- Nausea und Erbrechen
Entwicklungsgeschichtlich gelten Nausea und Erbrechen als wichtige Reflexe, welche verhindern, dass Menschen giftige Substanzen zu sich nehmen oder aber nach Aufnahme diese möglichst schnell wieder ausscheiden. Nausea geht dem
eigentlichen Erbrechen in der Regel voraus und beschreibt das Empfinden dringend erbrechen zu müssen. Dieser Artikel fasst die sinnvollen differentialdiagnostischen Überlegungen und das praktische Vorgehen bei diesen Beschwerden zusammen.
Durch das Erbrechen kommt es häufig zu Stimulation des sympathischen und parasympathischen Nervensystems, was wiederum zu Symptomen wie Kaltschweissigkeit, Tachykardie, weiten Pupillen oder Hypotonie führen kann. Regurgitation sollte vom eigentlichen Erbrechen unterschieden werden. Diese ist meistens nicht mit Nausea assoziiert und häufig durch einen insuffizienten unteren Oeosphagussphinkter oder durch eine Oesophagusstenose verursacht. Unter Rumination wiederum versteht man einen retrograden Transport von Mageninhalt (üblicherweise ohne Nausea) zum Beispiel bei Patienten mit psychosomatischen Störungen. Ruktation (Görpsen) und Singultus (Schluckauf) sind Formen von Luftaufstossen (Tab. 1).
Die Differentialdiagnose von Nausea und Erbrechen findet sich in Tabelle 2. Gesteigerter Hirndruck durch Tumore, Blutungen oder Obstruktion des Liquorflusses erzeugen ein schwallartiges Erbrechen, welches meist ohne Nausea auftritt. Die Reizung des Labyrinthes führt bei der Reisekrankheit, beim Morbus Menière und beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel zu Nausea und Erbrechen. Eine Magenobstruktion kann durch maligne oder peptische Ursachen bedingt sein und ebenso wie die Dünn- und Dickdarmobstruktionen (zum Beispiel als Folge von Adhäsionen, Tumoren, Volvulus, Invaginationen oder bei Morbus Crohn) zu Nausea und Erbrechen führen. Es wird geschätzt, dass 20-40% aller Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 eine diabetische Gastroparese entwickeln mit konsekutiver Nausea und Erbrechen. Eine Gastroparese kann jedoch auch nach Vagotomie, bei einem Pankreaskarzinom, sowie bei Sklerodermie und Amyloidose auftreten. Das Erbrechen bei Pankreatitis, Cholezystitis und Appendizitis erfolgt über lokale viszerale Reizung und Motilitätsstörung. Das Arteria-mesenterica-superior-Syndrom stellt ein seltenes Krankheitsbild dar, das durch postprandiales Erbrechen und Gewichtsverlust charakterisiert ist. Pathogenetisch ist es auf eine Einengung des distalen Duodenums zwischen Aorta und A. mesenterica superior zurückzuführen bedingt durch eine extrem spitzwinklig von der Aorta abgehenden A. mesenterica superior. Das Syndrom tritt vor allem bei bettlägerigen und kachektischen Patienten in Rückenlage auf, begleitet von krampfartigen Schmerzen im mittleren Oberbauch, welche sich charakteristischerweise nach Lagewechsel in die Knie-Ellenbogen-Lage bessern. Akutes Erbrechen bei Lebensmittelvergiftungen ist auf Staphylococcus aureus und Bacillus cereus zurückzuführen. Die Schwangerschaft ist die häufigste endokrine Ursache des Erbrechens. Bis zu 70% aller Frauen im ersten Trimenon leiden daran. Als Hyperemesis gravidarum wird eine schwere Verlaufsform des Erbrechens in der Schwangerschaft beschrieben, welche zu einem erheblichen Flüssigkeitsverlust und Elektrolytstörungen führen kann. Weitere metabolische Ursachen von Erbrechen sind Urämie, Ketoazidose, Nebenniereninsuffizienz sowie Störungen der Schilddrüse und der Nebenschilddrüse. Die wohl häufigste Ursache von Erbrechen sind Medikamente. Grundsätzlich können alle Medikamente Nausea und Erbrechen auslösen. Zu den häufigsten gehören Antibiotika, Antiarrhythmika, Antihypertensiva, orale Antidiabetika, Kontrazeptiva und Chemotherapeutika (besonders Cisplatin). Die abdominale Strahlentherapie führt zu einer Störung der motorischen Funktion und Bildung von Strikturen. Toxine im Blut führen zu einer Stimulation der Area postrema (zum Beispiel Alkoholintoxikation). Beim Leberversagen werden ebenfalls endogene Toxine gebildet, welche zu Erbrechen führen. Kardiale Ursachen wie akuter Myokardinfarkt insbesondere der Hinterwand und die biventrikuläre Herzinsuffizienz können zu Übelkeit und Erbrechen führen. Das postoperative Erbrechen kommt bei bis zu 25% aller Operationen vor und ist insbesondere nach Laparotomien, orthopädischen Eingriffen und bei Frauen gehäuft. Patienten mit psychiatrischen Leiden wie zum Beispiel Ess- und Angststörungen, sowie Depression berichten häufig über starke Übelkeit mit verzögerter Magenentleerung und Erbrechen (Tab. 2).
Die Differentialdiagnosen anhand des Zeitraums des Erbrechens sind in Tabelle 3, diejenigen bei Vorhandensein eines zweiten Leitsymptomes in Tabelle 4 und diejenigen anhand der Art des Erbrechens in Tabelle 5 zusammengefasst.
Abklärungsschritte bei Patienten mit Nausea und Erbrechen
Beim weiteren diagnostischen Vorgehen unterscheidet man zwischen einem akuten Auftreten von Nausea und Erbrechen (< 1 Woche) und einem chronischen Persistieren von Nausea und Erbrechen (> 1 Monat). Die Anamnese und die körperliche Untersuchung weist meistens auf die richtige zugrundeliegende Diagnose. Beim Auftreten von Alarmsymptomen wie zum Beispiel einem Alter des Patienten > 50 LJ, ungewolltem Gewichtsverlust, progressiver Dysphagie, persistierendem Erbrechen, Nachweis einer gastrointestinalen Blutung, einer positiven Familienanamnese für Magenkarzinome, einer veränderten Psyche, bei Abdominalschmerzen, fäkalem Erbrechen, Hämatochezie, Meläna und fokalen neurologischen Ausfällen sollten zwingend weiterführende Abklärungen erfolgen.
Bei der Diagnosestellung des Erbrechens wird ein dreizeitiges Vorgehen empfohlen. In einem ersten Schritt sollen primär Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Amylase (bei Schmerzen), Digitalisspiegel bei entsprechender Anamnese, sowie Urinstatus und Schwangerschaftstest bestimmt werden. Bei Verdacht auf eine intestinale Obstruktion kann eine Abdomenleeraufnahme in zwei Ebenen hilfreich sein, bei welcher man Luft-Flüssigkeitsspiegel im Dünndarm sucht. Ein Ileus zeigt sich durch diffus dilatierte und luftgefüllte Darmschlingen. In einem zweiten Schritt wird gemäss Klinik eine Abdomensonographie, Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, Stuhlkultur, EKG, TSH und ein Röntgenthorax empfohlen. In einem dritten Schritt erfolgt die Koloskopie, CT/MRI Untersuchung (CT Abdomen bei V.a. entzündliche Krankheit, CT/MRI vom Kopf zum Ausschluss einer zentralen Ursache, CT-/MR-Enterographie zum Ausschluss eines Dünndarmprozesses), sowie Bestimmung der Urin-Toxikologie und der Porphyrine.
Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie
Vulkanplatz 8
8048 Zürich
stephan.vavricka@hin.ch
Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Bei Patienten mit Nausea und Erbrechen ist die Suche der Grunderkrankung unerlässlich und manchmal schwierig.
- Der vorliegende Artikel soll Strategien aufzeigen, mit welchen gezielt nach der Ursache gesucht werden soll.
- Eine der häufigsten Ursachen sind Nebenwirkung von Medikamenten und falls dies vermutet wird, soll die Notwendigkeit des Medikamentes diskutiert werden.
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- August 2019