Rheuma – Gicht – Arthrose

Welche Evidenz besteht?

Physikalische Therapiemassnahmen bei rheumatischen Erkrankungen

Ungefähr ein Fünftel der in der allgemein-internistischen Sprechstunde geäusserten Beschwerden betreffen den Bewegungsapparat. Neben medikamentösen haben auch physikalische Therapiemassnahmen einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung muskulo-skelettaler Beschwerden. In diesem Artikel wird der Stellenwert von passiven und aktiven physikalischen Therapiemassnahmen für in der Grundversorgung häufig gesehene akute und chronische rheumatische Erkrankungen vorgestellt.



Written testimonies on medical and thus also physical therapy measures in the broadest sense go back to ancient times, as ancient Egyptian (1), ancient Greek (2) and Roman (3) texts attest. At the latest in the Roman Empire developed a significant bathing and spa culture, many of which bear witness to archaeological remains. In addition, Galen (3) may have been the first to write down an early form of electrotherapy: the application of electric shock to the head for the treatment of headaches. In the Middle Ages, important medical findings from the Middle East and Islamic cultural areas (4, 5) were added. At the beginning of modern times with the outbreak of several epidemics disappeared the bathing culture. Among other things, public baths were suspected to be complicit in the epidemics – but more likely to have spread to the spread of syphilis (5). It was not until the end of the 19th century that bathing and spa services experienced a renaissance that was temporarily interrupted by the two world wars. The emerging electrification of everyday life led to further electrical therapy devices (6). From the middle of the last century onwards, interesting, traditional therapeutic concepts such as Tai Chi, Qi Gong or massage techniques such as Tuina and Shiatsu (7) were increasingly adopted from Asia. Many therapeutic measures are based on traditional knowledge and were therefore not evidence-based for a long time. Only in the last few decades has the effort been made to find a thorough workup with an increasing number of scientific studies on physical therapies.

Physikalische Therapiemassnahmen

Physikalische Therapiemassnahmen (8) können in aktive und passive Massnahmen unterteilt werden. Seit der Antike wurden fast ausschliesslich passive Massnahmen durchgeführt: Der Kranke liess sich behandeln. Erst in den letzten Jahrzehnten kamen vermehrt aktive Therapiemodalitäten dazu: Nun ist das aktive Mitmachen des Patienten gefordert, auch wenn es nicht immer leicht fällt, dieses einzufordern.
Bei Problemen des Bewegungsapparates empfiehlt es sich weiter, zwischen akuter und chronischer/stabiler Phase zu unterscheiden, da sich die optimalen Therapiemassnahmen in den einzelnen Phasen teils deutlich unterscheiden.
Zu den wichtigsten, im ambulanten Setting gebräuchlichen passiven Therapiemassnahmen gehören:
• Impulsstrom (transkutane elektrische Nervenstimulation/TENS). Bei der TENS werden rechteckförmige Stromimpulse verwendet, welche innerhalb des Stromfeldes eine analgetische Wirkung entfalten.
Ultraschall führt über thermische Effekte zu einer Tiefenerwärmung mit nachfolgender Durchblutungsförderung und Regenerationsbeschleunigung in Weichteilen und Knochen, aber auch über nicht-thermische Effekte zu einer Elastizitätssteigerung von Kollagenfasern und einer Änderung der Zellmembranpermeabilität. Weiter ist ein direkt schmerzstillender Effekt über eine Veränderung der Reizschwelle sensibler Nervenfasern nachweisbar. Mit der Ultraschallsonde können auch NSAR-Gel einmassiert werden (Sonophorese), was das Eindringen des Medikamentes in tiefere Gewebeschichten erleichtert.
Stretching, Massagen, Dry Needling. Diese Therapiemassnahmen eigenen sich vor allem zur Muskeldetonisierung und zur Durchblutungsförderung in den Weichteilen.
Taping kann je nach Festigkeit und Aufkleberichtung des Tapes ein Gelenk stabilisieren, Muskeln und Sehnen entlasten oder über den taktilen Input über die Haut die Propriozeption verbessern.
Kälteapplikationen (Kryotherapie) führen über eine Vasokonstriktion zu einem reduzierten Einstrom inflammatorischer Zellen in das betroffene Gewebe und damit zu einer Entzündungshemmung und Schmerzlinderung durch eine verminderte Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (vor allem Prostaglandine und Histamin). Ein zusätzlich schmerzlindernder Effekt entsteht durch die Erhöhung der Reizschwelle sensibler Nerven.
Wärmeapplikationen dienen zur Muskeldetonisierung, Durchblutungsförderung und Regenerationsbeschleunigung.
Manuell-medizinische Techniken werden zur Weichteil-, Gelenk- und Wirbelsäulenmobilisation verwendet.

Bei aktiven Therapiemassnahmen steht der Muskelaufbau im Vordergrund zur Verbesserung der Gelenk- und Wirbelsäulenstabilisation sowie zur Schulung der Propriozeption, Koordination und des Gleichgewichts. Neben Übungen unter Zuhilfenahme des eigenen Körpergewichtes (z.B. Liegestützen, Thera-Band®) kann ein Kräftigungsprogramm auch im Wasser (z.B. AquaJogging) und an Geräten durchgeführt werden. Die Rheumaliga (9) bietet ein breites Kursprogramm an Gymnastik und Wassertherapien an, zu welchen die Patienten − teils auf ärztliche Verordnung hin − angemeldet werden können.

Ausgewählte Krankheitsbilder

Arthrose

Muskulär gut stabilisierte Gelenke altern langsamer, ein gutes Muskelkorsett entlastet die Gelenke. Hauptpfeiler der Arthrosetherapie ist das Stärken der jeweiligen muskulären Stabilisatoren zur Entlastung des Gelenkes sowie zur Verbesserung der Koordination und Propriozeption. In der akut schmerzhaften Phase empfehlen sich passive Massnahmen wie Sonophorese, TENS und Kälteapplikationen, weiter manuell-medizinische Techniken wie Mobilisation und Traktion.

Unspezifischer Rückenschmerz

Früher eine Domäne der passiven Therapiemassnahmen. Heute ist durch viele Studien belegt, dass nur aktive Therapien zu einer relevanten Besserung führen. Neben der reinen Kräftigung der Rumpf- und Beckenstabilisatoren muss auch die Koordination und Propriozeption verbessert werden.

Gicht, Rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis

Bei den genannten entzündlichen Erkrankungen bieten sich im Schub vor allem passive Therapiemassnahmen zur Entzündungs- und Schmerzlinderung an. Im schmerzfreien Intervall sollen die Gelenkstabilisatoren auftrainiert werden.

Ankylosierende Spondylitis

Trotz ausgebauter medikamentöser Therapie mit NSAR und Biologika kann es auch heute noch zu Ankylosierungen vorwiegend des Achsenskelettes, seltener der peripheren Gelenke kommen. Viele Studien haben einen positiven Einfluss mobilisierender Gymnastik (Automobilisation) auf die Progredienz der Ankylosierung zeigen können. Wichtig ist das regelmässige, schlussendlich lebenslange Durchführen derselben. Hier bietet sich zudem eine regelmässige Wassergymnastik an, mit welcher auch gerade die Kraft- und Ausdauer verbessert werden können.

Fibromyalgie

Unabhängig davon, welche Pathologie schlussendlich zur Fibromyalgie führt, gibt es heute evidenzbasierte Therapieempfehlungen. In ein Therapieprogramm gehört unbedingt das Verbessern der aeroben Leistungsfähigkeit mittels dosiertem Ausdauer- und Krafttraining, auch wenn deren schmerzlindernder Effekt erst nach Monaten eintritt. In den letzten Jahren gut untersucht wurde der positive Einfluss von Tai Chi auf das Schmerzerleben. Weiter scheint der regelmässige Besuch von Kältekammern (Kryosauna) bei vielen Patienten die Schmerzschwelle zu erhöhen.

Adipositas

Auch aus rheumatologischer Sicht muss die Adipositas bekämpft werden. Bei Adipösen finden sich erhöhte Spiegel proinflammatorischer Substanzen wie TNFα und IL-6. Eine Gewichtsreduktion bei Adipositas vermindert nicht nur entzündliche Prozesse bei Arthrose, sondern führt auch zu einer geringeren Entzündungsaktivität unter anderem bei Psoriasisarthritis und ankylosierender Spondylitis. Was bietet sich hier mehr an als ein dosiertes Ausdauer- und Krafttraining.
Wer sich eine ironische Abrechnung mit Auswüchsen des Kurbetriebs zu Gemüte führen möchte, dem sei der Film von Regisseur Alan Parker «The Road to Wellville» nach einem Roman von T. C. Boyle empfohlen.

Dr. med. Urs Grossenbacher

Physikalische Medizin und Rehabilitation SGPMR
Manuelle Medizin SAMM
Interventionelle Schmerztherapie SSIPM
Limmattalstrasse 167
8049 Zürich

dr.urs.grossenbacher@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Turne bis zur Urne
  • Physikalische, zunehmend evidenzbasierte Therapiemassnahmen haben nach wie vor einen grossen Stellenwert in der Behandlung rheumatischer und damit häufig chronischer Erkrankungen des Bewegungsapparates
  • As doctors are hardly
    familiar with the entire spectrum of physical therapy options, it is advisable to have regular discussions with physiotherapists and occupational therapists.

1. Among others Edwin Smith Papyrus, Ebers Papyrus, Ramesseum Papyrus.
2. Especially the corpus hippocraticum of Hippocrates.
3. Among other things, de materia medica of Dioscorides, various writings of Galen and Asclepiades of Bithynia.
4. Predominantly from the Qanun at-Tibb of Ibn Sina (also called Avicenna).
5. Reddig WF. Bader, Medicus and Wise Woman. Battenberg, 2000.
6. https://www.medmuseum.siemens.com/museumsgeschichten/elektromedizin
7. Wikipedia.
8. Long A, physical medicine. Springer, 2003.
9. www.rheumaliga.ch/offers