- Best of ESTRO 2019
Vom 23. bis 30. April 2019 fand in Milano der 38. Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Radio-Onkologie (ESTRO) mit einer Beteiligung von 3700 Teilnehmern (ohne Industrie-Vertreter) statt – im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 6%. 2250 wissenschaftliche Abstracts wurden eingeschickt. Im Folgenden soll eine kleine Auswahl der Highlights kurz vorgestellt werden.
Hypofraktionierte vs. konventielle Radiotherapie beim Prostata-Karzinom: 7 Jahre Follow-up Data des HYPRO-Trials (Abstract E38-1311)
Basierend auf zahlreichen randomisierten Studien wurde die moderate hypofraktionierte Radiotherapie für das primäre Prostatakarzinom in den Leitlinien als Standardbehandlung festgelegt. Die HYPRO-Studie ist eine randomisierte Studie mit einem grossen Anteil von Patienten mit «intermediate» und «high risk» Prostatakarzinom, in welcher das Outcome der moderaten Hypofraktionierung (64,6 Gy, 19 Fraktionen/3,4 Gy, 3 Fraktionen/Woche) mit der Normofraktionierung (78 Gy, 39 Fraktionen /2 Gy, 5 Fraktionen /Woche) Bestrahlung verglichen wurde. Die Autoren präsentierten die Resultate nach 7 Jahren Follow-up. In Bezug auf das Gesamtüberleben und das krankheitsfreie Überleben zeigten sich weiterhin keine signifikanten Unterschiede. Abgesehen von einem Trend zu gebesserter lokaler Kontrolle in Patienten mit Gleason-Score ≥8 nach Hypofraktionierung, wurde über keine signifikanten Unterschiede in der Subgruppen-Analyse berichtet. Diese Langzeitdaten bestätigen, dass für viele Patienten die moderate Hypofraktionierung als sicherer Standard angewendet werden kann.
Hippocampus-Schonung und bei der prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung von Patienten mit kleinzelligem Bronchus-Karzinom: Phase III Studie (Abstract E38-2563)
Die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) ist Standard bei Patienten mit kleinzelligem Bronchus-Karzinom (SCLC) nach kompletter Remission des Primärtumors unter Radiochemotherapie. Die PCI führt zu einer Abnahme der Inzidenz von Hirnmetastasen und verbessert das Gesamtüberleben. Allerdings kann die PCI zu neurokognitiven Nebenwirkungen inklusive Verschlechterung der Gedächtnisfunktion führen. Die Dosisbelastung hippocampaler Strukturen mag zu letzterem beitragen. Die Ergebnisse der weltweit ersten randomisierten Phase-III-Studie zur Rolle der Hippocampus-Schonung im Rahmen der prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung (25 Gy in 10 Fraktionen) bei 168 Patienten mit kleinzelligem Bronchus-Karzinom (SCLC) zeigten in der PCI-Gruppe mit Hippocampus-Schonung (PCI HA) keinen signifikanten Unterschied bezüglich Neurokognition, dem primären Endpunkt der Studie, im Vergleich zur Gruppe mit Standard-PCI-Behandlung. In der Studie wurde eine Abnahme des Gesamt-Erinnerungsvermögens, gemessen mit dem «Hopkins Verbal Learning Test Revised» (HVLT-R), nach 4 und 8 Monaten untersucht. Ein Rückgang um 5 Punkte oder mehr wurde als klinisch signifikant interpretiert. Der HVLT-R-Gesamtwert war ≥5 Punkte niedriger nach 4 bzw. 8 Monaten bei 28% bzw. 34% der Patienten der PCI-Gruppe und 29% bzw. 26% der Patienten der PCI HA-Gruppe (p=0.99 bzw. p=0.46). Die Häufigkeit von Metastasenrezidiven in der geschonten Hippocampus-Region war nicht erhöht. Fazit: Diese weltweit erste randomisierte Phase-III-Studie zur Klärung der Rolle der Hippocampus-Schonung bei Patienten mit SCLC, welche mit einer PCI behandelt wurden, konnte keinen Vorteil einer solchen zeigen. Es fehlt uns weiterhin an grundlegendem Wissen zur Funktionsweise des Gedächtnisses, um die Balance zwischen den wirksamen Behandlungsoptionen wie die PCI und deren Nebenwirkungen zu optimieren.
Organerhalt nach Radiochemotherapie beim Rektum-Karzinom: 5-Jahres-Resultate des GRECCAR2 Phase III Trials (Abstract E38-1982)
Der Organerhalt nach Radiochemotherapie beim Rektum-Karzinom wird zunehmend diskutiert bei Patienten mit gutem Ansprechen auf die neo-adjuvante Radiochemotherapie. Im französischen GRECCAR2 Phase III Trial wurden 148 Patienten randomisiert in einen Arm mit klassischer Operation (TME) versus einen Arm mit organerhaltender lokaler Exzision (LE). Im LE-Arm erhielten 26 Patienten eine TME wegen Nachweis von ypT2-3 (festgelegte Salvage-Strategie als Teil des Protokolls). Das Overall Survival und das Disease-free Survival waren in beiden Gruppen identisch. Ebenso waren sowohl die lokale Kontrolle als auch die Metastasen-Häufigkeit in beiden Armen gleich. Diese Resultate zeigen, dass bei gutem Ansprechen auf die neo-adjuvante Radiochemotherapie der Versuch einer organerhaltenden lokalen Exzision eine valable Strategie darstellen kann. Nach wie vor muss sowohl die Rate an lokalen Komplett-Remissionen als auch das Risiko einer Fernmetastasierung (in beiden Armen ca. 20%) durch Therapie-Optimierungen verbessert werden.
Brachytherapie in der Gynäko-Onkologie
An allen Sessions betreffend Brachytherapie beim Mamma-Karzinom waren die Studien der GEC-ESTRO Breast Working Group Hauptthema. Ob im Konsens der alleinigen Teilbrustbestrahlung (GEC-ESTRO-Phase-III-trial: 5-Jahres Follow-up, Akut- und Spättoxizität, Quality-of-Life-Daten) oder als «Second Conservative Treatment» beim ipsilateralen Rezidiv. Eine ausgedehnte Diskussion mit Einbezug des Publikums entstand bei der Frage der besten Technik der Teilbrustbestrahlung: interstitielle HDR-Brachytherapie intra- oder postoperativ implantiert oder in Form einer Single-catheter-brachytherapy. Neben dem Einsatz der Brachytherapie beim Mamma-Karzinom war auch der Einsatz beim Zervix-Karzinom Gegenstand lebhafter Diskussionen. Seit im Sommer 2018 die neuen ESTRO-Guidelines zum Zervixkarzinom publiziert wurden, die die Notwendigkeit der Brachytherapie in diesem Therapiekonzept unterstrichen, war auf der ESTRO38 weniger der Einsatz der Brachytherapie als solches, sondern waren technische Optimierungen das Hauptthema der Diskussionen, insbesondere die bildgestützte adaptive Brachytherapie mit Hauptfokus auf Dosiskonzept des Primärtumors sowie auf die Schonung der Risikoorgane. Hier unterstreichen immer mehr die Daten der EMBRACE-Gruppe die Komplexität der neuen gynäkologischen Brachytherapie.
Highlights aus Sicht der Medizinphysik
Die medizinphysikalischen Aspekte fokussierten sich auf die Anwendung und Entwicklung neuer Methoden im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz, adaptiver Strahlentherapie, verbesserter Dosis-Optimierung und Dosisberechnung sowie ultra-hoher Dosisrate mit Protonentherapie. Exemplarisch für die Physik-Themen sei hier eine Studie (Abstract OC-0898) erwähnt, welche sich mit der klinischen Anwendung von MLC-Tracking für Lungen-SABR beschäftigte. Die Studie umfasste 17 Patienten, welche an einem Standard-Linac behandelt wurden, wobei durch eine Kopplung eines Bildgebungssystems mit einem MLC die Dosisapplikation auf einen bewegenden Tumor nicht nur erfasst, sondern in Echtzeit korrigiert wurde. Durch dieses MLC-Tracking-Verfahren konnte das Zielvolumen um bis zu 47% und die Lungendosis um das Zielvolumen herum um bis zu 42% reduziert werden.
PD Dr. med. Kristina Lössl
Dr. med. Evelyn Herrmann
Dr. med. Mohamed Shelan
PD Dr. sc. nat. Peter Manser
Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Radio-Onkologie
Freiburgstrasse
3010 Bern
Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Radio-Onkologie
Freiburgstrasse
3010 Bern