- Auf das Verhältnis von Mehrkosten und Zuwachs an Nutzen kommt es an
Dass regionale Fortbildungsveranstaltungen über Neuentwicklungen in der Medizin, aber ebenso zum kollegialen und gesundheitspolitischen Gedankenaustausch sehr beliebt sind, zeigte sich auch am 12. Thurgauer Symposium Innere Medizin. Knapp 100 Teilnehmer vorwiegend aus dem Kanton Thurgau liessen sich zum Thema «Warum steigen die Gesundheitskosten in meinem Fachbereich – Was können wir besser als vor 10 Jahren, und ist es das wert» von ausgewiesenen Fachleuten orientieren. Die moderierende Leitung hatten Prof. Dr. Robert Thurnheer (Kantonsspital Münsterlingen) und PD Dr. Andreas Kistler (Kantonsspital Frauenfeld) inne.
Behandlungskosten versus Nutzen
PD Dr. med. Christine Manser (LA Gastroenterologie KSp Frauenfeld) sprach in ihrem Referat «Optimierte Therapiestrategien bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen – behandeln wir wirklich kosteneffizient?» zuerst über die beängstigende globale Steigerung besonders der medikamentösen Behandlungskosten (etwas weniger beim Hospitalisationsaufwand) und erinnerte auch an die mannigfaltigen indirekten Kostenfolgen der immer älter werdenden, polymorbiden und auch anspruchsvolleren Bevölkerung. Die optimalen Therapiestrategien richten sich nach der Kosteneffizienz, welche mittels der ICER (incremental cost effectiveness ratio) abgeschätzt werden kann. Als Beispiele wurden z.B. die neuen Therapiemöglichkeiten der chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten erwähnt: Die sehr teuren, langfristig eingesetzten Biologica sind zwar nicht «kosteneffektiv», verkürzen aber die Hospitalisationsdauer, verbessern die Lebensqualität und haben relativ wenig Nebenwirkungen. Es gibt deshalb in schweren Fällen kaum Alternativen.
«Steigende Gesundheitskosten – die Nephrologie als Täterin oder Opfer?» -Diese Frage stellte sich
Dr. med. Stefan Flury (OAz Nephrologie KSp Frauenfeld). Tatsache ist, dass die Zahl an älteren Patienten mit terminalem Nierenversagen (ESRD) und damit Dialysebedarf ständig steigt. Der Referent besprach vor allem die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (Rang 4 für Dialysepflicht) und deren neue Behandlung mit Tolvaptan (Jinarc®, einem Vasopressin-Antagonisten), welches den GFR-Verlust, bzw. die Abnahme der Kreatinin-Clearance sicher verlangsamt und damit die Lebenserwartung steigert, die Krankheit aber natürlich nicht heilt. Die Jahreskosten betragen ca. Fr. 25 000.- (regelmässige Dialyse ca. 80 000.-) – Das atypische hämolytische Syndrom aHUS, eine thrombotische Mikroangiopathie, ist durch akutes Nierenversagen, Thrombozytopenie und hämolytische Anämie charakterisiert. Es kann neuerdings mit Eculizumab (einem monoklonalen Antikörper) bei ungenügender Wirkung der wiederholten Plasmapherese angegangen werden. Die Kosten sind zwar auch hier sehr hoch, die Überlebensdauer aber länger. – In der Diskussion verglich der Referent zudem die Kostenfolge der verschiedenen Nierenersatz-Möglichkeiten: Nierentransplantation, Hämodialyse und Peritonealdialyse.
Mit viel feu sacré verteidigte dipl. Ärztin Michaela Petre (LA Rehabilitation und Langzeitpflege, Klinik St. Katharinental Diessenhofen) die geriatrische Rehabilitation, kurz GR. Ihre Fragestellung «Geriatrische Rehabilitation kostet. Ist sie für «d’Chatz» oder braucht es sie?» schien am Schluss des Referates rein rhetorisch. Der möglichst lange Erhalt der Selbständigkeit ist Ziel aller betagten Menschen. 80% der Patienten können nach der GR wieder nach Hause. Wichtig für den nachhaltigen Erfolg der GR ist aber das genaue geriatrische Assessment am Anfang, das Beachten der Ausschlusskriterien (vergl. KK-Gutsprache), der strukturierte zielgerichtete Behandlungsplan (3 x 30 min. Therapieeinheiten pro Tag) und die gut vorbereitete Entlassung nach Hause (u.a. Round-Table-Gespräch!).
Als didaktisch sehr talentierter Referent erweist sich jedes Mal der Diabetologe Prof. Dr. med. Peter Wiesli (Chefarzt KSp Frauenfeld); er sprach über die «Moderne Therapie des Diabetes». Da hat sich ja sehr viel verändert und die älteren Kollegen finden sich in den neuen Stoffklassen kaum mehr zurecht. Die Sulfonamide haben praktisch ausgedient (cave Hypoglykämien!), mehrere mit viel Propagandaaufwand später neu eingeführte blutzuckersenkende Präparate sind wegen Nebenwirkungen wieder verschwunden. Die therapeutischen Guidelines werden deshalb gerade jetzt wieder überarbeitet. Als Take-Home-Messages können gelten: a) Das extrem billige Metformin steht trotz knapper Datenlage noch immer im Vordergrund und kann fast mit allen neuen Stoffgruppen kombiniert werden. b) Der HbA1c-Wert hat noch nicht ausgedient. Mikrovaskuläre Diabetes-Spätschäden treten bei gut eingestelltem D.m. weniger häufig auf, auf die kardiovaskulären Endpunkte ist der Einfluss aber gering. Wichtig ist die Vermeidung von Hypoglykämien. c) Das richtige Vorgehen kann so zusammengefasst werden: An erster Stelle den eigentlichen Insulin-Mangel ausschliessen. Bei schwerer Nierenfunktionsstörung (eGFR < 30 ml/min) keine SGLT-2-Hemmer (Gliflozine) geben, sondern Insulin, DPP-4-Hemmer (Gliptine) und/oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten (z.B. Liraglutid). Bei GFR >30ml/min und vor allem bei Herzinsuffizienz sind an erster Stelle SGLT-2-Hemmer indiziert!
Als besonders teuer gelten die Innovationen in der Onkologie; aber sind sie auch effizient? Darüber orientierte Dr. med. Christian Taverna (LA Onkologie, KSp Münsterlingen) in seinem Referat «Der Preis der Innovation: Beispiele aus der Onkologie». Zwischen 2014-2018 waren in der Schweiz 38 Neuzulassungen zu verzeichnen, vor allem die monoklonalen Antikörper (mit Suffix –mab), die Tyrosinkinase-Hemmer (Suffix –nib), die «Immun-Checkpoint-Inhibitoren» (z.B. günstige Wirkung von Nivolumab beim Melanom), gezielte antihormonale Therapien und die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, u.a. Die Krebstherapie wird dadurch immer zielgerichteter und personalisierter (rezeptorbasiert, molekular-gesteuert etc.). Besondere Biomarker erlauben eine Abschätzung eines Therapieerfolges (z.B. die PD-L1- und HER2-Diagnostik). Als Fazit gilt: Die Fortschritte in der Onkologie sind sehr gross, die Nebenwirkungen der neuen Stoffklassen sind kontrollierbar, die Kosten sind aber sehr hoch und die Preisgestaltung zu wenig transparent.
«Wird Leben unbezahlbar?» – so lautete die Titelfrage von Dr. med. Rudolf Benz (LA Hämatologie KSp Münsterlingen). Er besprach als positives Beispiel dazu die aktuelle Therapie der chronischen myeloischen Leukämie CML mit dem Proteinkinaseinhibitor Imatinib/Glivec®. Die Wirkung ist bemerkenswert (50% bleiben schlussendlich ohne Therapie «geheilt»), die Nebenwirkungen sind aber nicht unerheblich, die Kosten auch hier hoch. (Zudem ist die Preisgestaltung des Medikamentes sehr unterschiedlich: USA: 140 000 $, Indien 400 $). Lohnt es sich schlussendlich? Der Referent liess die Frage offen.
Auch Dr. med. Florian Schliephake (Oaz Kardiologie KSp Münsterlingen) stellte sich der Frage «Klappen, Katheter, Schrittmacher – kostspielige Hightech oder sinnvolle Medizin?». Er wies auf die praktischen Vorteile der sondenlosen Mini-Herzschrittmacher (allerdings nur einkammerig, Kosten um 12 000.-) gegenüber den konventionellen Pacemakern (Fr. ca. 5000.- bis 8000.-) hin, schilderte die Vor- und Nachteile der verschiedenen Therapien des Vorhofflimmern (Ablation versus medikamentöse Therapie) und deren Kostenfolgen und er kam auch auf die unterschiedlich beurteilte Effizienz des perkutanen Aortenklappenersatzes TAVI zu sprechen. Hier wird die Implantation einer neuen biologischen Aortenklappe am schlagenden Herzen in Lokalanästhesie durchgeführt, eine teure Prozedur, welche nur gewissen Patienten (vor allem in Hochrisiko-Fällen) einen Vorteil bringt. Bei sonst gesunden Patienten unter 70 Jahren wird die konventionelle offene Operation noch als Standard betrachtet.
Bevor die Gesundheitspolitikerin Heidi Grau Gemeindepräsidentin von Zihlschlacht-Sitterdorf) ganz am Schluss ihr sehr bemerkenswertes allgemeines Votum über die Kostenentwicklung in der Medizin abgab und vor allem auch auf die Probleme zu sprechen kam, die auf die Gemeindebudgets zurück fallen (z.B. bei säumigen Prämienzahlern), beeindruckte der Gastgeber des Fortbildungs-Nachmittages (Prof. Dr. med. Robert Thurnheer, Chefarzt am KSp Münsterlingen) mit der Suggestiv-Frage: «Wie konnte ich nur Pneumologe werden?». Dabei blickte er aber auf die Fortschritte in den letzten 30Jahren zurück. Wie hat sich doch vor allem die Behandlung der verschiedenen entzündlichen Bronchial-Erkrankungen («Asthma» und COPD) gewandelt. Speziell erwähnenswert ist das Mepolizumab (Nucala), das sich als monoklonaler Antikörper an Interleukin-5 bindet. Es wird bei eosinophilem Asthma alle 4 Wochen subkutan injiziert (Einzeldosis Fr. 1410.-), der subjektive Gewinn für den Patienten ist gross (auch wenn die gemessene Lungenfunktion kaum verändert wird). – Das zweite Beispiel war die idiopathische Lungenfibrose, für die neuerdings Pirfenidon (Esbriet®, monatliche Kosten Fr. 3211.35) oder Nintedanib (Ofev®, Fr. 2929.- monatlich) zugelassen sind. Die Nebenwirkungen, die Interaktionen und eben die Kosten sind sehr hoch, der Behandlungserfolg «mässig» − Schliesslich wurde noch die Chronisch-thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) erwähnt, welche den Patienten schwer beeinträchtigt und eine 3-Jahres-Mortalität von 50% hat. Klinisch stehen Belastungsdyspnoe, Fatigue, Palpitationen und Synkopen im Vordergrund. Die einzige, nur an wenigen Zentren mögliche kurative Behandlung ist die pulmonale Thrombendarteriektomie (pTEA). Der kostenaufwendige Eingriff lohnt sich in diesem Falle allemal, man kann fast gar von «Heilung» sprechen. Ein zukunftsweisender Abschluss eines eindrücklichen Fortbildungs-Nachmittags über Kostenentwicklung und -effizienz in der Medizin also.
Küsnacht