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Eine häufig auftretende Frage

Fahreignung von Tumorpatienten –  was ist zu beachten?

In der Schweiz liegt die Inzidenz von Krebspatienten bei 40 000 pro Jahr (1). Im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung stellt sich häufig die Frage, ob die betroffene Person ein Fahrzeug sicher lenken kann. Im vorliegenden Artikel werden die wichtigsten Problemstellungen im Zusammenhang mit der Fahreignung diskutiert und Handlungsoptionen für die Beurteilung der Fahreignung aufgezeigt.



En Suisse, l’incidence des patients cancéreux est de 40000 par an (1). En ce qui concerne le cancer, la question se pose souvent de savoir si la personne concernée peut conduire un véhicule en toute sécurité. Cet article traite les problèmes les plus importants liés à l’aptitude à la conduite et présente des pistes d’action possibles pour évaluer l’aptitude à la conduite d’un véhicule.

Fahreignung und Fahrfähigkeit

Unter Fahrfähigkeit versteht man die momentane, zeitlich begrenzte physische und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges. Gemäss Art. 31 Strassenverkehrsgesetz (SVG) (2) muss jeder Führer das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.
Die Fahreignung hingegen ist die allgemeine, zeitlich nicht umschriebene physische und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges. Nach Art. 14 SVG müssen Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen.
Über Fahreignung verfügt, wer:

  • das Mindestalter erreicht hat;
  • die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat;
  • frei von einer Sucht ist, die das sichere Führen von Motorfahrzeugen beeinträchtigt; und
  • nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr bietet, als Motorfahrzeugführer die Vorschriften zu beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.

Für die Fahreignung hat der Gesetzgeber in der Verkehrszulassungsverordnung (VZV) (3) Mindestanforderungen festgelegt, die es bei der Fahreignungsbeurteilung zu prüfen gilt. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Patient Inhaber von Führerausweiskategorien der 1. medizinischen Gruppe (Kategorie A, A1, B, B1, F, G, M) ist oder auch der 2. medizinischen Gruppe (C, C1, D, D1, Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport, Verkehrsexperten). Die Anforderungen an Personen mit Führerausweiskategorien der 2. medizinischen Gruppe sind höher als die mit der 1. medizinischen Gruppe.

Mögliche Einschränkungen bei Tumorpatienten

Bei der Beurteilung zu differenzieren sind Einschränkungen, die durch die Krebserkrankung selbst verursacht werden, diejenigen, die durch die Therapie verursacht werden, aber auch mögliche Spätschäden nach erfolgreicher Behandlung.
In der verkehrsmedizinischen Begutachtungspraxis sind hier v.a. Hirntumore ein problematisches Feld. Je nach Lokalisation des Tumors können verkehrsmedizinische Auffälligkeiten wie Sehstörungen, Doppelbilder, Gesichtsfeldeinschränkungen und epileptische Anfälle auftreten. Es kann aber auch zu Lähmungserscheinungen oder Persönlichkeitsauffälligkeiten kommen. Bei anderen Tumorlokalisationen kommt es in der Regel weniger durch den Primärtumor zu fahreignungsrelevanten Auffälligkeiten. Bei hämatologischen Erkrankungen können allenfalls eine Müdigkeit und eine allgemein eingeschränkte Leistungsfähigkeit dazu führen, dass das funktionelle und für die Fahreignung relevante Leistungsniveau nicht erreicht wird.
Sobald die Tumordiagnostik erfolgt ist und ein Therapieplan erstellt wurde, sind weitere Problemkreise zu beachten. Aus verkehrsmedizinischer Sicht spielen vor allem Müdigkeit, Reduktion der Leistungsreserve, die aktuelle Medikation, Schmerzen, epileptische Anfälle, Persönlichkeitsveränderungen, kognitive Einschränkungen, psychische Probleme und das Hemisyndrom eine grosse Rolle. Hier gilt es im individuellen Fall den Patienten aufzuklären und ihm allenfalls eine Fahrkarenz für den Zeitraum der Behandlung aufzuerlegen. Hier ist zu beachten, dass fahreignungsrelevante Defizite dokumentiert werden sollten, ebenso wie das Aufklärungsgespräch und die ausgesprochene Fahrkarenz. Eine schriftliche Bestätigung ist hier nicht zwingend notwendig, kann aber im Einzelfall sinnvoll sein. Nach erfolgreicher Behandlung kann es natürlich auch zu langfristigen Einschränkungen der Fahreignung kommen. Hier ist v.a. die chronische Fatigue, Einschränkungen in der körperlichen oder psychischen Leistungsfähigkeit zu sehen.

Beurteilung der Fahreignung

Um das psycho-physische Leistungsniveau zu testen, gibt es keine Standarduntersuchungen und auch keinen Richtwert, sondern es ist immer die individuelle Behandlung und Beurteilung der Situation im Kontext der Verkehrssicherheit zu beurteilen. Bei der Beurteilung der notwendigen Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges unterscheidet sich die Grundleistung von der Leistungsreserve. Die Grundleistung reicht in der Regel alleine nicht aus, um ein Fahrzeug sicher zu führen. Es bedarf der Reserveleistung, v.a. um in unvorhergesehenen Situationen adäquat reagieren zu können. Dies wird von den Fahrzeuglenkern häufig falsch eingeschätzt und gilt es vom Arzt mitzubeurteilen. Hier gilt es abzuschätzen, ob die Einschränkungen durch die Grunderkrankung zu sehen sind oder durch die Behandlung. Auch ist zu beurteilen, ob die Einschränkungen nur vorübergehend oder dauerhaft sind.
Bezüglich der Fahreignung und Epilepsie gibt es ausführliche Richtlinien (4), in denen die Voraussetzungen für eine positive Fahreignung stehen. Ebenso existieren Richtlinien betreffend Diabetes mellitus (5) und bei Tagesschläfrigkeit (6). Weitere Richtlinien sind in Bearbeitung.
Grundsätzlich gilt zu prüfen, ob die medizinischen Mindestanforderungen nach Anhang 1 VZV gegeben sind (3). Hier gibt es Anforderungen für Seh- und Hörvermögen, Alkohol, Drogen und psychotrope Medikamente, psychische und neurologische Erkrankungen, organisch bedingte Hirnleistungsstörungen, Herz-Kreislauf-, Stoffwechselerkrankungen, Erkrankungen der Atem- und Bauchorgane, des Bewegungsapparates bzw. der Wirbelsäule. Zur Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit besteht die Möglichkeit einer neuro- oder verkehrspsychologischen Abklärung, wobei hier vor allem verkehrsrelevante Einschränkungen bei der Aufmerksamkeit, der Informationsverarbeitung und der Reaktionsgeschwindigkeit zu untersuchen sind. Ein weiteres grosses Problem bei der Krebsbehandlung ist die Schmerztherapie mit Opioiden oder Opiaten. Hierbei gilt, dass die Fahreignung nicht gegeben ist, wenn keine stabile Medikation vorliegt, ein Beikonsum von illegalen Drogen besteht beziehungsweise ein Suchtmittelproblem mit anderen Substanzen wie z.B. Alkohol. Eine negative Fahreignungsbeurteilung kann daher kommen, dass die Behandlung grundsätzlich nicht indiziert ist, dass die Mindestanforderungen nicht erfüllt sind, und dass es relevante kognitive Einschränkungen gibt und/oder eine relevante Tagesmüdigkeit besteht. Grundsätzlich ist anzumerken dass bei einer Behandlung mit Opiaten/Opioiden die Fahreignung wenn überhaupt lediglich für die 1. medizinische Gruppe gegeben ist. Bei einem stabil eingestellten Patienten, bei dem die Indikation der Behandlung sauber gestellt wurde und bei dem keinerlei Einschränkung der körperlichen und/oder kognitiven Leistungsfähigkeit bestehen, kann die Fahreignung auch unter der Behandlung mit Opiaten und Opioiden als gegeben erachtet werden.
Sollte in Erwägung gezogen werden eine Behandlung mit Cannabinoiden (THC, CBD etc.) einzusetzen, so ist die Fahreignung ebenfalls im Auge zu behalten. Bezüglich Cannabis im Strassenverkehr gilt weiterhin die Nulltoleranzregelung für THC. Die Studienlage betreffend anderen medizinisch verordneten Cannabisprodukten (z.B. CBD) und der Fahreignung ist derzeit noch nicht ausreichend, um Richtlinien zu erlassen. Die zur Lösung von Spastiken und Epilepsien eingesetzten Cannabinoide wie CBD können zu erhöhter Müdigkeit und zu Reaktionsverminderung führen und daher die Fahrfähigkeit einschränken. Aus verkehrsmedizinischer Sicht raten wir von der Verordnung von Cannabinoiden im Zusammenhang mit der Fahreignung ab. Sollte die Verordnung dennoch notwendig sein, so empfiehlt es sich, in diesen Fällen eine ärztliche Drittmeldung an die Administrativbehörde zu machen, damit die Fahreignung im Rahmen einer verkehrsmedizinischen Abklärung bei dem Arzt/einer Ärztin mit der Anerkennungsstufe 4 erfolgen kann. Mögliche Handlungsoptionen Wenn sie Zweifel an der Fahreignung hegen, so können sie von ihrem ärztlichen Melderecht nach Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG Gebrauch und eine Meldung an das zuständige Strassenverkehrsamt machen. Sie sind im Zusammenhang mit der Drittmeldung von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.
Im Vorfeld gibt es die Möglichkeit, ärztliche Fahrkarenzen auszusprechen, was v.a. bei complianten Patienten eine gute Möglichkeit ist. Hier ist es wichtig, dass sie gut dokumentieren, was sie mit den Patienten besprochen haben, und dies allenfalls vom Patienten unterzeichnen zu lassen.
Auch besteht für den betroffenen Fahrzeuglenker die Möglichkeit, vorübergehend auf den Fahrausweis zu verzichten. Entsprechende Formulare finden sich auf den Homepages der Strassenverkehrsämter. Dies ist v.a. eine Möglichkeit bei Personen, die von Gesetzeswegen her sich regelmässig einer Fahreignungsabklärung stellen müssen (Inhaber höherer Führerausweiskategorien, Senioren).

Dr. med. Kristina Keller

Universität Zürich
Institut für Rechtsmedizin
Abteilung Verkehrsmedizin
Kurvenstrasse 31
8006 Zürich

Kristina.Keller@irm.uzh.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit dem Beitrag deklariert.

  • Besondere Aufmerksamkeit ist bei Patienten mit Hirntumoren gegeben.
  • Meistens ist die Behandlung Grund für die verkehrsmedizinische Einschränkung, nicht der Primärtumor.
  • Die wesentlichen Einschränkungen betreffen das Sehvermögen, epileptische Anfälle, kognitive Defizite und Müdigkeit.
  • Ein grosses Problem ist die Schmerztherapie mit Opioiden und Opiaten.

Messages à retenir

  • Une attention particulière est accordée aux patients atteints de tumeurs cérébrales.
  • Dans la plupart des cas, le traitement est la raison de la restriction médicale de la circulation en véhicule, et non la tumeur primaire.
  • Les principales limitations concernent la vision, les crises d’épilepsie, les déficits cognitifs et la fatigue.
  • Un problème majeur est la thérapie de la douleur avec des opioïdes et des opiacés.

1. Krebs in der Schweiz: wichtige Zahlen, Krebliga Schweiz
2. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19580266/index.html
3. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19760247/index.html
4. Epilepsie und Führerschein; Günter Krämer, Claudio Bonetti, Johannes Mathis, Klaus Meyer, Margitta Seeck, Rolf Seeger, Daniela Wiest, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(7):157–160
5. https://www.irm.uzh.ch/dam/jcr:72ae4b5a-2432-481e-ba36-977d570b5b85/1705_Neue-Auto-Richtlinien_SGED_final_DE.pdf
6. Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit, Prof. Dr. med. Johannes Mathis, Prof. Dr. med. Malcolm Kohlerb, PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich-Michael Hemmeterc, Dr. med. Rolf Seeger: Verkehrskommission Schweizerische Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC); Schweiz Med Forum 2017;17(20):442-447

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  • Vol. 9
  • Ausgabe 1
  • Februar 2019