- Neue Guidelines zur Diagnose und Behandlung chronischer koronarer Syndrome
Am diesjährigen Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) anfangs September in Paris wurden die neuen Guidelines für die Diagnose und Behandlung von chronischen koronaren Syndromen (CCS) publiziert. Im folgenden Text wird der Abklärungsalgorithmus bei Verdacht auf Symptome, welche durch eine koronare Herzkrankheit bedingt sind, erläutert und insbesondere auf die Neuerungen im Vergleich zu den alten Guidelines eingegangen.
Les nouvelles lignes directrices pour le diagnostic et le traitement des syndromes coronariens chroniques ont été publiées lors du congrès annuel de la Société européenne de cardiologie (ESC) qui s’est tenu à Paris début septembre. Le texte qui suit explique l’algorithme permettant de clarifier les symptômes soupçonnés d’ être causés par la coronaropathie et, en particulier, les innovations par rapport aux anciennes directives.
Die koronare Herzkrankheit ist ein pathologischer Prozess von atherosklerotischen Plaquablagerungen in den epikardialen koronaren Arterien. Die Krankheit kann lange stabile Phasen haben, aber auch jederzeit instabil werden (typischerweise durch eine Plaqueruptur). Die am Jahreskongress des ESC publizierten Guidelines zur Diagnose und Behandlung von chronischen koronaren Syndromen (CCS) tragen diesem Krankheitsmodell Rechnung und sprechen im Gegensatz zu den Vorgängerguidelines aus dem Jahr 2013 nun nicht mehr von der stabilen koronaren Herzkrankheit (SCAD) sondern neu vom chronischen koronaren Syndrom (CCS), dies im Gegensatz zum akuten koronaren Syndrom (ACS) (1, 2).
Der neue Abklärungsalgorithmus
Bei Patienten mit Angina pectoris und/oder Dyspnoe und Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit wird neu ein sechsstufiger Abklärungsalgorithmus empfohlen: Im ersten Schritt sollen die Symptome erhoben werden und eine klinische Untersuchung durchgeführt werden. Zur Definition von typischer und atypischer Angina bzw. nicht-anginösen Beschwerden werden wie bis anhin die vierzigjährigen Kriterien von Diamond und Forrester verwendet (3). Die folgenden drei Charakteristika der Beschwerden werden hierfür beurteilt: Beklemmendes Unwohlsein im Thorax oder im Hals, Kiefer, der Schulter oder dem Arm; Zunahme der Symptome unter körperlicher Belastung; Abnahme der Symptome durch Einnahme von Nitroglyzerin oder in Ruhe. Treffen alle drei Charakteristika auf die Beschwerden zu, so spricht man von typischer Angina pectoris, bei zwei Charakteristika von atypischer Angina pectoris, und bei einem oder keinem Charakteristikum von nicht-anginösen Beschwerden.
In einem zweiten Schritt werden Komorbiditäten berücksichtigt. Ist eine Revaskularisation aufgrund des Gesamtzustandes des Patienten bzw. relevanter Nebendiagnosen keine Option, soll ohne weiterführende Abklärungen primär medikamentös behandelt werden.
In einem dritten Schritt werden ergänzende Untersuchungen durchgeführt. Empfohlen sind standardmässig ein Ruhe-EKG sowie eine Blutentnahme, um mögliche Ursachen der Ischämie zu finden (Hämoglobin, TSH) sowie zur Bestimmung der Risikofaktoren (Glukose, HbA1c, Lipidprofil). Ebenso soll eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt werden, Ausnahme sind hier sehr junge und gesunde Patienten mit hohem Verdacht auf eine extrakardiale Ursache der Thoraxschmerzen sowie sehr polymorbide Patienten, bei welchen die Echokardiographie keine therapeutische Konsequenz hat.
Die Vortestwahrscheinlichkeit
Im vierten Schritt des Abklärungsalgorithmus werden die Vortestwahrscheinlichkeit und die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer stenosierenden KHK bestimmt (vgl. Abbildung 1).
Bereits in den letzten Guidelines wurde die Vortestwahrscheinlichkeit basierend auf den oben erwähnten Kriterien nach Diamond und Forrester verwendet, um zu entscheiden, wie ein Patient weiter abgeklärt werden soll. Seither wurden jedoch mehrere Studien publiziert, welche zeigen konnten, dass die Prävalenz einer stenosierenden KHK bei Patienten mit Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit deutlich tiefer ist als bislang angenommen. Eine grosse Analyse mit über 15 000 Patienten, welche dieses Jahr publiziert wurde, fand eine Vortestwahrscheinlichkeit von nur einem Drittel im Vergleich zum bislang verwendeten Modell (4). In den neuen Guidelines werden deswegen eine neue Tabelle und vor allem auch neue Grenzwerte verwendet, ab welchen weitere Abklärungen empfohlen werden. Neu wurde auch eine Tabelle mit Vortestwahrscheinlichkeiten für Patienten entwickelt, deren alleiniges oder überwiegendes Symptom die Dyspnoe ist. Da in mehreren Studien gezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von < 15% (gemäss dem neuen Modell) ein tiefes Risiko für das Eintreten des kardiovaskulären Todes bzw. eines Myokardinfarktes vorliegt, ist bei diesen Patienten eine routinemässige weitere Abklärung nicht indiziert (5, 6). Bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von 5-15% kann eine weitere Diagnostik erwogen werden, allerdings in Kenntnisnahme einer höheren Wahrscheinlichkeit von falsch-positiven Tests. Bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von < 5% soll eine weiterführende Ischämiediagnostik nur in Ausnahmefällen erfolgen.
Es konnte gezeigt werden, dass Modelle, die ausser dieser Vortestwahrscheinlichkeit Informationen wie kardiovaskuläre Risikofaktoren (Familienanamnese, Dyslipidämie, Diabetes mellitus, Hypertonie, Nikotinabusus), Veränderungen im Ruhe-EKG oder das Wissen über allenfalls vorhandene Koronarverkalkungen miteinbeziehen, Patienten mit einer stenosierenden KHK besser identifizieren können (5, 7). Diese Faktoren können deswegen als modifizierende Faktoren eingesetzt werden, insbesondere bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von 5-15%. Aus der Vortestwahrscheinlichkeit sowie den modifizierenden Faktoren wird die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer stenosierenden KHK abgeschätzt.
Die Wahl des Testes
In einem fünften Schritt wird für Patienten, welche gemäss den obenstehenden Kriterien eine Indikation für eine Weiterabklärung haben, ein geeigneter Test ausgewählt. Bei den meisten Patienten ist ein nicht-invasiver Test empfohlen, entweder ein bildgebender Ischämietest oder eine Koronar-CT-Untersuchung. Das Belastungs-EKG als Ischämietest wird in den neuen Guidelines nicht mehr empfohlen aufgrund der im Vergleich zu den bildgebenden Verfahren deutlich schlechteren diagnostischen Genauigkeit (8). Unbestritten ist die prognostische Bedeutung des Belastungs-EKGs (9). Aus diesem Grund kann es in ausgewählten Patienten durch-geführt werden, um Symptome, ST-Streckenveränderungen, Arrhythmien, das Blutdruckverhalten und die Leistungsfähigkeit zu beurteilen.
Das Koronar-CT wird bei Patienten ohne bekannte KHK und mit einer tiefen klinischen Wahrscheinlichkeit (wobei hierfür kein Cut-Off genannt wird) empfohlen und ist hervorragend geeignet, um eine KHK auszuschliessen. Vorteil des Koronar-CTs ist die genaue anatomische Darstellung der Koronarien sowie die Detektion der subklinischen Atherosklerose, welche einen Einfluss auf die medikamentöse Therapie mit Statinen bzw. Plättchenhemmern haben kann (10). Es gibt auch gut validierte Tools, welche den Calcium-score zusätzlich zu den üblichen kardiovaskulären Risikofaktoren miteinbeziehen, um das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis abzuschätzen (11). Nachteil ist die verminderte diagnostische Genauigkeit bei Vorhandensein von viel Kalk. Da erkannt wurde, dass die Prävalenz der stenosierenden KHK unter den untersuchten Patienten mit stabilen Symptomen viel tiefer ist als bislang angenommen, haben gemäss den neuen Guidelines nun viel mehr Patienten eine tiefe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK und kommen für eine Abklärung mittels Koronar-CT in Frage.
Bildgebende Ischämietests sind bei Patienten mit einer höheren klinischen Wahrscheinlichkeit (auch hier wird leider kein Cut-Off genannt) empfohlen. Zu den bildgebenden Ischämietests zählen die Stressechokardiographie, das Stress-MRI sowie die beiden nuklearmedizinischen Verfahren Myokardperfusions-SPECT und -PET. Die Wahl des bildgebenden Tests soll in Abhängigkeit der lokalen Expertise und Verfügbarkeit sowie von Patientencharakteristika gefällt werden.
Bei Patienten mit einer hohen klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK sowie Symptomen mit fehlendem Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie oder typischer Angina bei sehr geringer Anstrengung kann direkt eine Koronarangiographie durchgeführt werden. Eine invasive funktionelle Abklärung (FFR/iFR) wird bei einem Stenosegrad von 50-90% empfohlen, da die visuelle Beurteilung der Stenosen oft nur ungenügend mit der funktionellen Relevanz korreliert (8, 12).
In einem sechsten und letzten Schritt wird eine Risikostratifizierung der abgeklärten Patienten durchgeführt, um diejenigen Patienten zu identifizieren, welche von einer Revaskularisation profitieren. Neben der klinischen Beurteilung und der Ejektionsfraktion wird hierfür insbesondere das Resultat des bildgebenden Tests verwendet, und diejenigen Patienten mit einer signifikanten Ischämie bzw. einer hochgradigen Stenose werden einer Revaskularisation zugeführt.
Oberärztin Klinik für Kardiologie und Institut für Radiologie und Nuklearmedizin
Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich
annina.studer@triemli.zuerich.ch
Die Autorin hat keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.
- Die Prävalenz von Patienten mit einer stenosierenden KHK ist deutlich tiefer als bislang angenommen, entsprechend wurde die Tabelle mit den Vortestwahrscheinlichkeiten (nach Diamond-Forrester-Kriterien) angepasst.
- Die neuen Guidelines empfehlen aufgrund der besseren diagnostischen Genauigkeit primär einen nicht-invasiven bildgebenden Test anstelle eines Belastungs-EKGS.
- Bei sehr hoher klinischer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK bzw. Beschwerden bei geringer Belastung ist direkt eine invasive Koronarangiographie empfohlen.
Messages à retenir
- La prévalence des patients atteints de coronaropathie sténosante est significativement plus faible qu’on ne l’avait supposé précédemment, et le tableau des probabilités de prétest (selon les critères de Diamond Forrester) a été ajusté en conséquence.
- En raison de l’amélioration de la précision du diagnostic, les nouvelles lignes directrices recommandent principalement un test d’imagerie non invasif plutôt qu’un ECG à l’effort.
- S’il existe une très forte probabilité clinique de coronaropathie ou de symptômes à faible stress, une angiographie coronarienne invasive est directement recommandée.
1. Knuuti J. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes: The Task Force for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes of the European Society of Cardiology (ESC). https://doi.org/10.1093/3urheartj/ehz425.
2. Montalescot G. 2013 ESC Guidelines on the management of stable coronary artery disease: The Task Force on the management of stable coronary artery disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2013;34:2949-3003.
3. Diamond GA. Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary-artery disease. N Engl J Med 1979;300:1350-58.
4. Juarez-Orozco LE. Impact of a decreasing pre-test probability on the performance of diagnostic tests for coronary artery disease. Eur Heart J Cardiovasc Imaging 2019;doi:10.1093/ehjci/jez054.
5. Reeh J. Prediction of obstructive coronary artery disease and prognosis in patients with suspected stable angina. Eur Heart J 2018;40:1426-35.
6. Foldyna B. Pretest probability for patients with suspected obstructive coronary artery disease: re-evaluating Diamond-Forrester for the contemporary era and clinical implications: insights from the PROMISE trial. Eur Heart J Cardiovasc Imaging 2018;20:574-81.
7. Jensen JM. Risk stratification of patients suspected of coronary artery disease: comparison of five different models. Atherosclerosis 2012;220:557-562.
8. Knuuti J. The performance of non-invasive tests to rule-in and rule-out significant coronary artery stenosis in patients with stable angina: a meta-analysis focused on post-test disease probability. Eur Heart J 2018;39:3322-3330.
9. Bourque JM. Value of exercise ECG for risk stratification in suspected or known CAD in the era of advanced imaging technologies. JACC CV Imaging 2015;8:1309-21.
10. Mitchell JD. Impact of statins of cardiovascular outcomes following coronary artery calcium scoring. JACC 2018;72:3233-42.
11. McClelland RL. Ten-year coronary heart disease risk prediction using coronary artery calcium and traditional risk factors: Derivation in the Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis with validation in the Heinz Nixdorf Recall Study and the Dallas Heart Study. J Am Coll Cardiol. 2015;66:1643-53.
12. Toth G. Evolving concepts of angiogram: fractional flow reserve discordances in 4000 coronary stenoses. Eur Heart J 2014;35:2831-38.
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- Vol. 9
- Ausgabe 6
- November 2019