Editorial

Warm anziehen oder in die Hände spucken?



Jetzt bekommen wir neu noch einen 4. und 5. CDK4/6-Inhibitor, dies nach der Erstzulassung von Palbociclib im Februar 2015 durch die FDA. Etwas überraschend? Gut für Patientinnen und Ärzte eine weitere Option zu haben, besser, wenn es vielleicht dann auch noch etwas weniger teuer geht. Was steckt dahinter? Lerociclib mit grosser chinesischer Studie und Dalcipiclib von Jiangsu Hengrui Pharmaceuticals und dem Chinese Academy of Medical Sciences Innovation Fund for Medical Sciences, welche die wegweisende Studie dazu durchgeführt, respektiv unterstützt haben. Wissenschaftlich nicht sehr innovativ, die Publikation hat es denn auch nicht «to the top» geschafft, aber das Ganze hat doch System (1).

Seit einiger Zeit, von vielen kaum beachtet, expandieren chinesische Pharmafirmen, auch im Ausland. Nach Pyrotinib, das 2017 die Phase 1 für HER2-positives Mammakarzinom durchführte und bereits 2018 eine FDA-Registrierung erhielt (2), kommt jetzt also Dalpiciclib. Die Rekrutierung für die Zulassungsstudie wurde innert 17 Monaten abgeschlossen.

Die chinesische Pharmaindustrie hat drei klare Vorteile: ein unerschöpfliches Patientenreservoir im Inland, externe Unterstützung und die Möglichkeit eigene Derivate von bereits erfolgreichen Molekülen zu entwickeln, was im «westlichen Ausland» wegen den gesetzten «standards of care» nicht mehr möglich ist.

Die Chinesen sind übrigens auch bei den anspruchsvolleren Antikörpern, drug conjugates, CAR-T, TILs, NK- und engeneered T-cell sowie oncolytic virus Therapie sehr aktiv und haben einen «grossen Sprung nach vorne» gemacht: Wie? Im Jahr 2017 wurde eine umfassende Reform der Medikamentenregulierung durchgeführt, so dass eine dynamische Phase eingeleitet werden konnte. Das Resultat: Nur 1 Jahr danach – 2018 – wurden 312 neue Moleküle in 364 Phase 1 Studien getestet, ein Plus von 102%, und 20’212 gegenüber 7133 PatientInnen rekrutiert, fast eine Verdreifachung. Ebenso stiegen innert Jahresfrist die First In Humans Studien um 60%. Die Studien wurden auch grösser mit neu durchschnittlich 56 Patientinnen (+ 405). Besonders dynamisch war die Auswahl der Molekülstrategie. In diesem ersten Jahr haben die Immuntherapeutika erstmals die klassischen Antikörper überholt… und wie: In 165/312 neuen Phase 1 Studien wurden Immunonkologika getestet (53%), ein Anstieg von sagenhaften 416% gegenüber dem Vorjahr: noch viel weiteres Potential im Inland ist da: 10 Provinzen warteten 2018 immer noch auf die erste Studie (3).

Hengrui ist auch in der Schweiz aktiv geworden und dabei in Zürich eine Biotechplattform aufzubauen (4).

So treten neue, bisher kaum beachtete Mitspieler im Pharmabereich aus China auf. Zeit auch in der Schweiz innovativ bei den Bedingungen für die Medikamentenentwicklung vorwärtszumachen – wie China 2017 – und die klinische Forschung aus dem Abwärtsweg wieder auf den Erfolgspfad zu führen. Ansonsten könnten wir wie bei den Generika und den Wirkstoffen für Medikamente generell erwachen. Nur mit Wettbewerb, ohne sinnvolle Leitplanken, geht es in einem teilregulierten Markt nicht: in Spanien kostet 1 OP Parazetamol weniger als 1 Päckli Kaugummi. «Switzerland produces all the milk it needs. Why can’t it do the same for medicines?» (5) Aber das ist eine andere Geschichte… auch mit Handlungsbedarf…

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

1. https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/
PIIS1470-2045(23)00172-9/fulltext#%20
2. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30341682/
3. Anticancer drug R&D landscape in China Zhao et al. Journal of Hematology & Oncology (2020) 13:51. https://doi.org/10.1186/s13045-020-00877-3
4. https://www.swissbiotech.org/listing/hengrui-europe-biosciences-ag-2/
5. https://www.nzz.ch/english/can-switzerland-become-self-sufficient-for-all-medicines-ld.1737326

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  • Vol. 13
  • Ausgabe 5
  • August 2023