Fortbildung

Sarkom-Betreuung in der Schweiz und der Region Auvergne-Rhône-Alpes

Sarkome sind sehr seltene, bösartige Tumoren des Stütz- oder Bindegewebes. In der Schweiz werden jährlich ca. 300 Weichteilsarkome und 100 Knochensarkome diagnostiziert. Obwohl das Wissen über Sarkome in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, ist die Prognose für die Betroffenen nach wie vor schlecht. Entscheidend für die Heilungssausichten sind die Vorstellung an einem interdisziplinären Sarkomboard und die Operation in einem Referenzzentrum. Um die Versorgungsqualität zu verbessern, ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen medizinischen Onkologen mit Sarkom-Schwerpunkt anzustreben. In diesem Artikel soll ein Blick auf die Betreuungssituation in der Schweiz, sowie in der französischen Region Auvergne-Rhône-Alpes geworfen werden.



Sarcomas are very rare, malignant tumors of the supporting or connective tissue. In Switzerland, approximately 300 soft tissue sarcomas and 100 bone sarcomas are diagnosed annually. Although knowledge about sarcomas has increased significantly in recent years, the prognosis for those affected is still poor. Presentation to an interdisciplinary sarcoma board and surgery at a referral center are crucial for cure prospects. To improve the quality of care, constructive collaboration among medical oncologists with a sarcoma focus is desirable. This article will take a look at the care situation in Switzerland, as well as in the French region Auvergne-Rhône-Alpes.
Key Words: sarcomas, sarcoma board, tumors, whoops lesions

Sarkome sind sehr seltene Tumoren des Stützgewebes und des Bewegungsapparats. In Europa beträgt die Sarkom Inzidenz 4-9/100’000/Jahr (1). Somit werden in der Schweiz mit derzeit 8.7 Millionen Einwohnern jährlich ca. 300 Weichteilsarkome und 100 Knochensarkome diagnostiziert (2). Zur Seltenheit von ­Sarkomen kommt hinzu, dass in der 2020 publizierten WHO-Klassifikation ca. 150 Sarkom Subtypen Erwähnung finden, viele sind also ultrarare Tumoren gemäss Definition der WHO (3, 4). Es ist für alle Beteiligten im Gesundheitswesen eine Seltenheit, Patienten mit einem Sarkom zu begegnen. Die Prognose von Sarkomen ist schlecht: die 5-Jahres Mortalität liegt bei 35-40% (5, 6, 7). Tumoren mit lokal aggressivem Verhalten können ausserdem zu einer relevanten Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.

Zwar haben die diagnostische Sicherheit und das Wissen über die Molekularbiologie der Sarkome in den letzten Jahren deutlich zugenommen (8), diese übersetzen sich jedoch noch nicht in bessere Heilungsraten und damit eine wesentliche Verbesserung der Prognose.

Seit langem ist klar und auch mittlerweile wissenschaftlich gut belegt, dass die ersten Schritte bei der Diagnosestellung und Behandlung – Vorstellung an einem interdisziplinären Sarkomboard und Operation in einem Referenzzentrum – entscheidend sind für:

  • Heilungsaussichten,
  • Funktionelles Ergebnis,
  • Verhinderung wiederholter Eingriffe (welche Patienten und Gesundheitswesen belasten),
  • Vermeidung von Komplikationen (9, 10).

Trotz dieses Wissens gelingt es nicht, die Rate ungeplanter Sarkom Resektionen (sogenannte Whoops Prozeduren) relevant zu reduzieren. Diese liegt seit Jahren international bei ca. 20 – 40% (11).

Sarkomboard

Schon beim Verdacht auf ein Sarkom, sollten Patienten an ein Zentrum mit einem speziellen Sarkomboard überwiesen werden. Diese Überweisung muss also vor einer Biopsie und vor einer Operation initiiert werden. Hierbei sind Grundversorger, niedergelassene Chirurgen und Orthopäden, jedoch auch Organspezialisten gefordert, denn Sarkome können überall im Körper auftreten.

Ein Sarkom sollte in Betracht gezogen werden bei:

  • Tumoren ≥3cm (12)
  • raschem Wachstum
  • Schmerzen

Eine wichtige Aufgabe des Sarkomboards ist die primäre Einschätzung eines pathologischen Weichteil- oder Knochenbefunds. Mit Hilfe der Anamnese und des Bildmaterials wird die Entscheidung zur Biopsie mit Festlegung des Biopsiewegs getroffen, alternativ zur primären Resektion oder auch Beobachtung. Nur ein Teil der besprochenen Patientenfälle erweist sich schlussendlich als Sarkom, daneben werden Lipome, Schwannome, Knochenzysten, Karzinom Metastasen, Lymphome etc. diagnostiziert.

Betreuungssituation in der Schweiz

Die Patientenorganisation Sarkom Schweiz weist auf ihrer Internetseite 11 Standorte für die Sarkom Behandlung in der Schweiz aus (13). Es gibt einen Zusammenschluss von Orthopäden, welche einen Schwerpunk bei der Behandlung und Erforschung von Sarkomen haben (14). Und es gibt das «Swiss Sarcoma Network», welches jedoch entgegen dem Namen nicht die gesamte Schweiz umfasst (15).
Die Betreuungslandschaft von Sarkomen in der Schweiz ist unübersichtlich und teilweise von Konkurrenz geprägt.

Bislang gibt es keine Regulierung bezüglich der Behandlung erwachsener Sarkom Patienten. Es wird jedoch die Aufnahme von Sarkom Operationen in die Liste der Hochspezialisierten Medizin erwartet, welche Leistungsaufträge für komplexe stationäre Interventionen erteilt (16). Damit kann ggf. sichergestellt werden, dass zukünftig nur noch erfahrene Chirurgen und Orthopäden Sarkome operieren und eine qualitätssichernde jährliche Fallzahl erreichen. Dem Umstand, dass die kritische Betreuungsphase von Sarkom Patienten bereits vor der Diagnosestellung beginnt, wird hiermit jedoch nicht Rechnung getragen.

Betreuungssituation in Auvergne-Rhône-Alpes

Es lohnt ein Blick über die Landesgrenze nach Frankreich. Dort wurde 2010 ein klinisches Referenznetzwerk für Sarkome gebildet (NetSarc), dieses umfasst 28 Referenzzentren für Weichteilsarkome und 14 für Knochensarkome (17). NetSarc ist um die Vereinheitlichung der Sarkom-Therapie bemüht, reguliert den Versand von Tumorgewebe an Referenz-Pathologie-Institute, führt ein Register, koordiniert Projekte und erleichtert die Teilnahme an klinischen Studien. Eines der NetSarc-Referenzzentren ist das Centre Léon Bérard in Lyon (18). Lyon mit 523’000 Einwohnern ist die Hauptstadt der Region Auvergne-Rhône-Alpes, in der etwas mehr als 8 Millionen Menschen leben (19). Das Sarkomboard des Centre Léon Bérard hat 2021 427 neue und insgesamt 2’683 Patienten diskutiert. Die Bewältigung dieser Fallzahlen ist durch Spezialisierung und Fokussierung möglich: mehrere Radiologen, Pathologen, medizinische Onkologen, Chirurgen, Orthopäden, Radioonkologen, spezialisierte Pflegefachpersonen und Forschungsteams widmen sich ganz der Sarkom Diagnostik und Behandlung. Es bedarf jedoch zudem der regionalen und überregionalen Zusammenarbeit, der Mitwirkung von Zuweisern und lokalen Fachpersonen des Gesundheits­wesens.

Dr. Fadila Farsi, Direktorin des regionalen Krebsnetzwerks Auvergne-Rhône-Alpes ONCO AURA (20), nennt 6 Leitmotive:

  • Kultur
  • Überzeugung
  • Vertrauen
  • Transparenz
  • Expertise
  • Hingabe

Über Jahre ist eine Kooperation entstanden, welche die Versorgungsqualität in der Region verbessert hat und exemplarisch ist für andere französische Referenzzentren.

Sarcoma Medical Oncology Exchange

Auch in der Schweiz gelingt eine konstruktive und kollegiale Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe medizinischer Onkologen mit Sarkom Schwerpunkt aus allen Landesteilen (Abb. 1, Tab. 1): jede Woche findet eine Online-Konferenz statt, in deren Rahmen Patientenfälle diskutiert, klinische Studien in den einzelnen Zentren ausgetauscht und gemeinsame Projekte besprochen werden. Dieser «Sarcoma Medical Oncology Exchange» ist ein offenes Format und lädt ein, Patienten vorzustellen oder über diese Plattform einem Sarkomzentrum zuzuweisen. Die involvierten medizinischen Onkologen sind auch bei der SAKK Sarcoma Working Group aktiv und bemüht, die klinische Studienaktivität auszubauen (21).

Perspektive

Eine unserer Ambitionen ist es, zukünftig Whoops-Prozeduren in der Schweiz durch Vigilanz von Grundversorgern, Chirurgen, Orthopäden und Organspezialisten zu vermeiden, und andrerseits die Leitmotive in der Zusammenarbeit unter Sarkom-Experten erkennbar werden zu lassen: Kultur, Überzeugung, Vertrauen, Transparenz, Expertise und Hingabe.

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PD Dr. med. Christian Rothermundt

Leitender Arzt / Leitung Ambulatorium St. Gallen & Rorschach
Kantonsspital St. Gallen
Klinik für Med. Onkologie/Hämatologie
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. de Pinieux G, Karanian M, Le Loarer F, et al. Nationwide incidence of sarcomas and connective tissue tumors of intermediate malignancy over four years using an expert pathology review network. PLoS One 2021;16(2):e0246958.
2. 1177-2100-de.pdf [Internet]. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://www.nkrs.ch/assets/files/publications/Krebsbericht2021/1177-2100-de.pdf
3. CDM F, JA B, PCW H, F M. WHO Classification of Tumours of Soft Tissue and Bone [Internet]. [cited 2022 Sep 22]. Available from: https://publications.iarc.fr/Book-And-Report-Series/Who-Classification-Of-Tumours/WHO-Classification-
Of-Tumours-Of-Soft-Tissue-And-Bone-2013
4. Stacchiotti S, Frezza AM, Blay J-Y, et al. Ultra-rare sarcomas: A consensus paper from the Connective Tissue Oncology Society community of experts on the incidence threshold and the list of entities. Cancer 2021;127(16):2934–42.
5. Cancer of soft tissue including heart – Cancer Stat Facts [Internet]. SEER. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://seer.cancer.gov/statfacts/html/soft.html
6. Kollár A, Rothermundt C, Klenke F, et al. Incidence, mortality, and survival trends of soft tissue and bone sarcoma in Switzerland between 1996 and 2015. Cancer Epidemiol 2019;63:101596.
7. Cancer of the Bones and Joints – Cancer Stat Facts [Internet]. SEER. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://seer.cancer.gov/statfacts/html/bones.html
8. Vibert J, Watson S. The Molecular Biology of Soft Tissue Sarcomas: Current Knowledge and Future Perspectives. Cancers (Basel) 2022;14(10):2548.
9. Blay J-Y, Soibinet P, Penel N, et al. Improved survival using specialized multidisciplinary board in sarcoma patients. Ann Oncol 2017;28(11):2852–9.
10. Blay J-Y, Honoré C, Stoeckle E, et al. Surgery in reference centers improves survival of sarcoma patients: a nationwide study. Ann Oncol 2019;30(8):1407.
11. Traub F, Griffin AM, Wunder JS, Ferguson PC. Influence of unplanned excisions on the outcomes of patients with stage III extremity soft-tissue sarcoma. Cancer 2018;124(19):3868–75.
12. Kogosov V. Leitlinie Weichgewebesarkome. 2022;255.
13. Sarkom-Schweiz – Home [Internet]. [cited 2022 Nov 10];Available from:
https://www.sarkom-schweiz.ch/index.php/de/
14. UNIVERSITY SARCOMA NETWORK [Internet]. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://www.university-sarcoma.ch/
15. SWISS SARCOMA NETWORK: Swiss Sarcoma Network [Internet]. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://www.swiss-sarcoma.net/
16. Hochspezialisierte Medizin [Internet]. [cited 2022 Nov 10];Available from: https://www.gdk-cds.ch/de/hochspezialisierte-medizin
17. NetSarc-ResOs – Réseaux de référence Clinique [Internet]. [cited 2022 Sep 6];Available from: https://netsarc.sarcomabcb.org/
18. Centre Léon Bérard | Centre de lutte contre le cancer, hôpital cancer Lyon
[Internet]. [cited 2022 Nov 14];Available from: https://www.centreleonberard.fr/
19. Dossier complet − Région d’Auvergne-Rhône-Alpes (84) | Insee [Internet]. [cited 2022 Nov 14];Available from: https://www.insee.fr/fr/statistiques/2011101?geo=REG-84
20. Accueil [Internet]. ONCO AURA. [cited 2022 Nov 14];Available from:
https://onco-aura.fr/
21. https://www.sakk.ch/de/krebsarten/sarkome-0

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  • Vol. 13
  • Ausgabe 1
  • Februar 2023