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20 Jahre Medizinische Onkologie

War lange die Chemotherapie vorherrschend sind heute antikörper- und zellulär basierte Immuntherapien sowie mutationsgerichtete «personalisierte» Tyrosinkinasen im onkologischen Alltag in grosser Zahl angekommen. Deutlich verlängerte Remissionen und teilweise spektakulären Heilungen sind die Folgen. Die Hälfte aller Neuzulassungen von Medikamenten bei der Swissmedic betrifft die Onkologie-Hämatologie. Das Paradigma der personalisierten Onkologie, basierend auf individuellen molekularen Signaturen gewinnt rasch weiter an Boden. Resistenzentwicklung unter Therapien bleiben aber das «Pièce de Résistance» und der Zugang zu extrem teuren Therapien für alle Patienten sind weitere grosse Herausforderungen der nächsten Jahre. Hier folgt ein Blick zurück über 20 Jahre Medizinische Onkologie.



While chemotherapy was predominant for a long time, antibody- and cellular-based immunotherapies as well as mutation-targeted «personalized» tyrosine kinases have now arrived in large numbers in everyday oncology. Significantly prolonged remissions and sometimes spectacular cures are the consequences. Half of all new drug approvals at Swissmedic concern oncology-hematology. The paradigm of personalized oncology based on individual molecular signatures continues to gain ground rapidly. However, the development of resistance among therapies remains the «pièce de résistance» and access to extremely expensive therapies for all patients are further major challenges for the coming years. Here is a look back over 20 years of medical oncology.
Key Words: oncology, personalized medicine, immunotherapies

Weltweit gesehen ist Krebs die häufigste Todesursache überhaupt mit 10 Mio. Todesfällen im Jahr 2020. Die häufigsten vermeidbaren Ursachen sind der Tabakkonsum gefolgt von Adipositas und Diabetes. Die Prognose und Lebensqualität der onkologischen Patienten in westlichen Ländern haben sich für die meisten Betroffenen in den letzten 20 Jahren eindrücklich und kontinuierlich verbessert. Dabei haben die zielgerichteten Therapien mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) basierend auf immer präziserer molekulargenetischer Diagnostik und hochauflösender Bilddiagnostik die «personalisierte Therapie» begründet. Dazu kamen in den letzten 10 Jahren die 2018 nobelpreisgekrönten Entdeckungen antikörper-basierten Checkpoint-Inhibitoren, welche Patienten mit weit fortgeschrittenem malignem Melanom heilen können. In den allerletzten Jahren sind es die zellulären genetisch modifizierte T-Zell Immuntherapien CART welche den alten Traum weiter zur Wirklichkeit werden lassen: nämlich durch das körpereigegen Immunsystem die auch bisher resistenten malignen Zellen hocheffizient und auch definitiv zu eliminieren.

Onkologie im 21. Jahrhundert

Um das Millenium 2000 wurden in der Schweiz erstmals zwei der bis heute wirksamsten monoklonalen Antikörper zugelassen: Mabthera (1997), gegen CD20 gerichtet zur Induktion bei Patienten mit rezidiviertem follikulärem Lymphom und Herceptin (2000), gegen HER2 gerichtet, für HER2 positive Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom. Dass es sich hier um epochale Therapie-Durchbrüche handelt, wurde rasch ersichtlich: lange anhaltende Remissionen und hochsignifikante Überlebensvorteile kombiniert mir sehr guter Verträglichkeit signalisierten den bis heute anhaltenden Aufbruch der Immuntherapien mit humanisierten monoklonalen Antikörpern. Auch war klar, da > 90% der B-Zell Lymphome CD20 exprimieren, dass schliesslich fast alle Lymphom-Patienten profitieren würden, was sich in der Folge auch bewahrheitete. Damals war allerdingst eine «tumoragnostische» Zulassung noch nicht möglich, so das für jede einzelne der auch sehr seltenen Tumorentitäten, eigene Zulassungsdaten verlangt wurden.

Viele entscheidende Entwicklungen prägten die letzten 20 Jahre der Onkologie und die wichtigsten sind im Folgenden kurz angeführt.

Tyrosinkinase-Inhibitoren

Die fundamentale Entdeckung war, dass bei malignen Erkrankungen spezifische Mutationen der Tyrosin-Kinasen für das unkontrollierte und aggressive Wachstum verantwortlich sind. Durch eine Mutationsanalyse in den malignen Zellen lässt sich damit eine auf bekannte Driver-Mutationen zugeschnittene personalisierte TK-Therapie mit entsprechend hochspezifischen TK-Inhibitoren einsetzen. Als Schulbeispiel gilt Imatinib, das die BCR-ABL-Tyrosinkinase blockiert. Seit der Zulassung 2003 hat sich die Prognose der Patientinnen mit der bisher lebensbedrohlichen Chronisch Myeloischen Leukämie CML zu einer klinisch heilbaren Krankheit entwickelt. Da die meisten malignen Erkrankungen, insbesondere die soliden Tumore aber viele Driver-Mutationen aufweisen und neue immer wieder akquirieren, sind diese oral verfügbaren TKI’s per se nicht kurativ aber essentieller Teil von heutigen Standard­therapien.

Die Ckeckpoint-Inhibitoren

Die Entdeckung der Checkpoint-Inhibitoren (Nobelpreis 2018) hat unseren Wunsch Realität werden lassen, dass unser körpereigenen Immunsystem maligne Zellen hocheffizient und auch definitiv zu eliminieren vermag. Antikörper gegen CTL-4, PD-1 und PD-L1 können heute Patienten in langfristige Remissionen oder zur Heilung bringen. Dies konnte eindrücklich am Beispiel der Patienten mit fortgeschrittenem Malignem Melanom gezeigt werden. Weitere Targets wie das Lymphocyte-associated gene 3 (LAG3) erweitern das etablierte Repertoire der Checkpoint-Inhibitoren und erlauben ganz neue Kombinationsoptionen, welche in klinischen Studien für viele Indikationen untersucht werden.
Da es sich bei den Checkpoint-Inhibitoren um einen universellen Mechanismus der immunologischen Resistenzüberwindung handelt, sind nun sehr viele weitere Indikationen sowohl bei soliden wie auch hämatologischen Erkrankungen dazu gekommen. Weltweit laufen aktuell > 3000 Studien mit Checkpoint-Inhibitoren und damit ist das Tor für sehr viele Indikationserweiterungen weit offen.

Adaptierte zelluläre Immuntherapien

Die genetisch adaptierten und expandierten individuellen CART-Zellen (Chimeric-Antigen-Receptor-T-cells) haben ein weiteres Prinzip der direkten zellulären Immuntherapie etabliert: hier werden die ex vivo gezielt genetisch veränderten und vermehrten körpereigenen T-Zellen befähigt ohne vorgängigen Kontakt zu antigenpräsentierenden Zellen, maligne Zellen direkt anzugreifen und zu eliminieren. Die Erfolge bei Patientinnen mit refraktärer Akuter Lymphatischer Leukämie sind spektakulär und zeigen ein erhebliches Potential für langanhaltende Remissionen und Heilungen. Nun sind wir noch ganz am Anfang und es zeichnet sich ab, dass dieses Prinzip auch bei vielen weiteren Malignomen erfolgreich eigesetzt werden kann. Auch sind bereits entscheidende Weiterentwicklungen in klinischer Erprobung. Hier sind insbesondere die Bi-specific T-cell Engager (BiTe) zu erwähnen, welche durch Fusion zweier diverser variabler Regionen entstehen. Mit Blinatumumab ist bereits ein solches Medikament zugelassen zur Therapie der Philadelphia-Chromosom negativen refraktären ALL. Weltweit sind nun > 500 Studien aktiv, welche die CART’s und CAR-NK’s (mit Natural- Killer Zellen) bei diversen vorab lymphatischen Malignomen untersuchen.

Dass Impfungen aber auch direkt gegen bereits etablierte maligne Zellen wirksam sind wurde mit der kürzlich von der FDA zugelassenen T-VEC (Imlygic®) Impfung beim Melanom gezeigt. Studien mit Kombinationen laufen, welche auch tumorgerichtete mRNA-Vakzinen beinhalten.

Präventive Massnahmen

Die hocheffiziente Prävention der HPV assoziierten Tumore wie Zervixkarzinom, HNO-Malignome und Peniskarzinome durch die HPV-Impfung auf globaler Ebene ebenso wie die Hepatitis B Impfung oder die medikamentöse Eradikation der Hepatitis-C zur Vermeidung von Hepatozellulären Karzinomen sind weitere epochale Meilenstein. Auf gesundheitspolitischer Ebene ist weiterhin die erfolgreiche Bekämpfung des Tabakkonsums die weitaus effizienteste Massnahme zur Reduktion der weltweit 10 Mio vorzeitigen Todesfälle, gefolgt von weiteren Massnahmen wie Propagation von mediterraner Esskultur, regelmässiger Bewegung und Vermeidung von Diabetes, Adipositas und übermässigem Alkoholkonsum.

Interdisziplinäre Onkologie

Jede personalisierte Therapie basiert heute auf einer prädiktiven molekularen Diagnostik medikamentös zugänglicher Zielstrukturen und weiterer prognostisch relevanter Faktoren.. Die hochauflösende Bildgebung mittels CT, MRI und PET, die heutige zunehmend minimal-invasive Chirurgie und die moderne hochpräzise Radiotherapie sind weitere unverzichtbare Erfolgsfaktoren. Dazu zählt ganz besonders das prätherapeutische obligate multiprofessionelle Tumorboard und das «shared decision making» mit dem Patienten und seiner Familie. Diese wiederum werden unterstützt durch supportive Spezialisten Teams wie die zB Psychoonkologie, Palliativonkologie. Immer mehr wird auch gesundheitspolitisch verstanden, dass diese Art der Teamarbeit in Netzwerken ein eminenter Erfolgsfaktor ist für Qualität, Effizienz und Patientenzufriedenheit. Minimale Behandlungs-Fallzahlen und Klinik Zertifizierungen sind Ausdruck dieser internationalen Entwicklung zur Qualitätssicherung.

Zusammenfassung und Ausblick

Die letzten zwei Dekaden haben die Onkologie in Diagnostik, Therapie und Prognose revolutioniert. Alleine in den Jahren 2006 bis 2018 wurden in den USA von der FDA 110 neue Medikamente oder neue Indikationen für die malignen Erkrankungen zugelassen! Mehr als die Hälfte der aktuellen Neuzulassungen und Indikationserweiterungen der Swissmedic betreffen die Onkologie-Hämatologie. Auch tumoragnostische Zulassungen werden zunehmen und den Zugang zu Innovationen auch für Patienten mit seltenen Entitäten beschleunigen. Die grossen Fortschritte in der molekulargenetischen und bildgebenden Diagnostik, welche besonders in der Onkologie von grösster Wichtigkeit sind, ebenso wie die immer weniger mutilierenden operativen Eingriffe, präziseren Radiotherapien und umfassenden Palliativkonzepte haben zu einer hohen Interprofessionalität (zB Tumorbards) und Qualitätskontrolle in der Onkologie geführt. Mit den hier angeführten vielfältigen Innovationen ist die Spur gelegt, welche weitere medizinische Disziplinen voranbringen wird. Dies alles soll aber nicht über die Tatsache hinwegsehen, dass immer mehr Patienten auch in reichen westlichen Ländern angesichts überteuerter Therapien nicht oder nicht mehr rechtzeitig den Zugang zu den Innovationen erhalten. Diese sehr teuren Medikamente verharren zu lange im «Off-Label-Bereich»
was zu Ungleichbehandlung und Zweiklassenmedizin führt. Dieses Problem muss gelöst werden.

Leider wird das grosse Potential der Prävention und Frühdiagnostik von der Gesundheits-Politik weiter vernachlässigt mit enormen Kostenfolgen. Die Früchte des Krebsregistergesetzes, welches erst 2020 in Kraft gesetzt wurde, werden in den kommenden Jahren wichtige Grundlagen liefern für eine dynamische Anpassung der nationalen Krebsstrategie unter Mithilfe von «oncosuisse», dem strategischen Zusammenschluss der national tätigen Krebsorganisationen und Fachverbände. Die Erwartungen an Bigdata und KI sind hoch, allerdings sind die Spieregeln und Grenzsetzungen ebenso wie die Finanzierbarkeit auch auf der politischen Bühne noch auszuloten und zu definieren.
Der nun breit mögliche immuntherapeutische Ansatz mit allen möglichen weiteren technischen Entwicklungen der genadaptierten Personalisierung, hat nun richtig Fahrt aufgenommen. Kluge Kombination und Abfolgen der bisher etablierten und neuen Therapien, peri- und postoperativer sowie adjuvanter Einsatz werden in unzähligen Studien weiter untersucht. Es ist zu erwarten, dass wesentliche einfachere immunologisch basierte, und dennoch wirksamere und präzisere Therapieverfahren entwickelt werden, welche dazu auch verträglicher und kostengünstiger sein werden.

Erweiterte Version des Beitrags «Die Onkologie realisiert einen Menschheitstraum». Swiss Med Forum. 2022;22(0708):121-123. doi: 10.4414/smf.2022.08950

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

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DOIPubMedPMC
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  • Vol. 12
  • Ausgabe 3
  • Mai 2022