- Untypische Symptome erschweren Diagnosestellung
Aufgrund der hohen Letalität einer unbehandelten Aortendissektion innerhalb der ersten 48h ist eine rasche Diagnosestellung und Therapieeinleitung unumgänglich. Jedoch können, wie im geschilderten Fall, die Symptome der akuten Aortendissektion stark divergieren und damit das Einleiten der richtigen diagnostischen Schritte verzögern.
Fallbericht
Hintergrund
Ende September 2019 stellt sich eine bekannte, 74-jährige Patientin nach einem grippalen Infekt in der hausärztlichen Sprechstunde vor.
Die adipöse Patientin leidet unter einer mit Prolia® und Calcimagon D3® therapierten Osteopenie. Wegen einer Amaurosis fugax in der Vorgeschichte werden Aspirin® und ein Statin regelmässig eingenommen. Es besteht ein lumboradikuläres sowie vertebrogenes Schmerzsyndrom mit wiederholten Infiltrationen in der Vorgeschichte bei intermittierendem sensomotorischem Ausfallsyndrom im Segment L3 links. Auch erfolgte die prothetische Versorgung einer Gon- sowie Coxarthrose sechs respektive sieben Jahre zuvor. Ein Vitamin B12-Mangel wurde passager behandelt, im Rahmen einer Varikosis erfolgte die wiederholte, bedarfsgesteuerte Einnahme von Laxantien.
Anamnese
Die Patientin leidet nach grippaler Symptomatik in der vorausgehenden Woche unter wenig persistierendem Husten mit leichter Atemnot sowie begleitendem retrosternalem Schmerz, der von der Patientin im Rahmen des Hustens interpretiert wird. Der grippale Infekt sei bereits deutlich gebessert, sie fühle sich aber noch immer abgeschlagen. Fieber oder Schüttelfrost werden klar verneint.
Status
Es präsentiert sich eine 74-jährige Patientin in reduziertem Allgemein- und übergewichtigem Ernährungszustand. Kardial zeigen sich regelmässige Herztöne ohne pathologische Nebengeräusche. Weiterhin können vorbestehende, periphere Ödeme der unteren Extremitäten festgestellt werden.
Pulmonal präsentiert sich ein vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, ebenfalls ohne pathologische Nebengeräusche. Es werden keine Druckdolenzen über der oberen Thoraxapertur festgestellt. Das Abdomen ist weich mit regelrechten Darmgeräuschen, über dem Epigastrium gibt die Patientin einen leichten Schmerz an.
Diagnostik
Laborchemisch fällt neben einer leichten Anämie von 11,3 g/dl eine diskrete Leukozytose von 10,2 x 10^3/ml mit einer Granulozytose von 8,2 x 10^3/ml sowie ein deutlich erhöhtes CRP von 183,5 mg/dl auf.
Eine Untersuchung des Urins mittels Streifentest zeigte eine Leukozyturie sowie etwas Protein und eine leichte Erythrozyturie. Eine kulturelle Aufbereitung des Urins wurde veranlasst.
Im konventionellen Röntgenbild des Thorax ist bei nicht optimaler Aufnahme ein leichter Erguss rechts basal sowie eine basale, streifige Mehrzeichnung aber kein eindeutiges, pneumonisches Infiltrat feststellbar. Das Mediastinum ist mittelständig und klar abgrenzbar. Auch die Herzgrösse erscheint physiologisch.
Verlauf
Aufgrund des Allgemeinzustandes sowie des laborchemischen Befundes erfolgte bei Verdacht eines bakteriellen Infektes der Atemwege sowie eines Harnwegsinfekts der Start einer antibiotischen Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure und eine Verlaufskontrolle am übernächsten Tag wurde vereinbart.
In der geplanten Verlaufskontrolle zeigte sich der Allgemeinzustand der Patientin verschlechtert. Die Atemnot sei unverändert, neu werden auch basodorsale Schmerzen am rechten Thorax beklagt.
Laborchemisch kommt es trotz einer resistenzgerechten Therapie des Harnwegsinfektes zu einem Anstieg der Leukozyten auf 12,8 x 10^3/ml, der Granulozyten auf 9,9 x 10^3/ml sowie des CRPs auf 224,2 mg/dl bei normalisiertem Hämoglobin.
Bei zusätzlicher Körpertemperatur erfolgt die Zuweisung ins lokale Regionalspital zur weiteren Diagnostik und Behandlung.
Hier erfolgt zur weiteren Differenzierung der respiratorischen und thorakalen Beschwerden eine computertomographische Untersuchung des Thorax, wo sich eine von der Aortenklappe bis vor die supraaortalen Aufzweigungen reichende Aortendissektion Stanford Typ A mit Erweiterung des aortalen Lumens auf 7 cm sowie einem 2 cm breiten Perikarderguss mit drohender Tamponade zeigt.
Zur operativen Versorgung erfolgte noch gleichentags die notfallmässige Verlegung in die thoraxchirurgische Abteilung des nächstgelegenem Universitätsspitals, wo noch am gleichen Tag der suprakoronare Ersatz der Aorta ascendens mit dem proximalen Aortenbogen sowie die Rekonstruktion der Aortenklappen erfolgte.
Im postoperativen Verlauf entwickelte sich ein paroxysmales, tachykardes Vorhofflimmern ohne hämodynamische Relevanz, welches unter Betablockade und nach Korrektur der Elektrolyte spontan in einen normokarden Sinusrhythmus konvertierte. Eine antikoagulante Behandlung mit Rivaroxaban wurde daraufhin etabliert.
Zusätzlich kam es zu beidseitigen Pleuraergüssen mit begleitender, erneuter Erhöhung des CRPs auf 140 mg/dl und eine erneute antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure bei Verdacht auf pneumonischen Infekt wurde begonnen. Zusätzlich initiierte man bei möglichem Dresslersyndrom eine Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika. Hierunter liess sich eine Stabilisierung und unter diuretischer Therapie im Verlauf eine deutliche Besserung erreichen.
Die weitere rehabilitative Behandlung gestaltete sich unauffällig und eine kardiologische Verlaufskontrolle konnte 6 Wochen postoperativ einen regelrechten Befund des Aortenersatzes mit leichtgradiger, zentraler Aortenklappeninsuffizienz bei guter linksventrikulärer Pumpfunktion darstellen.
Die Patientin ist seitdem beschwerdefrei und wieder voll belastungsfähig ohne Anzeichen von Belastungsdyspnoe. Bereits 7 Wochen postoperativ konnte sie eine lang geplante Auslandsreise antreten, welche problemlos verlief.
Diskussion
Mit einer Inzidenz von 5-30 Fällen pro 100 000 Personen ist die akute Aortendissektion kein häufiger, aber mit einer Letalität von bis zu 50% in den ersten 48 Stunden nach Symptombeginn, bei ausbleibender Behandlung, ein klar lebensbedrohlicher Zustand. Dies bedingt eine rasche Diagnosestellung und Behandlung (1, 2).
Bei einer akuten Aortendissektion kommt es initial zu einem Einriss der aortalen Intima und dann zu einer Wühlblutung zwischen Intima und Media [3]. Anamnestisch im Vordergrund stehen, in ca. 90% der Fälle plötzlich einsetzende, stechende oder reissende Schmerzen in der Brust, dem Rücken oder dem Abdomen (2).
In der klinischen Untersuchung lassen sich in weniger als 50% der Fälle ein peripheres Pulsdefizit, eine Seitendifferenz des Blutdruckes oder ein diastolisches Herzgeräusch feststellen (1). 10% der Patienten mit einer akuten Aortendissektion präsentieren sich nicht mit den «klassischen» Anzeichen, sondern können breit gefächerte, unspezifische Symptome aufzeigen (2). Hierzu zählen Blutdruckveränderungen (Hyper- oder Hypotonie), neurologische Auffälligkeiten, Anzeichen einer peripheren Ischämie, Heiserkeit, ein Horner Syndrom, Bewusstseinsveränderungen, Arrhythmien, Dyspnoe und Hämoptoe (1, 2, 4).
Aufgrund der Breite der Symptome ist die Diagnose einer akuten Aortendissektion nicht immer einfach und in 38% der Fälle wird die Aortendissektion in der initialen Beurteilung verpasst, in 28% findet man eine Aortendissektion erst postmortal bei der Autopsie (2).
Diagnostische Untersuchungen mittels EKG oder einem Röntgenbild des Thorax können Hinweise auf mögliche Differentialdiagnosen, wie eine pulmonale Embolie oder einen akuten Myokardinfarkt aufzeigen. In 31% respektive 12% der Fälle sind aber keine pathologischen Auffälligkeiten bei Patienten mit einer Aortendissektion erkennbar (4). Bis zu 8% der Fälle können mögliche EKG-Veränderungen, im Sinne eines akuten Myokardinfarktes aufweisen und die korrekte Diagnosestellung verzögern.
Die laborchemischen Untersuchungen spielen in der Diagnose einer Aortendissektion eine eher untergeordnete Rolle. Die D-Dimere mit einem Cut-off von 500ng/ml, zum Ausschluss einer pulmonalen Embolie, können während der ersten 24 Stunden in der Diagnosefindung eine Rolle spielen, weisen aber neben einer Sensitivität von 97% lediglich eine Spezifität von 56% auf (4).
Die hochsensitiven Troponine zeigen sich in ca. 50% der Patienten mit akuter Aortendissektion positiv, was in Anbetracht der möglichen Differentialdiagnose die korrekte Diagnosestellung erschweren und verzögern kann (4).
Inflammatorische Marker wie Interleukine oder TNF-α können sich ebenfalls erhöht zeigen, spielen wegen der zu geringen Spezifität jedoch keine Rolle (4).
Bezüglich einer Veränderung des CRP-Niveaus konnte in der zugrunde liegenden Literatur kein Hinweis gefunden werden. Dies äussert sich auch nicht in den Auswertungen der International Registry of Acute Aortic Dissection (IRAD) durch Hagan et al. (5).
Somit kann die deutliche Erhöhung des CRPs im geschilderten Fall nicht abschliessend geklärt werden.
Aufgrund der oben beschriebenen Limitationen ist der wichtigste Part, zwingend eine Angio-Computertomograpie zu erwirken, um im Rahmen der lebensbedrohlichen Differentialdiagnosen zwischen Lungenembolie, Myocardinfarkt und Aortendissektion zu unterscheiden.
Die schnelle Verfügbarkeit, sowie die gute Sensitivität von 100% und Spezifität von 98%, gibt der kontrastmittelgestützten und EKG-getriggerten Computertomographie des Thorax den Vortritt vor anderen Untersuchungsmethoden, die sichere Diagnose einer Aortendissektion zu stellen (4, 5).
Die transthorakale Echokardiographie (TTE) wird gelegentlich auch als rasche initiale Bildgebung bei instabilen Patienten empfohlen. Diese hat aber sehr oft ihre Begrenzung in der guten Darstellung der Aorta ascendens aufgrund beschränkter Einsehbarkeit und eventuell ungünstiger Schallbedingungen bei den Patienten.
Die transösophageale Echokardiographie (TEE) ist natürlich der transthorakalen Echokardiographie klar überlegen, jedoch ist bei einem nicht narkotisierten Patienten möglicherweise durch plötzlich provozierte starke Blutdruckspitzen eine Ruptur der Aortendissektion möglich (1, 4).
Das MRI kann zwar eine Sensitivität und Spezifität von 98% vorweisen, kommt im notfallmässigen Setting jedoch wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit und der zeitlichen Dauer der Untersuchung kaum vor und wird eher in geplanten Verlaufskontrollen genutzt (4, 5). Eine Aortographie wird heutzutage nahezu nicht mehr eingesetzt (1, 5).
Die konventionelle Röntgenaufnahme wird aufgrund der Symptomkonstellation häufig durchgeführt, besitzt zur Diagnose einer akuten Aortendissektion eine jedoch nur geringe Sensitivität und Spezifität (4). Ein erweitertes Mediastinum, Deviation der Trachea und besonders ein linksseitiger Pleuraerguss, sollten differentialdiagnostisch immer auch an eine akute Aortendissektion denken lassen (1).
Die hohe Mortalität einer akuten Aortendissektion Typ-A macht eine rasche Therapie unumgänglich. Initiale Massnahmen sollten eine Kontrolle des Blutdruckes (Ziel 100-120 mmHg systolisch), der Herzfrequenz (Ziel ~60/min) sowie des Schmerzniveaus beinhalten (1).
Im Rahmen einer akuten Aortendissektion Typ-A nach Stanford ist eine notfallmässige herzchirurgische Intervention absolut indiziert. Diese wird meist als isolierter Ersatz der Aorta ascendens, inklusive des proximalen Bogens und meist noch mit klappenerhaltender Resuspension der Aortenklappe als intiale lebensrettende Massnahme durchgeführt (1, 3).
Eine Aortendissektion Typ-B nach Stanford kann in zwei Drittel der Fälle ohne gefässchirurgische Intervention, aber unter Kontrolle des Blutdrucks mit regelmässigen, bildgebenden Verlaufskontrollen konservativ behandelt werden. Ein Drittel der Stanford Typ-B Dissektionen zeigen Komplikationen, wie Entwicklungen zu einem Aneurysma, einer Aortenruptur, einer Ausweitung des Dissektionsareales oder eine Malperfusion und sollte dann interventionell oder chirurgisch angegangen werden. Zunehmend kommen hier endovaskuläre Massnahmen zum Zuge (3).
Die übergreifende Gesamtmortalität der chirurgisch und konventionell behandelten Dissektionen Typ-A und Typ-B nach Stanford liegt bei ca. 25%. Wobei die nicht operierte Dissektion Typ-A nach Stanford mit nahezu 60% die höchste und eine medikamentös behandelte Dissektion Typ-B nach Stanford mit ungefähr 10% die geringste Mortalität aufweist (5).
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Hausarztzentrum am Stadtweg, Stadtweg 4, 4310 Rheinfelden
Ärzte im blauen Haus, Zürcherstrasse 11, 4310 Rheinfelden
Herzchirurgie Universitätsspital Basel, Spitalstrasse 21, 4031 Basel
Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
◆ Die akute Aortendissektion ist ein seltener, aber lebensbedrohlicher Zustand, der eine rasche Diagnose und Therapie benötigt.
◆ 10% der akuten Aortendissektion präsentieren «untypische Symptome» und erschweren die Diagnosestellung.
◆ Die Bildgebung der Aorta ist die empfohlene und zuverlässigste diagnostische Massnahme zur Diagnosestellung.
1. Levy D; Le JK. Aortic Dissection. StatPearls Publishing, Treasure Island (FL), 20 Jul 2017, PMID: 28722992.
2. Ayrik C, Cece H, Aslan O, Karcioglu O, Yilmaz E. Seeing the invisible: painless aortic dissection in the emergency setting. Emerg Med J. 2006 Mar; 23(3): e24.
3. Criado FJ. Aortic dissection: a 250-year perspective. Tex Heart Inst J. 2011;38(6):694-700.
4. Gawinecka J, Schönradt F, von Eckardstein A. Acute aortic dissection: pathogenesis, risk factors and diagnosis. Swiss Med Wkly. 2017;147:w14489.
5. Hagan PG, Nienaber CA, Isselbacher EM, Bruckman D, Karavite DJ, Russman PL, et al. The International Registry of Acute Aortic Dissection (IRAD): new insights into an old disease. JAMA.2000;283(7):897–903.
der informierte @rzt
- Vol. 11
- Ausgabe 5
- Mai 2021