- Pollenallergie: Pharmakologische und spezifische Therapie
Die Therapieoptionen bei Pollenallergie werden auf der Grundlage von Kosten-Nutzen- und Kosten-Wirksamkeits-Analysen bewertet. Die Behandlung der Pollenallergie sieht zunächst, soweit möglich, die Vermeidung einer starken Pollenexposition und eine wirksame medikamentöse Therapie mit weniger Nebenwirkungen vor. Bei fortbestehenden Symptomen soll eine allergenspezifische Immuntherapie (ASIT) in Betracht gezogen werden, die derzeit die einzige kausale Therapie mit guten Ansprechraten ist. Der Erfolg der ASIT hängt letztlich von der richtigen Auswahl des Patienten, der Wahl des Extrakts und geeigneter Therapieschemata durch mehrjährige oder kurzfristige Verabreichung sowie dem Management des Patienten ab. Ziel muss es sein, die Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Während im ersten Teil dieses Artikels die Pathogenese, die Epidemiologie, die Klinik und Diagnostik thematisiert wurden, geht es in diesem zweiten Teil um die Behandlung der Pollenallergie.
The pollen allergy therapy options are assessed on the basis of cost-benefit and cost-effectiveness analyses. As far as possible the treatment of pollen allergy initially provides for the avoidance of a strong pollen exposition and an effective drug therapy with fewer side effects. If symptoms persist an allergen-specific immunotherapy (ASIT) should be considered, which is currently the only causal therapy with good response rates. The success of the ASIT, ultimately, depends on the correct selection of the patient, the choice of the extract and suitable therapy schemes through perennial or short-term administration as well as the management of the patient. The aim must be to reduce the symptoms and improve the patient’s quality of life. While the first part of this article focused on the pathogenesis, epidemiology, clinic and diagnostics, this second part deals with the treatment of pollen allergy.
Key Words: Hay fever, pollen allergy, pharmacological treatments, allergen-specific immunotherapy
Behandlung der Rhinokonjunktivitis pollinosa
Die therapeutische Strategie muss einerseits auf die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und die Möglichkeit der Prävention einer pollenabhängigen Symptomatik ausgerichtet sein, mit dem Ziel, den spezifischen Allergenkontakt oder etwaige unspezifische Reizfaktoren möglichst vermeiden zu können, andererseits muss sie sich auf eine adäquate medikamentöse Behandlung oder gegebenenfalls eine allergen-spezifische Immuntherapie stützen. Im Vordergrund der medikamentösen Therapie steht die Bekämpfung der allergischen Entzündung, um die mögliche Entwicklung von Komplikationen zu verhindern, d.h. Risiko für Rhinosinusitis oder Otitis oder Etagenwechsel mit Befall der unteren Atemwege (14). Die rezidivierende, zunächst isolierte pollenabhängige Konjunktivitis ist häufig das erste Warnzeichen eines Etagenwechsels, weshalb eine allergologische Abklärung schon in dieser Phase indiziert ist (Abb. 1)
Umweltprävention und Allergenkarenz
Die Vorbeugung einer Pollinosis ist sicherlich schwierig. Es empfiehlt sich, möglichst auf Ausflüge ins Grüne zu verzichten, insbesondere an sonnigen und windigen Tagen, lange draussen zu bleiben und bei offenem Fenster zu schlafen. Urlaub sollte man besser im Hochgebirge verbringen oder am Meer. Empfehlenswert wäre auch der Einbau geeigneter Filter im Auto sowie die Beseitigung der Pollenbelastung durch tägliches Haarewaschen. Dazu sollte immer eine häufige und reichliche Nasenspülung mit Kochsalzlösung empfohlen werden, um die Entfernung von Allergenen, Reizstoffen und insbesondere von überschüssigem Schleim zu erleichtern. Als Nützliches über die Information des Pollenfluges hat sich die Konsultation von verschieden Internet-Plattformen in Kooperation mit MeteoSuisse bewährt, unter Berücksichtigung der Zeitperioden des allergenen Pollenfluges (www.pollenundallergie.ch).
Medikamentöse Therapie
Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die zur Behandlung und Kontrolle der verschiedenen Symptome geeignet sind. Ihre Wahl richtet sich nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.
Antihistaminika
Antihistaminika sind die erste therapeutische Wahl, da sie den Hauptmediator des allergischen Prozesses (Histamin) daran hindern, an seinen Rezeptor zu binden. Es gibt eine erste und zweite Generation von Antihistaminika. Antihistaminika der ersten Generation sind für den H1-Rezeptor schlecht selektiv und weisen eine Affinität zu anderen Rezeptoren wie serotonergen, cholinergen und alpha-adrenergen Rezeptoren auf. Dabei kann, je nach individuellem Ansprechen, eine Vielzahl von Nebenwirkungen auftreten, wie Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Anorexie, Pollakisurie, Dysurie, Harnverhalt und Appetitanregung. Dank Entwicklung von Antihistaminika der zweiten Generation wurde dieses Problem umgangen, wobei selbst die sedierende Wirkung praktisch nicht mehr vorhanden war. Es handelt sich, nach chronologischer Reihenfolge ihrer kommerziellen Einfuhr, um Terfenadin, Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin und zuletzt Bilastin. Das letztere hat sich bei der Behandlung von Rhinokonjunktivitis und Urtikaria als hochwirksam erwiesen und dank seiner ausgezeichneten Verträglichkeitsrate nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern zwischen 2-11 Jahren sehr gut bewährt (15). Die Antihistaminikawahl sollte sich an der persönlichen Erfahrung des Patienten orientieren. Es ist wichtig, dem Patienten zu erklären, dass er das Antihistaminikum während der gesamten Pollensaison als prophylaktische Therapie einnehmen muss, um dem Medikament zu ermöglichen, die H1-Rezeptoren zu sättigen und so zu verhindern, dass sich Histamin nach der Freisetzung an diese bindet. Es ist auch von zentraler Bedeutung, diesen wichtigen Zusammenhang den Müttern/Vätern betroffener Kinder gut zu erklären, da diese häufig abgeneigt sind, ihren Kindern Medikamente wie Antihistaminika (nur Chemie!) zu geben.
Steroide
Intranasale Kortikosteroide sind entzündungshemmende Medikamente, welche in Kombination mit Antihistaminika zu einem besseren klinischen Resultat führen. Sie sind in der Lage, die Anzahl antigenpräsentierender Zellen zu reduzieren und die Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen zu hemmen sowie das Infiltrat von Entzündungszellen deutlich zu verringern (16). Die klinische Wirksamkeit der eingesetzten lokalen Kortisonpräparate ist seit langem belegt. Auf dem Markt sind verschiedene nasale Steroide erhältlich: Mometasonfuroat, Beclometasondipropionat, Flunisolid, Triamcinolon, Budesonid, Fluticasonpropionat, deren Wirksamkeit von Präparat zu Präparat variiert. Pharmakologisch wird die maximale Wirksamkeit nach einer Mindestanwendungszeit von ein bis zwei Wochen erreicht. Dies unterstreicht, dass es sich nicht darum handelt, diese Medikamente nach Bedarf zu verwenden, sondern sie kontinuierlich, auch in Zyklen, zu benutzen. Nasale Kortikosteroide sind gut verträglich, weshalb systemische Nebenwirkungen, besonders bei saisonaler Anwendung, kaum zu befürchten sind. Brennende, trockene Schleimhäute beruhen meist auf einer falschen Anwendung des Präparates.
Alternative Präparate
Anticholinergika wie Ipratropiumbromid werden bei vasomotorischer Rhinitis und bei anderen Formen der Rhinitis, die durch eine ausgeprägte sekretorische Komponente gekennzeichnet sind, eingesetzt und wirken folglich nicht auf die anderen Symptome der allergischen Rhinitis wie Juckreiz und Niesen.
Nasale Dekongestionsmittel (z.B. Otrivin®: Xylometazolin) wirken, indem sie eine schnelle, aber vorübergehende Behebung der nasalen Obstruktion durch kapillare Vasokonstriktion via α-adrenerge Rezeptoren bewirken. Ihr längerer Gebrauch kann zu einer reaktiven und anhaltenden Hyperämie der Nasenschleimhaut führen. Systemische Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System aufgrund einer systemischen Aufnahme des Arzneimittels über die Schleimhaut sind häufig, besonders bei Kleinkindern, bei welchen aufgrund möglicher Nebenwirkungen wie Zittern, Schlaflosigkeit und Tachykardie die Anwendung dieser abschwellenden Mittel nicht empfohlen wird.
Chromone hemmen die Mastzellfreisetzung von Histamin und anderen Mediatoren und werden als Mastzellstabilisatoren bezeichnet. Es gibt reine Präparate in Tropfenform oder in Kombination mit Antihistaminika-H1 (Tab. 1). Sie sind weniger wirksam als Antihistaminika und typische Steroide und haben eine durchschnittliche Wirkung von 2 bis max 4 Stunden, wobei sie eine höhere tägliche Verabreichung erfordern. Antileukotriene (z.B. Singulair®: Montelukast) haben sich bei der Behandlung von Asthma und allergischer Rhinitis als besonders wirksam erwiesen. Wenn sie in Kombination mit Antihistaminika der zweiten Generation angewendet werden, kann das klinische Ergebnis bei Rhinitis in den ersten 24 Stunden verbessert werden (17). Als weitere Therapieansätze kommen Präparate mit Pestwurzblättern (Tesalin®) in Frage, die antiallergisch und antiinflammatorisch wirken. Zu Therapiealternativen gehören Bioresonanz, Homöopathie und Akupunktur, die zwar subjektiv teilweise positive Aspekte zeigen, aber wegen fehlender wissenschaftlicher Studien keine weltweite Akzeptanz haben.
Die allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT)
Die Allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT), wurde im Jahre 1911 von Noon und Freeman empirisch zur Behandlung der Pollinose eingeführt. Sie besteht darin, dem Patienten steigende Dosen eines Allergens zu verabreichen, auf das er sensibilisiert ist. Eine AIST sollte erwogen werden bei Patienten, die für eine pharmakologische Therapie ungenügend qualifizieren sowie um einen Etagenwechsel zu verhindern oder zu minimieren (18). Die ASIT reduziert nachweislich die allergischen Symptome, verbessert die Lebensqualität und reduziert die erforderliche Pharmakotherapie (19). Eine hohe Chance für eine erfolgreiche ASIT besteht bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung auf Majorallergene und beruht somit auf der Wahl von geeigneten Allergenextrakten und Therapieschemen sowie auf der Compliance, d.h. auf der richtigen Selektion und Führung des Patienten.
Der Einsatz von rekombinanten Pollenallergenen in der Diagnostik hat bei der ASIT bessere Therapieerfolge ermöglicht. Tatsächlich hat sich bei Patienten mit einer Sensibilisierung für Majorallergene wie Bet v 1 bei Birken oder r Phl p 1, rPhl p 5 bei Gräsern die spezifische Immuntherapie als sehr wirksam erwiesen (Abb. 2 – siehe auch Tab. 1 und Tab. 2 im ersten Teil dieser Arbeit in «der informierte arzt» 02/22, S. 22). Auch die Modalität der Durchführung der ASIT, ob subkutan oder sublingual, sollte sorgfältig abgewogen werden, da die Kosten der Pollenpräparate in Tabletten-Form höher sind. Bei einer 3-jährigen perennialen Behandlung betragen die Gesamtkosten 5303 Franken bei der SLIT (sublinguale Immuntherapie) und 4077 Franken bei der SCIT (subkutane Immuntherapie) (20). Die ASIT sollte in der allergenfreien Saison begonnen werden.
Subkutane Immuntherapie
Die Behandlung kann prä- und cosaisonal sowie ganzjährig durchgeführt werden. Die SCIT beginnt immer zwischen 3-4 Monaten vor Start des Pollenflugs, damit baldmöglichst die Erhaltungsdosis erreicht werden kann. Vor der Therapie wird der Patient auf die wichtigsten Massnahmen hingewiesen. Vor jeder Injektion ist es empfohlen, ein Antihistaminikum einzunehmen (bei ausgeprägter Sensibilisierung sogar 1 Tabl. am Vorabend und 1 Tabl. am Tag der Behandlung). Die Injektion erfolgt subkutan am Oberarm, eine Handbreite oberhalb des Olecranon. Je nach Sensibilisierungsspektrum dürfen gleichzeitig zwei Allergen-Extrakte am Oberarm rechts bzw. links verabreicht werden. Für die «Schritt-für-Schritt-Anleitung» verweisen wir auf die CK-Care-Massnahmen (www.ck-care.ch). Nach der Injektion soll der Patient Jeweils 30 Minuten lang in der Arztpraxis zur Beobachtung warten. Häufig treten lokale Reaktionen auf, welche sich mit einem topischen Kortison oder einfach mit einem Antihistaminikum typischerweise komplett zurückbilden. Der Patient soll auch über Verhaltensmassnahmen bei iatrogenen Nebenwirkungen informiert werden: Da infolge der langsamen Freisetzung der Allerge aus den Extrakten innerhalb von 24 Stunden allergische Symptome auftreten können, sollte jeder Patient ein Notfall-Set mit insgesamt 4 Tabletten (2 Antihistaminika, z.B. 10 mg Cetirizin, und 2 Kortisonstabletten, z.B. 50 mg Prednisolon) erhalten. Im Falle von Prodromi einer anyphylaktischen Reaktion (Juckreiz an Kopfhaut und Fusssohlen, Übelkeit, Erbrechen, Drehschwindel, verschwommenes Sehen) soll der Patient sofort alle 4 Pillen einnehmen und so schnell wie möglich den Notfallarzt aufsuchen. Falls Atemnot dazukommt, muss unverzüglich ein Adrenalin-Autoinjektor (z.B. EpiPen®) verwendet werden.
Ein grosses Spektrum von Halbdepot- (z.B. Alutard SQ®) sowie Allergoide-Präparaten (Allergovit® und Polvac®) steht zur Verfügung. Die Wirksamkeit der ganzjährig durchgeführten Applikation der Allergen-Extrakte ist seit vielen Jahren gut belegt (21), weshalb sie in den Arztpraxen als erste Wahl noch angewendet werden. Allergoide sind vorteilhafter bei Patienten, die eine «schnelle» und dennoch gleichbleibende «Therapieeffizienz» verlangen. Eine solche Kurzzeittherapie sieht ein präsaisonal progressiv steigendes Aufdosierungsschema vor, mit der schwächsten Dosis zu Beginn und der stärksten Menge vor der Allergen-Saison.
Bei Allergovit® fängt man mit der niedrigsten Dosis der schwächsten Konzentration (Stärke A) an und fährt in der Steigerungsphase mit der stärksten Konzentration (Stärke B) weiter. In der Einleitungsbehandlung muss die Dosis im Abstand von 7-14 Tagen gesteigert werden. Falls der Abstand mehr als ein paar Wochen beträgt, muss man die Dosis anpassen, d.h. bei Abstand > 2 Wochen auf 50% reduzieren oder bei Abstand > 4 Wochen wieder von vorne beginnen. Nach Erreichen der Höchstdosis (0,6 ml mit der Stärke B) erfolgen drei Injektionsintervalle von 5 Wochen je bis ca. 1 Woche vor der erwarteten Pollenflugsaison.
Bei Polvac® (Bäume oder Gräser/Roggen) besteht die Basisbehandlung in 3 Injektionen, welche in Abständen von mindestens 7, höchstens jedoch 14 Tagen in steigender Dosierung (erst Spritze Nr. 1, dann Spritze Nr. 2, dann Spritze Nr. 3) zu verabreichen sind. Zur Konsolidierung des Therapieerfolgs sollte direkt im Anschluss an die Basisbehandlung eine präsaisonale Fortsetzungsbehandlung mit 3 Spritzen Nr. 3 (Höchstdosis) durchgeführt werden. Die 1. Injektion der Fortsetzungsbehandlung erfolgt etwa 14 Tage nach der letzten Injektion der Basisbehandlung. Die weiteren 2 Injektionen erfolgen dann in je 2- bis 4-wöchigem Abstand. Im Unterschied zu Allergovit® und anderen Allergen-Extrakten enthält Polvac® als Depotträger kein Aluminiumhydroxyd, sondern Glutaraldehyd/L-Tyrosin, welches vollständig metabolisiert wird und zu keiner Granulombildung führt. Im Allgemeinen müssen Patienten mit Komorbiditäten (kardiovaskuläre Erkrankung, unkontrolliertes Asthma), die ihre Überlebenswahrscheinlichkeit nach einer systemischen Reaktion oder Behandlung einer solchen verringern würden, darauf verzichten, sich einer ASIT zu unterzuziehen (22).
Sublinguale Immuntherapie
Studien haben gezeigt, dass der Wirkmechanismus der SLIT und SCIT vergleichbar ist (23). Bei Verabreichung hoher Dosen werden Immunoglobuline IgG4 in signifikanten Mengen produziert, die als blockierende Antikörper gegen die Aktivierung und Degranulation von Effektorzellen (Mastzellen, Basophile) wirken und deren Wirksamkeit nach Absetzen der Behandlung bestehen bleibt (24), wohingegen in Studien, in denen niedrige SLIT-Dosen verwendet wurden, dies nicht der Fall war. Die häufigsten Nebenwirkungen der SLIT sind lokale Reaktionen des Oropharyngealtrakts (Pruritus, Schwellung im Mundbereich), gefolgt von gastrointestinalen Symptomen (Erbrechen und Durchfall), während systemische Reaktionen wie Urtikaria oder anaphylaktische Reaktionen eher selten sind (25). Spezifische Kontraindikationen für eine SLIT sind Verletzungen oder chirurgische Eingriffe in der Mundhöhle, akute Gastroenteritis, eosinophile Ösophagitis, schwere systemische Reaktionen auf irgendeine Form der Immuntherapie, schwere lokale Reaktionen auf die SLIT oder Überempfindlichkeit gegenüber einer der inaktiven Zutaten der Zubereitung (26). Warum hat sich die SLIT im Laufe der Jahre progressiv durchgesetzt? Obwohl klare Schlussfolgerungen aus dem direkten Vergleich zwischen SLIT und SCIT aufgrund der Heterogenität der Studiendesigns und der geringen Anzahl rekrutierter Patienten schwierig zu ziehen waren (20), haben die einfache Anwendung der SLIT sowie immer mehr neue Sicherheitsstudien (27-29) zu einem grösseren Publikumsinteresse geführt. Dazu beigetragen haben auch das minimale Risiko der SLIT und die Möglichkeit, Kinder schonend, unter Vermeidung jeglicher Traumatisierung behandeln zu können. Die SLIT sieht die Applikation des Allergens in Tropfen- oder Tablettenform und ca. 3 Monate vor der Pollensaison vor. Unabhängig vom Präparat erfolgt die Erstdosis unter ärztlicher Aufsicht (mit Vorzug bei einem Spezialisten in Allergologie) und der Patient wird für ca. eine Stunde klinisch monitoriert. Für die weitere Behandlung kann der Patient die orale Therapie problemlos zuhause einnehmen. Falls zwischenzeitlich Nebenwirkungen dazugekommen sind, muss sich der Patient erneut vorstellen, ansonsten erfolgen nur Routinekontrollen (nach einem Monat und zu Beginn der Pollensaison). Grazax® (ALK-Abelló, Volketswil) ist als «Gräsertablette» seit 2009 auf dem Schweizer Markt für Patienten ab dem 5. Lebensjahr zugelassen. Es handelt sich um einen Extrakt aus Lieschgras (Phleum pratense), formuliert in einer einzigen Formel von 75 000 SQ-T-Einheiten. Die Einnahme erfolgt täglich morgens unter die Zunge, wo sich die Tablette auflöst. Nach der Einnahme muss der Patient für ca. 5 Minuten auf Essen und Trinken verzichten. Die Behandlung fängt mindestens 8 Wochen vor der Gläserpollen-Saison bis Saisonende an. Bei Oralair® (Stallergènes, AG Dietikon) handelt es sich um eine Sublingualtablette aus 5 Gräserpollen (Knäuelgras, Dactilys glomerata, Ruchgras, Anthoxanthum odoratum, Lolch, Lolium perenne, Wiesenrispengras, Poa pratensis und Wiesenlieschgras, Phleum pratense), wobei die Einleitungspackung 3 Tabletten in der Konzentration von 100 IR und 28 Tabletten à 300 IR enthält. Am ersten Tag wird unter Aufsicht eine Tablette à 100 IR mindestens 1 Minute unter der Zunge behalten, am zweiten Tag sind es 2 Tabletten, um anschliessend die SLIT mit einer Erhaltungsdosis von 1 Tablette à 300 IR täglich bis zum Ende der Pollensaison fortzusetzen. Bei beiden Präparaten hat sich eine statistisch signifikante Besserung der Rhinokonjunktivitis-Symptome schon in der ersten Pollensaison gezeigt (30-31). Für Birken- oder Baumpollenallergiker (Birke, Hasel, Erle) stehen Staloral® Birke 300 IR/ml und Staloral® 3 Bäume 300 IR/ml (Stallergènes, Trimedal AG, Brüttisellen) in Tropfenform via Dosierpumpe zur Verfügung. Die Allegen-Extrakte sind als sublinguale Lösung in der schwächsten (10 IR/ml, blauer Verschluss) und in der stärksten Dosis (300 IR/ml, violetter Verschluss) erhältlich. Die Therapie sieht zwei Schritte vor. Die Einleitungsbehandlung beginnt mit progressiver Dosissteigerung, gemäss dem Therapieschema, bis zum Erreichen der optimalen Dosis (Erhaltungsdosis). Die Höchstdosis wird entweder täglich oder jeden 2. Tag bzw. mit 2 oder 4 Hüben erreicht. Wie bei jeder oralen Verabreichung, kann es zu einer lokalen Reaktion im Mund- oder Rachen-Bereich (Pruritus, Schwellung) oder gastrointestinalen Beschwerden kommen, die normalerweise spontan abklingen. Einzige Indikation zur sofortigen Therapiesistierung ist das instabile Asthma. Itulazax® (ALK-Abelló, AG, Volketswil) ist seit 2020 in der Schweiz zugelassen und entspricht der erst ab 12 Jahren zugelassenen oralen Behandlung einer allergenspezifischen Immuntherapie im Rahmen einer durch Birkenpollen oder Pollen einer Birken-ähnlichen Gruppe (Erle, Hasel, Eiche) induzierten Rhinokonjunktivitis pollinosa (32). Die Effizienz und Sicherheit von Itulazax® wurde in zwei randomisierten, doppelblind-placebo-kontrollierten multinationalen Studien belegt. Die Rate der Verbesserung der Symptome während der Pollensaison war im Vergleich zu Placebo um 40% höher (33). Wie jede andere orale SLIT hat Itulazax® die gleichen Nebenwirkungen und Kontraindikationen.
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lopresti.roberto@outlook.com
Facharzt FMH für Allergologie und Immunologie
Facharzt FMH für Dermatologie
Langjähriger Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich
8125 Zollikerberg
bs.wuethrich@bluewin.ch
Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im
Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Die symptomatische Therapie der Pollinosis sollte stufenweise und entsprechend der zugrundeliegenden Pathophysiologie adaptiert werden. Prophylaktisch empfiehlt man, nicht sedierende Antihistaminika während der gesamten Pollensaison regelmässig alle 24 Stunden einzunehmen (keine gelegentliche Anwendung!). Ggf. können diese für ein optimales Outcome mit intranasalen Kortikosteroiden kombiniert werden. Allergenspezifische Immuntherapie ist sinnvoll bei Patienten mit chronischen Symptomen, die nicht mehr durch symptomatische
Therapie kontrollierbar sind. Zudem eignet sie sich zur Prävention
(Etagenwechsel, Polysensibilisierung) mit eindeutiger Kosteneinsparung.
◆ Voraussetzung für eine erfolgreiche ASIT ist der Nachweis von IgE-Antikörpern gegen Majorallergene im Serum. Im Fall einer Frühjahrspollinose (Hasel, Erle, Birke) reicht wegen hoher Kreuzreaktivität eine ASIT nur mit dem Birkenpollenextrakt. Da Eschen innerhalb einer anderen botanischen Familie liegen, muss man immer separat testen und nötigenfalls mitbehandeln.
◆ Die ASIT zeigte sich seit mehr als 100 Jahren als die einzige kausale Therapie bei Pollenallergien, mit optimalen und praktisch vergleichbaren Resultaten, die mit sublingualer (SLIT) und subkutaner Verabreichung (SCIT) erreicht werden können.
◆ Die Wirksamkeit alternativer Behandlungsverfahren ist nicht durch kontrollierte Studien belegt.
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- März 2022