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Genetische Beratung

ANP-Angebot für Personen mit einer erblichen Veranlagung für Krebskrankheiten

Bei manchen Personen besteht der Verdacht auf ein genetisch erhöhtes Krebsrisiko, oder ein solches Risiko wurde im Rahmen einer genetischen Beratung bestätigt. Am Inselspital Bern wurde ein Advanced-Nursing-Practice-Angebot für diese Betroffenen ent­wickelt. Ziel des Angebots ist eine individuelle und kontinuierliche Begleitung von der Abklärung bis zur langfristigen Nachsorge.



Etwa 5-10% aller Krebserkrankungen sind genetisch bedingt. Die betroffenen Personen haben ein erhöhtes Risiko, an bestimmten Tumoren zu erkranken (1). Ein Beispiel ist das erbliche Brust- und Eierstockkrebssyndrom (HBOC): Für Frauen mit einem HBOC beträgt das Lebenszeitrisiko für Brustkrebs über 60% und für ein Ovarialkarzinom ca. 55% (2). Beim Nachweis einer erblichen Veranlagung für Krebskrankheiten wird empfohlen, dass die Betroffenen intensivierte Früherkennungsmassnahmen in Anspruch nehmen oder allenfalls sogar risikoreduzierende Operationen machen lassen (Abb. 1+2).

Bei blutsverwandten Personen liegt das Risiko, die Veranlagung ebenfalls geerbt zu haben, bei bis zu 50%. Daher wird den Indexpersonen (erste Person einer Familie, bei der die genetische Veränderung nachgewiesen wurde) empfohlen, ihre Blutsverwandten über das erhöhte genetische Krebsrisiko zu informieren. So können diese, falls sie dies wünschen, mittels Gentest abklären lassen, ob sie ebenfalls von der genetischen Veränderung betroffen sind.

Genetische Beratung und Testung

Eine genetische Beratung wird Personen mit folgenden Merkmalen empfohlen:

  • Krebserkrankung in jungem Alter
  • Mehrere Krebserkrankungen
  • Auffällige Familiengeschichte mit mehreren Krebserkrankungen.

Die Familienanamnese ist zentral für die Risikoabschätzung, ob eine genetische Veränderung in der Familie vorliegen könnte.
Personen, die der genetischen Beratung zugewiesen werden, erhalten eine Stammbaumvorlage, die sie ausgefüllt an die Beratung mitbringen sollten. In der Beratung werden folgende Themen besprochen:

  • Detaillierte Familienanamnese, insbesondere zu Krebserkrankungen
  • Informationen über erbliche Tumorsyndrome
  • Ablauf und Kosten einer genetische Testung
  • Konsequenzen, wenn eine genetische Veränderung nachgewiesen wird.

Eine genetische Testung kann bis ca. 4000 Franken kosten, weshalb dafür ein Kostengesuch bei der Krankenversicherung gestellt wird. Die Kostenübernahme ist eine Pflichtleistung der Versicherung, wenn die schweizerischen Richtlinien für die genetische Abklärung erfüllt sind.

Entwicklung eines Advanced Nursing Practice-Angebots

Aus der Literatur wird deutlich, dass Indexpersonen und ihre Blutsverwandten mit psychosozialen Belastungen konfrontiert sind. In der Medizinischen Onkologie des Inselspitals wurde deshalb ein Angebot von Advanced Nursing Practice (ANP) entwickelt, damit die betroffenen Personen besser unterstützt werden können. Der Aufbau der Nurse-Practitioner (NP)-Rolle erfolgte methodisch. In einer Stakeholder-Analyse wurden die zu involvierenden Personen identifiziert und in einem Gespräch über das Projekt informiert. Ihre Sicht wurde erfasst und floss in die Entwicklung von Massnahmen ein. Stakeholder waren unter anderem zuweisende Personen (z.B. Gynäkologinnen und Gynäkologen), Personen mit einer genetischen Veränderung und ein Psycho­onkologe. Es erfolgte eine Literatursuche für Unterstützungsmöglichkeiten bei der Information von Blutsverwandten; die Ergebnisse dienten als Leitlinie für die Entwicklung von Massnahmen, die während einer achtmonatigen Pilotphase getestet und evaluiert wurden. Damit das Projekt nachhaltig implementiert werden konnte, wurde ein Konzept erarbeitet. In diesem sind die Einzelheiten des ANP-Angebots und die Rolle der NP beschrieben, und alle schriftlichen Unterlagen zum Angebot sind darin verlinkt.

Aufgaben und Kompetenzen der NP

Die NP bietet Personen telefonisch auf, die zur genetischen Beratung zugewiesen wurden. In diesem Gespräch können bereits erste Fragen geklärt werden, und die NP leitet die Person beim Ausfüllen des Stammbaums an. Die NP erfasst die Familienanamnese und gibt Informationen gemäss Leitfaden ab. Zusammen mit der Onkologin werden offene Fragen geklärt. Falls eine genetische Unter­suchung gewünscht und sinnvoll ist, unterschreibt die ratsuchende Person eine Einverständniserklärung.

Nach der genetischen Beratung verfolgt die NP den Stand der Kostengesuche und setzt sich bei Bedarf mit der Krankenversicherung in Verbindung. Bei abgelehnten Kostengesuchen unterstützt die NP die Betroffenen mit Vorlagen und Informationen zu Einsprachemöglichkeiten. Bei Erhalt der Kostengutsprache veranlasst die NP den Start der Analyse im Labor und vereinbart einen Termin für die Resultatbesprechung.

Die Onkologin bespricht das Resultat mit der ratsuchenden Person. Falls eine pathogene genetische Veränderung nachgewiesen wurde, erklärt die NP die möglichen Unterstützungsangebote und vereinbart einen Termin für einen Follow-up-Anruf. In diesem Anruf wird die psychosoziale Belastung erfragt und bei Bedarf psychoonkologische Betreuung angeboten. Falls gewünscht meldet die NP betroffene Personen für Früherkennungsmassnahmen an (in Rücksprache mit der Onkologin). Die NP unterstützt Indexpersonen bei der Information der Blutsverwandten mit Informationsblättern und Briefvorlagen. In diesen Unterlagen ist angegeben, wie die NP erreicht werden kann, damit sich die Blutsverwandten bei Fragen direkt melden können. Die NP berät die Indexperson auch bezüglich Kommunikationsstrategien, wenn die Indexperson ihre Verwandten direkt informieren möchte. Die NP ist zudem Ansprechperson für weitere Anliegen, beispielsweise die Angabe von Testorten für Angehörige in anderen Kantonen oder die Organisation eines Austauschs mit einer anderen betroffenen Person.

Rückmeldungen zur Pilotphase

Die Stakeholder wurden am Ende der Pilotphase erneut befragt und das Feedback war durchwegs positiv. Eine betroffene Person erlebte den Follow-up-Anruf wie folgt:

«Ja, Ihr Anruf hat mir geholfen. Ich war positiv überrascht. Ich fühlte mich unterstützt und hatte eine Bezugsperson, falls ich Fragen hatte. Der Zeitpunkt war sehr passend, ich war sehr aufgewühlt, tief betroffen und traurig.»

Bedeutung für Pflegefachpersonen

Genetische Analysen sind keine Standarduntersuchungen und teilweise wissen auch Behandlungsteams nicht darüber Bescheid. Pflegepersonen, die nahe an den Patientinnen und Patienten sind, sollten für das Thema sensibilisiert werden und sie sollten wissen, dass die Möglichkeit von genetischen Tests besteht. Denn bei einer genetischen Veranlagung mit hohem Krebsrisiko können Früherkennungsmassnahmen oder vorbeugende Operationen schwere Erkrankungen und Todesfälle verhindern.

Muriel Fluri, MScN, Dr. med. Manuela Rabaglio

Risiko- und Präventionssprechstunde, Genetische Beratung
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Inselspital Bern, 3010 Bern
muriel.fluri@insel.ch, manuela.rabaglio@insel.ch

Erstpublikation: Onkologiepflege1/2023

1. Propping, P. (2009). Genetische Krebsdiagnostik. Fluch oder Segen für die
Patienten? Der Onkologe, 15(10), 1015–1020.
2. Chen, J., Bae, E., Zhang, L., Hughes, K., Parmigiani, G., Braun, D., & Rebbeck, T. R. (2020). Penetrance of breast and ovarian cancer in women who carry a BRCA1/2 mutation and do not use risk-reducing salpingo-oophorectomy: an updated meta-analysis. JNCI cancer spectrum, 4(4), pkaa029.
Abb.1+2: Leitfaden genetische Beratung bei erblich bedingtem Brust- und Eierstockkrebs der SAKK, Dubsky P., Unger S., Aebi S. & Riniker S (2017).

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  • Vol. 13
  • Ausgabe 1
  • Februar 2023