Fortbildung AIM

Update zur Urologie 2023

In der Urologie wurden auch 2023 verschiedene bedeutende Fortschritte erzielt. Im folgenden Beitrag erfolgt eine Zusammenstellung von aktuellen Meldungen aus den Sparten Infektiologie, Prostataforschung, Urolithiasis und Andrologie (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), welche für die Allgemeinmedizin von Relevanz sein dürften.



Various significant advances were also made in urology in 2023. The following article contains a compilation of current reports from the fields of infectiology, prostate research, urolithiasis and andrology (not exhaustive), which are likely to be of relevance to general practice.
Key Words: urology, prostate research, urolithiasis, andrology, infectiology

ChatGPT: kein FMH für Urologie

Erleichterung oder Erheiterung? ist die Frage bei der Benutzung von ChatGPT. Von standardisierten urologischen Fragestellungen hat der Chatbot 2023 ca. 60% korrekt beantwortet (1).

Infektiologie

Bakteriophagen zur Diagnostik und Therapie von Harnwegserkrankungen

Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich hat einen Schnelltest entwickelt, der mit Bakteriophagen (hochspezialisierten Viren, die ausschliesslich Bakterien erkennen) die drei häufigsten Erreger von Blasenentzündungen (E. coli, Klebsiella, Enterococcus) nachweist. Im Labor wurden diese Viren so modifiziert, dass die von ihnen erkannten Bakterien ein leicht messbares Lichtsignal aussenden und Bacteriocine (proteinogene Toxine) freisetzen, welche dann bacterizid wirken. Ob und wann dieses vielversprechende Verfahren den Weg vom Labor in den klinischen Alltag findet, hängt von weiteren Studien und Zulassungen ab (2).

StroVac®-Impfung: Placebo zu gut für statistische Signifikanz

Der Impfstoff StroVac® mit den inaktivierten Uropathogenen E. coli, K. pneumoniae, Morganella morgagnii und Enterococcus faecalis muss als Immunotherapie bei rezidivierenden Harnwegsinfekten dreimal im Abstand von jeweils zwei Wochen verabreicht werden. In einer Doppelblindstudie konnten zwar die Anzahl der relevanten Harnwegsinfekte dank dem Impfstoff deutlich gesenkt werden, das gleiche galt aber auch für die Placebogruppe. Zwischenzeitlich zeigte sich, dass das in der Studie verwendete Placebo prophylaktisch gegenüber Harnwegsinfekten wirkt. Signifikant war der Unterschied in der Subpopulation mit 7 oder mehr Harnwegsinfekten pro Jahr. Klinisch zeigt dies, dass nicht-invasive prophylaktische Massnahmen (Hydrierung, Harnansäuerung, lokale Östrogenisierung, Probiotika, perikoitale Blasenentleerung) eine wichtige Rolle in der Prävention von rezidivierenden Harnwegsinfekten spielen, und die Antibiotikatherapie auch bei dieser Entität im Einzelfall beurteilt werden muss (3).

Prostata

BAG bewilligt HIFU bei Prostatakarzinom

Global entwickelt sich der therapeutische Ansatz beim Prostatakarzinom weg von der kompletten Organentfernung hin zur individuell angepassten Therapie. Nachdem belegt ist, dass das Prostatakarzinom der WHO Gradgruppe 1 (Gleason Score 3+3=6) besser aktiv überwacht als operiert wird, ist seit Juli 2023 in der Schweiz auch die hochintensivierte fokale Ultraschalltherapie «HIFU» beim niedrig-aggressiven Prostatakarzinom vom BAG anerkannt. Bis zum 31. Dezember 2028 läuft eine Evaluationsphase. Patienten mit einem Prostatakarzinom der WHO Gradgruppen 2&3 (Gleason Socre 3+4=7 resp. 4+3=7) in weniger als der Hälfte der Prostata und einem PSA von maximal 10 ng/ml können kassenpflichtig mit dieser Methode therapiert werden.

Lutetium-177 beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom mCRPC

SwissMedic hat im März 2023 Pluvicto® mit dem Wirkstoff (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan für die Behandlung des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen. Angewandt wird es bei Patienten, die bereits eine Taxan-Chemotherapie und eine Inhibition des Androgenrezeptor-Signalwegs (ARPI) gehabt hatten, und bei denen das Prostata-spezifische Membranantigen PSMA nachgewiesen werden kann. In dieser Situation konnte die Lutetium-177 Therapie das Sterberisiko und den Krankheitsprogress in der Bildgebung deutlich senken, nicht aber das Gesamtüberleben. Zu den Nebenwirkungen dieser Therapie gehören Xerostomie, Ermüdung, Nausea, Inappetenz, Obstipation und Anämie (4).

Therapiedschungel bei Prostatahyperplasie

Seit 2010 haben sich die Therapieoptionen bei Prostatahyperplasie ver-n-facht. Neben der bald 100-jährigen klassischen TUR-P, und der ebenfalls klassischen retropubischen Adenomenukleation der Prostata haben sich transurethrale Therapien mit LASER (HoLEP, Greenlight), Wasserdampf (Rezûm), Wasserhochdruck (Aquablation), vorübergehender (iTIND) oder permanenter Fremdkörperinsertion in die Prostata (Urolift, Memokath), neben percutaner transluminaler Embolisation prostatischer Arterien (PAE) etabliert. Sämtliche Verfahren haben Stärken und Schwächen; die meisten FMH für Urologie bieten mind. eines dieser Verfahren neben dem Goldstandard TUR-P an.

Sägepalmenextrakt hat keinen Effekt bei Prostatabeschwerden

Eine Cochrane-Review einer Deutschen Arbeitsgruppe hat 27 Studien mit mehr als 4600 Teilnehmern zur Wirksamkeit des Sägepalmenextrakt Serenoa repens resp. Sabal serrulatum als alleiniges Prostatamittel ausgewertet. Im Vergleich mit Placebo hat das Sägepalmenextrakt keine Besserung der Beschwerden gebracht, weder kurz- noch langfristig. Auch die Lebensqualität wurde durch das Mittel nicht verbessert. Unklar ist, ob eine unwirksame Therapie schädigen kann durch Aufschub wirksamer Behandlungen (5).

Urolithiasis

Zugesetzter Zucker als Risikofaktor für Nierensteine

Zu den bekannten Risikofaktoren für Nierensteine gehören u.a. männliches Geschlecht, Übergewicht, Dehydrierung und diverse Erkrankungen. In einer Studie aus den USA gibt es Hinweise, dass auch zugesetzter Zucker auf diese Liste gehört. In einer nicht-kontrollierten retrospektiven Beobachtungsstudie wurden Daten von >28’000 Erwachsenen, deren Zuckerkonsum anhand von Befragungen hochgerechnet wurde, mit der Prävalenz von Nierensteinen in dieser Kohorte korreliert. Dabei zeigte sich, dass der Zuckerkonsum der Top 25 % der Population mit einem um 40 % höheren Risiko für Nierensteine korrelierte. Wer mehr als 25 % seiner Gesamtenergie aus zugesetztem Zucker bezog, hatte ein um 88% höheres Risiko im Vergleich mit den Menschen, die weniger als 5% ihrer Gesamtenergie aus zugesetztem Zucker beziehen (6).

Handgerät zur Nierensteintherapie?

In Zusammenarbeit mit der NASA hat die University of Washington in Seattle ein tragbares Therapiegerät für Nierensteine entwickelt. Das Gerät von der Grösse einer Schuhschachtel zerstört Nierensteine mit Ultraschallwellen. Die Therapie wird noch nicht serienmässig angewandt, hat aber in Versuchen in den USA erfreuliche Ergebnisse zeigen können – und unterstützt die NASA im Bestreben, Menschen eines Tages auf den Mars zu bringen.

Andrologie

Vasektomie und Prostatakarzinom?

In den letzten Jahren war oft der Verdacht geäussert worden, dass die Vasektomie mit dem Prostatakarzinom vergesellschaftet ist. Verschiedene und grosse Studien und Meta-Analysen haben diese Kausalität untersucht. Je robuster das Studiendesign und die Studienqualität, desto näher bei null lag diese Hypothese (7).

Testosteronersatztherapie bei hypogonadalen Männern

Hypogonadale Männer mit bekanntem oder hohem Risiko für eine koronare Herzkrankheit haben unter Placebo gleich viele unerwünschte und schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse gezeigt, wie unter Testosteronersatztherapie (8). Die Testosteronersatztherapie von hypogonadalen Männern mit koronarer Herzkrankheit, Kinderwunsch und Prostatakarzinom gehören zumindest initial in die Hände von Spezialisten, da verschiedene Faktoren die Therapieindikation und die Wahl des richtigen Präparats beeinflussen.

Verminderte Spermienqualität nach COVID-19-Infektion?

Am Kongress der Europäsichen Gesellschaft für Reproduktion und Embryologie ESHRE 2023 in Madrid wurde diskutiert, ob eine Infektion mit COVID-19 die Spermienqualität vermindert. 31 Männer, die vor und nach einer leichten COVID-19 Infektion in spanischen Reproduktionskliniken ein Spermiogramm abgegeben hatten, hatten auch durchschnittlich 238 Tage nach COVID-19 Infektion eine schlechtere Spermienqualität im Vergleich mit dem Spermiogramm vor Infektion (Dauer der Spermiogenese ca. 78 Tage). Sowohl das Volumen, die Spermienzahl, die Motilität und Vitalität waren nach Infektion vermindert, bei vergleichbarer Spermienform. Als Pathogenese wird die Schädigung des Hodenparenchyms durch Leukozyten diskutiert. Unklar ist, ob eine Korrelation zum Testosteronhaushalt besteht, der durch SARS-CoV-2 ebenfalls reduziert werden kann, und wie die Erholung auf lange Zeit aussieht. Ebenfalls ist nicht gesichert, ob diese Beobachtung tatsächlich durch COVID-19 erklärt werden darf (9).

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Dr. med. Gallus Beatus Ineichen

Universitätsklinik für Urologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 37
3010 Bern

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Im Zentrum der ärztlichen Behandlung bleibt über 2023 hinaus in der Alltagspraxis das Gespräch mit dem Patienten und die körperliche Untersuchung im Vordergrund. Die Entwicklung von neuen diagnostischen Techniken, von effizienteren Medikamenten und besseren Operationsverfahren helfen jeweils dabei, für den einzelnen Patienten die richtige medizinische Massnahme zu treffen.

1. Whiles BB, Bird VG, Canales BK, DiBianco JM, Terry RS. Caution! AI Bot Has Entered the Patient Chat: ChatGPT Has Limitations in Providing Accurate Urologic Healthcare Advice. Urology. 2023 Oct;180:278-284.
2. Du, J., et al. (2023). “Enhancing bacteriophage therapeutics through in situ production and release of heterologous antimicrobial effectors.” Nat Commun 14(1): 4337.
3. Nestler S, Grüne B, Schilchegger L, Suna A, Perez A, Neisius A. Efficacy of vaccination with StroVac for recurrent urinary tract infections in women: a comparative single-centre study. Int Urol Nephrol. 2021 Nov;53(11):2267-2272.
4. Sartor O et al. Lutetium-177–PSMA-617 for Metastatic Castration-Resistant Prostate Cancer. N Engl J Med 2021; 385: 1091–103
5. Franco JVA et al.Serenoa repens for the treatment of lower urinary tract symptoms due to benight prostatic enlargement. Cochrane Database Syst Rev 2023; 6(6): CD001423
6. Yin S et al. Association between added sugars and kidney stones in U.S. adults: data from National Health and Nutrition Examination Survey 2007–2018. Front Nutr 2023; 10: 1226082
7. M. Baboudjian, P. Rajwa, E. Barret, J.-B. Beauval, L. Brureau, G. Créhange, et al. European Urology Open Science 2022 Vol. 41 Pages 35-44.
8. Lincoff AM, Bhasin S, Flevaris P, Mitchell LM, Basaria S, Boden WE, Cunningham GR, Granger CB, Khera M, Thompson IM Jr, Wang Q, Wolski K, Davey D, Kalahasti V, Khan N, Miller MG, Snabes MC, Chan A, Dubcenco E, Li X, Yi T, Huang B, Pencina KM, Travison TG, Nissen SE; TRAVERSE Study Investigators. Cardiovascular Safety of Testosterone-Replacement Therapy. N Engl J Med. 2023 Jul 13;389(2):107-117.
9. Presentation no: O-020, “What is the recovery time for sperm parameters in men who have suffered a mild Covid-19 infection?” presented by Professor Rocio Núñez-Calonge, Session 04: Factors influencing sperm (dys)function, Hall D1, 11.15 hrs CEST, Monday 26 June 2023.

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  • Vol. 13
  • Ausgabe 12
  • Dezember 2023