Fortbildung AIM

Management von Panikattacken in der Praxis

Neben Insomnie und Depressionen zählen Angststörungen zu den häufigsten psychischen Krankheiten der Bevölkerung und kommen auch in der allgemeinmedizinischen Praxis häufig vor. Auch wenn sich die Diagnose einer Panikattacke aus der typischen Klinik ergibt, ist es wichtig, andere somatische Erkrankungen auszuschliessen. Im folgenden Artikel werden die gängigsten Therapieempfehlungen vorgestellt und Wege aufgezeigt, mit denen der Ausstieg aus dem «Teufelskreis der Angst» möglich ist.



Alongside insomnia and depression, anxiety disorders are among the most common mental illnesses in the population and are also frequently encountered in general medical practice. Even if the diagnosis of a panic attack is based on the typical clinical picture, it is important to rule out other somatic illnesses. The following article presents the most common treatment recommendations and shows ways of breaking out of the “vicious circle of anxiety”.
Key Words: anxiety disorders, panic attack, psychophysiological model, cognitive-behavioral therapy, self-soothing techniques.

Einleitung

Angststörungen zählen neben Insomnie und Depressionen zu den häufigsten psychischen Krankheiten der Bevölkerung und kommen auch in der allgemeinmedizinischen Praxis häufig vor. Die Lebenszeitprävalenz von Angststörungen liegt bei 15 – 20%, während die Lebenszeitprävalenz für die Panikstörung im Speziellen bei 1.5 – 3% liegt (1, 4). Angststörungen präsentieren sich oft durch physische Symptome. Am eindrücklichsten ist die Panikattacke. Dabei kommt es oft völlig unvorhersehbar zu einem plötzlichen Anfall von Angst mit vegetativen Symptomen wie z.B. Herzklopfen, Brustschmerzen, Erstickungsgefühlen, Schwindel und Entfremdungssymptomen (Derealisation oder Depersonalisation). Die Panikattacke nimmt einen Crescendo-förmigen Verlauf, wobei der Patient zunehmend Angst bekommt, zu sterben oder die Kontrolle zu verlieren (z.B. wahnsinnig zu werden oder in Ohnmacht zu fallen). Eine Panikattacke dauert oft nicht länger als 10-20 Minuten und ist grundsätzlich selbstlimitierend. Sekundär entsteht aber eine Furcht vor einer erneuten Panikattacke: Die «Angst vor der Angst». Wenn situationsungebundene Panikattacken wiederkehrend auftreten mit angstfreien Intervallen, dann spricht man von einer Panikstörung, wie sie in ICD-10 F41.0 definiert ist.

Panikattacken können auch im Rahmen anderer Angststörungen auftreten, so z.B. bei Phobien, also objekt- oder situationsbezogenen Ängsten. Beispiele sind die Agoraphobie (d.h. die Furcht vor Orten oder Situationen, in denen eine Panikattacke unangenehme Folgen hätte), die Soziale Phobie (d.h. die Furcht sich zu blamieren) oder spezielle Phobien, wie die Höhenangst, Blutphobie oder Tierphobien. Im Gegensatz zu der Panikstörung kann bei Phobien der Auslöser, also das Objekt der Furcht, gemieden werden, was allerdings zu Aufrechterhaltung und Ausweitung der Phobie führt. Schliesslich seien noch die Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) genannt, bei denen Panikattacken durch traumaassoziierte Stimuli getriggert werden. In Abbildung  1 sind algorithmisch die wichtigesten Angststörungen nach ICD-10 zusammengefasst.

Obwohl sich die Diagnose einer Panikattacke aus der typischen Klinik ergibt, ist es natürlich wichtig, andere somatische Erkrankungen auszuschliessen (Tab. 1). Zu diesen Differentialdiagnosen zählen Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD, Herz-Kreislauferkrankungen einschließlich Angina pectoris und Myokardinfarkt, neurologische Zustände wie Migräne und Multiple Sklerose, endokrine Störungen wie Hyperthyreose und Hypoglykämie, sowie weitere Krankheitsbilder wie periphere Vestibularisstörungen. Auch Medikamentennebenwirkungen müssen in Betracht gezogen werden.

Psychophysiologisches Teufelskreismodell der Panikattacke

Panikattacken beginnen typischerweise mit einer auffälligen physiologischen (z.B. Herzklopfen, Schwitzen, Schwindel) oder psychischen (z.B. Gedankenrasen. Konzentrationsprobleme) Veränderung (2), die durch diverse Auslöser wie emotionale Erregung, körperliche Erschöpfung, Koffeinzufuhr oder Umgebungseinflüsse hervorgerufen werden kann. Solche Veränderungen werden vom Betroffenen sensitiv wahrgenommen und als gefährlich bewertet. Typische Panikgedanken sind z.B. «Hilfe, ich sterbe» oder «Ich werde in Ohnmacht fallen». Diese Kognitionen lösen eine Reaktion von starker Angst aus, die wiederum zusätzliche vegetative Stresssymptome nach sich zieht, welche wiederum die angstvolle Wahrnehmung und die katastrophisierenden Gedanken verstärken. Damit entsteht ein Teufelskreis, der die Crescendo-Dynamik der Panikattacke erklärt (Abb. 2).

Es ist essentiell, zwischen internen, physiologischen Vorgängen und deren Wahrnehmung zu unterscheiden. Im Angstmodus nimmt der Patient physiologische Veränderungen hypervigilant wahr, und bewertet diese weitaus drastischer, als sie objektiv sind. Zum Beispiel könnten Palpitationen im Liegen lediglich aufgrund einer verbesserten Wahrnehmung in dieser Position bemerkt werden. Eine Tachykardie wird vom Patient häufig massiv überschätzt.

Es ist empfehlenswert im Anschluss an eine Panikattacke mit dem Patienten seine individuelle Körperwahrnehmung, die angstvollen Gedanken und die vegetativen Körperreaktionen zu erfragen und damit individuell und überzeugend ein Verständnis für den Teufelskreis der Panikattacke zu vermitteln (Abb. 2).

Behandlungsempfehlungen

Allgemeine Massnahmen

Wenn ein Patient im Rahmen einer Panikattacke ärztliche Hilfe sucht, erwartet er eine Notfallbehandlung, da er subjektiv von einer lebensbedrohlichen Situation ausgeht. Einerseits geht es dann darum, dem Patienten Sicherheit zu vermitteln und ihn zu beruhigen. Oft reicht schon das Sicherheit signalisierende Umfeld einer Arztpraxis oder einer Krankenhausumgebung aus. Bei akuter Angst wirken das kompetente, verständnisvolle Gespräch und die Aufklärung darüber, dass eine Panikattacke spontan ohne Lebensgefahr vorübergeht (2). Bei Hyperventilation hilft eine Anleitung zur Bauchatmung. Bewährt hat sich auch die Tüten-Rückatmung, also dass der hyperventilierende Patient seine eigene Ausatemluft wieder einatmet bis die Hyperventilationssymptome verschwunden sind. Durch diese einfache aber effiziente Massnahme gewinnt der Patient an Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen.

Medikamente

In der akuten Panikattacke kann auch ein kurzwirksames Benzodiazepin verabreicht werden (z.B. Lorazepam Expidet), das wegen seiner starken Lipophilie und der Möglichkeit der Sublingualgabe rasch wirkt (1, 3). Dennoch ist zu bedenken, dass die pharmakologische Wirkung bei der peroralen Medikation häufig erst nach spontanem Abklingen der Panikattacke einsetzt. Das Medikament hat als Sicherheitssignal einen starken Placebo-Effekt. Wegen des Gewöhnungs- und Abhängigkeitspotenzials sollten Benzodiazepine nur in der Akutphase oder zu Beginn bis zum Einsetzen der Wirkung einer anderen Therapie eingesetzt werden. Ihre Anwendung sollte immer in ein psychotherapeutisches Gesamtkonzept integriert sein.

Sollte über die akute Panikattacke hinaus eine länger bestehende Angststörung wie eine Panikstörung vorliegen, sollten Benzodiazepine nicht als Dauermedikation gegeben werden. Gemäss aktueller Behandlungsleitlinien werden bei Panikstörungen, Sozialer Phobie, Generalisierter Angststörung (GAS) oder PTSD Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) empfohlen (wie Escitalopram, Sertralin oder Paroxetin) (1, 3). Beim Eindosieren dieser Antidepressiva muss aber auf die Wirklatenz von mehr als einer Woche hingewiesen werden, und darauf, dass zu Beginn einer SSRI-Therapie die Angstsymptomatik verstärkt werden kann. Daher muss die Therapie mit der kleinstmöglichen Dosis begonnen werden. Evtl. auch überlappend mit dem Einsatz eines Benzodiazepins.

Kognitiv-Verhaltenstherapeutische Strategien

Grundlage der Behandlung bildet die Vermittlung eines glaubwürdigen Erklärungsmodells für die Panikattacke (2). Dies trägt zur Wirksamkeit und Akzeptanz der therapeutischen Maßnahmen, zur Generalisierung des Therapieerfolgs und zur Prophylaxe von Rückfällen bei. Eine weitere wichtige Funktion des Erklärungsmodells liegt in der Bereitstellung einer Alternative zu der Befürchtung vieler Patienten, an einer (unerkannten) schweren körperlichen oder psychischen Krankheit zu leiden. Viele Patienten reagieren auf das Erklärungsmodell mit Erleichterung, da sie endlich eine Erklärung für ihre Symptome bekommen. Bisher wurde ihnen in der Regel vermittelt, dass sie gesund seien und es keinen Grund für ihre Beschwerden gäbe. Ein plausibles Erklärungsmodell bietet der o.g. Teufelskreis der Angst (Abb. 2).

Selbstberuhigungsstrategien

Dem psychophysiologischen Teufelskreismodell zufolge kann der Panikanfall auf verschiedene Arten beendet werden: Entweder durch Veränderung der subjektiven Bewertung des wahrgenommenen Körpersymptoms (z.B. «ein mässig erhöhter Puls spricht für Aufregung oder Anstrengung und wird mich nicht umbringen»), durch bewusste Verhaltensveränderungen («statt spontan zu hyperventilieren atme ich bewusst ruhig und gleichmässig»), oder durch Ablenkung der Achtsamkeit auf neutrale Reize (2). In Tabelle 2 sind verschiedene Selbsthilfetechniken dargestellt, welche eine akute Panikattacke abkürzen können. Jeder Erfolg des Patienten, aus einer Panikattacke selbständig auszusteigen, stärkt ihn nachhaltig im Hinblick auf weitere Attacken. Es liegt allerdings auf der Hand, dass diese Techniken am besten im freien Intervall eingeübt werden müssen, um dann bei akutem Bedarf zur Verfügung zu stehen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Thorsten Mikoteit

Psychiatrische Dienste Solothurn
Kliniken für Psychiatrie
Psychotherapie und Psychosomatik
Weissensteinstrasse 102
4503 Solothurn

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Bei einer akuten Panikattacke ist zunächst einmal der Patient zu beruhigen. Akut medizinische Differentialdiagnosen müssen ausgeschlossen werden. Wenn sich die Diagnose einer Panikattacke bestätigt, hilft es, dem Patienten die Wechselwirkungen zwischen Körperwahrnehmungen, Gedanken und Angstreaktion aufzuzeigen.
◆ Wenn der Patient verstanden hat, dass die Panikkognitionen unverhältnismässig sind, können als Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Teufelskreis der Angst selbstberuhigende Atemübungen oder Achtsamkeitsübungen helfen.
◆ Ein schnellwirksames Benzodiazepin sollte, wenn überhaupt, nur kurzfristig gegeben werden. Nachhaltiger sind die oben genannten Selbst­hilfestrategien.
◆ Sind die Kriterien für eine der oben genannten Angststörungen nach ICD-10 erfüllt, sollte die Überweisung an einen Facharzt in Erwägung gezogen werden.

1. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM). (2021). S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen (Version 2.0). https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-028
2. Margraf, J., & Schneider, S. (2017). Panik: Angstanfälle und ihre Behandlung (2. überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
3. Bandelow, B. Allgulander, C. Baldwin, DS. et al. (2023). World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for treatment of anxiety, obsessive-compulsive and posttraumatic stress disorders – version 3. Part I: anxiety disorders. World J Biol Psychiatry. 24(2):79–117. doi: 10.1080/15622975.2022.2086295
4. Mikoteit, T., & Hatzinger, M. (2006). Angststörungen: Diagnostik, ätiopathogenetische Modelle und Therapieansätze. Schweiz Z Psychiatrie Neurol 3: 11-19.
5. Rufer, M. (2020). Teufelskreis der Angst. Göttingen: Hogrefe Verlag. Abgerufen am 28.02.2024, von https://www.hogrefe.com/de/thema/teufelskreis-der-angst

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 4
  • April 2024