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«Neues» bei einer REA (ALS) bei persistierendem Kammerflimmern

Als Advanced Life Support (ALS) bezeichnet man erweiterte lebensrettende Massnahmen im Rahmen der Wiederbelebung von Notfallopfern ohne Lebenszeichen, die von professionellen Helfern durchgeführt werden. In Deutschland gibt es mehr als 60’000 Herz-Kreislaufstillstände/Jahr. Davon erreichen 31% lebend eine Klinik, nur 10,5% können aus der Klinik entlassen werden (1). In der Schweiz gibt es 8500 Herz-Kreislaufstillstände/Jahr.



Priorität haben nach der sofortigen Alarmierung die Thoraxkompression mit minimaler Unterbrechung, die frühzeitige Defibrillation und die Therapie von reversiblen Ursachen. Bei einer Reanimation ist ein persistierendes Kammerflimmern (KFLi) ein nicht seltenes Problem.

In der Literatur findet man bei Ausserklinischen Herz-Kreislaufstillständen in 21% ein KFLi oder eine pulslose Kammertachy­kardie (KT) (1); davon bei ca. 50% ein refraktäres KFLi. Dieses wird definiert als anhaltendes KFLi nach dreimaliger Defibrillation mit dazwischen je 2 Minuten kardio-pulmonaler Reanimation (CPR). Die Ursachen sind: ein koronarer Gefässverschluss, ein langes QT, eine Elektrolytentgleisung (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hypocalzämie), eine Intoxikation (Digitalis) oder eine Hypothermie. Therapeutisch muss die Reanimation durch eine qualitativ gute Herzmassage (30:2) mit möglichst kurzen Pausen (<5 Sek.) optimiert werden. Hoher Paddle Anpressdruck bei Adipositas. Medikamentös gemäss Guidelines nach dem 3. Schock bei einem defibrillierbaren Rhythmus 1mg Adrenalin i.v. mit Wiederholung alle 3-5 Min. CPR. Als Antiarrhythmika (AR) 300mg Amiodaron i.v.. Nach 3-5 Defibrillationsversuchen weitere 150mg; alternativ 100mg Lidocain i.v. (450mg Amiodaron erfolglos, langes QT). In Studien zeigte keines der AR ein Überlebensvorteil. Eventuell Gabe von 2 gr. Magnesium als Kurzinfusion (langes QT, Hypokaliämie, Digitalis Intox.); eventuell ein Betablocker i.v.: Esmolol 3-5mg, Metoprolol 1mg (repetitive Adrenalingabe, arrhythmogene Genese). In Reserve ECLS als Bridging bis zur Behandlung einer behandelbaren Ursache (PCI, Dialyse u.a.) mit Einsatz einer ECMO mit einer extracorporalen CPR (eCPR) in einer spezialisierten Klinik – bis dahin hochqualitative CPR (2, 3, 4).

ALS 2021 bei Erwachsenen:
www.resuscitation.ch und www.grc-org.de
Erfolgsversprechendere Therapieoptionen nach 3 erfolglosen Defibrillationen und persistierendem KFLi sind Modifikationen der Defibrillation. So die Double Sequence Defibrillation (DSED) mit zwei Defibrillatoren und 4 Paddels in 2 Ebenen (anterior-lateral = re sternal-apical V6 + anterior-posterior = über li Herz + posterior unter li Scapula – Elektroden-Wechsel während 1. resp. 2. Kompressionspause). Nach 2 Minuten CPR bei weiterem KFli 2 Schockabgaben hintereinander (<1 Sekunde) von je 200 Joules mit 3 weiteren CPR-Zyklen inkl. Defibrillation mit beiden Geräten hintereinander, sofern notwendig. Eine weitere Möglichkeit ist die «Vector-Change Defibrillation» (VCD) mit einem Defibrillator und 2 Paddels anterior-lateral mit Wechsel nach dem 3. erfolglosem Schock nach anterior-posterior in den folgenden Kompressionspausen. Dadurch wird ein grösserer Teil des Ventrikels beim 4. Schock defibrilliert, die thorakale Impedanz ist tiefer. Sofern notwendig erfolgen dann drei weitere Defibrillationen anterior-posterior bei fortgesetzter CPR 30:2 über jeweils 2 Minuten. Die DSED-Methode wurde seit 1994 in mehreren Arbeiten beschrieben (5, 6). Für beide ­Methoden findet man auch im Internet kleine Studien, Abbildungen und Videos.

In einer aktuellen Studie von Cheskes et al. im NEJM vom 6.­ November 2022 werden die obigen Therapieoptionen der Defibrillation bei 405 Patienten mit refraktärem KFLi oder pulsloser KT in Ontario Kanada ausserhalb einer Klinik, sehr zeitnah (7-8 Min.), bei sechs Rettungsorganisationen von 2018 bis Mai 2022 geprüft. Nach dreimaliger Defibrillation mit dazwischen je zwei Minuten guter CPR, Gabe von Adrenalin und Antiarrhythmika wurden drei Studienarme gebildet: 136x Standard-Defibrillation (33,6%), 144x VCD (35,6%) und 125x DSED (30,9%). Es ergab sich ein signifikanter Überlebensvorteil/Entlassungen in den beiden Gruppen DSED von 2,21 RR (30,4%), resp. VCD von 1,71 RR (21,7%) gegenüber der Standard-Defibrillationsgruppe mit 13,3%. Das neurologische Ergebnis war in der DSED-Gruppe signifikant besser als in den beiden anderen Gruppen (6). In einem sehr instruktiven Video wird das praktische Vorgehen dieser beiden Defibrillationsoptionen während der CPR gut dargestellt. Wichtig bleibt ein möglichst kurzer Unterbruch einer hochqualifizierten CPR bei der Neupositionierung der Elektroden und der Defi-Kabel.

Es bedarf weiterer Forschung und Studienresultate dieser beiden Defibrillationsoptionen bei einem refraktären KFLi. In der aktuellen Publikation wissen wir nichts über die Versorgung nach der Reanimation – Temperaturmanagment, Koronarangiographie mit PCI bei einem ACS oder ST-Hebung u.a.. Diese Massnahmen beeinflussen ebenfalls das Überleben. Auch ist die Studie bei zu wenig Patienten in der Aussage eingeschränkt, wurde diese doch wegen COVID vorzeitig beendet. Auch muss der Unterschied in den Befunden bei beiden Strategien DSED vs. VCD geklärt werden. Bis zum Vorliegen dieser Resultate bleiben diese zwei erfolgsversprechenden Defibrillations-Methoden somit noch eine Ausnahme resp. eine individuelle Entscheidung in der Anwendung bei einem refraktären Kammerflimmern – Off-Label-Use.

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

1. Fischer M. et al.; Jahresbericht des Deutschen Reanimationsregisters; Ausserklinische Reani-mation 2020; Anästh. Intensivmedizin 2021; 62:V68-V73.
2. Perkins GD et al.; Resuscitation 2021; 161: 1-60.
3. Soar J. et al.; Resuscitation ERC Guidelines 2021, Adult advanced life support; Resuscitation 2021; 161: 115-151.
4. G. Michels et al.; ERC-Leitlinien 2021 zur kardiopulmonalen Reanimation; Herz 2022;47:4-11.
5. www.jems.com/patient-care/double-sequential-external-defibrillation-for-refractory-ventricular-fibrillation
6. Cheskes S. et al.; Defibrillation Strategies for Refractory Ventricular Fibrillation; NEJM; Nov. 6, 2022. DOI: 10.1056/NEJMoa2207304

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  • Vol. 12
  • Ausgabe 6
  • November 2022