Editorial

Wissenschaft und Verantwortung



In seinem Artikel in dieser Ausgabe schildert Prof. Dr. med. Franz Eberli die Schäden, welche der Wissenschaft, respektive deren Glaubwürdigkeit, während der COVID-19-Krise durch schnell produzierte und bezüglich Integrität fragliche Publikationen zugefügt wurden. Der Autor legt den Finger auf die zentrale Frage der Verantwortung der Wissensproduzierenden in einer Krise. Anhand einiger beindruckender Beispiele zeigt er schonungslos, wie einige Vertreter der akademischen Welt, wahrscheinlich unter gesellschaftlichem und politischem Druck, aber eben auch in der egozentrischen Hoffnung, sich damit einen raschen Vorteil zu holen, grundliegende Regeln der wissenschaftlichen Arbeit verletzt haben und damit zweifellos zu Falschinformation und einem diffusen Misstrauen gegenüber der Wissenschaft beigetragen haben.

Angesichts der Bedrohung durch das Unbegreifliche haben sich die Menschen schon immer Lieferanten von einfachen und falschen Erklärungen zugewandt. So haben Bürger von einigen angesehenen Städten in der Schweiz im 14. Jahrhundert angesichts des Schreckens der schwarzen Pest den Verdacht, dass die Juden die Brunnen vergifteten, anstandslos aufgenommen und zugelassen, dass ganze Judengemeinden brutal ausgelöscht wurden. Heute ist das immer noch so, neu ist die Gewalt der verschiedenen Medien und die fehlende Kontrolle der über Social Media verbreiteten Fake-Nachrichten. In einer Krise wie die der aktuellen Pandemie sind deshalb die Zuverlässigkeit der zur Verfügung stehenden Informationen und das Vertrauen in die zuständigen Behörden und deren Experten zentrale Pfeiler der kollektiven Krisenresilienz.

Gerade weil Wissen sich rollend entwickelt und weil trotz Fortschritten unvermeidlich Lücken in diesem Wissen bestehen, müssen Wissenschaftler und Experten ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und mit Informationen sorgfältig(er) umgehen. Zu viele haben sich plötzlich als Epidemiologen und Virologen geoutet und sich selbstgefällig ihren kleinen Telerealitätsmoment geholt, damit aber unzählige Ungereimtheiten oder nur marginal glaubwürdige Informationen verteilt. Es wurden nicht nur mangelhaft kontrollierte Daten publiziert, fast täglich wurden auch zum Teil düster aussehende Modellierungen und Einschätzungen als zuverlässig dargestellt, obwohl auch ein gutes Computerprogramm nur so gut ist wie die eingespeisten Daten (Rubish in, rubish out). Experten sind nicht diejenigen, die vieles oder alles wissen, sondern diejenigen, die die Grenzen ihres Wissens kennen und zeigen. Experten sollten erst sprechen und insbesondere erst dann an die Öffentlichkeit gelangen, wenn sie sicher sind, dass sie etwas Relevantes und Handfestes zu kommunizieren haben. Die Publikation von unsorgfältig kontrollierten Daten oder von pseudowissenschaftlichen Modellprognosen schadet der Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und gibt den Verschwörungstheoretikern und Verbreitern von falschen Nachrichten Aufwind.

Unwissen ist hart, aber falsches Wissen ist verheerend!

Dr. med. Urs Kaufmann
urs.kaufmann@hin.ch

Dr. med.Urs Kaufmann

Bolligen

urs.kaufmann@hin.ch

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  • Vol. 12
  • Ausgabe 1
  • Februar 2022