Wissen Aktuell

16. Internationale Konferenz zum malignen Lymphom

Praxisverändernde Highlights

Die International Conference on Malignant Lymphoma (ICML) hat sich seit ihrer ersten Ausgabe im Jahr 1981 zu einem Pflichttermin für die wissenschaftliche Gemeinschaft entwickelt, die sich mit der Erforschung und Behandlung lymphatischer Neoplasien beschäftigt. Hauptziel der ICML ist es, die Präsentation der neuesten Daten aus der Grundlagenforschung sowie aus translationalen und klinischen Studien zum Lymphom zu vermitteln und die Diskussion zwischen Hämatologen, klinischen Onkologen, Radioonkologen, Pädiatern, Pathologen und führenden Forschenden aus der ganzen Welt zu fördern. Die 16. Ausgabe des ICML fand vom 15. bis 19. Juni 2021 statt. Die eingereichten Abstracts befassten sich mit drei wichtigen unerfüllten Bedürfnissen auf dem Gebiet der Behandlung von reifen B-Zell-Malignomen.



Chronisch lymphatische Leukämie

Dr. med. Peter Hillmen, St. James’s University Hospital, Leeds, UK, stellte im Namen eines internationalen Teams die ersten Ergebnisse der ELEVATE-RR-Studie vor, einer Kopf-an-Kopf-Studie zu Acalabrutinib im Vergleich zu Ibrutinib bei zuvor behandelter chronisch lymphatischer Leukämie (1). Den Studienergebnissen zufolge war Acalabrutinib im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben Ibrutinib nicht unterlegen und wies ein günstigeres Sicherheitsprofil auf, insbesondere in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse. Die Verträglichkeit ist ein entscheidender Faktor bei der Behandlung von Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie, die oft über viele Jahre hinweg Medikamente einnehmen und unter zahlreichen Begleiterkrankungen leiden. Unerwünschte kardiale Ereignisse sind ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung von Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie mit Bruton-Tyrosinkinase-Hemmern, da diese in einigen Fällen zu erheblicher Morbidität führen und Patienten dazu veranlassen können, die Behandlung abzubrechen. Die erhöhte Selektivität des Bruton-Tyrosinkinase-Hemmers Acalabrutinib im Vergleich zu Ibrutinib könnte die Verträglichkeit verbessern, da einige der unerwünschten Ereignisse von Ibrutinib auf seine Off-Target-Wirkung gegen andere Kinasen zurückgeführt werden können. ELEVATE-RR ist der erste Vergleich von Ibrutinib mit einem spezifischeren BTK-Inhibitor der zweiten Generation.

An der Open-label-Studie nahmen 533 zuvor behandelte Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie und zentral bestätigter Mutation del(17)(p13.1) oder del(11)(q22.3) teil. Die Patienten erhielten randomisiert entweder Acalabrutinib in einer Dosierung von zweimal täglich 100 mg (n = 268) oder Ibrutinib in einer Dosierung von einmal täglich 420 mg (n = 265) bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zu einer inakzeptablen Toxizität. Ausgeschlossen wurden Patienten mit signifikanten kardiovaskulären Erkrankungen, gleichzeitiger Behandlung mit Warfarin oder äquivalenten Vitamin-K-Antagonisten, vorheriger Behandlung mit BTK- oder BCL2-Inhibitoren, oder solche, die eine Behandlung mit Protonenpumpen-Hemmern benötigten. Der primäre Endpunkt war die vom unabhängigen Prüfungsausschuss festgestellte Nichtunterlegenheit von Acalabrutinib bezüglich des progressionsfreien Überlebens.

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 40,9 Monaten betrug das mediane progressionsfreie Überleben 38,4 Monate in der Acalabrutinib-Gruppe gegenüber 38,4 Monaten in der Ibrutinib-Gruppe (und erfüllte damit das Kriterium der Nichtunterlegenheit). Das mediane Gesamtüberleben wurde in beiden Gruppen nicht erreicht. Vorhofflimmern/Vorhofflattern jeglichen Grades trat bei 9,4% gegenüber 16,0% der Patienten auf. Keine signifikanten Unterschiede wurden bei der Inzidenz von Infektionen des Grades ≥ 3 (30,8% vs. 30,0%) oder der Richter-Transformation (3,8% vs. 4,9%) beobachtet.

Unerwünschte Ereignisse vom Grad ≥ 3 traten bei 68,8% der Patienten in der Acalabrutinib-Gruppe gegenüber 74,9% in der Ibrutinib-Gruppe auf, wobei in der Acalabrutinib-Gruppe Neutropenie (19,5% gegenüber 22,8% in der Ibrutinib-Gruppe), Anämie (11,7% gegenüber 12,9%) und Lungenentzündung (10,5% gegenüber 8,7%) am häufigsten waren. Kardiale Ereignisse jeglichen Grades traten bei 24,1% gegenüber 30,0% der Patienten auf, und Bluthochdruck jeglichen Grades trat bei 9,4% gegenüber 23,2% auf, wobei Bluthochdruck des Grades ≥ 3 bei 4,1% gegenüber 9,1% gemeldet wurde.

Diffuses grosszelliges B-Zell-Lymphom

Dr. med. Serge Bologna, Hématologie Privée Nancéienne, Frankreich, stellte im Namen des Netzwerks der LYSA (Lymphoma Study Association) die Ergebnisse der LYSA-Studie LNH 09-1B vor, in der eine frühe PET/CT-Response-gesteuerte Behandlung bei lokalisiertem diffusem grosszelligen B-Zell-Lymphomen getestet wurde (2). Das diffuse grosszellige B-Zell-Lymphom im limitierten Stadium (Stadium I oder II) ist definiert als ein Lymphom, das in der Regel auf ein Bestrahlungsfeld begrenzt werden kann. Die Population der Betroffenen macht <30% der Patienten mit «nicht anderweitig spezifiziertem» diffusem grosszelligem B-Zell-Lymphom aus. Die Ziele der Betreuung von Patienten mit einem diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphom im begrenzten Stadium sind, eine langfristige Heilung zu erreichen und gleichzeitig die Kurzzeit- und Langzeittoxizität zu verringern. Die Modalität und der Zeitplan der Behandlung von nicht voluminösen B-Zell-Lymphomen im begrenzten Stadium sind vorgegeben und bestehen entweder aus einer kombinierten Behandlung mit drei bis vier Zyklen R-CHOP plus Radiotherapie (30 Gy) an der betroffenen Stelle (involved field RT) oder sechs Zyklen R-CHOP, die beide gleichermassen anerkannte Optionen sind. Da die Anzahl der Immunchemotherapie-Zyklen und der Bedarf an Radiotherapie zur Konsolidierung einem risikoangepassten Ansatz folgen, kann den Patienten mit diffusem grosszelligem B-Zell-Lymphom im begrenzten Stadium ein substanzieller Anteil toxischer Nebenwirkungen erspart werden.

In der Studie LNH09-1B wurde untersucht, ob 4 Zyklen R-CHOP gegenüber 6 Zyklen R-CHOP bei Patienten mit diffusem grosszelligem B-Zell-Lymphom im begrenzten Stadium, die nach zwei Zyklen ein negatives Interims-PET/CT erzielen, nicht unterlegen sind. Der Standardarm bestand aus 6 Zyklen R-CHOP, unabhängig von den PET/CT-Zwischenergebnissen. Im experimentellen Arm erhielten Patienten mit negativem Zwischen-PET/CT nur zwei weitere Zyklen R-CHOP (insgesamt 4 Zyklen), wohingegen Patienten mit positivem Zwischen-PET/CT vier weitere Zyklen R-CHOP (insgesamt 6 Zyklen) erhielten, sofern das zweite PET nach vier Zyklen ein vollständiges metabolisches Ansprechen zeigte (definiert durch einen Deauville-Score ≤ 3). An der Studie nahmen 650 Patienten teil, 331 in der Standardgruppe und 319 in der experimentellen Gruppe.

Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5,1 Jahren betrug das progressionsfreie 3-Jahres-Überleben 89,2% in der Standardgruppe und 92,0% in der experimentellen Gruppe (und erfüllte damit das Kriterium der Nichtunterlegenheit). Die kurzfristige Sicherheit war in beiden Armen ähnlich. Eine Langzeit-Nachbeobachtung ist erforderlich, um eventuelle Unterschiede in Bezug auf Spätrezidive und Langzeittoxizität zwischen den beiden Behandlungsarmen einschätzen zu können.

Primäres mediastinales B-Zell-Lymphom

Dr. med. Emanuele Zucca, Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Bellinzona, und Dr. med. Vincent Camus, Universität Rouen, Frankreich), präsentierten im Namen der IELSG (International Extranodal Lymphoma Study Group) bzw. des LYSA-Netzwerks, zwei unterschiedliche Abstracts, die zu denselben Schlussfolgerungen hinsichtlich der Intensität der Chemotherapie kommen, die für die Primärbehandlung des primären mediastinalen B-Lymphoms erforderlich ist.

Das primäre mediastinale B-Zell-Lymphom (PMBCL) ist durch eine schlechte Prognose gekennzeichnet, wenn nicht schnell ein adäquates Ansprechen erreicht wird oder wenn die Krankheit erneut auftritt. Daher ist der Einsatz dosisintensiver Immunchemotherapie-Schemata weit verbreitet, deren Überlegenheit gegenüber dem R-CHOP21-Standardschema jedoch nicht in randomisierten Studien nachgewiesen wurde und die obendrein mit erheblichen toxischen Nebenwirkungen verbunden sind. Daher ist die optimale Behandlung des PMBCL unbekannt, und es gibt grosse Unterschiede in der klinischen Praxis.

Die IELSG37-Studie wurde gemäss einem Nichtunterlegenheitsdesign geplant, um zu zeigen, dass eine Radiotherapie bei Patienten, die eine metabolische Komplettremission erreichen, möglicherweise unnötig ist. Die Analyse des primären Endpunkts pro Arm ist noch verblindet (3). Dr. Zucca präsentierte die präliminäre Analyse der Outcomes nach dem Einsatz verschiedener Induktionsschemata in der gesamten Studienpopulation (N = 545). Die Anfangstherapie sollte auf einer Kombination aus Rituximab und Anthrazyklinen basieren. Das Regime wurde entsprechend der lokalen Praxis gewählt und bestand aus R-V/MACOP-B (31%), R-CHOP14 (27%), R-CHOP21 (18%), DA-EPOCH-R (16%), R-megaCHOP (3%) und einem anderen dosisintensiven Regime (5%). Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren erwies sich das R-CHOP21-Regime gegenüber dosisdichten/dosisintensiven Schemata als unterlegen (Ereignis-freies Überleben über 5 Jahre: 74% für R-CHOP21, 86% für R-CHOP14, 89% für R-V/MACOP-B, 89% für DA-EPOCH-R).

Dr. Camus stellte die Ergebnisse einer grossen multizentrischen retrospektiven Studie in den LYSA-Zentren vor, welche die Ergebnisse von Patienten mit PMBCL (N = 313) nach der Erstlinientherapie unter realen Bedingungen beschreiben (4). Die Erstlinientherapie bestand aus R-ACVBP (n = 57%), R-CHOP14 (24%) oder R-CHOP21 (18%) und Konsolidierungsstrategien, deren Modalitäten hinsichtlich Dauer und Institution variierten und hauptsächlich PET/CT-gesteuert waren. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 44 Monaten erwies sich R-CHOP21 gegenüber den intensivierten Therapie-Schemata als unterlegen (progressionsfreies Überleben nach 3 Jahren: 74% für R-CHOP21, 89% für R-CHOP14, 89% für R-ACVBP).

Prof. Dr. med. Davide Rossi 1,2,3, davide.rossi@ior.usi.ch
PD Dr. med. Anastasios Stathis 3,4
Prof. Dr. med. Emanuele Zucca 2,3,4,5
Prof. Dr. med. Franco Cavalli 2,5
1 Clinic of Hematology, Oncology Institute of Southern Switzerland,
Bellinzona, Switzerland;
2 Institute of Oncology Research, Bellinzona, Switzerland;
3 Faculty of Biomedical Sciences, USI, Lugano, Switzerland;
4 Clinic of Oncology, Oncology Institute of Southern Switzerland, Bellinzona, Switzerland;
5 International Extranodal Lymphoma Study Group, Bellinzona, Switzerland

◆ BTK-Inhibitoren der zweiten Generation sind bei chronischer lymphatischer Leukämie gleichermassen wirksam wie Ibrutinib, aber sicherer.
◆ PET/CT-gesteuerte und risikoadaptierte Behandlung ist eine Chance für das diffuse grosszellige B-Zell-Lymphom im begrenzten Stadium.
◆ R-CHOP21 ist eine suboptimale Erstlinientherapie für die Behandlung des primären mediastinalen B-Zell-Lymphoms.

1. P. Hillmen, J. C. Byrd, P. Ghia, A. P. Kater, A. Chanan-Khan, R. R. Furman, S. O’Brien, M. N. Yenerel, A. Illes, N. Kay, J. A. Garcia-Marco, A. Mato, J. Pinilla-Ibarz, J. F. Seymour, S. Lepretre, S. Stilgenbauer, T. Robak, P. Patel, K. Higgins, S. Sohoni, W. Jurczak. First results of a head-to-head trial of acalabrutinib versus ibrutinib in previously treated chronic lymphocytic leukemia. Hematol Oncol, Volume 39, Issue S2, 16th International Conference on Malignant Lymphoma, Virtual Edition, 18–22 June, 2021
2. S Bologna,T Vander Borght,J Briere,V Ribrag,G. L Damaj,C Thieblemont,P Feugier,F Peyrade,L Lebras,D Coso,D Sibon,C Bonnet,F Morschhauser,H Ghesquieres,S Becker,P Olivier,B Fabiani,H Tilly,C Haioun,J. N Bastie. Early positron emission tomography response-adapted treatment in localized diffuse large B-cell lymphoma (aaIOI=0): results of the phase 3 LYSA LNH 09-1B trial. Hematol Oncol, Volume 39, Issue S2, 16th International Conference on Malignant Lymphoma, Virtual Edition, 18–22 June, 2021
3. M. Martelli, E. Zucca, B. Botto, I. Kryachok, L. Ceriani, M. Balzarotti, A. Tucci, M. G. Cabras, V. R. Zilioli, C. Rusconi, F. Angrilli, L. Arcaini, A. Dabrowska Iwanicka, A.J.M. Ferreri, F. Merli, W. Zhao, D. Hodgson, C. Ionescu, A. Fosså, K. Cwynarski, G. Mikhaeel, M. Jerkeman, A. Janikova, A. Hüttmann, G. Ciccone, U. Metser, S. Barrington, B. Malkowski, A. Versari, F. Esposito, K. Cozens, N. Ielmini, R. Ricardi, F. Cavalli, P. Johnson, A. Davies. Impact of different induction regimens on the outcome of primary mediastinal B cell lymphoma in the prospective IELSG 37 trial. Hematol Oncol, Volume 39, Issue S2, 16th International Conference on Malignant Lymphoma, Virtual Edition, 18–22 June, 2021
4. V. Camus, C. Rossi, P. Sesques, J. Lequesne, D. Tonnelet, C. Haioun, E. Durot, A. Willaume, M. Gauthier, Marie-P. Moles-Moreau, C. Antier, J. Lazarovici, H. Monjanel, S. Bernard, M. Tardy, C. Besson, L. Lebras, S. Choquet, K. Le Du, C. Bonnet, S. Bailly, G.-L. Damaj, K. Laribi, H. Maisonneuve, R. Houot, A. Chauchet, F. Jardin, A. Traverse-Glehen, P. Decazes, S. Becker, A. Berriolo-Riedinger, H. Tilly. Outcomes after first-line immunochemotherapy for primary mediastinal B cell lymphoma patients: a LYSA study. Hematol Oncol, Volume 39, Issue S2, 16th International Conference on Malignant Lymphoma, Virtual Edition, 18–22 June, 2021

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  • Vol. 11
  • Ausgabe 6
  • Dezember 2021