- Wie verändern neue Technologien die hormonfreie Antikonzeption?
Immer mehr Frauen äussern den Wunsch nach hormonfreier, sicherer Antikonzeption. Gleichzeitig erleben wir einen Boom im Bereich der Gesundheits- insbesondere der Zyklus-Apps. Doch können wir die nachgewiesene Sicherheit der symptothermalen Antikonzeption im Sinne der Natürlichen Familienplanung uneingeschränkt auf Zyklus-Apps übertragen? Können neue Technologien die hormonfreie Antikonzeption noch sicherer und einfacher in der Anwendung machen, und was können wir unseren Patientinnen empfehlen?
De plus en plus de femmes expriment le désir d’ une contraception sans hormones. En même temps, nous vivons un boom des applications (apps ou applis) dans le domaine de la santé, en particulier du cycle menstruel. Mais, est-il possible de transférer simplement et sans perte de fiabilité la méthode contraceptive symptothermale, méthode de planning familial naturel avec une sécurité avérée, sur une app du cycle menstruel ? Des nouvelles technologies peuvent-elles rendre la contraception sans hormones encore plus sûre et plus facile à utiliser ? Et quelles recommandations pouvons-nous donner à nos patientes ?
Aktuelle Situation
In der alltäglichen gynäkologischen Sprechstunde sowie in den allgemeinen Medien geraten die klassischen hormonellen Antikonzeptionsmethoden wie die «Pille» zunehmend in Kritik.
Der Wunsch nach Autonomie ist nun, da sichere Verhütung in der Schweiz und vielen anderen Ländern breit verfügbar ist, mehr von Selbstbestimmtheit über Wirkungsweise und Nebenwirkungen als einer reinen Vermeidung unerwünschter Schwangerschaften geprägt. Frauen wollen die Auswirkungen der verschiedenen Antikonzeptionsmethoden auf ihren Körper genau kennen und sind, sofern es sich um unerwünschte Nebenwirkungen handelt, weniger bereit diese zu tolerieren. Im Sinne eines generellen Trends zu mehr «Natürlichkeit», sei es in Bezug auf Ernährung, Kosmetik oder Kleidung, wollen immer mehr, gerade junge Frauen, auch bei Verhütungsmethoden auf Alternativen zur etablierten hormonellen Antikonzeption zurückgreifen. Immer mehr Frauen beschäftigen sich intensiv mit den physiologischen und pathologischen Veränderungen ihres Körpers, wollen ihren Zyklus verstehen und sicher verhüten ohne die Nachteile der klassischen etablierten hormonellen Antikonzeption. Die grosse Menge an verfügbaren Informationen ist jedoch für Laien meist nicht zu bewerten und einzuordnen, da das Informationsangebot oft von verschiedenen Interessen geprägt ist.
Durch Apps, Smartwatches und weitere Wearables ist es heutzutage ohne grosse Einschränkung möglich, diverse Vitalparameter zu messen und aufzuzeichnen, zu «tracken». Dies ist bei sportlichen Tätigkeiten, Schritten oder Schlafphasen bereits der Alltag vieler Frauen. Zyklus-Apps sind aktuell die erfolgreichsten Gesundheits-Apps (1). Wäre es nicht ideal, die seit den 1960er Jahren entwickelte Methode der Natürlichen Familienplanung (NFP) durch Nutzung dieser Daten präziser und verlässlicher, leichter verständlich und komfortabler in der Nutzung zu machen? Doch wie sicher sind die aktuellen Apps wirklich? Was können wir unseren Patientinnen mit Wunsch nach alternativen Verhütungsmethoden empfehlen?
Zunächst ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass bei 2/3 der Frauen die Zykluslänge um mehr als 7 Tage schwankt, und so das fertile Fenster rein rechnerisch schwer vorhersagbar ist. Auch kann die Ovulation nur indirekt über Parameter wie Veränderung des Zervixschleims oder Temperaturanstieg beobachtet werden, wobei auch diese einer gewissen Schwankungsbreite unterliegen. Bei den aktuell verfügbaren Apps müssen zudem zwei grosse Gruppen unterschieden werden:
Prognose-Apps
Prognose-Apps ermitteln die fruchtbaren Tage lediglich anhand Daten vergangener Zyklen (Eintritt der Menstruation), auch wenn im aktuellen Zyklus die Temperatur gemessen wird. Dies ist im Grunde unnötig und irreführend, da das Gefühl vermittelt wird, die Daten würden zur Vorhersage des aktuellen fertilen Fensters verwendet. Die Problematik der Prognose-Apps wird in einer Berechnung von Frank-Herrmann et al. (1) deutlich, welche in Tabelle 1 dargestellt wird. Selbst bei geringen Schwankungen in der Zykluslänge kann das fertile Fenster durch die retrospektive Auswertung der Zykluslänge nicht mit ausreichender Sicherheit berechnet werden.
Selbst bei geringen Schwankungen in der Zykluslänge (+/- 7 Tage) ist durch die retrospektive Auswertung der Zykluslänge bereits von einer deutlich eingeschränkten Vorhersage des fertilen Fensters auszugehen (1). In einer Erhebung von Johnson et al., welche 949 Zyklen in 73 Kalender-Apps auswertete, lag die Genauigkeit der Ovulationsvorhersage lediglich bei 21% (2). Die amerikanische App DOT berücksichtigt für Ihre Berechnung anstelle von Durchschnittswerten alle Schwankungen der vergangenen Zyklen, endgültige Studien sind jedoch noch ausstehend (3).
Zu den Prognose-Apps zählt auch die amerikanische App Natural Cycles®, welche durch die U.S. Food and Drug Administration (FDA) 2018 eine umstrittene Zulassung als Verhütungsmittel erhalten hat. Denn die für die Zulassung vorliegenden Studien wurden durch das Unternehmen selbst durchgeführt. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) veröffentlichte 2018 sogar eine Warnung, da diese Studien aufgrund mangelnder Qualität als unbrauchbar einzuschätzen sind (4). Bemängelt werden die hohe Drop Out Rate von 54% innerhalb des ersten Jahres, fehlende Informationen zum Grund des Drop Outs und des Sexualverhaltens der Teilnehmerinnen, eine unsichere Definition eingetretener Schwangerschaften sowie statistische und methodische Mängel, welche die verwendeten Studien als untauglich erscheinen liessen (4). Auch andere Zertifizierungen (CE, TÜV) sagen nichts über die korrekte Anzeige des fertilen Fensters innerhalb der Apps aus, sondern werten lediglich durch den Hersteller gelieferte Daten aus und beziehen sich auf technologische Sicherheit und nicht auf die korrekte Anzeige des fertilen Fensters oder die antikonzeptionelle Sicherheit.
Apps der Natürlichen Familienplanung mit assoziierten Messsystemen
Bei der zweiten Gruppe wird die Fruchtbarkeit anhand der erhobenen Parameter im aktuellen Zyklus ermittelt. Es handelt sich hierbei zum einen um NFP-Apps, «fertility awareness apps», bei denen Temperatur und Beschaffenheit des Zervixschleims dokumentiert werden, oder um Apps mit assoziierten Messsystemen wie der LH-Messung im Urin oder Speichel oder neuen Parametern, wie der nächtlichen Pulsrate oder der periphererKörpertemperatur (z.B. AVA®).
Die symptothermale Methode ist eine bewährte Verhütungsmethode, deren Sicherheit bereits bestätigt werden konnte und wird aktuell mit einem Pearl Index von 0,4 bei «perfect use» und 1,8 bei «real use» angegeben (5). Hier werden die morgendliche Körperkerntemperatur und der Zervixschleim (Farbe, Konsistenz, Spinnbarkeit) zur Ermittlung des fertilen Fensters verwendet.
Die Sicherheit der NFP-Methode kann nicht ohne Einschränkungen auf Apps übertragen werden, da eine korrekte Instruktion der Patientin zur Temperaturmessung und Zervixschleimbeobachtung sowie das Erkennen von Störfaktoren essentiell für die korrekte Berechnung des fertilen Fensters sind. Eine kontinuierliche Nachtmessung mittels vaginal einsetzbarem Sensor soll zu weniger Störanfälligkeit führen, allerdings bleiben in einer Pilotstudie unter Beobachtung von 470 Zyklen 17% der Ovulationen unentdeckt (6).
Belastbare Studien zur antikonzeptionellen Sicherheit der NFP-Apps sind bisher ausstehend. Ebenfalls experimentell ist die Benutzung des AVA®-Armbandes, welches mittels Sensoren über 3 Millionen Datenpunkte erfasst. Als erster Parameter zeigt die mediane Ruhepulsfrequenz schon vor dem Eisprung eine Veränderung und ist mit ihrem Anstieg ein vielversprechender prospektiver Faktor, welcher die hormonfreie Antikonzeption sicherer machen kann (7, 8). Studien, welche die Sicherheit dieses Parameters bestätigen, werden für 2022 erwartet.
Die Auswahl einer echten NFP-App ist für Nutzerinnen schwierig, da die Art der Auswertung selten ersichtlich ist. Viele Apps fordern die Eingabe physiologischer Parameter wie Temperatur und Zervixschleim, obwohl diese nur retrospektiv ausgewertet werden und im Grunde nicht für die Berechnung des fertilen Fensters benötigt werden, da diese anhand der letzten Menstruation erfolgt. Sie vermitteln so das Gefühl falscher Sicherheit, da sie suggerieren, die symptothermale Methode zu verwenden, obwohl es sich um reine Prognose-Apps handelt. Da die Nutzerin jedoch viele persönliche Daten angeben muss, um die App nutzen zu können, welche teilweise irrelevant für die Berechnung des fertilen Fensters sind (Grösse, Gewicht, Postleitzahl), ist jedoch auch wichtig, das Datensendeverhalten und Einhalten der Privatsphäre bei Apps im Vergleich zur analogen Methode zu berücksichtigen. Durch die Stiftung Warentest wurde 2017 der Datenschutz bei der überwiegenden Anzahl der analysierten Apps als kritisch beurteilt wurde (9). Durch In-App Käufe oder das Erwerben spezieller Thermometer werden Nutzerinnen zu zusätzlichen Ausgaben verleitet und an spezielle Apps gebunden. Andererseits bieten Zyklus-Apps mehr als reine Antikonzeption. Durch Foren und informative Beiträge wird das Gefühl einer Community erzeugt, der weibliche Körper und die physiologischen Veränderungen während des Menstruationszyklus erklärt und Hilfe bei Beschwerden vermittelt.
Fazit
Insgesamt ist zu sagen, dass die momentan angebotenen Prognose-Apps unbrauchbar sind, um das fertile Fenster ausreichend sicher vorhersagen zu können. Eine Zulassung oder Zertifizierung, z.B. eine CE-Zertifizierung, sagen nichts über die antikonzeptionelle Sicherheit der Methodik aus. Die symptothermale Methode bietet als evidenzbasiertes Verfahren ein weitgehend sicheres System zur hormonfreien Antikonzeption, welche allerdings nicht uneingeschränkt auf Apps übertragen werden kann, da eine gute Instruktion der Nutzerin für die antikonzeptionelle Sicherheit essentiell ist und unabhängige, hochwertige Studien ausstehend sind. Auch für Apps mit assoziierten Messsystemen und neue Parameter, wie die mediale Ruhepulsfrequenz, sind zum aktuellen Zeitpunkt aussagekräftige Studien ausstehend.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Assistenzärztin Frauenklinik
Universitätsspital Zürich
Medizinbereich Frau Kind
Frauenklinikstrasse 10
8091 Zürich
Hanna.dietrich@usz.ch
Es bestehen bei der Autorin keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel.
◆ Frauen haben zunehmend den Wunsch nach hormonfreier sicherer Antikonzeption.
◆ Gesundheits-Apps sind bereits fest in das Leben vieler Frauen integriert und bieten eine Chance in der Anwendung zur Antikonzeption. Leider fehlen dazu jedoch momentan noch eine evidenzbasierte Prüfung und aussagekräftige Studien.
◆ Prognose-Apps bieten keine ausreichende antikonzeptionelle Sicherheit.
◆ Für die Übertragbarkeit der bereits etablierten Sicherheit der NFP-Methode in Apps sowie für assoziierte Messysteme fehlen zum
aktuellen Zeitpunkt aussagekräftige Studien.
Messages à retenir
◆ Les femmes ont de plus en plus le désir d’ une contraception sûre sans hormones.
◆ Des apps de santé sont déjà fermement intégrées dans la vie de beaucoup de femmes, ce qui offre l’ opportunité de les utiliser dans la contraception.
◆ Malheureusement, à ce jour, il nous manque des données basées sur l’ évidence et des études fiables.
◆ Les apps dites pronostiques n’ offrent aucune sécurité contraceptive.
◆ A l’ heure actuelle, des études fiables sur l’utilisation dans une app de la méthode contraceptive naturelle avérée (méthode symptothermale) manquent. Elles manquent aussi pour les apps de planning familial intégrant des systèmes de mesures associés.
1. Frank-Herrmann P, Freis A, Freundl-Schütt T, Wallwiener L-M, Baur S, Freundl G et al. Zyklus-Apps zur Verhütung–sicher oder Gesellschaftsspiel? Der Gynäkologe 2019;52(2):90-7
2. Johnson S, Marriott L, Zinaman M. Can apps and calendar methods predict ovulation with accuracy? Current medical research and opinion 2018;34(9):1587-94
3. Jennings VH, Haile LT, Simmons RG, Fultz HM, Shattuck D. Estimating six-cycle efficacy of the Dot app for pregnancy prevention. Contraception 2019;99(1):52-5
4. DGGEF. Warnung vor FDA-zugelassener Verhütungs-App Marburg 2018 [Available from: https://www.dggef.de/2018/10/12/warnung_verhuetungs-app/]
5. Frank-Herrmann P, Freundl G, Gnoth C, Godehardt E, Kunert J, Baur S et al. Natural family planning with and without barrier method use in the fertile phase: efficacy in relation to sexual behavior: a German prospective long-term study. Advances in contraception 1997;13(2):179-8
6. Regidor P-A, Kaczmarczyk M, Schiweck E, Goeckenjan-Festag M, Alexander H. Identification and prediction of the fertile window with a new web-based medical device using a vaginal biosensor for measuring the circadian and circamensual core body temperature. Gynecological Endocrinology 2018;34(3):256-60
7. Goodale BM, Shilaih M, Falco L, Dammeier F, Hamvas G, Leeners B. Wearable sensors reveal menses-driven changes in physiology and enable prediction of the fertile window: observational study. Journal of medical Internet research 2019;21(4):e13404
8. Shilaih M, de Clerck V, Falco L, Kübler F, Leeners B. Pulse rate measurement during sleep using wearable sensors, and its correlation with the menstrual cycle phases, a prospective observational study. Scientific Reports 2017;7(1):1-7
9. StiftungWarentest. Zyklus-Apps: Fruchtbare Tage bestimmen – nur drei Apps sind gut. 2017.
info@gynäkologie
- Vol. 11
- Ausgabe 5
- Oktober 2021