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Schlafstörungen im Zusammenhang mit Ernährung und Verdauungserkrankungen



Schlafstörungen im Zusammenhang mit Ernährung und Verdauungserkrankungen: ein vernachlässigter klinischer Zustand.

Schlafstörungen betreffen viele Menschen auf der ganzen Welt und ihre Prävalenz nimmt zu. Schätzungen zufolge leiden bis zu 70 Millionen Menschen in den USA und 45 Millionen in Europa an einer chronischen Schlafstörung, die sich negativ auf die Gesundheit und die Lebensqualität auswirkt (1, 2). Eine aktuelle Übersichtsarbeit (3) fasst die Daten zusammen, die Schlafstörungen mit der Ernährung und einer Reihe von Krankheiten in Verbindung bringen, darunter gastroösophagealer Reflux, peptische Erkrankungen, funktionelle gastrointestinale Störungen, entzündliche Darmerkrankungen, Veränderungen der intestinalen Mikrobiota, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und Fettleibigkeit. Die Beweise für die komplexe Interaktion zwischen Schlafstörungen, Ernährung und Verdauungserkrankungen werden diskutiert.

Schlafstörungen sind häufig die Folge eines unangemessenen Lebensstils, falscher Ernährungsgewohnheiten und/oder von Verdauungserkrankungen. Diese klinische Situation wurde in dieser Hinsicht jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem zirkadianen Synchronisationssystem und der Physiologie der Kontrollmechanismen des Stoffwechsels, der Regulierung des Energiehaushalts und der Ernährung hergestellt. Es wird angenommen, dass Schlafstörungen Verdauungsstörungen auslösen oder umgekehrt eine spezifische klinische Manifestation von gastrointestinalen Erkrankungen darstellen. Ein schlechter Schlaf kann die Symptome von Magen-Darm-Erkrankungen verschlimmern und die Lebensqualität beeinträchtigen. Umgekehrt gilt dies auch. Ein kurzer Schlaf kann die Wahl der Nahrungsmittel sowie den Zeitpunkt der Mahlzeiten beeinflussen, und das circadiane System führt zu zeitlichen Veränderungen in den Stoffwechselmustern. Neue Daten legen nahe, dass Patienten mit unangemessenen Essgewohnheiten und chronischen Verdauungsstörungen im Vergleich zu gesunden Menschen oft weniger schlafen und eine geringere Schlafeffizienz aufweisen. Schlafstörungen könnten daher ein Primärsymptom von Verdauungserkrankungen darstellen. Weitere kontrollierte Studien sind erforderlich, um den Zusammenhang zwischen Schlafstörungen, Essgewohnheiten und Verdauungsstörungen genau zu verstehen. Es ist auch denkbar, dass sich die Beurteilung der Schlafqualität als nützlich erweisen könnte, um positive Interventionen durchzuführen und die Lebensqualität eines Teils der Patienten zu verbessern.

Der Zusammenhang zwischen Ernährung, Essenszeiten und Schlaf ist wechselseitig, da der zirkadiane Rhythmus zu Veränderungen des Stoffwechselmusters führt, während Veränderungen des Stoffwechsel- und Ernährungsstatus den zirkadianen Rhythmus beeinflussen. Schlechter Schlaf wird systematisch mit Veränderungen des zirkulierenden Melatonins, Cortisols, Ghrelins und Leptins in Verbindung gebracht, aber die Existenz zusätzlicher Mechanismen ist wahrscheinlich.

Es wurden auch Assoziationen zwischen einer kurzen Schlafdauer, einer hohen Gesamtenergieaufnahme und einer minderwertigen Ernährung gefunden. Menschen mit wenig Schlaf haben oft ein unregelmäßiges Essverhalten und nehmen ihre Hauptmahlzeit spät am Tag ein. Schlafstörungen und Schlafmangel können entweder zu viszeralen Störungen führen oder diese verschlimmern, können aber auch ihrerseits ein Symptom der Krankheit darstellen. Chronische Verdauungserkrankungen wie der gastroösophageale Reflux und gastroduodenale Erkrankungen, funktionelle und entzündliche gastrointestinale Störungen und Lebererkrankungen führen oft zu kürzerem und schlechterem Schlaf. Die Daten beruhen jedoch hauptsächlich auf Studien von schlechter Qualität. Daher sind ausreichend starke epidemiologische Studien und kontrollierte Versuche mit Personen, die an chronischen Schlafstörungen leiden, erforderlich, um die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu bestätigen. Versuche zur Schlafverlängerung, an denen Patienten mit Magen-Darm-Störungen beteiligt sind, sind ebenfalls erforderlich, um Beweise für den Zusammenhang zwischen Magen-Darm-Störungen, Ernährung und Schlafdauer und -qualität zu liefern.

Ein integrierter Ansatz, an dem Schlafspezialisten und Gastroenterologen beteiligt sind und der validierte Fragebögen und die ICSD-3-Klassifikation verwendet, wird daher empfohlen, um das spezifische Schlafmuster zu definieren und zu kategorisieren, das durch gastrointestinale Störungen beeinträchtigt wird oder an diesen beteiligt ist. Ein fachübergreifender Ansatz könnte in der Tat zu einem besseren Verständnis der komplexen bidirektionalen Interaktion zwischen Schlafstörungen und Erkrankungen des Verdauungstrakts führen und möglicherweise neue therapeutische Ziele zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten aufzeigen.

Quelle: Vernia F et al. Les troubles du sommeil liés à la nutrition et aux maladies digestives :un état clinique négligé. Int J Med Sci 2021;18 (3) :593-603

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Colten HR, Altevogt BM. Institute of medicine, committee on sleep medicine and research, board on health sciences policy. Sleep disorders and sleep deprivation: an unmet public health problem. Washington DC, USA: National Academies Press. 2006.
2. 2. Olesen J, Gustavsson A, Svensson M, Wittchen HU, Jönsson B; CDBE 2010 Study Group. European brain council the economic cost of brain disorders in Europe. Eur J Neurol. 2012;19:155–162
3. Vernia F, Di Ruscio M, Ciccone A, et al. Sleep disorders related to nutrition and digestive diseases: a neglected clinical condition. Int J Med Sci. 2021;18(3):593-603.

der informierte @rzt

  • Vol. 12
  • Ausgabe 6
  • Juni 2022