- Burnout – eine schwere psychische Erkrankung ohne ICD-11-Diagnose-Code
Das Burnout-Syndrom, erstmals 1974 vom deutsch-amerikanischen Psychologen Herbert J. Freudenberger beschrieben, ist in den letzten Jahrzehnten zu einem häufigen Beschwerdebild in unserer Gesellschaft geworden. Die Fallzahlen des stressinduziertes Erschöpfungssyndroms zeigen unverändert eine starke Zunahme. Burnout ist auch bereits in leichterer Ausprägung deutlich beeinträchtigend und geht regelhaft mit einer depressiven Symptomatik einher. Kardiovaskuläre sowie Stoffwechsel- und Schmerzerkrankungen sind mögliche Folgen. Burnout und Depression sind auch als Konsequenz der anhaltenden Forderung nach mehr und besser, egal zu welchem Preis, verstehbar. Sie sind definitiv keine Modebegriffe. Sie werden jedoch gesellschaftlich immer noch als Ausdruck von Schwäche und von persönlichem Versagen bewertet und passen als Makel nicht in eine Biographie, die einzig die Version «höher, schneller, stärker» verfolgt. Wenn jedoch unreflektiert das olympische Motto gelebt wird, führt das eine immer grössere Anzahl von Menschen in die Sackgasse. Die stets drängendere Frage stellt sich, wie es gelingt, trotz permanentem Erfolgsdruck körperlich und psychisch einigermassen gesund zu bleiben.
Burnout syndrome, first described in 1974 by the German-American psychologist Herbert J. Freudenberger, has become a common complaint in our society in recent decades. The number of cases of stress-induced exhaustion syndrome continues to rise sharply. Burnout is also clearly impairing even in its milder form and is regularly accompanied by depressive symptoms. Cardiovascular, metabolic and pain disorders are possible consequences. Burnout and depression can also be understood as a consequence of the continuing demand for more and better, regardless of the price. They are definitely not fashionable terms. However, they are still socially evaluated as an expression of weakness and personal failure and do not fit as a flaw into a biography that only pursues the version «higher, faster, stronger». If, however, the Olympic motto is lived unthinkingly, it leads an increasing number of people into a dead end. The increasingly urgent question is how to remain physically and psychologically healthy despite the permanent pressure to succeed.
Key Words: Burnout syndrome, stress-induced exhaustion syndrome, chronic stress, life value balance
Burnout als «occupational phenomenon»
Das neue ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sollte gemäss Vorankündigungen in vielen Medien Burnout als anerkannte gesundheitliche Störung klassifizieren. Doch dann blieb die Einführung der Diagnose Burnout aus. Burnout ist demnach weiterhin keine psychiatrische Diagnose, sondern wird als «qualifying diagnosis», die in Verbindung mit einer anderen Diagnose im ICD-11 stehen kann, aufgelistet. Burnout bleibt sodann ein gesundheitsschädlicher Faktor, der ausschliesslich als Folge von chronischem Arbeitsstress auftritt und folgendermassen definiert wird:
- Gefühl von Energieverlust und Erschöpfung
- mentale Distanz von der Arbeit, Negativismus und Zynismus im Zusammenhang mit der Arbeit
- herabgesetzte berufliche Leistungsfähigkeit.
Bisher war Burnout unter «Problemen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» als «Erschöpfungssyndrom» (Z73.0) erfasst. Nun hat die WHO das Burnout als ein exklusiv arbeitsbedingtes Syndrom festgelegt. Das ist nicht neu, denn bereits 1982 wurde Burnout von Maslach und Jackson sehr ähnlich beschrieben. Die beiden Entwicklerinnen des Maslach Burnout Inventory lieferten damals jedoch weniger missverständliche Beschreibungen für die von ihnen vorgeschlagenen Hauptmerkmale des Burnout. Dessen Definition im ICD-11 erscheint insofern problematisch, als dass es bei Arbeitnehmern auftritt, die «den chronischen Arbeitsstress nicht erfolgreich bewältigen konnten». Hierdurch wird impliziert, dass es die Arbeitnehmer gibt, die chronischer Stress bei der Arbeit eben nicht krank macht und die trotz Arbeitsüberlastung unverändert und auch zeitlich unbegrenzt weiter performen können, also keine allostatische Überlast entwickeln. Gleichzeitig bleiben die Begriffe mentale Distanz, Negativsmus und Zynismus in der jetzt vorliegenden Definition unkommentiert. Gelesen werden kann das auch so, dass ein Arbeitnehmer sich wegen der subjektiv erlebten Überlastung einfach einmal dazu entscheidet, abzuhängen, sich im Beruf aus der Verantwortung nimmt, den Anstand verliert und im Büro miese Stimmung verbreitet. Zynismus galt einmal als philosophische Haltung und war gekennzeichnet durch einfachen Lebensstil und Skeptik und bekam erst spät in der sprachlichen Anwendung die Bedeutung von Spott und Menschenverachtung. Eine spöttische oder auch zynische Haltung der Arbeit bzw. dem Arbeitskontext gegenüber ist aber bei Menschen, die unter einem Burnout leiden, meist nicht vorhanden. Den Zynismus im Zusammenhang mit Burnout gilt es hier klar von der Arbeitsunzufriedenheit durch chronische Überlastung bei gleichzeitig ungenügender Wertschätzung abzugrenzen. Auch zeigt sich im Gegensatz zur mentalen Distanz bei Burnout-Betroffenen regelhaft eine viel zu nahe Beziehung zur Arbeit, eine ausbalancierte Haltung zum Beruf fehlt meist über die gesamte berufliche Laufbahn hinweg und selbst in stark ausgeprägter psychophysischer Erschöpfung geben sie sich oft noch selbst die Schuld am Kranksein. Mentale Distanzierung kann wohl ein Aspekt des Burnout sein, lässt sich aber mehr im Sinne einer Derealisation als Ausdruck völliger Erschöpfung und als Versuch der Schadensbegrenzung begreifen. Die Distanz zur Arbeit und beruflichen Inhalten entsteht nicht selten erst durch die nicht mehr verhinderbare Krankschreibung, wogegen sich viele Patienten mit Burnout wehren, weil sie sich eben damit schwer tun, die Absenz von der Arbeit zu akzeptieren. Negativismus, als das entgegengesetzte Verhalten zum Verlangten definiert, ist bei Patienten mit Erschöpfungssyndrom zudem hypotroph ausgebildet. Sie sind stark dem Leistungsprinzip verpflichtet und hinterfragen die eigenen und die Arbeitsanforderungen zu lange nicht, sodass der Prozess der zunehmenden Überlastung nicht rechtzeitig aufgehalten wird. Patienten mit Burnout müssen somit den Negativismus in der Therapie erst einmal erlernen. Die Burnout-Definition gemäss WHO lässt aber auch alle Dimensionen der psycho-physischen Erschöpfung aus, die zum Beispiel bei nicht-berufstätigen Menschen in der Familie durch die Belastung bei der Kindererziehung oder in der Pflege von Angehörigen ausgelöst werden. Auch die Kombination von arbeitsbedingter und privater psycho-physischer Überlastung bleibt unberücksichtigt.
Burnout als Resultat gelebter Werte
Wie entsteht die Symptomatik, die bei Patienten in ein Burnout konfluieren? Sie kann in einem individuen-zentrierten Ansatz als Resultat der Bewertungen der eigenen Person, des eigenen, des Tuns Anderer und der gesamten Welt erklärt werden. Etablierte Wertehaltungen und tradierte Vorstellungen werden in der Sozialisierung durch deren Übernahme zum Leitstrahl der Lebensvollzüge. Gute Werte werden klar von schlechten und hohe von niedrigen Werten abgegrenzt. Ein Resultat davon ist das Urteil über sich selbst und der korrespondierende gute oder mangelhafte Selbstwert.
Patienten mit Burnout haben einen hohen Anspruch an sich selbst, sind perfektionistisch und geben nie schnell auf. Sie sind stark leistungsorientiert, pflichtbewusst und leben in der Überzeugung «Arbeit gibt mir sehr viel, produktiv sein gibt mir sehr viel, gebraucht zu werden gibt mir sehr viel». Sie meinen in ihrem Leben, aber v.a. in ihrer beruflichen Funktion, stets noch bessere Resultate liefern zu können und zu müssen. Mit zunehmend unerfüllbaren Selbstansprüchen durch ein immer stärker forderndes Arbeitsumfeld, steigt die gesundheitliche Bedrohung durch das anhaltende Überstrapazieren der Ressourcen, durch die Manifestation von übermächtigen Versagensängsten und final mit dem Erschöpfungszustand und der depressiven Dekompensation. Die persönliche und berufliche Laufbahn erleidet Schiffbruch. Mit dem Burnout kommen dann die grosse Verunsicherung im Leben, die Leere, das Misstrauen den eigenen Fähigkeiten gegenüber sowie die Erschütterung des Selbstverständnisses und der Selbstwertverlust. Patienten beschreiben sich dann als inkompetent, sie wissen und können nichts mehr, erleben sich eigentlich traumatisiert durch den erlebten Kontrollverlust, spüren ihre bereits vorbestehende Ungeduld noch stärker und treiben sich weiter vor sich her, je grösser die subjektiv erlebte Abweichung zwischen dem Soll- und dem Ist-Wert ausfällt. In vielen Arbeitssituationen ist die Möglichkeit, an einem Burnout zu erkranken, seit vielen Jahren vor dem Hintergrund der «Wirtschaftskriege» und des «Preiskampfes» vorgegeben. Eine stets rauer werdende Arbeitsatmosphäre mit hohem Kompetitionsgrad, die Optimierung von Kosten sprich u.a. Personaleinsparung mit gleichbleibender oder steigender Arbeitslast, andauernde Verfügbarkeit, fragliche Garantie des Arbeitsplatzes, um nur einige Faktoren aufzuzählen, perpetuieren und amplifizieren bei ambitionierten Arbeitnehmern die entsprechenden Verhaltens- und Reaktionsbereitschaften, die für die Entstehung eines Burnout Vorsetzung sind.
Handlungsbedarf und professionelle Therapie
Kein Burnout kommt also unerwartet über Nacht. Niemand steht eines Morgens auf und die psychische Störung ist da. Burnout resultiert aus einem kontinuierlichen Prozess, bei dem sich die betroffenen Patienten, oft erst bei erheblicher Ausprägung der Symptome und nach langem, nicht selten jahrelangen Ringen mit bewährten Konzepten und Strategien, zum Handeln entscheiden und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Leichte Stimmungs- und Motivationsschwankungen oder gelegentlich unruhiger Schlaf sind nichts Aussergewöhnliches, vor allem nicht in anforderungsreichen Lebens- und Berufsphasen. Wenn jedoch ausgeprägte psychische oder körperliche Beeinträchtigungen in Form von chronischem Energiemangel sowie Freud- und Schlaflosigkeit auftreten, die über mehrere Wochen anhalten und der Leidensdruck stetig weiter ansteigt, genügt «es wird schon irgendwie schief- und weitergehen» nie. Beobachtendes Abwarten, Verdrängen, Bagatellisieren oder das Hoffen auf bessere Zeiten verschlechtern die Heilungsaussichten. Erschöpfung, Versagensängste, innere Anspannung und Nervosität und v.a. lang andauernde Schlafstörungen sind kräftezehrend und zermürbend. Sie führen in einen Teufelskreis, der allein nicht zu überwinden ist und sie werden regelhaft auch für das persönliche Umfeld zu einer Herausforderung.
Ärzte sind oft nicht adäquat auf die Behandlung von Burnout-Patienten vorbereitet, durch die diagnostische Unschärfe verunsichert und zuweilen bezüglich Patienten, die sich als ausgebrannt vorstellen, auch mit Vorurteilen behaftet, obwohl nicht wenige selbst den Zustand des drohenden oder bereits vorhandenen Ausgebranntseins leben. Darüber hinaus besteht oft ein Informationsmangel betreffend der Wirtschaftswelt und den dort vorherrschenden Bedingungen. Dem initialen Einsatz von Anxiolytika, Antidepressiva und Hypnotika sowie der Attestierung einer kurzzeitigen Arbeitsunfähigkeit folgt nachfolgend regelhaft die Zuweisung zum Psychiater, da professionelle fachspezifische Unterstützung unabdingbar wird. Fachärzte, die über die entsprechende medizinische und problemspezifische Ausbildung für die Behandlung des Burnout verfügen, sind mehr als schlichte Sparringpartner für Patienten mit Problemen im Beruf. Sie nehmen die sorgfältige Abklärung und Anamnese vor, erkennen genau, wie die emotionale Mechanik beim Betroffenen funktioniert, können den vorliegenden Symptomenkomplex zu- und einordnen und schätzen die Arbeitsunfähigkeit adäquat ein. Oft sind Patienten mit Burnout, die aufgrund der aufgetretenen psychosomatischen Symptomatik somatisch vollständig abgeklärt, jedoch dadurch nicht minder beunruhigt, weil die Beschwerden weiterhin persistieren. Auch hier braucht es entsprechend viel Zeit und wiederholte Aufklärung seitens des Behandlers, bis die Patienten die Symptomatik als nicht mehr bedrohlich bewerten und sich Entwarnung und damit eine massgebliche emotionale Beruhigung einstellen kann.
Immer wieder wird heute auch im Zusammenhang mit Burnout unkritisch von der Verbesserung der Resilienz gesprochen, sodass in der Konfrontation auch mit noch so ernsten Problemen keine Schwächung mehr auftreten und für alles eine Lösung gefunden werden möge. Selbst gewisse Arbeitsmediziner verfangen sich in dieser Strategie und vertreten die Ansicht, dass Patienten mit Burnout effizient und zielgerichtet an ihrer psychischen und körperlichen Gesundung arbeiten müssen (sic!). Es geht jedoch im Gesundungsprozess von Burnout-Patienten nicht um Selbstoptimierung und Aufbau von Resilienz, sondern um Sicht und Einsicht, die der Patient im Verlauf der Behandlung entwickeln wird. Die professionelle Behandlung des Burnout-Patienten, die im optimalen Fall in der Auflösung der Symptomatik und der Rückfallprophylaxe resultiert, arbeitet v.a.auf die Reduktion der Ansprüche an sich selbst und an die Welt sowie auf eine bessere Akzeptanz von Limitationen hin, damit dieser in Zukunft der monomythischen Atrophie i.S. des allein gültigen «Alles oder nichts» das «Weder nichts noch alles» entgegenzusetzten in der Lage ist. Möglicherweise führt dies dann folgerichtig auch zu einem Wechsel der Arbeitstelle oder in ein alternatives Berufsfeld mit geringerer Toxizität.
Der Ansatz von Maslach, die in ihrem 2001 veröffentlichten Buch «Die Wahrheit über das Burnout» die Position vertritt, dass der Ursprung dieses Krankheitssyndroms nicht beim Arbeitnehmer liege, sondern die Arbeitgeber in der Pflicht sind, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Burnout verhindert wird, ist konsequent. Wenn die Arbeitswelt sich jedoch nicht in diese Richtung verändert, und dafür gibt es mehr als genügend Anzeichen, so muss weiter am anderen Ende, sprich beim Arbeitnehmer angesetzt werden. Hinführen zu einer vernunftsgemässen life-value-balance, zu genügend Schlaf und gutem Rhythmus, zu regelmässiger Bewegung in der Natur und gesunder Ernährung, der Mässigung des Alkoholkonsums, der Pflege von Partnerschaft und Freunden etc. haben in der professionellen Behandlung des Burnout eminente Bedeutung. Ob im Falle einer notwendigen stationären Therapie Schlagstock-Training und Klettern, wie es gewisse Burnout-Kliniken heute im Angebot haben, zum Behandlungskatalog gehören müssen, bleibt zu diskutieren. Spezialisierte Kliniken sind durch die Versicherer, die vermehrt das Behandlungskonzept mitbestimmen wollen, aber unter Druck und erklären als oberstes Behandlungsziel die möglichst schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz, sodass unterdessen zuweilen eng mit den Kostenträgern und deren Case-Management zusammengearbeitet wird. Eine solche Phalanx und der frühe Auftritt des Case-Managers im Therapieverlauf erhöhen auch den Druck auf Patienten, möglichst rasch gesund zu werden und prolongieren damit allzu oft den Heilungsprozess. Ärzte werden heute zunehmend in die Pflicht genommen, keine längeren Arbeitsunfähigkeiten mehr zu attestieren, da dies die Prognose von Betroffenen verschlechtere. Vor längeren Phasen im Krankenstand wird gewarnt, da solche die Chance der Heilung negativ beeinflussen würden. Doch meistens ist die bedeutsamste initiale therapeutische Intervention die Expositionsprophylaxe gegenüber der krankheitsinduzierenden beruflichen Situation, die bei Patienten erst die notwendige Entlastung und in der Folge eine weitere Therapie- und Auseinandersetzungsbereitschaft hervorzurufen vermag. Auch Patienten mit Burnout können sich nicht selbst überholen und eine beschleunigte Behandlungsstrategie, die durch die vorherrschende Position der Versicherer in eine vermeintlich bessere Therapieeffizienz münden und damit geringere Fallkosten bringen soll, führt in vielen Fällen auch zu einem erhöhten Rückfallrisiko.
Überleben unter verschärften Bedingungen durch Vernunft
Das professionelle Betrachten in der Behandlung des Burnout von tiefgreifenden Fragen, die zur Überprüfung des eigenen Lebensentwurfs und der Entwicklung von neuen Denkansätzen führen, stellt für Patienten mit Burnout eine existentielle Erhellungsmöglichkeit dar. Es gilt in der therapeutischen Auseinandersetzung gesundheitsgefährdende Ansichten zu identifizieren, ein mentales Alternativ-Instrumentarium zu entwickeln, das über die heute so oft genannte Achtsamkeit hinausgeht. Es besteht hierzu keine Notwendigkeit, das ganzes Leben in Frage zu stellen und selten braucht es den radikalen Neuanfang. Auch das kritische Hinterfragen des Mainstream, allgemein gültiger gesellschaftlicher Normen oder das bewusste Fokussieren auf positive Entwicklungen statt auf den Skandal und den Boulevard zeigen bereits einen wichtigen entlastenden Effekt. Darüber hinaus sind Freiräume, die durch Nichterreichbarkeit und leere Stunden erschaffen werden, von grosser Relevanz für die Heilung vom Burnout, da sie Kreativität und Gedankenvielfalt überhaupt erst ermöglichen und wieder erlebbar werden lassen.
Ein «gesunder Lebensstil» setzt ein angepasstes Wertesystem voraus. Er bedeutet nicht, der heute ausgerufenen Pflicht zur Selbstoptimierung nachzukommen und auch keine übertriebene Gesundheitsprophylaxe in Form von Höchstleistungen im Sport oder Extremdiäten. Die bedeutsamste Aufgabe in der Selbstfürsorge bleibt die stete Überprüfung des persönlichen Lebenskonzepts und der idealerweise daraus resultierenden realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten. In der unerbittlichen Ausrichtung auf das «altius, citius, fortius» ist der Erfolg bald durch den Misserfolg gefährdet. Immer mehr bedeutet nicht besser, sondern beinhaltet ein erhebliches Risiko, den zu hohen Selbstanspruch nicht mehr erfüllen zu können, sich psychisch und körperlich zu erschöpfen und damit dem Burnout sowie der Depression den Boden zu ebnen.
Auch für viele Burnout-Patienten stirbt die Hoffnung zuletzt, was allein meint, dass man vor ihr den Tod findet. Hoffnung ist seit jeher ein passives Prinzip und regelhaft mit der Furcht vor Enttäuschung verbunden. Nicht selten aus der Bequemlichkeit heraus angewendet, wirkt es lähmend auf das Denken und negativ auf das eigene Veränderungspotential ein. Starke Hoffnung führt zu überhöhtem Optimismus, ein Zeitgeist, der die Vernunft regelhaft anästhesiert. Als Wegweiser der Vernunft bewährt sich vielmehr fester Realitätssinn in Verbindung mit zuversichtlicher Bescheidenheit. Herausfinden aus dem Burnout bedeutet denn, in gesundem Mass Grenzen wahrzunehmen und zu akzeptieren, stark vergleichendes, kompetitives Verhalten zu hinterfragen, um es dann möglichst zu vermeiden. Burnout-Patienten, die mit Hilfe der professionellen Behandlung die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Relativierung entwickeln, haben deutlich bessere Chancen, um auch in anforderungsreichen Zeiten mental und körperlich nicht erneut zu dekompensieren.
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Der Autor hat keinen Interessenskonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Dem Burnout-Syndrom fehlt auch 2022 eine allgemeingültige
Definition, Burnout ist jedoch keine gesellschaftliche Modeerscheinung sondern eine schwere psychische Erkrankung.
◆ Burnout ist die Folgeerkrankung von chronischem Stress. Sie führt zu weiteren Folgeerkrankungen und langen Arbeitsausfällen und zeigt meist einen protrahierten Verlauf.
◆ Die Entwicklung eines Burnouts hängt neben den Arbeitsbedingungen von den Wertevorstellungen und Bewertungsmodellen des Patienten ab.
◆ Die erfolgreiche Behandlung und Prophylaxe des Burnouts beinhaltet u.a. die Entwicklung einer alternativen value-life-balance.
Auf Anfrage beim Verfasser
der informierte @rzt
- Vol. 12
- Ausgabe 4
- April 2022