad 3 oder 4 waren Neutropenie (bei 41% der Patienten in der CC-486-Gruppe und 24% der Patienten in der Placebo-Gruppe) und Thrombozytopenie (bei 22% bzw. 21%). Die allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität blieb während der Behandlung mit CC-486 erhalten.

Schlussfolgerungen

Die Erhaltungstherapie mit CC-486 war gegenüber Placebo mit einem signifikant längeren Gesamt- und rezidivfreiem Überleben bei älteren Patienten mit AML, die in Remission nach Chemotherapie waren, assoziiert. Nebenwirkungen waren hauptsächlich gastrointestinale Symptome und Neutropenie. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität blieb während der Behandlung erhalten.
(Unterstützt von Celgene; QUAZAR AML-001 ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT01757535).

Kommentar

  • Die Untersuchung der Wirkung einer Erhaltungstherapie bei AML ist aktuell Gegenstand verschiedener Studien. Insbesondere wird der Einsatz zielgerichteter Therapien wie Inhibitoren der Isocitrat-Dehydrogenase und der Fms Related Receptor Tyrosine Kinase 3-Tyrosinkinase bei Vorliegen entsprechender Mutationen geprüft. In dieser Studie wird der Einsatz einer oralen Azacitidin-Erhaltungstherapie (CC-486) unabhängig vom AML-Mutationsprofil untersucht.
  • Die Erhaltungstherapie mit CC-486 bei AML führte in dieser Studie mit oder ohne Konsolidationstherapie zu einem verlängerten Gesamt- und rezidivfreien Überleben in den meisten AML-Subgruppen. Dabei scheinen z.B. Patienten mit MRD-Positivität besonders von einer Erhaltungstherapie mit CC-486 zu profitieren. Festzuhalten ist, dass CC-486 zwar das Gesamt- und rezidivfreie Überleben in der Studie verlängerte, jedoch nicht die Anzahl geheilter Patienten (was wiederum nicht das Ziel der Studie war). Der Einsatz von CC-486 wurde auch in einer Phase-2-Studie nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation untersucht (1). Eine Phase-3-Studie ist aktuell aktiv (NCT04173533).
  • Beim Vergleich mit anderen AML-Studien, welche eine Erhaltungstherapie untersucht haben, ist festzuhalten, dass in dieser Studie die Zeit zwischen dem Erreichen einer kompletten Remission bis zur Randomisierung ca. 3 Monate betrug. Dabei wurde das Gesamt- und rezidivfreie Überleben ab dem Zeitpunkt der Randomisierung berechnet. Die 3-monatlichen Knochenmarkuntersuchungen haben in dieser Studie zudem die Früherkennung von Rezidiven erlaubt. Entsprechend sind Vergleiche mit anderen Studien mit Vorsicht durchzuführen.
  • Ein interessanter Aspekt ist der Vergleich mit parenteralem Azacitidin. Obwohl beide die gleiche Aktivsubstanz beinhalten, ist die Bioäquivalenz unterschiedlich. Das könnte erklären, warum Studien mit parenteraler Azaciditin Erhaltungstherapie keinen Benefit bei AML gezeigt haben (2). Es ist vorstellbar, dass die andere Pharmakodynamik von CC-486 zum klinischen Benefit beiträgt, z.B. durch eine längere, konstantere Freisetzung der aktiven Substanz. Zudem könnte auch die Patienten-Compliance durch die orale Applikation verbessert werden.
  • Das Nebenwirkungsprofil von CC-486 war ähnlich wie bei parenteralem Azacitidin. Dabei standen gastrointestinale Nebenwirkungen im Vordergrund. Diese nahmen nach den ersten zwei Zyklen ab. Entsprechend war auch die Therapie-Adhärenz in dieser Studie sehr hoch. Weniger als 1% aller Patienten sistierten zudem die Therapie wegen hämatologischer Nebenwirkungen, typischerweise Neutropenie.
  • Weitere Analysen in dieser Studie werden versuchen AML Patienten, welche besonders von CC-486 profitieren können, zu identifizieren, z.B. durch die Korrelation des Ansprechens mit dem molekularen AML-Profil.
  • CC-486 wurde 01/2020 durch die FDA für AML-Patienten in CR/CRi nach intensiver Chemotherapie, die nicht einer allo-HSZT zugeführt werden können, als Erhaltungstherapie zugelassen.

1. de Lima M, Oran B, Champlin RE, et al. CC-486 maintenance after stem cell transplantation in patients with acute myeloid leukemia or myelodysplastic
syndromes. Biol Blood Marrow Transplant 2018;24:2017-24.
2. Oran B, de Lima M, Garcia-Manero G, et al. A phase 3 randomized study of 5-azacitidine maintenance vs observation after transplant in high-risk AML and MDS patients. Blood Adv. 2021 Mar 23;5(6):1755-1756.

Idecabtagene Vicleucel bei rezidiviertem und refraktärem Multiplem Myelom

Quelle: Munshi NC et al. Idecabtagene Vicleucel in Relapsed and Refractory Multiple Myeloma. N Engl J Med 2021;384:705-16.

Hintergrund

Idecabtagene vicleucel (Ide-Cel, auch bb2121 genannt), eine B-Zell-Reifungsantigen-gerichtete chimäre Antigenrezeptor (CAR) T-Zell-Therapie, zeigte klinische Aktivität mit den erwarteten toxischen Wirkungen von CAR-T-Zellen bei Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplem Myelom.

Methode

In dieser Phase 2-Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Ide-Cel bei Patienten mit rezidiviertem und refraktärem Myelom untersucht. In die Studie wurden Patienten nach mindestens drei vorangegangenen Therapien mit einem Proteasom-Inhibitor, einem immunmodulatorischen Wirkstoff und einem Anti-CD38-Antikörper eingeschlossen. Die Patienten erhielten Ide-Cel-Dosierungen von 150 bis 450×106 CAR-positive (CAR +) T-Zellen. Der primäre Endpunkt war das Gesamtansprechen (partielles Ansprechen oder besser); ein wichtiger sekundärer Endpunkt war ein komplettes oder besseres Ansprechen (bestehend aus einem kompletten und stringenten kompletten Ansprechen).

Ergebnisse

Von 140 Patienten, die in die Studie aufgenommen wurden, erhielten 128 Ide-Cel. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13,3 Monaten, hatten 94 von 128 Patienten (73%) ein Ansprechen, und 42 von 128 (33%) ein komplettes Ansprechen oder besser. Ein negativer Minimal Residual Disease (MRD) Status (< 10-5 nukle-
ierte Zellen) wurde bei 33 Patienten bestätigt. Dies entspricht 26% aller 128 behandelten Patienten und 79% der 42 Patienten, die ein komplettes Ansprechen oder besser erreichten. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 8,8 Monate (95%-Konfidenzintervall, 5, 6-11.6). Zu den häufigen toxischen Wirkungen bei den 128 behandelten Patienten gehörten Neutropenie bei 117 Patienten (91%), Anämie bei 89 Patienten (70%) und Thrombozytopenie bei 81 Patienten (63%).
Ein Zytokinfreisetzungssyndrom wurde bei 107 Patienten (84%) festgestellt, bei 7 (5%) Patienten Grad 3 oder höher. Neurotoxische Wirkungen traten bei 23 Patienten auf (18%) und waren bei 4 Patienten (3%) Grad 3; es traten keine neurotoxischen Nebenwirkungen höher als Grad 3 auf. Die zelluläre kinetische Analyse bestätigte CAR + T-Zellen bei 29 von 49 Patienten (59%) 6 Monate und bei
4 von 11 Patienten (36%) 12 Monate nach der Infusion.

Schlussfolgerungen

Ide-Cel induzierte ein Ansprechen bei einer Mehrheit der stark vorbehandelten Patienten mit refraktärem und rezidiviertem Myelom; ein MRD-negativer Status wurde bei 26% der behandelten Patienten erreicht. Fast alle Patienten hatten Nebenwirkungen Grad 3 oder 4, am häufigsten hämatologisch-toxischer Ursache oder das Zytokinfreisetzungssyndrom. (Finanziert von bluebird bio und Celgene, einem Bristol-Myers Squibb Unternehmen; KarMMa ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT03361748.)

Kommentar

  • Die KarMMa-Studie ist eine Phase-2-Studie, welche den Einsatz von Anti-BCMA CAR-T-Zellen beim Plasmazellmyelom, welches auf drei Therapieklassen refraktär/rezidiviert ist, untersucht. Dabei scheint eine höhere CAR-T-Zelldosis eine bessere Wirkung zu erzeugen.
  • Bemerkenswert ist, dass selbst Patienten mit sog. Hochrisiko-Plasmazellmyelom (hohe Tumorlast, Zytogenetik, extramedullärer Befall) auch auf die Therapie ansprachen.
  • Fast alle Patienten (98%) exprimierten BCMA vor CAR-T-Zelltherapie. Das spricht gegen einen Verlust des Antigens im Rezidiv/bei refraktärer Erkrankung und unterstützt den Einsatz von Ide-Cel in diesen Situationen.
  • Im indirekten Vergleich mit neueren Therapie-Regimes wie Selinexor-Dexamethason oder Belantamab mafodotin in dieser Patientengruppe war das mediane progressionsfreie Überleben mit Ide-Cel in dieser Studie deutlich länger (8.8 Monate vs. 3.7, bzw. 2.9 Monate).
  • Das Ansprechen auf Ide-Cel korrelierte mit einem Abfall des löslichen Oberflächen-BCMA im Serum (sBCMA), so dass im Gegensatz zu anti-CD19 CAR-T-Zellen ein Biomarker vorliegt. Der Anstieg von sBCMA korrelierte auch mit der Krankheitsprogression.
  • Eine CAR-T-Zell-Expansion war mit einem längeren progressionsfreien Überleben assoziiert. Bei 36% der Patienten konnten CAR-T-Zellen 12 Monate nach Infusion detektiert werden. Diese konnten aber das Rezidiv nicht verhindern. Dabei ist unklar, ob die Myelomzellen resistent wurden, oder ob die CAR-T-Zellen ihre Funktion verloren. Im Gegensatz zu anti-CD19 CAR-T-Zellen scheint jedoch ein Antigenverlust selten die Ursache für die Therapierefraktärität zu sein. Nur bei drei Patienten konnte ein Verlust von BCMA festgestellt werden. Bei einem dieser Patienten konnte ein bi-allelischer Verlust von BCMA auf Chromosom 16p detektiert werden.
  • Mit Ide-Cel wird es in Zukunft eine neue Therapieklasse unter den bereits sehr zahlreichen Therapieoptionen beim Plasmazellmyelom geben. Ob anti-BCMA CAR-T-Zellen auch langfristige Remissionen wie anti-CD19 CAR-T-Zellen bei der B-ALL oder beim DLBCL induzieren können, bleibt abzuwarten. Die Resultate dürften sich durch den früheren Einsatz von CAR-T-Zellen im Krankheitsverlauf deutlich verbessern. Obwohl die Kosten einer solchen Therapie wiederum sehr hoch sein werden, könnte deren Einsatz auch zum Einsparen von durch andere Medikamente erzeugten Kosten führen.
  • Ide-Cel wurde 03/2021 durch die FDA für Myelompatienten, die mindestens auf 4 Therapielinien refraktär waren (inkl. anti-CD38) zugelassen.
Prof. Dr. med.Markus G. Manz

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

PD Dr. med. Alexandre Theocharides

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

Alexandre.Theocharides@usz.ch