Fortbildung AIM

Pharmakogenetische Untersuchungen: genetische Unterschiede in der Metabolisierung von Opioiden

Genetische Unterschiede spielen eine wesentliche Rolle bei der therapeutischen Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln, sowie beim Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen derselben. So auch im Bereich von opioidischen Schmerzmitteln. Mit Fokus auf die Patientensicherheit lohnt es sich, die Verschreibung und Dosierung von Opioiden der genetischen Disposition anzupassen. Dieser Artikel erläutert die häufigsten Gene im Bereich der Anwendung von Opioiden.



Genetic differences play an essential role in the therapeutic efficacy and safety of drugs, as well as in the occurrence of undesirable side effects of the same. This is also the case in the field of opioid analgesics. With a focus on patient safety, it is worthwhile to adapt opioid prescribing and dosing to genetic disposition. This article explains the most common genes in the field of opioid utilisation.

Key Words: pharmacogenetics, opioid analgesics, genetic disposition

Fallbeispiel: 20jährige Studentin mit massiven postoperativen Schmerzen

Ausgangslage

Aufgrund eines Teratoms des Ovars musste sich eine 20jährige Patientin in gutem Ernährungs- und Allgemeinzustand einer laparoskopischen Entfernung unterziehen. Nach einer erfolgreichen Laparoskopie hatte sie trotz angepasster Analgesie (Fentanyl, Paracetamol, Voltaren intraoperativ, postoperativ Morphin i.v. und PCA, Catapresan, Novalgin, Lidocainperfusor) massive postoperative Schmerzen. Zitat des Anästhesisten: «So etwas habe ich mein Lebtag nicht gesehen! Ich würde das nächste Mal eine hohe PDA setzen.» Bei einer vorausgegangenen Laparoskopie war es ebenfalls bereits zu sehr starken postoperativen Schmerzen gekommen.

Pharmakogenetische Analyse

In einer genetischen Beratung wurde die Familiengeschichte anhand einer Stammbaumanalyse aufgearbeitet. Es stellte sich heraus, dass auch die Mutter bereits an starken, postoperativen Schmerzen gelitten hatte. Entsprechend stellte sich die Frage nach einer pharmakogenetischen Erklärung der Symptome, d.h. ob die Schmerzen auf eine genetisch bedingte, von der Norm abweichende Metabolisierung der Schmerzmittel zurückzuführen sein könnten. Durch eine genetische Analyse wurde diese Annahme bestätigt: So zeigten sich relevante Mutationen in den Genen CYP2D6, ABCB1, COMT und OPRM1, die allesamt relevant für die Metabolisierung von Opioiden sind.

Diskussion

Die Verwendung von Opioiden zur Schmerzlinderung im klinischen Alltag wird durch das Risiko schwerer unerwünschter Ereignisse und die grosse Variabilität des Dosisbedarfs erschwert. Dank pharmakogenetischen Untersuchungen (PGx) könnten Schmerzmittel möglicherweise auf die Grundlage des genetischen Hintergrunds einer Person angepasst werden. Viele potenzielle genetische Marker wurden bereits in der Fachliteratur beschrieben: Welche genetischen Varianten sorgen für eine zu schnelle oder zu langsame Metabolisierung und entsprechend verminderte Wirksamkeit? Die Bedeutung der genetischen Veranlagung für die Wirksamkeit und Toxizität von Opioiden wurde in Knockout-Mausmodellen und menschlichen Zwillingsstudien nachgewiesen. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, zu bestimmen, auf welche der vielen potenziellen Gene sich die klinische Umsetzung konzentrieren sollte.

PD-bezogene Kandidatengene

CYP2D6

Das am häufigsten angesprochene Kandidatengen über Schmerzen ist das hochpolymorphe CYP2D6. Dieses Phase-I-Leberenzym ist an der biologischen Aktivierung von Codein in Morphin und Tramadol in O-Desmethyltramadol sowie an der Umwandlung von Oxycodon in den aktiven Metaboliten Oxymorphon und Hydrocodon in Hydromorphon beteiligt. Die genetische Variabilität in CYP2D6 kann in 4 Phänotypgruppen kategorisiert werden, nämlich ultraschneller Metabolisierer (UM), extensiver (oder normaler) Metabolisierer (EM), intermediärer Metabolisierer (IM) und schlechter Metabolisierer (PM). Es wurden über 100 verschiedene Allele entdeckt, von denen etwa 25% zu einem Gesamtverlust der Aktivität in vivo und 6% zu einer verminderten Aktivität führen. Die Verteilung der Phänotypgruppen ist ethnisch sehr unterschiedlich.

Mehrere Fallberichte haben schwere und sogar tödliche unerwünschte Ereignisse bei Personen mit genetisch beeinträchtigtem CYP2D6-Metabolismus beschrieben, die mit Codein und Tramadol behandelt werden. Am alarmierendsten ist, dass ein 13 Tage altes Kind durch Stillen durch die genetisch beeinträchtigte Mutter an Morphintoxizität starb. Ein weiterer Bericht betrifft einen Erwachsenen mit einem CYP2D6 UM-Status, bei dem in Verbindung mit einer CYP3A4-Wirkstoff-Interaktion und einer verminderten Nierenfunktion lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftraten, während er mit Codein behandelt wurde (25 mg dreimal täglich). Neben Codein wurde über Tramadol-bedingte Atem­depression bei einem Kind mit obstruktiver Schlafapnoe und bei einem Erwachsenen mit Nierenversagen berichtet; beide hatten eine CYP2D6-Genduplikation.

OPRM1

Opioide wie Morphin und Fentanyl üben ihre analgetische Wirkung hauptsächlich über den μ-Opioid-Rezeptor (MOR) aus, der durch das OPRM1-Gen kodiert wird. Trotz der grossen genetischen Varia­bilität bei OPRM1 wurden in klinischen Studien nur eine handvoll Varianten behandelt. Mit einer hohen «minor allele frequency» (MAF) bei Weissen (15%) und Asiaten (40%) scheint 118A > G (Asn40Asp, rs1799971) die prominenteste Variante zu sein. In-vivo-Studien an 118A>G haben eine reduzierte Signaltransduktion für den Rezeptor, der diese Variante trägt, eine reduzierte OPRM1-Expression und eine reduzierte Bindungsaffinität von Morphin und seinem aktiven Metaboliten M6G gezeigt. Andererseits wurde eine höhere Bindungsaffinität für endogene Opioide festgestellt. In jüngerer Zeit zeigten 2 unabhängige Metaanalysen zu postoperativen Schmerzen bei Erwachsenen, Stichproben­umfang 8609 (1) bzw. 4607 (2), dass Träger der 118A > G-Variante tatsächlich einen höheren Opioidbedarf und ein geringeres Risiko für unerwünschte Ereignisse haben.

Wie Morphin weisen Alfentanil und Oxycodon bei Personen mit dem 118G-Allel eine geringere Affinität/Potenz für den MOR auf. Eine Metaanalyse (3) zur Verwendung von Fentanyl bei Wehenschmerzen ergab einen niedrigeren Bedarf bei Trägerinnen des kleineren 118G-Allels.
Die Wirkung dieser genetischen Variante scheint für Codein, Tramadol und Sufentanil nicht schlüssig zu sein. Kinder, die mit dem neonatalen Abstinenzsyndrom aufgrund der in-utero-Exposition von Opioiden geboren wurden und das 118G-Allel trugen, hatten mildere Symptome, was ein kürzerer Krankenhausaufenthalt und ein geringeres Risiko für eine Behandlung des neonatalen Abstinenzsyndroms zeigen.

Zusammenfassend scheint die 118A>G-Variante auf der Grund­lage der umfangreichen Literatur ein potenzieller Biomarker für den Einsatz in der klinischen Praxis zu sein. Wir müssen jedoch das Ausmass seiner Wirkung auf die Opioidreaktion im Vergleich zu anderen genetischen Varianten (z.B. CYP2D6) aufklären. Auch die scheinbar unterschiedliche Wirkung pro Opioidart erfordert mehr Forschung.

COMT & ABCB1

Neben OPRM1 und CYP2D6 sind die COMT- und die ABCB1-Gene die am häufigsten analysierten Kandidatengene im Schmerzbereich. COMT kodiert für das Enzym Catechol-O-Methyltransferase (COMT), das durch die Regulierung der MOR-Expression an zahlreichen physiologischen Funktionen beteiligt ist, einschliesslich der Schmerzwahrnehmung. Die ATP-Bindungskassettenunterfamilie­ B-Mitglied 1 (ABCB1), auch als P-Glykoprotein oder Multidrug Resistance Protein 1 (MDR1) bezeichnet, ist durch ihre Rolle als Effluxpumpe im Darm und an der Blut-Hirn-Schranke bekannt.

Verschiedene Studien kamen diesbezüglich aber zu unterschiedlichen Resultaten, so dass es weiterer Untersuchungen bedarf, um eine qualifizierte Aussage bezüglich Opioidbedarf resp. -risiken zu machen.

Fazit

Die Verabreichung von Opioiden an Patienten mit mittelschweren bis starken Schmerzen ist nicht ohne Risiko. Nebenwirkungen, die bei der Verwendung von Opioiden auftreten können, sind Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Mundtrockenheit oder schlimmer noch, Atemdepression und Delirium. Ein wichtiges Hindernis für die Verwendung von Opioiden ist die grosse und unvorhersehbare Dosisvariabilität, die erforderlich ist, um eine angemessene Behandlung zu erreichen. Opioide werden derzeit auf der Grundlage der klinischen Präsentation des Patienten dosiert, wie sie anhand der Selbstberichterstattung des Patienten und/oder von Pflegefachpersonen mit validierten Schmerzskalen beurteilt wird. Dies ist ein Versuchs- und Irrtumsansatz, beginnend mit einer gemeinsamen Anfangsdosis. Dieser Ansatz führt bei einigen Patienten zu einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen, während andere Patienten möglicherweise unterbehandelt werden.

Die Anwendung von PGx bei der Schmerzbehandlung mit Opioiden hat das Potenzial, die Therapie zu verbessern und sicherer zu gestalten.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keinen Interessenskonflikt in Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Verwendung von Opioiden zur Schmerzlinderung im klinischen Alltag wird durch das Risiko schwerer unerwünschter Ereignisse und die grosse Variabilität des Dosisbedarfs erschwert.
◆ Genetische Unterschiede spielen eine wesentliche Rolle bei der therapeutischen Wirksamkeit und Sicherheit von Schmerzmitteln, sowie beim Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen derselben.
◆ Nebenwirkungen, die bei der Verwendung von Opioiden auftreten
können, sind Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Mund­trockenheit oder schlimmer noch, Atemdepression und Delirium.
◆ Pharmakogenetische Untersuchungen in Bezug auf die genetische Disposition im Bereich Opioid-Metabolisierung haben das Potenzial, die Therapie zu verbessern und sicherer zu gestalten. Die wichtigsten Gene in diesem Zusammenhang sind CYP2D6, OPRM1, COMT und ABCB1.

1. Zhang X, Liang Y, Zhang N, Yan Y, Liu S, Fengxi H, Zhao D, Chu H. The Relevance of the OPRM1 118A>G Genetic Variant for Opioid Requirement in Pain Treatment: A Meta-Analysis. Pain Physician. 2019 Jul;22(4):331-340. PMID: 31337162.
2 Hwang IC, Park JY, Myung SK, Ahn HY, Fukuda K, Liao Q. OPRM1 A118G gene variant and postoperative opioid requirement: a systematic review and meta-analysis. Anesthesiology. 2014 Oct;121(4):825-34. doi: 10.1097/ALN.0000000000000405. PMID: 25102313.
3 Song Z, Du B, Wang K, Shi X. Effects of OPRM1 A118G polymorphism on epidural analgesia with fentanyl during labor: a meta-analysis. Genet Test Mol Biomarkers. 2013 Oct;17(10):743-9. doi: 10.1089/gtmb.2013.0282. Epub 2013 Aug 2. PMID: 23909491.