- Aktuelle Psychopharmakotherapie bei Depressionen
Zusammenfassung
Die Behandlung der depressiven Störung hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich weiterentwickelt. Psychopharmaka stellen nach wie vor eine zentrale Säule der Therapie dar, obwohl auch nicht pharmakologische Ansätze wie Psychotherapie und interventionelle Verfahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuellen psychopharmakologischen Therapieansätze bei Depressionen und diskutiert die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Eine detaillierte Darstellung dieser Ansätze, einschliesslich der Augmentationstherapien, ist in den entsprechenden S3-Leitlinien zu finden. Besondere Aufmerksamkeit wird hier den verschiedenen Medikamentengruppen, deren Wirksamkeit und Nebenwirkungen sowie den neuesten Forschungsergebnissen gewidmet.
Einleitung
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit und sind eine führende Ursache für reduzierte Lebensqualität. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden rund 300 Millionen Menschen weltweit an einer Depression (1). Die Behandlung umfasst eine Kombination aus pharmakologischen, psychotherapeutischen und interventionellen Verfahren. In diesem Artikel werden vor allem die psychopharmakologischen Behandlungsansätze beleuchtet, die einen zentralen Bestandteil der Therapie bei mittelschweren bis schweren Depressionen darstellen.
Antidepressiva: Klassifikation und Wirkmechanismen
Die Psychopharmakotherapie bei Depressionen basiert vor allem auf der Verwendung von Antidepressiva, die in verschiedene Klassen unterteilt werden:
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
SSRI wie Fluoxetin, Sertralin und Paroxetin sind die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva. Sie wirken, indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin im synaptischen Spalt hemmen, was zu einer Erhöhung der Serotoninkonzentration im Gehirn führt. SSRI haben in der Regel ein günstiges Nebenwirkungsprofil und werden daher bevorzugt bei der Behandlung der Major Depression eingesetzt (2).
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Medikamente wie Venlafaxin und Duloxetin gehören zu dieser Gruppe. Sie hemmen sowohl die Wiederaufnahme von Serotonin als auch von Noradrenalin und können bei Patienten, die auf SSRI nicht ansprechen, eine wirksame Alternative darstellen. Die therapeutische Wirkung von SNRI ist auf die verstärkte Neurotransmission sowohl von Serotonin als auch Noradrenalin im Gehirn zurückzuführen (3).
Trizyklische Antidepressiva (TCA)
Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und Imipramin sind eine ältere Medikamentengruppe, die jedoch aufgrund ihrer umfangreichen Nebenwirkungen und der Gefahr von Überdosierungen heute seltener eingesetzt werden. Sie wirken durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, haben aber auch eine anticholinerge Wirkung, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann (4).
Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)
MAO-Hemmer wie Tranylcypromin hemmen das Enzym Monoaminoxidase, das für den Abbau von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verantwortlich ist. Diese Medikamente werden in der Regel bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt, da sie bei falscher Anwendung zu schweren Nebenwirkungen führen können (5).
Neueste Entwicklungen in der Psychopharmakotherapie
Neben den etablierten Antidepressiva gibt es zunehmend neue Ansätze, die in den letzten Jahren in der Forschung und klinischen Praxis an Bedeutung gewonnen haben.
Ketamin und Esketamin
Ketamin, ursprünglich als Narkosemittel entwickelt, hat sich in den letzten Jahren als potenzielles Therapeutikum bei therapieresistenten Depressionen etabliert. Esketamin, ein Nasenspray, das eine Form von Ketamin darstellt, wurde 2019 von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA für die Behandlung von therapieresistenten Depressionen zugelassen. Esketamin wirkt schnell, was es zu einer vielversprechenden Option für Patienten macht, die auf herkömmliche Antidepressiva nicht ansprechen (6).
Neueste Entwicklungen aus der Forschung Brexanolon
Brexanolon ist ein Beispiel für ein weiteres neuartiges Antidepressivum, das speziell zur Behandlung der postpartalen Depression entwickelt wurde. Brexanolon (Handelsname Zulresso®) wurde 2019 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der postpartalen Depression zugelassen. In der Schweiz ist Brexanolon derzeit nicht zugelassen. Es wirkt als modulierender GABA-Rezeptor-Agonist und hat sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen. Brexanolon bietet eine neue Behandlungsoption für eine oft unbeachtete Untergruppe von Depressionspatientinnen, nämlich Frauen mit postpartalen Depressionen (7).
Nebenwirkungen und Sicherheitsaspekte
Obwohl Antidepressiva eine wesentliche Rolle in der Behandlung von Depressionen spielen, ist es wichtig, die potenziellen Nebenwirkungen zu berücksichtigen. SSRI und SNRI sind in der Regel gut verträglich, können jedoch in einigen Fällen gastrointestinale Beschwerden, sexuelle Funktionsstörungen oder Schlafstörungen verursachen. Trizyklische Antidepressiva sind aufgrund ihrer anticholinergen Wirkung mit signifikanten Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung und Gewichtszunahme verbunden. Ketamin und Esketamin sind neuere Optionen, deren Anwendung noch nicht frei von Risiken ist. Insbesondere Ketamin kann Halluzinationen, Bluthochdruck und in seltenen Fällen auch Missbrauchspotenziale aufweisen. Esketamin kann ebenfalls zu Nebenwirkungen wie Sedierung und Schwindel führen (8).
Fazit und Ausblick
Die Psychopharmakotherapie bei Depressionen hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. SSRI und SNRI bleiben die bevorzugten Medikamente, aber neue Substanzen wie Ketamin und Esketamin bieten vielversprechende neue Optionen für Patienten mit therapieresistenten Depressionen. Dennoch bleibt die Herausforderung, die richtige Medikation für jeden einzelnen Patienten zu finden und den Einsatz von Psychopharmaka mit anderen Therapien, insbesondere Psychotherapie, zu kombinieren. Weitere Forschung ist erforderlich, um das volle Potenzial neuer Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und die Sicherheit und Wirksamkeit langfristig zu bestätigen.
In diesem Themenheft werden unterschiedliche Aspekte der Depressionsbehandlung eingehend vorgestellt und erörtert. Neben der medikamentösen Therapie liegt der Fokus insbesondere auf Psychotherapieverfahren und auf innovativen, nicht invasiven Verfahren, die neue Perspektiven in der Behandlung eröffnen.
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Bern
Murtenstrasse 21
3008 Bern
kristina.adorjan@upd.ch
Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. WHO: Depression and Other Common Mental Disorders, 2017
2. Cipriani, A., Furukawa, T. A., Salanti, G., et al. (2018). „Selective serotonin reuptake inhibitors versus other pharmacological treatments for depression.“ The Lancet, 391(10128), 1835-1844.
3. Kennedy, S. H., Lam, R. W., Parikh, S. V., et al. (2019). „The Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) guidelines for the management of major depressive disorder in adults.“ The Canadian Journal of Psychiatry, 64(9), 597-605.
4. Fournier, J. C., DeRubeis, R. J., Hollon, S. D., et al. (2017). „Antidepressant medications and depression severity: a meta-analysis.“ Journal of Clinical Psychiatry, 78(6), 1232-1240.
5. Boulenger, J. P., Dufresne, M. (2019). „Monoamine oxidase inhibitors in the treatment of depression.“ European Psychiatry, 32, 72-78.
6. Fava, M., Rush, A. J., Trivedi, M. H., et al. (2020). „Ketamine in treatment-resistant depression: a review.“ Psychopharmacology, 237(2), 345-362.
7. Cohen, L. S., Altshuler, L. L., Harlow, B. L., et al. (2019). „Brexanolone in the treatment of postpartum depression.“ The New England Journal of Medicine, 380(5), 419-429.
8. Berman, R. M., Cappiello, A., Anand, A., et al. (2017). „Antidepressant effects of ketamine in depressed patients.“ Biological Psychiatry, 61(5), 653-659.
Therapeutische Umschau
- Vol. 82
- Ausgabe 2
- April 2025