Editorial

Es gibt manchmal gute Gründe für eine Therapie auch ohne Überlebensvorteil

Praxisrelevante Krebsforschung in der Schweiz



In Zeiten von Covid sind Fakten wichtiger denn je und sollten uns helfen, im Alltag Probleme besser zu verstehen und das Richtige zu tun. Hier nun zwei kürzlich publizierte Arbeiten, die von den schweizerischen Krebsorganisationen unterstützt worden sind.

Unter der Leitung von Prof. Dr. med. Heiner C. Bucher vom Universitätsspital Basel ist die Arbeit «Risk for Non-AIDS-Defining and AIDS-Defining Cancer of Early Versus Delayed Initiation of Antiretroviral Therapy: A Multinational Prospective Cohort Study» publiziert worden. Die Arbeit untersucht, inwieweit das frühe Einsetzen der antiretroviralen Therapie unabhängig von der CD4-Zellzahl das Auftreten von Krebserkrankungen verhindert. In dieser Kohortenstudie mit 8318 HIV-positiven Personen wurde das 10-Jahres-Risiko für AIDS nicht definierende und AIDS definierende Krebserkrankungen untersucht. Während 64021 Beobachtungsjahren wurden 231 und 272 Krebsfälle diagnostiziert. Mit sofortiger Therapie erkrankten 5.4% nach 10 Jahren an Krebs, unter verzögert einsetzender, bis zum Abfall der CD4-Zellzahl auf 350/yl wartender, antiretroviraler Therapie erkrankten 6.7%. Der Risikounterschied beträgt 1.25%, ist somit, bei insgesamt jungen Patienten (36 J.) klein, aber nicht vernachlässigbar. Er unterstreicht die Bedeutung viraler Erkrankungen für die Krebsentstehung und der antiviralen Therapie für die Prävention (1).

In der Studie unter der Leitung PD Dr. med. Dr. phil. Benjamin Kasenda (2), ebenfalls vom Unispital Basel, wurde die Arbeit «Association of Supporting Trial Evidence and Reimbursement for Off-Label Use of Cancer Drugs» präsentiert. Hier geht es um das wichtige Thema der Zugangsgerechtigkeit zu Medikamenten mit Off-Label-Verwendung in der Krebsmedizin. Da die schweizerische Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte (SGV) Nutzenbewertungsmodelle publiziert hat, welche die Erteilung der Kostengutsprache eng an die vorhandene Evidenz für Wirksamkeit der Therapien koppelt, ist es von Interesse zu prüfen, ob die Anwendung dieser Modelle in die Praxis Einzug gefunden hat. Zu diesem Zweck wurde diese Querschnittsstudie mit 3046 Patienten durchgeführt, welche in drei Zentren behandelt worden waren. Für jede Off-label-Anwendung mit drei oder mehr Anfragen wurde die Evidenz für Verbesserung des Überlebens oder des progressionsfreien Überlebens aus klinischen Studien zusammengetragen. Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen Evidenz für Behandlungserfolg und der Wahrscheinlichkeit der Erteilung der Kostengutsprache. Bei 598 Patienten wurden 695 Gesuche gestellt. Eine Kostengutsprache wurde in 64% aller Fälle erteilt. Von den Indikationen ohne Evidenz für Behandlungserfolg wurden 66% positiv beantwortet, von den Indikationen mit nachgewiesenem Überlebensvorteil wurden 67% positiv beantwortet, von den Indikationen mit nachgewiesenem PFS, aber ohne Überlebensvorteil wurden 79% unterstützt. Das Chancenverhältnis der Kostengutsprachen-Erteilung für Indikationen mit Überlebensvorteil betrug 0.76.

Es gibt manchmal gute Gründe für eine Therapie auch ohne Überlebensvorteil. Dies sei hier gesagt, um nicht jede erteilte Gutsprache ohne nachgewiesenen Überlebensvorteil zu kritisieren. Für viele seltene Krankheiten oder spezielle Umstände fehlen Studien und Entscheide müssen trotzdem getroffen werden. Die fehlende Korrelation zwischen wissenschaftlicher Evidenz und der Gutsprachenerteilungs-Wahrscheinlichkeit sollte aber zu denken geben.

Beiden hier vorgestellten Arbeiten ist eine hohe Patientennähe und Praxisrelevanz eigen. Bravo! KollegInnen mit mehr Appetit auf Informationen über die Forschungsunterstützung in der Schweiz finden den Forschungsbericht unter:
https://www.krebsforschung.ch/ueber-uns/publikationen/forschungsbericht/-dl-/fileadmin/downloads/forschungsbericht/forschungsbericht-2020-krebsforschung-schweiz.pdf

Prof. Dr. med. Jakob Passweg

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

jakob.passweg@usb.ch

1. Chammartin F, Lodi S, Logan R, Ryom L, Mocroft A, Kirk O, d’Arminio Monforte A, Reiss P, Phillips A, El-Sadr W, Hatleberg CI, Pradier C, Bonnet F, Law M, De Wit S, Sabin C, Lundgren JD, Bucher HC. Risk for Non-AIDS-Defining and AIDS-Defining Cancer of Early Versus Delayed Initiation of Antiretroviral Therapy : A Multinational Prospective Cohort Study. Ann Intern Med. 2021 Mar 16. doi: 10.7326/M20-5226. Online ahead of print.
2. Herbrand AK, Schmitt AM, Briel M, Ewald H, Goldkuhle M, Diem S, Hoogkamer A, Joerger M, Moffa G, Novak U, Hemkens LG, Kasenda B. Association of Supporting Trial Evidence and Reimbursement for Off-Label Use of Cancer Drugs. JAMA Netw Open. 2021 Mar 1;4(3):e210380

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  • Vol. 11
  • Ausgabe 2
  • April 2021