- Grippe und Herz
Eine Influenza Impfung kann kardiovaskuläre Ereignisse wie einen akuten Myokardinfarkt, Schlaganfall und die Gesamt- und kardiovaskuläre Sterblichkeit signifikant reduzieren. Eine Prävention mittels eines inaktivierten, quadrivalenten HD-Impfstoffs sollte bei Personen ab 65 Jahren und einer chronischen Erkrankung oder bei Senioren ≥75 Jahre jeweils im Herbst gemäss WHO durchgeführt werden. Leider ist die Influenza-Impfquote bei chronischen Erkrankungen heute noch viel zu gering. Der ärztliche Rat und die Motivation sind dabei entscheidend. Das Ziel wäre eine Impfquote dieser Population ≥75%. Die Übersterblichkeit bei Influenza ist vor allem kardiovaskulär.
Influenza vaccination can significantly reduce cardiovascular events such as acute myocardial infarction, stroke, and all-cause and cardiovascular mortality. Prevention using an inactivated, quadrivalent HD vaccine should be performed in persons 65 years of age and older with chronic disease or in seniors ≥75 years of age each fall, according to WHO. Unfortunately, influenza vaccination coverage in chronic disease is still far too low today. Medical advice and motivation are critical in this regard. The goal would be a vaccination rate of this population ≥75%. Excess mortality from influenza is primarily cardiovascular.
Key Words: Influenza, influenza vaccination, cardiovascular diseases in influenza, myocardial infarction
Dieser Artikel beruht auf der aktuellen Literatur, drei ausgezeichneten Vorträgen anlässlich der dies-jährigen Jahrestagung der DGK und den Grippe-Impfempfehlungen 2023/24 der EKIF/BAG.
Für viele ist eine Influenza nur ein vorübergehendes Ärgernis mit Fieber, Schnupfen, Husten, Kopf- und Muskelschmerzen. Der typische Krankheitsverlauf ist 5-7 Tage Akuterkrankung, davon meist 3-4 Tage Bettruhe. Oft persistieren Husten und eine postgrippale Asthenie.
Tatsache ist: die medizinische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Belastung durch eine Influenza und deren Komplikationen werden stark unterschätzt. Die Influenza weist im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten die grösste Krankheitslast auf. Dies bedeutet hier die Auswirkungen der Influenza in Europa in Bezug auf den Anteil aller verlorenen gesunden Lebensjahre. Diese ist bei der Influenza deutlich grösser als eine Infektion mit Tbc, HIV oder Pneumokokken, um nur einige Infekte zu nennen (1). Bei Risikogruppen wird die chronische Grunderkrankung verstärkt und das Risiko für schwere oder tödliche Krankheitsverläufe deutlich erhöht.
Eine Infektion mit Influenza führt durch eine Zytokin-Freisetzung zu einem systemischen Entzündungszustand. Bei Risikopatienten eventuell zu einer Hyperkoagulabilität, einer Makrophagen Aktivierung und einer möglichen septischen Konstellation mit einem hämodynamischen Ungleichgewicht mit Aktivierung des Sympathikus, einer Tachykardie und Vasokonstriktion. Diskutiert werden eine endotheliale Dysfunktion und eine Plaqueruptur. Die Folge ist ein akuter Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Auch kann es zu einer viralen Peri-/Myokarditis mit einer möglichen Herzinsuffizienz und/oder einer Arrhythmie kommen. Die respiratorischen Komplikationen spielen eine wichtige Rolle mit Hypoxämie, Hypotonie und erhöhtem O2-Bedarf – vgl. Abb. 1 (2). An internistischen Folgeerkrankungen kommt es zu: Pneumonien, Exacerbation einer COPD oder eines Asthmas, Entgleisung eines Diabetes mellitus und weiterer Stoffwechselkrankheiten. Mögliche Verschlechterung von Nieren-, Lebererkrankungen, neurologischen, immunologischen und Krebsleiden. Dies führt zu einer erhöhten kardiovaskulären- und einer erhöhten Gesamtsterblichkeit. Das Risiko für einen akuten Infarkt ist in den ersten 3 Tagen einer Influenza bis 10-fach, das Risiko für einen Schlaganfall bis 8-fach erhöht. Die Herzinfarkt-Hospitalisation ist in den ersten sieben Tagen des Infektes 6-fach erhöht; auch ist das Risiko für eine Hospitalisation bei Patienten mit einer chronischen Herzerkrankung deutlich erhöht (2-6). Bei Erwachsenen steigt das kardiovaskuläre Risiko bei einem respiratorischen viralen Infekt, speziell bei Influenza, für einen Myokardinfarkt in der Zeit der Infekt-Episode vom ersten bis zum siebten Tag deutlich – 6-fach erhöht. Andere respiratorische Viren haben ein kleineres Risiko (5).
Während einer starken Influenzawelle kann ein deutlicher Mortalitätsanstieg beobachtet werden. So kam es gemäss Robert Koch Institut (RKI) in DL 2016/17 zu 22’900, in der Saison 2017/18 zu 25’100 zusätzlichen Todesfällen, davon waren 86% ≥60 Jahre. Es kam 2017/18 zu 60’000 Influenza bedingten Hospitalisationen, 58% bei Personen ≥60 Jahre. Grunderkrankungen wie Atemwegsleiden, kardio-vaskuläre Erkrankungen, Diabetes und Krebs haben ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Influenza-Atemwegsleiden +65% und eine kardiovaskuläre Erkrankungen +23% (7).
18% aller Influenza bedingten Todesfälle bei Patienten >65 Jahre sind durch kardiovaskuläre Erkrankungen bedingt. Bei chronischen Lungenleiden ist das Todesfallrisiko 20x erhöht. Bei infizierten älteren Personen kam es nach 1-2 Monaten häufiger zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes – Stürze, Gebrechlichkeit, verringerte Eigenständigkeit, veränderter Mentalstatus und Exacerbation der Grundkrankheit – als bei Nicht-Infizierten.
Die Impfung
Die präventive Wirksamkeit der Influenza-Impfung bezüglich akutem Myokardinfarkt beträgt 15-45%; sie ist deutlich höher als die Gabe eines Statins (19-30%) oder eine antihypertensive Therapie (17-25%) und etwa gleich wirksam wie eine konsequente Nikotinkarenz (32-43%) (Abb. 2) (3,6).
Die Influenza-Impfung wird von allen Leitlinien empfohlen. Die Ziele der Impfung sind: Prävention der Grippe Infektion, Prävention von sekundären Pneumonien (Pneumokokken), Prävention einer systemischen Inflammation und Immunreaktion, welche die erwähnten kardiovaskulären Ereignisse auslösen. Verhinderung von Hospitalisationen und Todesfällen bei einer Herzinsuffizienz. Nach einer grossen Metaanalyse aus dem Jahre 2012 führte eine Impfung zu einer Reduktion der Risiken: MACE -54%, Gesamtmortalität -40%, Myokardinfarkte -27% (8). Nach einer Cochrane Database Analyse im Jahre 2015 sank die kardiovaskuläre Mortalität durch die Impfung um 55% (9).
Nach einer neuen Metaanalyse beträgt die NNT bei der Impfung bei einem MACE 23, bei einem kardio-vaskulären Tod 36 (10). Eine sehr umfassende Metaanalyse aus dem Jahr 2022 von 18 Studien (5x randomisiert, 13x Beobachtungsstudien) zeigt bei 217’072 Hochrisiko- oder kadiovaskulär erkrankten Patientinnen und Patienten mit einem Durchschnittsalter von 68 Jahren eine signifikante Senkung der Gesamtmortalität um 29%, der kardiovaskulären Ereignisse um 17% und eine Reduktion der sekundären Endpunkte kardiovaskuläre Mortalität und Myokardinfarkte von 22 respektive 18%. Eine Reduktion der HI konnte nur tendenziell festgestellt werden. Kein Effekt auf die Strokerate (11). In einer weiteren grossen Metaanalyse aus dem Jahr 2020 konnten die Herz-Kreislauferkrankungen durch die Impfung um 45% gesenkt werden (12). Auf einen Stroke hat die Impfung kurz danach eine moderate protektive Wirkung (13).
Im Alter nimmt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems ab (Immunoseneszenz); dadurch sind die älteren Personen anfälliger und weisen schwerere Krankheitsverläufe auf. Die Standard-Grippe-Impfstoffe (SD-I.) sind daher für ältere Personen weniger effektiv. Der inaktivierte quadrivalente Hochdosis Grippe-Impfstoff (HD- I.), mit 4-fach erhöhter Antigenmenge, weist eine überlegene Immunogenität auf. Er wirkt effektiver und schützt die älteren Menschen, auf Grund der heutigen Datenlage, vor einer Grippe und ihren Komplikationen deutlich besser. Die absolute Wirksamkeit betrug 2021 nach dem RKI bei Personen ≥60 Jahre 47% (7).
Die EKIF und das BAG empfehlen die Grippeimpfung mit allen Standarddosis (SD)- und Hochdosis (HD)-Grippeimpfstoffen mit einer Zulassung und einer Kostenübernahme durch die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) für die jeweiligen Alters- bzw. Indikationsgruppen. Für die saisonale Grippeimpfung 2023/24 sind in der Schweiz zurzeit ein HD-Impfstoff und zwei verschiedene SD-Impfstoffe verfügbar und vom BAG mit Auflagen zugelassen – vgl. Grippe-Impfempfehlungen BAG 2023/2024. Es sind dies: HD-I.: Efluelda®; SD-I.: Fluarix Tetra® und Vaxigrip Tetra®.
Dieser deutlich teurere HD-Impfstoff ist bei Erwachsenen ab 65 Jahren mit einem weiteren Risikofaktor vom BAG zugelassen. Er ist sehr gut verträglich; als NW die bekannte lokale Rötung und Schmerzen an der Einstichstelle. Mögliche Myalgien, Kopfweh und Unwohlsein. Selten kann es zu einer akuten allergischen Reaktion kommen. Das BAG schreibt zum HD-Grippeimpfstoff:
«Eine Metaanalyse (14) mit 34 Millionen Teilnehmenden über eine Anwendungszeit >10 Jahren zeigt eine höhere Wirksamkeit von HD-Grippeimpfstoffen (60µg statt Standarddosis von 15 µg Antigen pro Impfstamm) gegenüber Grippekomplikationen bei Betagten; eine Beobachtung, die auch in Dänemark bestätigt wurde. Diese und weitere Daten für HD-Impfstoffe zeigen einen um 10-20% besseren Schutz für Personen ≥65 Jahre, weshalb auch in der Schweiz die Zulassung von HD-Impfstoffen ab 65 Jahren bewilligt wurde mit Kostenübernahme für alle Personen ≥75 Jahre sowie für Personen ≥65 Jahre mit mindestens einem weiteren Risikofaktor für schwere Grippeerkrankung aufgrund einer Komorbidität gemäss Grippeimpfempfehlung. In diesen Alters- und Risikogruppen ist a) das Risiko schwer an Influenza oder an Komplikationen zu erkranken und hospitalisiert zu werden höher als bei jüngeren gesunden Personen, und b) je nach Influenzastamm auch die Immunantwort auf die Impfung weniger gut. Dies sind gute Gründe, um für diese Personen einen HD-Impfstoff zum Schutz vor Grippe zu empfehlen».
Der saisonale Impfstoff sollte jährlich im Herbst verabreicht werden. Die Zusammensetzung der Antigene (Viruspartikel in fragmentierter Form) wird alljährlich durch die WHO festgelegt. In den Jahren, wo eine schlechte Vorhersage des Impfstoffes mit geringer Effektivität bestand, war der kardiovaskuläre Schutz signifikant geringer. Dies gibt klare Hinweise auf die Kausalität des Impfstoffs.
Es bleibt das Ziel, dass ≥75% der Senioren und Personen (ab 6 respektive 36 Monate) mit einer chronischen Grunderkrankung geimpft werden. Das BAG und die STIKO (Ständige Impfkommission beim RKI) empfehlen auch eine Impfung bei allen Schwangeren ab dem 2. Trimeon (bei Indikation früher), postpartal und bei Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute Risikopersonen gefährden können. Eine berufliche Indikation besteht beim medizinischen Personal, bei Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr inklusive Kitas und bei Personen mit Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln – vgl. www.bag.admin.ch/grippeimpfen; www.rki.de/grippeimpfen; www.infovac.ch
Nach dem IAMI-Trial sollte die Grippeimpfung innert 72 Stunden Teil der stationären Behandlung nach einem Herzinfarkt oder bei einer CHK mit hohem Risiko werden, kommt es doch zu einer signifikanten Senkung von Gesamttod, Myokardinfarkt oder Stentthrombose von 28% innert 12 Monaten sowie zu einem geringeren Risiko für den Gesamttod und den kardiovaskulären Tod (15).
Aktuell liegt die Impfrate je nach Grunderkrankung (CHK bzw. HI) bei maximal 30-43% (3, 7). Viele Patienten sind sich auch bei uns der Wichtigkeit der jährlichen saisonalen Impfung im Herbst nicht bewusst! Oft findet man in der Bevölkerung einen zu wenig bekannten Nutzen respektive eine Fehleinschätzung des Risikos einer fehlenden Impfung. Es bedarf daher einer guten, umfassenden Aufklärung und Motivation der Patienten und Senioren und ihrer Partner/Familien durch uns Ärzte. Impfkampagnen und in Zukunft auch eine Unterstützung durch eine elektronische Praxissoftware sind sehr nützlich.
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Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
- Eine Influenza Impfung kann kardiovaskuläre Ereignisse, wie ein akuter Myokardinfarkt oder ein Schlaganfall, verhindern und die Morbidität und Mortalität deutlich senken. Eine Prävention ist sowohl bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung und bei Personen ≥65 Jahre zu empfehlen. Diese Massnahmen sind einfach, effizient und kosteneffektiv.
- Leider ist die Verabreichung der alljährlichen Grippeimpfung trotz einer sehr guten Datenlage bei der älteren Bevölkerung und bei Risikopatienten immer noch suboptimal. Die Impfung gegen Influenza ist «gelebte Sekundärprävention».
- Es besteht eine deutlich höhere Wirksamkeit des HD-Grippeimpfstoffs mit einem um 10-20% besseren Schutz für Personen ≥65 Jahre. Unter 65 Jahren keine Zulassung. Kostenübernahme nach BAG für alle Personen ≥75 Jahre, sowie Personen ≥65 Jahre mit mind. einem weiteren Risikofaktor gemäss Grippe-Impfempfehlung.
- Somit bleibt die jährliche saisonale Influenza-Impfung eine wichtige hausärztliche Aufgabe aber auch eine Challenge des betreuenden Kardiologen, Pneumologen und weiterer Fachärzte.
1. Cassini et al.,«Impact of infetious diseases on population health ..» Eurosurveillance 2018; 23(16):17-00454
2. Udell JA et al.,«Does influenza vaccination influence cardiovascular complications?», Expert Rev Cardiovasc Ther 2015;13(6)593-596
3. MacIntyre CR et al.,«Influenza vaccine as a coronary intervention for prevention of myocardial infarction», Heart 2016;102:1953–1956
4. Corrales-Medina VF. et al.,«Role of acute infection in triggering acute coronary syndromes». Lancet Infect Dis 2010;10:83–92
5. Kwong JC. et al.,« Acute myocardial infarction after laboratory- confirmed influenza infection», N Engl J Med 2018;378:345–353
6. Yedlapati SH et al., «Vaccines and cardiovascular outcomes: lessons learned from influenza epidemics», EHJ 2023, 25, Suppl.A, A17-A24
7. Robert Koch Institut,«STIKO: Aktualisierung der Influenza-Impfempfehlung für Personen im Alter von ≥60 Jahren», Epid Bull 2021;1:3-25
8. Loomba RS et al.,«Influenza vaccination and cardiovascular morbidity and mortality». J Cardiovasc Pharmacol Ther 2012: 237-343
9. Clar Ch. et al.,«Influenza vaccines for preventing cardivascular disease», Cochrane Database Syst Rev 2015
10. Behrouzi B. et al.,«Association of influenza vaccination with cardiovascular risk, a meta-analysis», JAMA Netw Open. 2022;5(4): e228873 doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.8873
11. Jaiswal V. et. al.,«Cardioprotective effects of influenza vaccination among patients with established cardiovascular disease or at high cardiovascular risk: a systemic review and meta-analysis», Eur J Prev Cardiol 2022 ;29 (14):1881-1892
12. Zangiabadian M. et al.,«Protective effect of influenza vaccination on cardiovascular diseases: a systematic review and meta-analysis», Sci Rep 2020;10(1):20656
13. Rodríguez-Martín, S. et al.,«Influenza Vaccination and Risk of Ischemic Stroke: A Population-Based Case-Control Study », Neurology 2022; DOI: 10.1212/WNL.0000000000201123
14. Lee JKH et al.,«Efficacy and effectiveness of high-dose influenza vaccine», Vaccine 2021; doi: 10.1016/j.vaccine.2020.09.004
15. Fröbert O et al.,«Influenza vaccination after myocardial infarction», Circulation 2021;144 (18):1476-1484
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- Vol. 13
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- Oktober 2023