- 10. Wiler Hausarzt-Symposium der SRFT
Das Hausarzt-Symposium der Spitalregion Fürstenland Toggenburg nimmt seit Jahren im Terminkalender der prakt. Ärzte der Ostschweiz eine zentrale Stelle ein, und so vermochte auch die 10. Ausgabe am 28. November 2019 über 70 interessierte Mediziner anzulocken. Es hat sich auch diesmal für alle gelohnt. Die ganztägige Fortbildungsveranstaltung (unter Leitung von Dr. M. Rütti, internistischer Chefarzt am Spital Wil) war sehr gut organisiert und der Mix aus sechs Hauptreferaten und den dazwischen gestreuten Workshops in vier Sälen hat sich auch diesmal voll bewährt.
An erster Stelle referierte Prof. Dr. Mathias Binswanger (Fachhochschule Nordwestschweiz) über die leidige Frage «Warum die Gesundheitskosten auch in Zukunft steigen werden». Seine Antwort lautete klar: weil rundum die (Fehl-)Anreize zur Mengenausdehnung allzu gross sind. Es bestünde ein zu geringes Kostenbewusstsein beim Bezug von Leistungen, und die Nachfrage würde über das Angebot gesteuert (Asymmetrie zwischen Anbietern und Nachfrage). Der Referent nannte in seinem humorvollen, beachtenswerten Vortrag eine lange Liste von angedachten Sparmöglichkeiten, diese werden aber durch immer neues gewinnorientiertes Wettbewerbsdenken «überrundet». Gleichzeitig nimmt die Bürokratie im Gesundheitswesen bedrohlich zu. Das Referat musste nachdenklich stimmen.
Auch der Schlussvortag von Prof. Dr. med. dipl. soz. Tanja Krones (LA Klinische Ethik am USZ) betraf dieselbe Problematik: «Wo wir auch in Zukunft auf keinen Fall sparen sollen». Sie plädierte für ethisches Denken in der Medizin (Stichwort: advanced care planning), der Patient müsse trotz aller Fehlanreize im Mittelpunkt stehen. Die Ärzte seien vorab aufgerufen, einen vorzeitigen Tod zu vermeiden, den Krankheiten vorzubeugen, die Kranken zu betreuen, das Leiden zu vermindern. Die Liste «Choosing wisely» der verschiedenen Fachgesellschaften sei zu beachten.
Das zweite Hauptreferat am Vormittag, von PD Dr. med. Chr. Schmied (Facharzt Kardiologie und Sportmedizin, USZ), stand unter dem provokativen Titel «Ist Sport wirklich Mord?», wie es immer wieder z.B. nach einem plötzlichen Herztod in der Presse heisst. Aber Sport ist gesund, mindestens 30 Min. täglich (2,5 Std. pro Woche), die präventive Wirkung auf Herz-Kreislauf ist klar bewiesen.Trotzdem sind über 50% der Schweizer unter 60 Jahre «sportfaul». Das Optimum wäre sogar 2 Std. körperliche Bewegung täglich. Vergl. Schweizerische Empfehlungen auf www.hepa.ch. – 90% der plötzlichen Herztod-Fälle bei Sportlern könnten vermieden werden, wenn diese vorgängig genau abgeklärt würden (inkl. EKG) und wenn sie bei Ermüdung (die berühmten letzten 10 Minuten beim Langstreckenlauf) auf ihren Körper achten würden. Die «Internistischen Seattle Kriterien» zur Beurteilung des Sportler-EKGs sind massgeblich.
Das Referat «Eisen-Update» von Dr. med. M. Rütti (Chefarzt Medizin Spital Wil) vermochte das kontrovers diskutierte «Eisenmangelsyndrom» etwas zu klären. Die Kontroverse bezüglich nichtanämischem Eisenmangel (Hb über 110-120 g/l, Ferritin unter 16-30 μg/l) bleibt zwar weiter bestehen. Eine Eisensubstitution bei entsprechenden Symptomen (Müdigkeit, Schwäche, Fatigue) kann aber sehr oft Besserung bringen. Kurzinfusionen (15 min.) von Ferinject sind oft besser verträglich als die per os-Medikation.
Iatrogene Eisenüberlastung ist unbedingt zu vermeiden. Eisensubstitution, vor allem auch bei Schwangeren, ist vielfach notwendig. Nach Absetzen einer Eisen-Substitution empfiehlt sich die Ferritin-Kontrolle erst nach 6-8 Wochen.
Der Chefarzt Chirurgie Spital Wil, Dr. med. Sandro Lionetto, referierte über das praxisnahe Thema «Gallenstein – wie weiter?». Die Cholelithiasis nimmt mit zunehmendem Alter zu; 20% der europäischen Bevölkerung sind Steinträger (besonders Frauen, Diabetiker, Übergewichtige), dauernd symptomfrei bleiben nur wenige. Asymptomatische Steinträger sind nicht zu behandeln. Bei akuter Kolik stehen NSAR und Spasmolytika an erster Stelle. Da über 50% der Patienten später Komplikationen aufweisen und doch operiert werden müssen, wird die rasche Operation innert 72 Std. empfohlen, auch bei Schwangeren (besonders im 2.Trimester). Die biliäre Pankreatitis ist abzuwenden. Auch bei der akuten Cholecystitis empfiehlt sich die blosse konservative Therapie nicht. («Einmal symptomatisch bedeutet Operation») Wenn die Operation (bei High-Risk-Patienten) nicht möglich ist, muss 6-8 Wochen zugewartet werden.
Am Symposium berichten traditionsgemäss auch zwei Praktiker über ganz besonders lehrreiche, eindrückliche Krankheitsfälle aus ihrer Praxis. – Dr. med. B. Gräsel (Wilen bei Wil) referierte einerseits über einen schweren Fall von Zerebraler Sinus-Venen-Thrombose und späterer Subduraler Blutung C7-Th 3, wobei sich die Pat. von beiden gefährlichen Notfällen wieder erholte. Eine Gerinnungsstörung bestand auffallenderweise nicht. Anschliessend wurde von einem chronischen Migräne-Patienten berichtet, der plötzlich multiple embolische Hirninfarkte bei unbekanntem persistierenden Foramen Ovale erlitt. Der RoPE Score ist hier für die Beurteilung massgebend. – Dr. med. Th. Clerc (Aadorf) stellte einen verzwickten Fall eines zu lang verkannten Pankreaskopfkarzinoms vor. Die vorgängige extreme Gewichtsabnahme und die langdauernden therapieresistenten Durchfälle waren lange verwirrend.
Die vier Workshops in kleineren Gruppen erfreuen sich jedes Jahr grosser Beliebtheit. Leider können nur drei von 4 besucht werden: so kann hier über den sicher interessanten, bildreichen Kurs «Fallbeispiele aus der Dermatologie» (Dr. med. U. Hauswirth, Dermatologe in Wattwil) nicht berichtet werden.
Der Workshop «Muskelschmerzen in der Rheumatologie» (Dr. med. N. Krüger, Klinik Rheumatologie KSp St. Gallen) behandelte vorerst die unklare Ursache, die schwierige Diagnostik (vergl. Deutsche FMS-Leitlinien) und die oft frustrierende Therapie der Fibromyalgie. Typischerweise sind die Schmerzen in Gelenknähe (11 von 18 Trigger-Points positiv), die Symptomatik ist meist mit psychischen Auffälligkeiten (Depression!) verbunden. Die individualisierte Behandlung ist vorab nicht-medikamentös (es sind explizit keine Medikamente für die FMS zugelassen). Amitriptylin, SSRI und Pregabalin werden versucht. – Bei der Polymyalgia rheumatica wies die Referentin auf die neue PMR-Klassifikation hin und riet zu einem modifizierten Therapieschema: Beginn der Prednison-Therapie mit nur 15 mg (2 Wochen), dann 2 Wochen 12,5 mg, 2 Wochen 10 mg, und dann nur 1 mg pro Monat reduzieren. Therapiedauer 11 Monate. Allenfalls muss Methotrexat erwogen werden. Häufige Verlaufskontrollen sind nötig (Komorbiditäten?). Schliesslich wurden die Dermatomyositis, das Antisynthetase-Syndrom und die immunvermittelte nekrotisierende Myopathie (meist Statin-assoziiert, aber auch als paraneoplastisches Geschehen) erörtert, sie ist nicht zu verwechseln mit der «gewöhnlichen» Statin-Myopathie.
Im Workshop «Psychosomatische Notfälle» präsentierte der Moderator (Dr. med. M. Brabetz, Klinik Littenheid) eindrückliche Fälle von anfänglich falsch beurteilten «psychiatrischen» Fällen: «Depression» bei HIV-Patient mit Sepsis, Erschöpfungszustand und vegetative Symptome bei verkannter schwerer Hyperkalzämie (prim. Hyperparathyreoidismus), Psychose bei Drogenabusus vs. schwere Kardiomyopathie bei unbekanntem Brugada-Syndrom, sowie auffällige Persönlichkeitsstörung (Alexithymie) bei akuter lymphatischer Leukämie.
Schliesslich behandelte Dr. med. M. Diethelm (Chefarzt-Stv. Ksp St. Gallen) im Workshop «Arterielle Hypertonie – neue Zielwerte, alte Diskussionen» die Kontroverse über die anzustrebenden Zielwerte in den verschiedenen Guidelines unter Berücksichtigung der «number needed to treat». Die Empfehlungen sind je nach Kontinent unterschiedlich; Alter, Geschlecht, Nierenfunktion, übrige Risikofaktoren sind zu berücksichtigen. Da hilft der AGLA-Risikorechner oder die Webseite chd.bestsciencemedicine.com/calc2.html weiter. Eine evidenzbasierte Blutdruck-Therapie strebt – natürlich bei modifiziertem life style – systolische Werte von 130-140/80 mmHg an, bei kardiovaskulärem Risiko eventuell 10% tiefer. Aber was gilt bei Älteren: «How low is too low?»; sicher diastolisch nicht unter 70 mm Hg, meinte der Moderator.
Bei der Verabschiedung konnte der Symposiumsleiter wiederum feststellen: Der Fortbildungstag (5 Credits) hat sich mehr als gelohnt und die Teilnehmer haben sich bereits das 11. Wiler Hausarzt-Symposium am 26.11.2020 vorgemerkt. – Die Referate sind unter www.wiler-symposium.ch abzurufen.
Quelle: 10. Wiler Hausarzt-Symposium der SRFT, katholisches Pfarreizentrum Wil, 28. November 2019
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