- SGGG-Jahreskongress 2019
Im Rahmen der Veranstaltungen zum 7. Hauptthema, das der Prävention perinealer Traumata gewidmet war und das Spektrum von der Geburtshilfe bis zur Urogynäkologie umfasste, beleuchtete Dr. med. Nina Kimmich, Klinik für Geburtshilfe, Universitätsspital Zürich, das Thema Prävention von Beckenbodenschäden bei vaginalen Geburten.

Unter dem Begriff des Beckenbodentraumas werden die Harninkontinenz und Analinkontinenz, der Genitalprolaps sowie Levator ani-Abrisse und Überdehnungen des Hiatus des Levator ani subsumiert, stellte Frau Dr. Nina Kimmich fest. Die Mechanismen der Inkontinenzprobleme werden vor allem auf eine Schädigung der Pudendusnerven zurückgeführt, weniger auf ein direktes Muskeltrauma. Der Genitalprolaps dagegegen ist hauptsächlich durch ein direktes Muskeltrauma, v.a. in Form von kompletten oder partiellen Avulsionen des Levator ani, bedingt.
Prävention des Beckenbodenschadens
Pränatale Bildgebung
In einer norwegischen Studie an 234 nulliparen Frauen während der Schwangerschaft (bei 21 und 37 SSW) sowie postpartal nach 6 Wochen wurden mittels translabialem Ultraschall die Dimensionen des Levator ani-Hiatus und Levator-Avulsionen untersucht.
Frauen mit Levator-Avulsionen zeigten schon während der Schwangerschaft kleinere Hiatus-Dimensionen und eine schlechtere Kontraktilität.
Richtige Referenzwerte für die Hiatus-Dimensionen, ab denen mit einer Avulsion zu rechnen ist gibt es jedoch nicht. Eine Studie von Dietz et al fand bei nulliparen Frauen eine grosse Bandbreite normaler Werte von 6-18cm2 in Ruhe und 7-35cm2 während Valsalva.
Ein grösserer fetaler Kopfumfang und ein höheres Geburtsgewicht sind mit höheren Raten an Levator ani-Avulsionen und Hiatus-Überdehnungen verbunden. Hierbei scheint aber vor allem das Verhältnis von fetalem Kopfumfang zu den Dimensionen des maternalen Hiatus entscheidend. Auch hierzu existieren bisher keine klaren Cut-off-Werte.
Schützen wir den Beckenboden mit einem nicht-selektiven Kaiserschnitt?
Das Risiko für eine Urinstressinkontinenz nach vaginaler Geburt beträgt 16-33% vs. 10-15% nach Kaiserschnitt. Das Risiko für Harndranginkontinenz nach vaginaler Geburt beläuft sich auf 3-13% vs. 3-5% nach Kaiserschnitt. Es wären ca. 10-15 Kaiserschnitte notwendig, um eine leichte Inkontinenz zu verhindern. Um schwere Fälle von Inkontinenz, welche mit 0,8-3,1% nach vaginaler Geburt und mit 0,4-1,3% nach elektivem Kaiserschnitt noch seltener sind, wären sogar 110 Kaiserschnitte notwendig.
Es gibt daher keine klare Indikation für einen Kaiserschnitt im Hinblick auf Harninkontinenz. Für die Indikation Kaiserschnitt im Hinblick auf Genitalprolaps sind die Indikationen kontrovers. Gemäss einer Studie mit Daten aus dem schwedischen Geburtenregister mit 1.4 Mio. Frauen wurde eine Assoziation zwischen einem Kaiserschnitt und Genitalprolaps untersucht. Ein Kaiserschnitt war hier mit einem niedrigeren Risiko für Genitalprolaps assoziiert als die vaginale Geburt.
Ebenso gibt es keine Indikation für präventiven Kaiserschnitt im Hinblick auf Analinkontinenz, wie aus einem Cochrane Review (Nelson RL et al 2010) hervorgeht.
Dammvorbereitung
Der Epi-No® Geburtstrainer verhindert Beckenbodentraumata nicht, wie aus einer Studie von Atan et al (BJOG. 2016) hervorgeht. Dagegen scheint eine Dammmassage bzw. die Anwendung warmer Kompressen unter der Geburt die Episiotomie-Rate, Analschliessmuskelverletzungen, postpartale Dammschmerzen und Flatus senken zu können.
Körperliches Training und Beckenbodentraining
Regelmässiges körperliches Training während der Schwangerschaft von mind. 3 x wöchentlich je mind. 30 Min. ändert das Outcome einer vaginaler Geburt hinsichtlich Geburtsmodus, Rate an PDA, Wehenunterstützung, Episiotomie, Dammverletzungen und kindlichem Outcome nicht (Bo et al, BrJSportsMed 2015).
Gemäss einem Cochrane Review von 2017 erscheint ein unselektives Beckenbodentraining sowohl in der Prävention als auch in der Therapie wenig wirksam. Am ehesten profitieren kontinente Frauen während der Schwangerschaft sowie Risikogruppen, wie z.B. Übergewichtige. Auch hinsichtlich der Behandlung des Genitalprolapses sind die bisherigen Ergebnisse zum Beckenbodentraining eher ernüchternd, unabhängig vom Vorliegen von Levator ani-Avulsionen.
Auch mit dem Mythos, dass ein zu straffer Beckenboden zu einem schlechteren Geburtsoutcome führt, konnte die Referentin brechen. Bei straffem Beckenboden zeigt sich lediglich eine längere Austreibungsperiode, nicht jedoch eine abweichende Rate an sekundären Kaiserschnitten, Episiotomien, vaginal-operativen Entbindungen oder höhergradigen Dammverletzungen. Während der Geburt sollte jedoch eine zusätzliche Aktivierung des Beckenbodens vermieden werden, z.B. aus Angst oder wegen Schmerzen.
Fetale Position im Geburtskanal
Die occipito-anteriore Position erscheint deutlich günstiger hinsichtlich Levatoravulsionen, da hierbei die Dehnung des Beckenbodens und die Kräfte auf den Beckenboden gegenüber der occipito-posterioren Position geringer ausfallen.
Geburtsdauer
Mit verlängerter Wehentätigkeit entstehen wahrscheinlich mehr Mikrotraumata und Nervenschäden, was zu Überdehnung des Beckenbodens führt. Mit schnellem Fortschreiten der Geburt hingegen steht wahrscheinlich weniger Zeit für die Dehnung des Levator ani und für die Positionierung des Babys entlang des Geburtskanals zur Verfügung, was zu Avulsion führen könnte. Eine optimale Zeitdauer ist auch hierbei jedoch bisher unklar.
Dammschutz, Episiotomie und Geburtsmodus
Ein adäquater Dammschutz ist dringend empfohlen. Diverse Arbeiten, v.a. aus Skandinavien, konnten nach Schulung des geburtshilflichen Personals hinsichtlich hands on-geführten Dammschutzes mit Visualisierung des Dammes und Kopfbremse bei Geburt des Kindes eine deutliche Reduktion höhergradiger Dammverletzungen zeigen. Das Pressen unter der Geburt kann dabei nach Vorliebe der Frau erfolgen – es gibt keine Evidenz für ein differierendes Outcome bzgl. «early vs. late pushing» oder Valsalva vs. spontan. Hinsichtlich des Geburtsmodus existieren ebenfalls z.T. widersprüchliche Daten. Die Unterschiede hinsichtlich Inkontinenzproblemen und Genitalprolaps unterscheiden sich nicht wesentlich zwischen Spontangeburten und Vakuumextraktionen, jedoch erscheinen die Outcomes diesbezüglich nach Forcepsextraktionen deutlich schlechter. Wichtiger als die Wahl des Instruments sind jedoch wahrscheinlich die Technik der Kindsentwicklung, der vaginal-operativen Technik sowie diejenige des Dammschutzes. Eine Epiosotomie sollte nur auf Indikation, d.h. restriktiv angewendet werden, und wenn, dann sollte mediolateral geschnitten werden.
Parität
Letztlich stellte sich noch die Frage, inwieweit die Anzahl an Geburten eine Frau dem Risiko von Beckenbodenproblemen aussetzt. Hierzu stellte die Referentin fest, dass hinsichtlich des Genitalprolapses v.a. die erste Geburt einer Frau den Schaden setzt, die weiteren Geburten eher wenig entscheidend sind.
Fazit
- Schwangerschaft und Geburt sind mit einem erhöhten Risiko für Beckenbodentraumata assoziiert.
- Ein elektiver Kaiserschnitt reduziert das Risiko für einen Beckenbodenschaden, ist aber nicht vollständig präventiv. Es existiert keine generelle
- Empfehlung für einen Kaiserschnitt, dieser kann aber in Einzelfällen in Betracht gezogen werden.
- Bekannte Risikofaktoren für Beckenbodenschäden sollten, soweit möglich, ausser Kraft gesetzt oder optimiert werden.
- Das Ziel sollte eine Primärprävention in der Gebärabteilung zur Vermeidung mütterlicher Traumata sein sowie eine frühzeitige Sekundärprävention.
- Wünschenswert sind Werkzeuge zur pränatalen Risikoberechnung für eine individuelle Beratung von Frauen.
Quelle: SGGG-Jahrestagung 2019, 28. Juni 2019, St. Gallen
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