- Cabane des Becs de Bosson
Damals, als kleiner Junge, wäre ich auf den Alpweiden von Bendolla und Lona im Val d’Anniviers wohl froh gewesen, hätte es weniger von diesen grimmig aussehenden Eringer Kühen gegeben, nachdem ich in den tief verschneiten, engen Gassen von Saas Fee nur knapp einem ausgerissenen Stier entkommen war. Die Leiter zur Laube eines Raccards hatte mir das Leben gerettet. Auf dieser Rundwanderung denke ich mit Wehmut an jene Zeit zurück, als das Leben auf diesen hoch gelegenen Alpen noch pulsierte. Die Frauen trugen ihre schwarze Arbeitstracht, strickten beim Hüten des Viehs, eine der langen hölzernen Nadeln unter den Arm geklemmt. Die Männer waren gerne zu einem Schwatz bereit, die Grossen bekamen dabei einen Kaffee mit Schnaps, die Kleinen ein Stück Käse oder Trockenfleisch zur frischen Milch.
Heute ist das Gebiet von Bendolla für den Wintersport erschlossen. Wir sind froh, dass über Nacht Schnee gefallen ist in den höheren Lagen, der dem weiten Kessel etwas seiner früheren Wildheit zurückgibt. Ein paar Stück Braunvieh, allerdings ohne Hörner, weiden tatsächlich noch hier oben, und hangaufwärts eine kleine Yakherde – als klägliches Andenken an meine Kindheit. Wir haben uns von Grimentz mit der Luftseilbahn hochtragen lassen und steigen nun gegen Westen entlang des Torrent du Marais zu den Weiden von La Tsarva auf. Es fällt mir schwer, die gewaltigen Geländeveränderungen auszublenden, die dieses Gebiet zugunsten des Tourismus erfahren hat. Auf La Tsarva wendet sich der Weg gegen Süden in Richtung der Becs des Bossons. Die verschneiten Felsen leuchten hell vor dem Wogen der tiefgrauen Wolken (Abb. 1). Auf dem Grat südlich des Roc de la Tsa tummelt sich ein grosses Rudel von Gämsen. Die Tiere heben sich als dunkle Schatten vom Schnee ab und lassen sich so mit dem Feldstecher gut beobachten. Die Jährlinge springen übermütig und in grossen Sätzen durch den Schnee der steilen Hänge.
Wir queren gemächlicher den Osthang der Becs des Bosson zum gleichnamigen Pass hinauf, um auf dessen Südseite in dichtem Nebel schon bald die SAC-Hütte zu erreichen, die ebenfalls diesen Namen trägt (Abb. 2). Den Col de Louché, der ins obere Val de Réchy hinüberführt, lassen wir im Westen liegen. Wie zu erwarten war, sind wir bei diesem verregnet-verschneiten Wetter die ersten Gäste des Tages und geniessen in der warmen Stube eine herrliche Croute au frommage. Ein guter Tropfen Wein darf dabei nicht fehlen.
Von der Hütte steigen wir gegen Südosten zu den obersten zwei kleinen Seen von Lona ab. Von hier aus queren wir weglos talwärts über die Weiden zur östlich gelegenen kleinen Hütte von Lona. Dieser Talkessel ist gesprenkelt mit vielen kleinen Seen, die den grösseren Lac de Lona umgeben. Auf dem grossen Felsen vor der Hütte geniessen wir die Ruhe und erste, zaghaft durch die Wolken stossende Sonnenstrahlen. Der Wind treibt Wolkenfetzen in einem wilden Reigen durch die Felswände des Sex de Marinda. Dem aufmerksamen Auge sei verraten, dass ich in der Umgebung der Hütte das Edelweiss finden lässt (Abb. 3).
Der Weg führt zum Südgrat der Pointe de Lona und quert anschliessend deren steilen Osthang zur Alp Les Créts hinunter. Herrlich wäre der Blick in Richtung des Lac de Moiry mit seinem gleichnamigen Gletscherbecken, würden die Wolken nur die Sicht frei geben. Dafür können wir aus nächster Nähe das Treiben der Murmeltiere beobachten. Zum Schluss bleibt nur noch ein kurzes Wegstück zurück zur Alp Bendolla (Abb. 4).
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