- Erstlinientherapie älterer Patienten mit akuter myeloischer Leukämie
Welche Faktoren sollten bei älteren Patienten mit akute myeloischer Leukämie (AML) bei der Wahl der Erstlinientherapie berücksichtig werden? Welche Optionen stehen für sie überhaupt zur Verfügung und was befindet sich noch in klinischen Studien? Antworten auf diese Fragen gab Prof. Dr. med. Gerwin Huls, Groningen/NL.
Die Wahl der am besten für einen älteren AML-Patienten geeigneten Therapiestrategie wird durch verschiedene patientenbezogene Faktoren beeinflusst. Einer der wichtigsten Punkte in diesem Zusammenhang stellt dar, ob ein älterer Patient überhaupt fit genug ist, um eine intensive Chemotherapie zu tolerieren. «Ganz generell bei Krebserkrankungen spielen in dieser Hinsicht die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, der Ernährungszustand, Komorbiditäten und eine damit allenfalls einhergehende Polymedikation, sozio-ökonomische Parameter und die emotionale Gesundheit eine Rolle», erklärte Prof. Huls, Groningen/NL. Spezifisch für Patienten mit AML hätten Untersuchungen für folgende Parameter eine Relevanz nachgewiesen: Alter, ECOG Performance Status, Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens, den Hematopoietic Cell Transplantation-specific Comorbidity Index (HCT-CI > 3), kognitive Einschränkungen (modified Mini-Mental-Status Examination (3MS) Score < 77) sowie eine eingeschränkte körperliche Leistung (Short Physical Performance Battery (SPPB) Score < 9). «Für alle diese Faktoren konnte gezeigt werden, dass sie prädiktiv für ein Ansprechen auf eine intensive Therapie bzw. das Überleben sind», fügte der Redner an.
Relevante krankheitsbezogene Faktoren
Neben patientenbezogenen Faktoren beeinflussen in zweiter Linie auch krankheitsbezogene Faktoren die Wahl der Therapie. «AML stellt bei älteren Patienten eine andere Erkrankung dar als bei jüngeren», sagte Prof. Huls. So würden ältere Patienten unter anderem häufiger eine ungünstige Zytogenetik und eine höhere Inzidenz an Multisubstanz-Resistenzen aufweisen. Auch die Inzidenz einer sekundären AML sei bei älteren Patienten höher als bei jüngeren. Einige Studie konnten jedoch zeigen, dass auch Patienten mit ungünstiger Zytogenetik von bestimmten Therapieansätzen profitieren können. So fanden Welch et al., dass Patienten mit einem ungünstigen zytogenetischen Profil und/oder einer T53-Mutation besser auf Decitabin (20 mg/m2, monatlich für 10 aufeinanderfolgende Tage) ansprachen als solche mit einem intermediären oder günstigen zytogenetischen Profil und solche ohne T53-Mutation (1). Keiner dieser Risikofaktoren war mit einem schlechteren Gesamtüberleben (OS) assoziiert als es Patienten mit einem intermediären zytogenetischen Risikoprofil erreichten. Pollyea et al. stellten fest, dass Enasidenib bei älteren AML-Patienten mit IDH2-Mutationen zu einer Gesamtansprechrate (ORR) von 30,8% führte und 18% der Patienten ein komplettes Ansprechen (CR) erreichten (2). Nach einem medianen Follow-up von 8,4 Monaten war das mediane OS bei den Respondern noch nicht erreicht.
Mehrere Optionen besser als beste Supportivtherapie
Bereits 1989 konnte nachgewiesen werden, dass eine intensive Chemotherapie bei älteren Patienten zu einem besseren Überleben führt als die beste Supportivtherapie (BSC) (3). «Interessant war, dass Patienten mit einer intensiven Chemotherapie weniger Tage im Spital verbrachten als die Patienten der Vergleichsgruppe», ergänzte der Redner. Mittlerweile haben sich weitere Optionen, so z.B. die hypomethylierenden Substanzen Decitabin und Azacitidin, aber auch niedrig dosiertes Cytarabin und Gemtuzumab Ozogamicin gegenüber einer BSC als überlegen erwiesen (Tab. 1) (3-8). Azacitidin hat zudem in einer retrospektiven Analyse ein gleich gutes Resultat hinsichtlich OS erreicht wie eine intensive Chemotherapie, sich jedoch als besser verträglich gezeigt (9). In der laufenden prospektiven Studie EORTC AML-21 wird Decitabin (10 Tage) mit einer konventionellen Chemotherapie verglichen. «Das Design dieser Studie sieht auch eine Transplantation vor, d.h. es sollen so viele Patienten wie möglich transplantiert werden. Je nachdem wie das Resultat ausfallen wird, könnte diese Studie die gängige Praxis entscheidend verändern», so Prof. Huls.
Verschiedene weitere neue Ansätze werden aktuell ebenfalls in Studien untersucht, so z.B. Azacitidin + /V- Venetoclax und LDAC + / - Venetoclax. Die Studie HOVON135/SAKK 30/15 evaluiert die Behandlung mit Decitabin im Vergleich zu Decitabin plus Ibrutinib bei Patienten > 66 Jahren, die sich nicht für eine intensive Chemotherapie eignen (HCT-CI > 3). Abschliessend meinte Prof. Huls: «Wir können bei älteren AML-Patienten nicht einfach eine bestimmte Therapie als Standard einsetzen. Der Allgemeinzustand sowie die molekularen Charakteristiken der Erkrankung und die Präferenz der Patienten sollten uns bei der individuellen Wahl der am besten geeigneten Therapie leiten.»
Fazit:
- Eine Behandlung sollte bei (fast) allen älteren AML-Patienten in Betracht gezogen werden.
- Eine intensive Chemotherapie, tief dosiertes Cytarabin, Gemtuzumab Ozogamicin und hypomethylierende Substanzen haben sich in Studien gegenüber einer besten Supportivtherapie als überlegen erwiesen.
- Eine intensive Therapie ist zu bevorzugen, mit Ausnahme von:
o nicht fitten Patienten (z.B. HCT-CI > 3, SPPB < 9, 3MS <v77)
o Patienten mit ungünstigem Risiko (z.B. ungünstige Zytogenetik, TP53-Mutation) - Bei Patienten mit komplettem Ansprechen sollte eine allogene Stammzelltransplantation in Betracht gezogen werden.
- Verschiedene neue Optionen werden aktuell in Studien untersucht.
1. Welch JS et al. TP53 and Decitabine in Acute Myeloid Leukemia and Myelodysplastic Syndromes. N Engl J Med 2016;375:2023-2036.
2. Pollyea DA et al. Enasidenib, an inhibitor of mutant IDH2 proteins, induces durable remissions in older patients with newly diagnosed acute myeloid leukemia. Leukemia. 2019 Apr 9. doi: 10.1038/s41375-019-0472-2. (Epub ahead of print)
3. Löwenberg B et al. On the value of intensive remission-induction chemotherapy in elderly patients of 65+ years with acute myeloid leukemia: a randomized phase III study of the European Organization for Research and Treatment of Cancer Leukemia Group. J Clin Oncol1989;7:1268-74.
4. Burnett AK et al. A comparison of low-dose cytarabine and hydroxyurea with or without all-trans retinoic acid for acute myeloid leukemia and high-risk myelodysplastic syndrome in patients not considered fit for intensive treatment. Cancer 2007;109:1114-24.
5. Amadori S et al. Gemtuzumab Ozogamicin Versus Best Supportive Care in Older Patients With Newly Diagnosed Acute Myeloid Leukemia Unsuitable for Intensive Chemotherapy: Results of the Randomized Phase III EORTC-GIMEMA AML-19 Trial. J Clin Oncol 2016;34:972-9.
6. Fenaux P et al. Azacitidine prolongs overall survival compared with conventional care regimens in elderly patients with low bone marrow blast count acute myeloid leukemia. J Clin Oncol 2010;28:562-9.
7. Dombret H et al. International phase 3 study of azacitidine vs conventional care regimens in older patients with newly diagnosed AML with >30% blasts. Blood. 2015;126:291-9.
8. Kantarjian HM et al. Multicenter, randomized, open-label, phase III trial of decitabine versus patient choice, with physician advice, of either supportive care or low-dose cytarabine for the treatment of older patients with newly diagnosed acute myeloid leukemia. J Clin Oncol 2012;30:2670-7.
9. van der Helm LH et al. Azacitidine might be beneficial in a subgroup of older AML patients compared to intensive chemotherapy: a single centre retrospective study of 227 consecutive patients. J Hematol Oncol. 2013;6:29.
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- Ausgabe 5
- Oktober 2019