Fortbildung

Familiäre Hypercholesterinämie (FH) – mit genetischen Untersuchung zur adäquaten Behandlung

Nicht nur äussere Einflüsse, sondern auch genetische Faktoren können das Auftreten von Hypercholesterinämie beeinflussen. Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine autosomal dominante Erkrankung, die durch genetisch bedingte hohe LDL-Cholesterinwerte gekennzeichnet ist. Wird sie nicht behandelt, führt dies bei den Betroffenen zu frühzeitiger Atherosklerose und koronaren Herzerkrankungen in jüngeren Jahren. Eine genetische Untersuchung erlaubt eine differenzierte Diagnosestellung, die Wahl der optimalen Therapie und präventive Massnahmen bei Familienangehörigen.



Not only external influences, but also genetic factors can affect the occurrence of hypercholesterolemia. Familial hypercholesterolemia (FH) is an autosomal dominant disorder characterized by genetically determined high LDL cholesterol levels. If left untreated, it leads to early atherosclerosis and coronary heart disease at younger ages in affected individuals. Genetic testing allows a differentiated diagnosis, the choice of optimal therapy and preventive measures for family members.
Key Words: Familial hypercholesterolemia, genetics, genetic counselling

Oft ist Hypercholesterinämie die Folge von Übergewicht, ungesunder Ernährung, wenig Bewegung, exzessivem Alkoholkonsum oder aber auch verursacht durch andere Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, nephrotisches Syndrom oder Hypothyreose.

Werden trotz einer gesunden Lebensführung hohe Cholesterinwerte nachgewiesen, haben in der Familie eine oder mehrere Personen in jüngeren Jahren einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag erlitten oder leiden an koronaren Herzkrankheiten bzw. hohen Cholesterinwerten oder sind in der Familie bereits bei mehreren Personen hohe Cholesterinwerte bekannt, empfiehlt es sich, eine genetische Beratung durchzuführen. Denn: Es gibt auch genetisch bedingt hohe Cholesterinwerte, die sogenannte familiäre Hypercholesterinämie (FH), die unbehandelt das Risiko für Myokardinfarkt und Apoplexie erhöhen. Der Verdacht auf eine FH aufgrund einer ausführlichen Anamnese kann mittels genetischem Test bestätigt oder aber auch mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Der Nachweis einer krankheitsverursachenden Genvariante sichert die Diagnose, erlaubt eine präzisere Prognose über den Krankheitsverlauf und erlaubt einen frühzeitigen Beginn mit einer Therapie. Zudem verbessert die genetische Diagnose die Akzeptanz einer lebens­langen Therapie. Patientinnen und Patienten wissen dann, warum sie die Medikamente einnehmen sollen und dass eine gesunde Lebensführung allein leider nicht ausreicht. Auch anderen Familienangehörigen kann man damit helfen, da der Gentest eine zuverlässige Abklärung weiterer Familienangehöriger ermöglicht (Kaskaden-Screening).

Fallbeispiel 1

Ausgangslage

Herr K. wurde kürzlich 40 Jahre alt und beschliesst nach einem Gespräch mit seinem Hausarzt, eine Check-up-Untersuchung durchführen zu lassen. Herr K. fühlt sich fit und gesund, rudert, spielt regelmässig Tennis und hat bisher keine schweren Erkrankungen durchgemacht. Die Untersuchungen zeigen denn auch durchwegs normale Werte – bis auf einen erhöhten LDL-Cholesterin-Wert (6.3 mmol/l). Herr K. wundert sich über diesen Befund, da er sich gesund ernährt, viel Bewegung hat, nicht raucht und nur mässig Alkohol trinkt. Sein Arzt klärt ihn darüber auf, dass es neben der bekannten, vom Lebensstil abhängigen Erhöhung des Cholesterins auch eine genetisch bedingte Form gibt, die durch die Ernährung wenig beeinflusst werden kann und immer einer Therapie bedarf.

Genetische Abklärung

In den Empfehlungen des JACC Scientific Expert Panels (1) wird ein Scoring-System vorgestellt, das die Identifikation der Patienten mit (wahrscheinlicher) FH erlaubt. Aufgrund der Resultate dieses Dutch Lipid Clinic Network Scores (DLCN Score, s. Tab. 1), hat der Hausarzt seinen Patienten für eine genetische Beratung an Hirslanden Precise überwiesen. Die Familienanamnese zeigt: Sein Grossvater mütterlicherseits starb im Alter von 54 Jahren an einem Myokardinfarkt, seine Mutter hat zwei Myokardinfarkte erlitten (58 Jahre und 62 Jahre), und ein Onkel mütterlicherseits leidet an einer koronaren Herzkrankheit. Alle Betroffenen hätten, so bekannt, hohe Cholesterinwerte gehabt, trotz gesunder Lebensführung. Diese Familienanamnese ist suggestiv für eine hereditäre Hypercholesterinämie. Die durchgeführte Analyse der mit erhöhtem LDL-C-Cholesterin assoziierten Core-Gene APOB, LDLR, LDLRAP1, PCSK9 und STAP1 detektierte eine pathogene Veränderung (Mutation) im LDL-Rezeptor-Gen, was die Verdachtsdiagnose einer familiären Hypercholesterinämie (FH) bestätigt.

Besprechung

Es wird unverzüglich eine cholesterinsenkende medikamentöse Therapie mittels Simvastatin eingeleitet. Herr K. hätte noch lange auf die Ernährung und seinen Lebensstil achten können – seine Cholesterinwerte wären wohl kaum gesunken, und das Risiko für kardiovaskuläre Probleme bis hin zu Myokardinfarkt oder Apoplexie wäre weiterhin hoch geblieben. Ein kardiovaskuläres Ereignis stellt oft die Erstmanifestation der FH dar – im durchschnittlichen Alter von 44 Jahren.

Fallbeispiel 2

Ausgangslage und genetische Beratung

Eine 26-jährige Frau mit Kinderwunsch und belasteter Familiengeschichte mütterlicherseits bezüglich kardiologischer Auffälligkeiten wendet sich an Hirslanden Precise für eine genetische Beratung. Die Stammbaumanalyse zeigt eine auffällige Ausgangslage: Unter anderem war ihr Onkel mit 38 Jahren an einer koronaren Herzerkrankung gestorben, ihre Grossmutter erlitt drei Myokardinfarkte in jüngerem Alter und deren zwei Brüder nahmen Statine zur Cholesterin-Senkung.

Genetische Abklärung

Mit einer genetischen Analyse konnte eine Funktion verstärkende (gain-of-function) Mutation im PCSK9-Gen nachgewiesen und die bereits vermutete Diagnose einer familiären Hypercholesterinämie bestätigt werden. Bei der jungen Frau wurde die PCSK9-Variante ebenfalls identifiziert und es ist davon auszugehen, dass auch die zu hohen LDL-Cholesterinwerte ihrer Grossonkel auf die familiäre Mutation zurückzuführen sind.

Besprechung

Der Nachweis einer gain-of-function Mutation im PCSK9-Gen verändert die Therapiewahl signifikant. Die LDL-C-Werte können in dieser Situation mit einer Statin-Therapie viel zu wenig gesenkt werden, da aufgrund der Mutation zu viel PCSK9 entsteht, dass die LDL-Rezeptoren abfängt, die dann abgebaut werden und das LDL-Cholesterin nicht mehr in die Leber transportieren, so dass es im Blut verbleibt und sich an den Gefässwänden ablagern kann. Bei Familienangehörigen mit hohen Cholesterinwerten, die sich mit Statinen zu wenig senken lassen, ist hier nun der Einsatz von PCSK9-Hemmern (Alirocumab, Evolocumab) indiziert (2), insbesondere auch, weil in dieser Familie ein sehr hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen besteht.

Die Familienmitglieder der Ratsuchenden müssen nun über ihr erhöhtes Risiko aufgeklärt werden. Es steht ihnen jedoch frei, sich für oder gegen eine genetische Testung zu entscheiden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. phil. nat. Sabina Gallati

Forchstrasse 452
CH-8702 Zollikon

sabina.gallati@hirslanden.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ 90 % der FH-Betroffenen sind nicht diagnostiziert. In der Schweiz beträgt die Prävalenz von FH ungefähr 1:250. Rund 36 000 Personen sind betroffen.
◆ Wird FH frühzeitig diagnostiziert und adäquat behandelt, kann das Risiko der Betroffenen auf das Niveau einer gesunden Person gesenkt werden.
◆ Ein kardiovaskuläres Ereignis stellt oft die Erstmanifestation einer FH dar – im durchschnittlichen Alter von 44 Jahren.
◆ Die Differenzierung zwischen Patientinnen und Patienten mit einer primären, also genetisch bedingten, Hypercholesterinämie und solchen mit einer multifaktoriell (unvollständig penetrante genetische Prädispositionen plus Umwelt-/Lebensstilfaktoren) verursachten Erkrankung ist essentiell, da Personen mit einer nachgewiesenen pathogenen Variante in einem der mit FH assoziierten Gene und einem LDL-C-Wert über 4.9 mmol/l (190 mg/dl) ein 22-fach höheres Risiko als die Allgemeinbevölkerung haben, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln.
◆ Bei Diagnosestellung einer FH ist eine Familienabklärung (Kaskaden-Screening) dringend zu empfehlen, um betroffene Familienangehörige frühzeitig zu identifizieren und gezielt zu behandeln. So wird die Belastung durch kardiovaskuläre Erkrankungen in diesen Familien nachweislich reduziert, was nicht nur deren Lebensqualität und -erwartung bedeutend verbessert, sondern auch eine Senkung der Gesundheitskosten bewirkt (3).
◆ Die Indikation für eine genetische Untersuchung kann mit dem DLCN Score ermittelt werden.

1. Sturm AC, Knowles JW, Gidding SS, Ahmad ZS, Ahmed CD, Ballantyne CM, et al. Clinical genetic testing for familial hypercholesterolemia: JACC Scientific Expert Panel. J Am Coll Cardiol 2018; 72: 662–680.
2. Schöb M, Müller P, Gerth Y, Korte W, Rickli H, Brändle M, Bärlocher A und Bilz S. Familiäre Hypercholesterinämie – Diagnose und Therapie: Praxis 2018; 107: 1345-1353.
3. Kerr M, Pears R, Miedzybrodzka Z, Haralambos K, Cather M, Watson M, Humphries SE. Cost effectiveness of cascade testing for familial hypercholesterolaemia, based on data from familial hypercholesterolaemia services in the UK: Eur Heart J 2017; 38: 1832-1839.