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Grundlagen der Chronobiologie – Was müssen die Ärzte wissen?



Der Schlaf ist ein wesentlicher physiologischer Prozess, der ein breites Spektrum biologischer Aktivitäten tiefgreifend beeinflusst. Es ist inzwischen bekannt, dass der Schlaf unzählige lebenswichtige Funktionen des zentralen Nervensystems unterstützt. Dazu gehören neuronale Plastizität, Lernen, Gedächtnis, Kognition und emotionale Regulierung. Darüber hinaus beeinflusst er grundlegende Prozesse wie die kardiovaskuläre, immunologische und metabolische Aktivität.

Aus zahlreichen Forschungsarbeiten geht hervor, dass eine gute Schlafqualität sowohl für das Überleben als auch für ein optimales Funktionieren des Lebens unerlässlich ist. Vieles deutet auch darauf hin, dass selbst minimale Störungen der zirkadianen Regulierung den Schlaf erheblich stören und die Körperphysiologie umfassend beeinflussen können. Infolgedessen weiss man heute, dass die Therapie von Schlafstörungen komplexer ist als man früher dachte.
Inzwischen haben mehrere klinische Disziplinen die Bedeutung der biologischen Uhr für Gesundheit und Krankheit erkannt und beziehen dieses Wissen in ihre Behandlungsprogramme ein. In den letzten Jahrzehnten sind Chronotherapien entstanden, d.h. Behandlungsstrategien, die darauf abzielen, Anpassungen der zirkadianen Uhr zu bewirken. Das eigentliche Ziel dieser Ansätze ist die Beeinflussung grundlegender zellulärer und physiologischer Prozesse, die wiederum die Ursache für Störungen der physiologischen Alterung, der Immunfunktion und Stoffwechselaktivität sowie psychiatrischer Störungen sein können. Es wird vermutet, dass die Integration chronobiologischer Perspektiven in viele gängige medizinische Disziplinen von grossem Nutzen wäre, sowohl für die Verringerung der Prävalenz von Krankheiten als auch für deren Behandlung. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit befasst sich mit der Physiologie des Schlafs und der Bedeutung von Zeitmessmechanismen für die Regulierung der allgemeinen Gesundheit (1).

Die zirkadiane Uhr spielt eine wichtige Rolle für den Beginn, die Struktur, den Zeitpunkt und die Dauer des Schlafs. Diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass eine falsche Ausrichtung der inneren Uhr zu erheblichen Schlafstörungen führen kann. Die Identifizierung von Schlafanomalien ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Diagnose anderer physiologischer oder psychiatrischer Störungen.

Viele Schlafstörungen sind vermeidbar und oft sind sie das Ergebnis von Lebensstilentscheidungen. Im Zeitalter der künstlichen Beleuchtungssysteme, unregelmässigen Schlaf-/Wachzeiten und einem Leben unter hohem Druck, manchmal über Wochen oder sogar Jahre, ist es dringend erforderlich, dass chronobiologische Gesichtspunkte in der medizinischen Versorgung und in der öffentlichen Bildung mehr gewichtet werden. Die Wirkung des künstlichen Lichts von lichtemittierenden elektrischen Geräten (LED), vor allem, wenn diese spät in der Nacht benutzt werden, wird weithin als unbedenklich angesehen. In Wirklichkeit können solche Geräte die zirkadiane Uhr stören und den gesamten Schlafprozess beeinträchtigen. Viele der neuesten technischen Geräte rechtfertigen, dass kritische Leitlinien für deren allgemeine Verwendung erstellt und Warnungen vor deren Risiken für die menschliche Gesundheit veröffentlicht werden. So könnten z.B. Leitlinien für die Umgebungsbeleuchtung am Arbeitsplatz oder für die Planung von Schichtarbeit festgelegt werden. Solche Massnahmen können die Schichtarbeiter dabei unterstützen, sich den Arbeitsanforderungen anzupassen. Dies ist nicht nur wichtig für die Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern könnte auch dazu beitragen, die Kosten für die Arbeitgeber zu senken, indem es zu weniger Unfällen kommt, die durch Schläfrigkeit, Impulsivität oder schlechte Entscheidungsfindungen am Arbeitsplatz geschehen.

Eine Studie hat gezeigt, dass Arbeitnehmer, die in Wechselschichten arbeiten, sich besser an neue Zeitpläne anpassen, wenn sie die natürlichen Licht-Dunkel-Zyklen vermeiden (2). Langfristige Studien sind erforderlich, um die Auswirkungen der Störung der zirkadianen Uhr und deren Einfluss auf die Schlaf- / Wach-Prozesse zu untersuchen (3, 4). Ausserdem sollten detailliertere und umfangreichere Studien durchgeführt werden, um die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die zirkadiane Uhr zu beschreiben und zu untersuchen, wie diese den Zeitpunkt, die Architektur, Qualität und Dauer des Schlafs beeinflussen. Die Chronotherapie erfährt eine gewisse Aufmerksamkeit, befindet sich aber noch in einem vorläufigen Stadium der Entwicklung.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass mehr Interesse erforderlich ist und Anstrengungen unternommen werden sollten, um diese Therapie weiter zu verbreiten und dass ein Erfolg in diesem Bestreben von grossem Nutzen sein wird. Die chronotherapeutischen Perspektiven wären ein wichtiger Schritt nicht nur für die medizinische Therapie, sondern auch für die Vorbeugung von Krankheiten und sind somit ein wichtiger Fortschritt in der Gesundheitsversorgung.

red.

Quelle: Zaki NFW et al. Basic chronobiology : what do physicians nee to know? Sleep Sci. 2020 Oct-Dec; 13(4): 256–266.doi: 10.5935/1984-0063.20200026

1. Zaki NFW et al. Basic chronobiology : what do physicians nee to know?
Sleep Sci. 2020 Oct-Dec; 13(4): 256–266.doi: 10.5935/1984-0063.20200026
2. Claustrat B, Leston J. Melatonin: physiological effects in humans. Neurochirurgie. 2015;61:77-84.
3. de la Iglesia HO, Fernandez-Duque E, Golombek DA, Lanza N, Duffy JF, Czeisler CA, et al. Access to electric light is associated with shorter sleep duration in a
traditionally hunter-gatherer community. J Biol Rhythms. 2015;30:342-50.
4. Stevens RG, Zhu Y. Electric light, particularly at night, disrupts human circadian rhythmicity: is that a problem? Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2015;370(1667):20140120.

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  • Vol. 11
  • Ausgabe 11
  • November 2021