- Advanced Practice Nurses in der Hausarztpraxis
Die Zunahme chronisch kranker und multimorbider Patienten stellt die Hausärzte vor Herausforderungen, die immer schwieriger zu erfüllen und oft mit einem Mehraufwand verbunden sind. Gleichzeitig ist ein Mangel an Hausärzten absehbar. Ein neues Versorgungsmodell mit Advanced Practice Nurses (APN) könnte Hausarztpraxen ergänzen und entlasten. Dieser Artikel beschreibt das in der Schweiz noch wenig bekannte Berufsbild der APN mit besonderem Blick auf die Hausarztpraxis mit seinen Chancen und Risiken.
Future challenges in primary care
The increase in chronically ill and multimorbid patients poses new challenges to GPs (for better legibility, renouncing both sexes). Follow-up visits, disease management guidance, lifestyle changes and preventative measures to reduce or avoid exacerbations play a much more important role than in acute illness. In addition there is the coordination of different specialists and institutions or the inclusion of relatives. All of these tasks require extra work, which can hardly be accomplished in a general practitioner’s office. Home visits can no longer afford many family doctors. At the same time, there is an increasing shortage of family doctors and retired doctors often find no successors.
What are APNs?
In angelsächsischen Ländern wurden ab den 1960er Jahren aus den genannten Gründen neue Modelle eingeführt, in welchen sogenannte APNs tätig sind. APNs sind ausgebildete Pflegefachleute mit Praxiserfahrung und einem Masterstudium in Pflegewissenschaft. Im Studium werden ihre medizinischen Kenntnisse vertieft und sie lernen, eine Anamnese zu erheben und eine klinische Untersuchung durchzuführen. Weiter werden sie in Themen wie Chronic Care, interprofessioneller Zusammenarbeit oder familienzentrierter Pflege unterrichtet. Sie erwerben auch Kenntnisse in Forschung und Anwendung wissenschaftlicher Literatur. APN ist ein Überbegriff für verschiedene Rollen wie zum Beispiel Clinical Nurse Specialist (CNS) oder Nurse Practitioner (NP).
Allen APNs ist gemeinsam, dass sie sich auf eine spezielle Patientengruppe oder ein spezifisches Setting spezialisieren und in einer erweiterten Rolle in direktem Patientenkontakt stehen, sei dies im stationären oder ambulanten Bereich. APNs zeichnen sich durch klinisches Denken aus und sind fähig, Befunde zu interpretieren und mit dem Krankheitsgeschehen zu verknüpfen. Sie verfügen über Entscheidungskompetenz in komplexen Situationen und weisen eine gewisse Autonomie in ihrer Rolle auf (1, 2).
Internationale Erfahrungen
APN-Rollen existieren heute in über 70 Ländern. In Ländern mit längerer Erfahrung sind ihre Kompetenzen formal geregelt. In gewissen Staaten haben APNs nach entsprechender Ausbildung die Kompetenz zur Verschreibung von bestimmten Medikamentengruppen oder zur Durchführung von Röntgen- oder Labordiagnostik (Tab. 1). Die Anzahl APN pro Bevölkerung ist auch in diesen Ländern sehr unterschiedlich. Insbesondere in den USA ist die medizinische Grundversorgung ohne APNs nicht mehr denkbar (Tab. 2). Bezüglich Wirksamkeit zeigen Reviews, dass APNs bei ihren Patienten insgesamt etwa gleich gute Resultate erzielen wie Ärzte, und dass bei von ihnen behandelten Patienten eher weniger Hospitalisationen nötig sind (1, 3). Die Patienten erhalten bessere Informationen und Unterstützung im Umgang mit ihrer Krankheit, jedoch verordnen APNs mehr Diagnostik und die Konsultationen dauern etwas länger als bei Ärzten (3). Über die Kosten können erst wenige Aussagen gemacht werden, jedoch scheinen APNs eher weniger oder höchstens gleich hohe Kosten zu generieren wie Ärzte (1, 3, 4).
ANP in der Schweiz
Ein Studium in Pflegewissenschaft ist in der Schweiz seit bald 20 Jahren möglich. Den Universitäten Basel und Lausanne sind mehrere Fachhochschulen gefolgt. 2015 haben in der Schweiz 328 Personen ihr Studium abgeschlossen (1). Seit wenigen Jahren werden auch Postmaster Studiengänge angeboten, um die Kenntnisse in klinischer Tätigkeit weiter zu vertiefen.
Hierzulande sind APNs bis anhin vorwiegend in Spitälern tätig. Sie arbeiten als Pflegeexpertinnen auf den Stationen oder führen eigene Pflegesprechstunden wie z.B. für Patienten mit Lebertransplantation, Herzinsuffizienz oder in Palliativsituationen. Seit wenigen Jahren zeichnet sich eine Entwicklung ab, APNs auch in der Grundversorgung einzusetzen, namentlich in der Spitex und in Pflegeheimen. In Schweizer Hausarztpraxen arbeiten bisher erst vereinzelte APNs.
Herausforderungen
Neue Zusammenarbeitsformen zwischen Ärzten, Medizinischen Praxisassistentinnen (MPA) und APN erfordern von allen Beteiligten die Bereitschaft zu einer neuen Aufgabenteilung und Klärung der Verantwortlichkeiten (5). Bei einer Befragung von Hausärzten aus der Stadt Zürich zeigte sich, dass die Ärzte zwar eine gewisse Qualitätseinbusse der medizinischen Versorgung und Kontinuität befürchten, gleichzeitig aber froh wären, wenn sie Koordinationsaufgaben mit andern Spezialisten oder Institutionen an eine APN delegieren könnten (6). Viele Ärzte können sich jedoch noch kein Bild einer solchen neuen Rolle machen.
Eigene Erfahrungen
Seit knapp drei Jahren arbeite ich als APN in einer Gruppenpraxis. Mein Werdegang ist durch eine mehrjährige Erfahrung in Spitex und Akutgeriatrie geprägt. Durch das Masterstudium und das darauf aufbauende Diploma of Advanced Studies „ANP Plus“ erlangte ich Kenntnisse in Anamnese und klinischem Untersuch, aber auch darin, Befunde zu reflektieren und daraus Schlüsse zu ziehen. In meiner gegenwärtigen klinischen Tätigkeit und der fruchtbaren und kritischen interprofessionellen Zusammenarbeit lerne und vertiefe ich nun die Anwendung dieses theoretischen Wissens, vergleichbar mit der Assistenzzeit angehender Fachärzte.
Meine Aufgaben in der Hausarztpraxis erfülle ich in Delegation der Hausärzte. Sie sind in vier sich überschneidende Tätigkeitsfelder aufgeteilt, welche nachfolgend erläutert werden.
Chronic Care Management
Seit längerer Zeit betreue ich eine 82-jährige multimorbide, jedoch selbständig lebende Patientin mit COPD, Herzinsuffizienz und chronischen Rückenschmerzen. Mein Hauptauftrag sind klinische Verlaufskontrollen (Anamnese, Untersuch, Vitalparameter, Labor), die ich meist selbständig organisiere und bei auffälligen Resultaten an den Hausarzt weiterleite. Ein wichtiger Anteil nimmt auch die Koordination mit andern Spezialisten ein, sowie weitere Interventionen wie Grippeimpfung oder das Erstellen einer Patienten- verfügung. Regelmässig bespreche ich mit der Patientin die Interpretation ihrer eigenen Beobachtungen und instruiere sie, unter welchen Umständen sie sich in der Praxis melden soll.
Eine Herausforderung bei vielen chronisch kranken Patienten ist die Therapieadhärenz. Da suchen wir gemeinsam nach Lösungen, damit eine wirksame Therapie eingehalten wird.
Hausbesuche
Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht aus Hausbesuchen. Demenzkranke, multimorbide, gebrechliche oder auch verwahrloste Patienten sind oft nicht mehr in der Lage, die Hausarztpraxis regelmässig aufzusuchen. Ich bin meist in engem Kontakt mit der Spitex, welche auf eine Hausarztpraxis im Hintergrund angewiesen ist. Oft besuche ich auch Alters- und Pflegezentren.
Notfälle/ Nachkontrolle
Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Triage bzw. Behandlung von Notfällen. Bei wenig komplexen Krankheiten wie z.B. einem unkomplizierten Harnwegsinfekt reichen in der Regel die medizinischen Guidelines und eine kurze Absprache mit dem Arzt bezüglich Behandlung.
Bei Patienten, welche bereits für eine Behandlung bei einem Hausarzt waren, übernehme ich gelegentlich die Nachkontrolle.
Pflegerische Verrichtungen
Das vierte Tätigkeitsfeld betrifft spezielle pflegerische Herausforderungen wie zum Beispiel die Behandlung chronischer Wunden.
Diskussion
Neue Berufsrollen bringen Veränderungen mit sich und setzen eine gewisse Offenheit und Flexibilität des Teams voraus. Verschiedene Aufgaben werden neu verteilt oder erst jetzt wahrgenommen. Die APN kann teilweise bisher ärztliche Tätigkeiten, aber auch ergänzende Aufgaben übernehmen. MPAs, welche sich entsprechend weitergebildet haben, können ebenfalls einen wichtigen Part im Chronic Care Management leisten. Es empfiehlt sich, die Rollen, ihre Überlappungen und Schnittstellen zum Voraus zu klären und zu definieren (5, 7).
Interessanterweise spielt es den meisten Patienten keine Rolle, ob sie primär von einem Hausarzt oder von einer APN behandelt werden. Für sie ist wichtig, dass eine Kontinuität in der Betreuung vorhanden ist und bei Bedarf eine kompetente Fachperson hinzugezogen wird (8).
Es zeigt sich, dass das Vertrauen des Hausarztes in die Leistungen der APN von der persönlichen Erfahrung mit ihr abhängt. Er braucht die Gewissheit, dass sie sich bei (ärztlichem) Handlungsbedarf oder Unsicherheit meldet. Gleichzeitig muss die APN selbständig arbeiten können und bereit sein, Verantwortung zu tragen, damit ein Benefit aus dieser Zusammenarbeit entsteht.
Reglementierung
In der Schweiz sind die Berufsverbände und Hochschulen daran, die Anerkennung zur APN einheitlich zu reglementieren und Bedingungen wie z. B. eine regelmässige Fortbildung zu formulieren. Von politischer Seite fehlt eine Reglementierung gänzlich, die akademische Pflege ist bis heute nicht im Medizinalberufegesetz vertreten. Ob APNs im neuen Gesundheitsberufegesetz aufgeführt werden, wird derzeit im Parlament diskutiert. Somit ist auch die Finanzierung bis jetzt nicht geklärt und die Verrechnung von Leistungen der APN gestaltet sich vorläufig schwierig. Mit dem heutigen schweizerischen Tarifsystem ist der Einsatz von APNs im Moment fast nur in grösseren Gruppenpraxen im Rahmen von Managed Care möglich.
Zusammenfassung
Trotz den aktuell noch ungünstigen politischen Voraussetzungen ist der Einsatz von APNs ein zukunftsträchtiges Versorgungsmodell. Es entlastet die Situation in den Hausarztpraxen und bietet attraktive Berufsrollen für Pflegefachpersonen, vor allem aber ermöglicht es eine Versorgung, die den heutigen Bedürfnissen der medizinischen Grundversorgung entspricht.
Verdankung
Ich bedanke mich bei PD Dr. med. Georg Bosshard für seine wertvollen Hinweise beim Verfassen des vorliegenden Texts.
MediX Praxis Zürich Altstetten
Hohlstrasse 556
8048 Zürich
corinne.steinbruechel@medix.ch
Die Autorin hat im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte deklariert.
- Der Einsatz von APNs nimmt weltweit zu. In der Schweiz arbeiten sie bisher hauptsächlich in Spitälern. Es zeigt sich jedoch ein Trend, sie auch vermehrt in der Grundversorgung einzusetzen.
- APNs können Hausärzte entlasten, aber auch in ihren Aufgaben ergänzen, indem sie z.B. chronisch Kranke betreuen und dadurch Exazerbationen vorbeugen, Hausbesuche stellvertretend übernehmen, Notfälle triagieren und allenfalls behandeln und Koordinationsleistungen vornehmen.
- APNs erreichen bei chronisch Kranken etwa gleich gute Resultate wie Ärzte und leisten einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Hospitalisationen.
- Neue Zusammenarbeitsformen erfordern von allen Beteiligten Flexibilität und die Bereitschaft zu einer neuen Aufgabenteilung. Die Verantwortlichkeiten müssen zum Voraus geklärt werden.
1. Maier C, Aiken, L., Busse, R. Nurses in advanced roles in primary care: Policy levers for implementation. Health Working Papers, No. 98. OECD Publishing, Paris; 2017.
2. Pulcini J, Jelic M, Gul R, Loke AY. An international survey on advanced practice nursing education, practice, and regulation. Journal of nursing scholarship : an official publication of Sigma Theta Tau International Honor Society of Nursing. 2010;42(1):31-9.
3. Horrocks S, Anderson E, Salisbury C. Systematic review of whether nurse practitioners working in primary care can provide equivalent care to doctors. BMJ. 2002;324(7341):819-23.
4. Lovink MH, Persoon A, Koopmans R, Van Vught A, Schoonhoven L, Laurant MGH. Effects of substituting nurse practitioners, physician assistants or nurses for physicians concerning healthcare for the ageing population: a systematic literature review. J Adv Nurs. 2017;73(9):2084-102.
5. Giger M, De Geest S. Neue Versorgungsmodelle und Kompetenzen sind gefragt. Schweizerische Ärztezeitung. 2008;89(43):1839 – 43.
6. Steinbruchel-Boesch C, Rosemann T, Spirig R. Neue Zusammenarbeitsformen mit Advanced Practice Nurses in der Grundversorgung aus Sicht von Hausarzten – eine qualitativ-explorative Studie. Praxis. 2017;106(9):459-64.
7. Bailey P, Jones L, Way D. Family physician/nurse practitioner: stories of collaboration. J Adv Nurs. 2006;53(4):381-91.
8. Waibel S, Henao D, Aller MB, Vargas I, Vazquez ML. What do we know about patients’ perceptions of continuity of care? A meta-synthesis of qualitative studies. International Journal of Quality in Healthcare: Journal of the International Society for Quality in Health Care. 2012; 24 (1): 39-48.
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- Vol. 9
- Ausgabe 3
- März 2019