Fortschritte in der Therapie des Ovarialkarzinoms

Einführung

Das Ovarialkarzinom steht an Stelle 8 der häufigsten Karzinome der Frau und an Stelle 18 der Krebssterblichkeit. Weltweit wurden 2020 313 000 neue Ovarialkarzinome diagnostiziert (1). In der Schweiz erkranken pro Jahr ca. 600 Frauen an einem Ovarialkarzinom, damit liegt der Anteil an allen Krebsneuerkrankungen bei 3 %. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 68.6 Jahren (2). Die 5-Jahres-Überlebensrate ist mit 46 % eingeschränkt. Trotz Fortschritte in der operativen und systemischen Therapie des Ovarialkarzinoms erleiden die meisten Patientinnen einen Rückfall und versterben schliesslich an ihrer Erkrankung.

In der Karzinogenese spielen reproduktive Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise frühe Menarche, späte Menopause, späte Erstgebärende und Nullipara. Risikoreduzierend ist die Einnahme oraler Kontrazeptiva. Weiterhin spielen genetische Faktoren eine grosse Rolle bei der Entstehung des Ovarialkarzinoms (3). Erst seit wenigen Jahren weiss man, dass der Anteil an Patientinnen mit Keimbahnveränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 bei Patientinnen mit einem sog. high-grade serösen Ovarialkarzinom bei bis zu 20 % liegt, weitere 5 % der Patientinnen haben andere risikoerhöhende Mutationen (z. B. PALB2, RAD 51C) (4). Weitere 20 % der Patientinnen haben eine eingeschränkte DNA-Doppelstrangreparatur (Mangel an homologer Rekombination) ohne das Vorliegen einer pathogenen Mutation (sog. HRD-Positivität) (5).

Früherkennung

Trotz grosser Bemühungen in den vergangenen Jahren existiert weiterhin kein Screening auf Eierstockkrebs bei asymptomatischen Frauen. Der transvaginale Ultraschall (TVUS) gilt als Bildgebungsverfahren der ersten Wahl für die Beurteilung von Ovarialkarzinomen, aber der TVUS allein hat keine ausreichende Sensitivität und Spezifität für die Früherkennung von Eierstockkrebs. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das high-grade seröse Ovarialkarzinom seinen mikroskopischen Ursprung in den Eileitern hat und sich bereits früh in der Karzinogenese auf die Eierstöcke und Bauchhöhle ausbreitet. Da eine niedrige Prävalenz den positiven prädiktiven Wert jedes diagnostischen Tests deutlich verringert, besteht das Risiko eines universellen Screenings in falsch-positiven Ergebnissen, die zu Notfällen und dia­gnostischen Operationen mit potenziell schädlichen Komplikationen führen.

Die UKCTOCS-Studie von Menon et al. war die grösste randomisierte kontrollierte Studie zum Ovarialkarzinom-Screening, an der 200 000 postmenopausale Frauen in Grossbritannien teilnahmen. Ein jährliches multimodales Screening mit einem Algorithmus zur Bestimmung des Tumormarkers CA-125 und/oder einem transvaginalen Ultraschall führten zwar zu einer Verringerung der Diagnose von Eierstockkrebs im fortgeschrittenen Stadium, die krankheitsspezifische Sterblichkeit jedoch verringerte sich nicht (6).

In den letzten Jahren hat die Einführung der opportunistischen bilateralen Salpingektomie als mögliche Strategie zur Verringerung des Risikos von Ovarialkarzinom Einzug gehalten. Die prophylaktische Kastration durch eine bilaterale Salpingo-Oophorektomie bleibt nur Frauen mit genetisch nachgewiesenen BRCA-Genmutationen vorbehalten, da nur hier die Risiken der prämaturen Menopause den Nutzen der Intervention überwiegen (7, 8).

Einteilung

Die meisten Ovarialkarzinome entwickeln sich aus Zellen des Oberflächenepithels; die übrigen entwickeln sich aus anderen Zelltypen (Keimzelltumoren, Keimstrang-Stroma-Tumoren). Selten ist das Ovar Ort von Metastasen (Tab. 1).

Karzinome

Die fünf unterschiedlichen Typen der Karzinome sind biologisch unterschiedlich.

High-grade seröses Karzinom
High-grade seröse Karzinome (HGSC) bilden die grösste Gruppe der Ovarialkarzinome (> 50 % der Fälle). Sie sind aggressive Tumore und werden häufig erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt. Dieser Karzinomtyp ist auch gehäuft mit BRCA1/2-Mutationen assoziiert. Als Ursprungsort der Tumorentstehung wird der Eileiter diskutiert.

Low-grade seröses Karzinom
Low-grade seröse Karzinome sind eine eigene Entität – die Tumorentstehung läuft langsamer als beim HGSC und über Vorstufen von serösen Borderlinetumoren über nicht invasive zu invasiven low-grade serösen Karzinomen (9). Insgesamt haben die low-grade serösen Karzinome zwar eine bessere Prognose, sind jedoch aufgrund schlechter Ansprechraten auf Chemotherapien problematisch. Aufgrund ihrer Seltenheit (5–10 % der Ovarialkarzinome) gab es in den letzten Jahren weniger medikamentöse Therapiefortschritte als beim HGSC. Nebst Chemotherapie haben die antihormonelle Therapie und MEK-Inhibitoren einen wichtigen Stellenwert in aktuellen Behandlungskonzepten.

Muzinöses Karzinom
Diese Karzinome werden häufig im Frühstadium diagnostiziert und entwickeln sich vermutlich aus Zystadenomen oder über Borderlinetumore. Es gibt zwei unterschiedliche Wachstumsmuster: das expansile Muster oder das seltenere, jedoch mit deutlich schlechterer Prognose assoziierte infiltrative Muster. Beim infiltrativen Muster muss eine Metastasierung aus Karzinomen des Gastrointestinaltrakts ausgeschlossen werden.

Endometrioides Karzinom
Endometrioide Karzinome des Ovars entstehen über endometrioide Adenofibrome und Borderlinetumore und werden häufiger in frühen Tumorstadien diagnostiziert. Sie treten häufig in Verbindung mit atypischer Endome­triose oder synchron mit einem endometrioiden Karzinom des Corpus uteri auf. Sie werden prinzipiell wie die serösen Ovarialkarzinome behandelt.

Klarzelliges Karzinom
Klarzellige Karzinome treten wie endometrioide Karzinome häufiger bei Frauen mit Endometriose auf und werden immer als high-grade Karzinome klassifiziert. Aufgrund ihrer häufigen Resistenz gegenüber einer platinhaltigen Chemotherapie haben sie in fortgeschrittenen Stadien die schlechteste Prognose aller Ovarialkarzinome. In der Karzinogenese der klarzelligen Ovarialkarzinome spielt die Endometriose, ähnlich wie bei den endometrioiden Ovarialkarzinomen, eine wichtige Rolle.

Maligne Keimzelltumore
Bei dieser Gruppe handelt es sich um die «echten» ovariellen Tumoren, die aus den Keimzellen entstehen. 2/3 aller malignen Ovarialtumore in den ersten zwei Lebensjahrzehnten sind Keimzelltumoren. Der häufigste davon ist das Dysgerminom, gefolgt von gemischten Keimzelltumoren und unreifen Teratomen.

Keimstrang-Stroma-Tumore
Innerhalb der reinen Keimstrangtumore stellen die Granulosazelltumoren (GCTs) die größte Gruppe dar. GCTs sind niedrig-maligne Tumoren, die Östrogene bilden können. Es können Spätrezidive auch noch nach vielen Jahren auftreten. Eine untergeordnete Rolle spielt der Sertoli-Leydig-Zelltumor, der als Hormon Testeron produzieren kann.

Diagnostik

Als bildgebendes Verfahren der ersten Wahl steht der Ul­traschall transvaginal zur Verfügung, bei V. a. Karzinom im fortgeschrittenen Stadium sollte ein CT oder eine MRT ergänzend erfolgen. Der V. a. ein Ovarialkarzinom besteht bei Frauen mit unklaren Raumforderungen der Adnexe, unbeabsichtigtem Gewichtsverlust und unklaren abdominalen Beschwerden. Die Symptome sind häufig unspezifisch. Der Tumormarker CA-125 kann als weiteres differenzialdiagnostisches Kriterium herangezogen werden. Gerade bei Frauen nach der Menopause sollten zystische Raumforderungen im Ovar beobachtet bzw. histologisch gesichert werden. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter sind die meisten zystischen Befunde funktionelle Zysten. Eine Raumforderung im Unterbauch mit Aszites deutet in der Regel auf ein Ovarialkarzinom hin. Die diagnostische Laparoskopie zur histologischen Sicherung und Beurteilung einer Operabilität stellt eine Option, vor allem bei fortgeschrittenen Stadien, dar (10).

Stadieneinteilung

Die Stadieneinteilung des Ovarialkarzinoms erfolgt als operatives Staging nach FIGO (Tab. 2) und bestimmt die Radikalität der Operation sowie die adjuvanten Therapien.

Die Behandlung des Ovarialkarzinoms richtet sich nach Stadium, Grad und Histologie und basiert auf drei Säulen: operative Zytoreduktion, Chemotherapie und zielgerichtete Erhaltungstherapie. Gemäss der neuen schweizerischen IVHSM-Richtlinie werden Ovarialkarzinomoperationen in Zukunft zur hoch spezialisierten Medizin gehören und auf dafür ausgewählte Zentren limitiert werden.

Folgende Grundprinzipien gelten:
– Im frühen Tumorstadium (Stadium IA oder IB) und/oder bei endometrioiden Tumoren des Grades 1 ist nach einer alleinigen Operation die Prognose ausgezeichnet (Überlebensrate 90 %).
– Ab Stadium IC, II, Grad 3 oder klarzelliger Histologie wird eine adjuvante Chemotherapie (z. B. mit Carboplatin und Paclitaxel) empfohlen.
– Im Stadium III oder IV ist die primäre operative Zytoreduktion, gefolgt von einer systemischen Chemotherapie, die Standardbehandlung. Kommt eine Patientin aufgrund der Tumorausdehnung oder aufgrund von Begleiterkrankungen für eine primäre Operation nicht infrage, ist eine neoadjuvante Chemotherapie, gefolgt von einer zytoreduktiven Operation, eine Alternative.
– Bei Frauen mit Kinderwunsch im Stadium IA kann ein fertilitätserhaltendes Vorgehen (Erhalt von einem Eierstock und dem Uterus) erwogen werden.

Therapie

Operative Therapie

Generell sollte die operative Behandlung des Ovarialkarzinoms durch gynäkologische Onkologen an einem zertifizierten Tumorzentrum erfolgen.

Frühstadium
Bei Verdacht auf ein Karzinom im Frühstadium erfolgt das Staging und die Stadieneinteilung chirugisch (Staging­Operation). Diese kann mittels Laparoskopie oder robotergeführter laparoskopischer Chirurgie erfolgen (12). Im Regelfall ist jedoch eine Laparotomie erforderlich, die einen guten Zugang zum Oberbauch und damit eine korrekte Abschätzung der Tumorausdehnung ermöglicht. Die Operation umfasst die Hysterektomie und die bilaterale Salpingo-Oophorektomie. Alle peritonealen Oberflächen, die Zwerchfellhälften und die Organe des Abdomens und des Beckens werden beurteilt. Es wird Spülflüssigkeit vom Becken (Douglas-Raum) gewonnen, und multiple Peritonealbiopsien werden im mittleren und lateralen Becken und Abdomen entnommen. In frühen Tumorstadien wird zu Staging-Zwecken das infrakolische Omentum reseziert und eine pelvine und paraaortale Lymphadenektomie durchgeführt. Eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie wird bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom aktuell in klinischen Studien erforscht. Anzumerken ist, dass die Entscheidung für den operativen Zugangsweg nicht auf Kosten der onkologischen Sicherheit stattfinden sollte.

Fortgeschrittenes Stadium
Die komplette Tumorentfernung ist das primäre Ziel der Operation beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom (Debulking-Operation) (Abb. 1 und 2). Diese umfasst neben der Hysterektomie mit Salpingo-Oophorektomie bds. die Resektion von allen sichtbaren Tumorabsiedlungen im Bauchraum. In der Regel werden eine Resektion des Zwerchfellperitoneums, eine Entfernung von Peritoneum im kleinen Becken und in den Kolonrinnen, die infragastrische Omentektomie und ggf. Darmresektionen, Leberteilresektionen, Splenektomien etc. durchgeführt. Die systematische pelvine und paraaortale Lymphondektomie wird nur beim Tumorbefall der regionalen Lymphknoten durchgeführt. Eine grosse multizentrische, randomisierte europäische Studie zeigte bei fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen ab dem Stadium FIGO-IIB keinen Überlebensvorteil für die systematische Lymphonodektomie bei klinisch unauffälligen Lymphknoten, nur eine erhöhte Morbidität (13). Die Zytoreduktion auf keine sichtbare Erkrankung mehr (makroskopische Tumorfreiheit) verbessert das Überleben der Patientinnen. Sollte eine komplette Zytoreduktion nicht erreicht werden, wird versucht, einen verbleibenden Tumorrest unter 1 cm zu erreichen.


Liegt doch ein inoperabler Situs vor, d.h., es ist keine komplette Resektion möglich mit verbleibendem Tumorrest über 1 cm Durchmesser der einzelnen Metastasen, profitieren die Betroffenen nicht mehr von der chirurgischen Resektion. Hier sollte eine primäre Systemtherapie erfolgen. Um unnötige chirurgische Interventionen zu vermeiden, hat die diagnostische Laparoskopie in den letzten Jahren an Stellenwert gewonnen. Der laparoskopisch ermittelte Fagotti-Score evaluiert die Operabilität durch eine Beurteilung der Tumorlast im Abdomen und ist der in Europa am meisten verwendete Score. Bei Patientinnen mit einem hohen Fagotti-Score ist eine optimale primäre Zytoreduktion sehr unwahrscheinlich. Diese Patientinnen können zunächst eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten, bei Ansprechen dann gefolgt von einer Intervalloperation. Es kann aber auch sein, dass ein reduzierter Allgemeinzustand ein primäres Tumordebulking nicht ermöglicht.

Systemische Therapie

Es gibt in der Primärbehandlung des Ovarialkarzinoms prinzipiell zwei Möglichkeiten der systemischen Therapie:
– Staging- oder Debulking-Operation, gefolgt von 6 Zyklen einer platinhaltigen Chemotherapie und ggf. Erhaltungstherapie
– 3 Zyklen neoadjvuanter Chemotherapie, gefolgt von einer Operation bei Ansprechen auf die Therapie und Gabe von 3 weiteren Chemotherapiezyklen postoperativ und ggf. Erhaltungstherapie

Die Standardchemotherapie besteht aus 6 Zyklen Paclitaxel und Carboplatin. Für bestimmte Patientinnen wird der Antiangiogenese-Antikörper Bevacizumab hinzugefügt und als Erhaltungstherapie fortgeführt. In einer multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studie wurde die Applikationsdauer auf 15 Monate festgelegt (im Vergleich zu 30 Monaten) (14).

Bei Patientinnen mit BRCA1- und/oder BRCA2-Mutationen ist der Einsatz des PARP-Inhibitors Olaparib durch die SOLO1/GOG-3004-Studie belegt. Patientinnen ab FIGO-Stadium-III mit high-grade serösem oder endometrioidem Ovarialkarzinom erhielten bei Ansprechen nach Abschluss der platinhaltigen Chemotherapie eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit Olaparib (300 mg 2 x täglich). Nach 7 Jahren lebten 67 % der Patientinnen, die Olaparib erhalten hatten, und nur 46.5 % der Patientinnen mit Placebo, davon waren 45.3 % bzw. 20.6 % der Patientinnen ohne Rezidiv (15).

Die Möglichkeit der Kombination von Bevacizumab und einem PARP-Inhibitor wurde in der PAOLA-1/ENGOT-ov2-Studie überprüft. Patientinnen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation oder einem positiven HRD-Score ab FIGO-Stadium-III mit high-grade serösem oder endometrioidem Ovarialkarzinom erhielten bei Ansprechen nach Abschluss der platinhaltigen Chemotherapie eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit Bevacizumab plus Olaparib. Das progressionsfreie Überleben verlängerte sich durch Olaparib von 21.7 auf 37.2 Monate bei Vorliegen einer BRCA1/2- Mutation und von 16.6 auf 28.1 Monate in der HRD-positiven Gruppe ohne Mutation. HRD-Positivität (Score >= 42) wurde mittels eines kommerziell erhältlichen Tests am Tumorgewebe (MyChoice® von Myriad genetics) bestimmt, was die Übertragbarkeit in die Routine erschwert. In der Schweiz ist an der Universitätsklinik Genf (HUG) ein akademischer HRD-Test erhältlich, welcher auf der PAOLA-I-Studienpopulation retrospektiv validiert wurde. Weitere kommerzielle HRD-Tests sind ebenfalls erhältlich (z. B. Foundation-One® von Foundation Medicine). Ob eine zusätzliche endokrine Therapie mit dem Aromatasehemmer Letrozol für 2 Jahre eine Option sein könnte, wird in der aktuell rekrutierenden ENGOT-ov54/Swiss-GO-2/MATAO-Studie untersucht.

Die hyperthermische intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC), welche im Rahmen einer Intervall-Debulking-Operation bei einer makroskopischen Komplettresektion einen möglichen Stellenwert haben könnte, bleibt aufgrund widersprüchlicher Studienresultate weiterhin sehr umstritten und sollte auch aufgrund der vermehrten Nebenwirkungen nur im Rahmen von klinischen Studien appliziert werden (16). Dies gilt insbesondere auch in der Rezidivsituation, wo eine HIPEC nach sekundärer Debulking-Operation bisher keinen Vorteil aufzeigen konnte. Auch damit verwandte Therapiekonzepte wie die intraperitoneale Hochdruck-Aerosol-Chemotherapie (PIPAC) befinden sich zurzeit noch in experimenteller Entwicklung (17).

Nachsorge

Nach der abgeschlossenen Primärtherapie, noch während der Durchführung einer Erhaltungstherapie, wird eine regelmässige gynäkologisch-onkologische Nachsorge durchgeführt. Ziel der Nachsorge sind die Erkennung von therapieassoziierten Nebenwirkungen, die psychosoziale Betreuung, die Verbesserung der Lebensqualität und die Erkennung des Rezidivs. Die wissenschaftliche Evidenz zur Relevanz der Nachsorge ist limitiert. Die Nachsorge soll eine sorgfältige Anamneseerhebung, die körperliche Untersuchung inklusive gynäkologischer Spiegel- und Tastuntersuchung und die Vaginalsonographie sowie orientierende abdominale Sonographie umfassen. In den ersten 3 Jahren nach Abschluss der Therapie sollte die Untersuchung in 3-monatlichen Intervallen, im 4. und 5. Jahr in 6-monatlichen Intervallen und danach halbjährlich bis jährlich erfolgen. Während einer laufenden Erhaltungstherapie mit Bevacizumab oder einem PARP-Inhibitor sollte alle 3 Monate eine Tumormarkerkontrolle (CA-125) zusätzlich durchgeführt werden. Im Anschluss an die Erhaltungstherapie sollte eine Tumormarkerkontrolle nur bei Symptomen bzw. bei V. a. Rezidiv durchgeführt werden und auch nur bei V. a. Rezidiv eine bildgebende Untersuchung (CT oder MRT) indiziert werden. Eine Mammadiagnostik wird zweijährlich empfohlen.

Zur Sicherheit einer Hormonersatztherapie kann keine zuverlässige Aussage gemacht werden, kann aber nach entsprechender Aufklärung durchgeführt werden.

Rezidiv

Im Falle eines Tumorrezidivs entscheiden der zeitliche Abstand zur vorherigen abgeschlossenen Chemotherapie, das Ausmass der Erkrankung sowie der Allgemeinzustand der Patientin über die weitere Therapie.

In einigen Fällen kann eine zweite Operation im Rezidiv durchgeführt werden. In jedem Fall erfolgt eine erneute Chemotherapie als Kombinationstherapie mit einem Platin oder als Monotherapie. Auch neuere Therapieoptionen mit Antibody-Drug-Konjugaten werden in dieser Therapiesituation in Studien evaluiert. Immuntherapien (Checkpointinhibitoren) haben im Vergleich zu vielen anderen Entitäten beim Ovarialkarzinom bislang zu keinem wesentlichen Behandlungsfortschritt geführt.

Historie
Manuskript eingereicht: 12.09.2024
Angenommen nach Revision: 07.01.2025

Prof. Dr. med. Isabell Witzel

Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich (USZ)

isabell.witzel@usz.ch

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Das Wichtigste für die Praxis
• In der Schweiz erkranken pro Jahr ca. 600 Frauen an einem Ovarialkarzinom.
• Es gibt bislang kein etabliertes Früherkennungsverfahren für Ovarialkarzinome.
• Genetische Veränderungen spielen in der Ovarialkarzinomentstehung eine grosse Rolle und sind für 20–25 % der Ovarialkarzinome verantwortlich.
• Meist wird das Ovarialkarzinom aufgrund der zunächst geringen und unspezifischen Symptome erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert, was sich in einer eingeschränkten 5-Jahres-Überlebensrate von 46 % widerspiegelt.
• Die Therapie besteht aus der Kombination von Operation, Chemotherapie und ggf. Erhaltungstherapien.
• In den letzten Jahren haben Fortschritte in der Therapie, v. a. durch die Hinzunahme von zielgerichteten Therapieansätzen wie Bevacizumab und PARP-Inhibitoren in der Erhaltungstherapie, zur Prognoseverbesserung geführt.
• Gemäss der neuen schweizerischen IVHSM-Richtlinie werden Ovarialkarzinomoperationen in Zukunft zur hoch spezialisierten Medizin gehören und auf dafür qualifizierte Zentren limitiert werden.

1. Ovarian Cancer Statistics: World Cancer Research Fund International; 2022 Available from: https://www.wcrf.org/cancer-trends/ovarian-cancer-statistics/.
2. Krebs, Neuerkrankungen und Sterbefälle: Anzahl, Raten, Medianalter und Risiko pro Krebsart: Bundesamt für Statistik / Nationale Krebsregistrierungsstelle; 12.12.2023 [Available from: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/krankheiten/krebs/indikatoren-arten.assetdetail.29145337.html.
3. Havrilesky LJ, Abernethy AP. Quality of life in ICON7: need for patients‘ perspectives. Lancet Oncol. 2013;14(3):183-5.
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Akute Divertikulitis – Behandlung ohne Antibiotika?

Einleitung

Vor 25 Jahren war klar: Die akute Divertikulitis hat eine infektiöse Pathogenese, und es braucht daher eine antibiotische Behandlung. Heute hingegen ist bei der unkomplizierten Divertikulitis unklar, ob und welche pathogene Rolle Darmbakterien spielen. Die Guidelines empfehlen grundsätzlich eine antibiotikafreie Therapie, sofern keine Risikofaktoren für einen schweren Verlauf vorliegen. Wir haben uns in früheren Artikeln für eine antibiotikafreie Therapie der Blasenentzündung (1), der rezidivierenden Blasenentzündung (2) und der Streptokokken-Angina (3, 4) eingesetzt. Nun sind wir gespannt, was die wissenschaftlichen Daten für ein Vorgehen bei der Divertikulitis in der Praxis nahelegen. Zur Divertikulitis gibt es empfehlenswerte Übersichtsartikel (5, 6, 8, 21, 29, 30, 31) und Guidelines (7, 9, 10).

Epidemiologie

Wie häufig ist die Divertikulose und die Divertikulitis?

Die Divertikulose nimmt mit dem Alter deutlich zu. In Autopsiestudien sind etwa 5 % der U40-Jährigen betroffen, aber bis 75 % der Ü70 (7). Meist bleibt die Divertikulose asymptomatisch: Nur 1–4 % der Leute mit Divertikulose machen irgendwann im Leben eine Divertikulitis durch (7).

Welche Faktoren erhöhen das Divertikulitis-­Risiko?

Ähnlich zu anderen häufigen Krankheiten (z. B. koronare Herzkrankheit, Diabetes, Osteoporose) sind etwa 50 % des Divertikulitis-Risikos genetisch bedingt (6). Gut dokumentierte Risikofaktoren sind männliches Geschlecht, Adipositas und starker (nicht aber regelmässiger mässiger) Alkoholkonsum (6).

Gibt es Medikamente, die das Divertikulitis-­Risiko erhöhen?

Ja, Kortikosteroide (Immunsuppression) und Opioide (Passageverzögerung). Zudem kann die regelmässige Einnahme (> 2 x pro Woche) von nicht steroidalen Entzündungshemmern (NSAR) das Divertikulitisrisiko und das Perforationsrisiko von Divertikeln erhöhen (6, 24).

Wie wird die Divertikulitis eingeteilt?

Die grosse Mehrheit (90 % der Patient/-innen) haben eine unkomplizierte Divertikulitis (31). Vereinfacht gesagt ist eine Divertikulitis unkompliziert, wenn bildgeberisch keine Perforation (in der Computertomographie [CT]: keine extraluminale Luft) und kein Abszess sichtbar sind. Die Divertikulitis ist kompliziert, sobald eine Perforation (gedeckt oder ungedeckt) oder ein Abszess sichtbar ist. Die heute gängigen Einteilungen und Therapieempfehlungen zeigen wir in Tab. 1.

Wie oft verlaufen unkomplizierte Fälle doch noch kompliziert?

Die Einteilung unkompliziert/kompliziert ist nicht perfekt. Von den «unkomplizierten» Erstepisoden machen 3 % der Patient/-innen im Verlauf doch noch einen komplizierten Verlauf, etwa 6 % verlaufen chronisch, und bei 3 % kommt es zur Sigmaresektion innert 6 Monaten (15). Hinweise für einen komplizierten Verlauf sind Symptomdauer > 5 Tage, CRP > 140, Leukozyten > 15 000, schlechter Allgemeinzustand (ASA-Score III oder IV) (6).

Nach einer Divertikulitis Episode: Wie hoch ist das Rezidivrisiko?

Etwa 8 % innerhalb eines Jahres und 20 % innert zehn Jahren (6). Wer schon zwei oder mehr Episoden hatte, hat ein höheres Rezidivrisiko, ebenso wenn die Erstepisode kompliziert war und nicht operativ behandelt wurde. Das Risiko eines komplizierten Verlaufs sinkt übrigens bei Rezidiven (6).

Klinik und Diagnostik

Was ist der Stellenwert von klinischer Unter­suchung, CRP und Leukozyten?

Symptome und Untersuchungsbefunde sind klar nicht ausreichend, um mit hoher Sicherheit eine Divertikulitis ein- oder auszuschliessen. Es können sowohl Obstipation, Durchfall und gelegentlich peranale Blutungen vorliegen (24). Konkret: Der klinische Verdacht ist nur in 40–65 % der Fälle korrekt (6), und die Klinik korreliert nicht gut mit dem Schweregrad (7). Wichtig: Die publizierten Studien wurden alle in Spitälern und Notfallstationen gemacht – es gibt keine Studien aus der Praxis (25, 26, 27). Ein normales CRP spricht gegen eine akute Divertikulitis, und bei CRP > 50 mg/l scheint eine Bildgebung indiziert. Der Stellenwert der Leukozyten bleibt unklar. Bei der Mehrheit der asiatischen Patient/-innen betrifft die Divertikulitis übrigens das rechte Colon (12).

Wie gut ist die radiologische ­Beurteilung des Schweregrades?

Der Ultraschall hat in Metaanalysen eine konsistent hohe Treffsicherheit (Sensitivität 92 %, Spezifität 90–94 %) und ist daher, falls verfügbar, Bildgebung der ersten Wahl (27, 28). Die Treffsicherheit der CT ist leicht höher (Sensitivität 93–97 %, die Spezifität wird mit fast 100 % angegeben), bedeutet aber eine Strahlenbelastung und sollte bei unklarem Ultraschallbefund oder fehlender Besserung zum Einsatz kommen (7, 11, 27, 28). Das MRI wird bei der akuten Divertikulitis selten durchgeführt (7).

Braucht es also immer eine Bildgebung?

Gemäss Schweizer Guidelines ja, im Minimum einen Ultraschall, besser eine CT (10). Die Bildgebung ist immer notwendig, um zu entscheiden, ob eine Behandlung ohne Antibiotika möglich ist (10). Gemäss US-Guidelines soll eine CT bei Patient/-innen «erwogen» werden, bei denen zuvor keine bildgebend gesicherte Diagnose gestellt wurde, wenn die Symptome unter Therapie nicht bessern, zur Evaluation von möglichen Komplikationen bei schwerem Verlauf, bei multiplen Rezidiven, v. a. wenn eine Operation erwogen wird, und bei Immunsuppression (6).

Die Symptome meiner Patientin sind gleich wie vor 2 Jahren, als in der CT eine akute ­un­komplizierte Divertikulitis diagnostiziert ­wurde. Braucht es wieder eine Bildgebung, auch wenn die Diagnose klinisch klar scheint?

Bei milder Divertikulitis und fehlenden Risikofaktoren/Hinweisen für einen komplizierten Verlauf darf die Hausärztin gemäss europäischen Guidelines auch ohne Bildgebung eine antibiotikafreie Therapie wählen (7). Wir empfehlen eine engmaschige Nachkontrolle (zumindest telefonisch) und eine CT spätestens dann, falls es nach 48–72 h nicht besser geht oder Fieber persistiert (6, 7, 11).

Braucht es immer eine Koloskopie?

Ob es nach einer Erstepisode einer unkomplizierten Divertikulitis immer eine Koloskopie braucht, bleibt umstritten (7). Eine Koloskopie soll empfohlen werden, falls keine Koloskopie in den letzten drei Jahren erfolgt ist (7) (US-Guidelines: im letzten Jahr [6]). Die Koloskopie zudem frühestens 6 Wochen nach Divertikulitis-Episode planen. Dies wegen der ca. 27-fach erhöhten (aber absolut sehr niedrigen: ca. 1:1220 [20]) Gefahr einer Perforation im Fall einer Koloskopie in den ersten 6 Wochen (7).

Wozu braucht es eine Koloskopie?

Vor über 30 Jahren wurde klar dokumentiert: Das Kolonkarzinomrisiko ist bei akuter Divertikulitis deutlich erhöht (22). Bei etwa 1.3 % wird in der Koloskopie ein Kolonkarzinom diagnostiziert, vor allem im linken Colon; bei komplizierter Divertikulitis sind es knapp 8 % (23).

Divertikulitis-Therapie

Wieso bei unkomplizierter Divertikulitis ohne Antibiotika behandeln?

Weil die Therapie auch ohne Antibiotika funktioniert: Selten (weniger als 3 %) kam es in einer Metaanalyse im Verlauf doch noch zur Antibiotikatherapie (30). Mit oder ohne Antibiotika kommt es, gemäss randomisierten Studien und Metaanalysen, gleich häufig zu zusätzlicher radiologisch-interventioneller oder chirurgischer Therapie, Hospitalisation, Komplikationen oder Rezidiven, und bei hospitalisierten Patient/-innen ist die Aufenthaltsdauer ohne Antibiotika kürzer (21, 30). Die allgemeinen Vorteile der antibiotikafreien Therapie sind bekannt: Vermeiden von Resistenzen, Allergien, Nebenwirkungen, Schonung der körpereigenen Normalflora (Mikrobiom).

Wieso überhaupt Antibiotika?

Es ist unbestritten, Komplikationen zu vermeiden (insbesondere Abszesse, Hinchey-Stadium 1b und mehr), und falls sie schon vorliegen, sie antibiotisch und eventuell interventionell/chirurgisch zu behandeln. Wir sollen bei der unkomplizierten Divertikulitis Antibiotika also nicht reflexartig (routinemässig) einsetzen, sondern selektiv, nach sorgfältiger Risikoabwägung durch die Hausärztin (6, 7): bei immungeschwächten oder septischen Patient/-innen, und wenn sie stark geschwächt scheinen oder relevante Komorbiditäten haben.

Was heisst relevante Komorbiditäten?

In den randomisierten Studien, die die Nichtunterlegenheit der antibiotikafreien Behandlung belegen, gab es eine umfangreiche Liste von Ausschlusskriterien (Kasten 1), die zum Teil nicht genau definiert wurden (6). Anders gesagt: Bei zahlreichen Patient/-innen wurde wegen Ausschlusskriterien die antibiotikafreie Therapie gar nicht erprobt! Wir sollten also Vorsicht walten lassen: die Patient/-innen gut aufklären, eine antibiotikafreie Therapie nur bei sorgfältig ausgewählten Patient/-innen anwenden und engmaschig klinisch nachkontrollieren.

Die Radiologin will sich nicht eindeutig auf Phlegmone oder Abszess festlegen. Wie weiter?

Die Unterscheidung von Phlegmone und Abszess (Hinchey 1a vs. 1b) ist pathophysiologisch und radiologisch zugegebenermassen nicht messerscharf. Im Zweifelsfall antibiotisch behandeln. Alternative: engmaschig nachkontrollieren, 48–72 h antibiotikafrei behandeln und Antibiotika doch noch, falls es nicht bessert oder der Zustand sich verschlechtert.

Was ist mit Fieber?

Fieber zeigt eine systemische Reaktion und wurde in manchen Studien als Divertikulitis-Diagnosekriterium gefordert (15, 17). In anderen Studien war «hohes» Fieber bzw. Temperatur > 39 °C ein Ausschlusskriterium für eine antibiotikafreie Therapie (15, 17, 32) (Kasten 1). Fieberpersistenz 48–72 h nach Erstbeurteilung zeigt einen möglicherweise komplizierten Verlauf an und legt eine Bildgebung und antibiotische Therapie nahe.

Welches ist die bevorzugte Antibiotikatherapie?

Zahlreiche Antibiotika können eingesetzt werden. Die internationalen Guidelines machen keine klare Empfehlung (7). Intravenöse Antibiotika sind gemäss Studienlage nicht klar besser als orale Antibiotika. Die Schweizer Guidelines (10) und Übersichtsartikel (5) empfehlen Amoxicillin-Clavulansäure 625 mg 3 x pro Tag. Wir halten 1 g 2 x pro Tag bei milder Divertikulitis ebenfalls für vertretbar. Bei Penicillinallergie Ciprofloxacin 500 mg 1–0–1 (falls Allergie vom Soforttyp) bzw. Ceftriaxon 2 g i. v. 1 x pro Tag (falls Allergie vom Spättyp), jeweils plus Metronidazol 500 mg 1–1–1. Aber: Der Trend ist klar weg von den Chinolonen wegen ausgeprägter Mikrobiomschädigung, Nebenwirkungen (Achillessehnenruptur usw.) und Resistenzen (18).

Was ist die empfohlene Antibiotikadauer?

Die Schweizer Guidelines sprechen von sieben bis zehn Tagen (10) und die britischen Guidelines von fünf Tagen (24). Die US-Guidelines empfehlen vier bis sieben Tage (6), aber «auch länger», gemäss Immunstatus, Schweregrad der Divertikulitis, allgemeiner Gesundheitszustand der Patient/-innen und CT-Befund. Wir unterstützen in der Medizin grundsätzlich eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Dem Konzept, dass die Antibiotikadauer auch auf die Erwartungen der Patient/-innen Rücksicht nehmen soll (6), möchten wir uns aber nicht anschliessen, sondern: Antibiotika so lange wie nötig und so kurz wie möglich, so wie auch die Smarter-medicine-Initiative dies seit vielen Jahren fordert (19).

Wenn ich schon das Ciprofloxacin nur 2-mal täglich gebe, kann ich nicht das Metronidazol auch nur 2-mal täglich geben? Das würde die Therapie vereinfachen!

Ja, dies scheint ein gangbarer Weg – eine kürzliche Meta-analyse stützt dieses Vorgehen (33).

Was ist mit Schmerzmitteln?

Diese werden in den Divertikulitis-Guidelines nicht erwähnt (6, 7, 10, 11), sie sind aber zur Reduktion der Schmerzen und der Entzündung im Akutstadium empfohlen. Die britischen Guidelines empfehlen Paracetamol (24). Interessant: In einer kürzlichen randomisierten Studie erhielten alle Patient/-innen – mit oder ohne Antibiotika – Ibuprofen 600 mg alternierend mit Paracetamol 1 g alle 8 h. Es könnte also sein, dass diese «flankierenden Massnahmen» zumindest teilweise für das Ergebnis der Studie (antibiotikafreie Therapie ist gleich wirksam wie Antibiotika) verantwortlich war (8).

Soll ich bei akuter unkomplizierter ­Divertikulitis Flüssigkost empfehlen?

Eine diätetische Restriktion ist prinzipiell nicht nötig. In den ersten Tagen kann eine Flüssigkost das Wohlbefinden zwar verbessern (6). Die Datenlage ist aber schwach, dass damit der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst wird (34). Wer die Diät schneller aufbauen will, darf das. Und gelingt nach drei bis fünf Tagen Flüssigkost der Diätaufbau nicht, dann empfiehlt sich rasche Reevaluation der Patient/-innen (6).

Kann ich bei akuter unkomplizierter ­Divertikulitis Komplementärmedizin empfehlen?

Mit verschiedenen komplementärmedizinischen Methoden können Entzündungsreaktionen eingedämmt und die Salutogenese unterstützt werden. Publizierte klinische Studien liegen leider keine vor. Allenfalls empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Kolleg/-innen mit einem Fähigkeitsausweis in einer komplementärmedizinischen Methode. Die chinesische Medizin behandelt eine Divertikulitis mit Akupunktur und chinesischen Arzneimitteln aus Pflanzen als Tee eingenommen. Eine Besserung tritt meist nach einigen Tagen auf.

Ausser Antibiotika – was ist zur Rezidivprophylaxe wirksam?

Wer eine Divertikulitis hatte, soll einen normalen BMI erreichen oder beibehalten, regelmässig körperlich aktiv sein, Obstipation vermeiden (entsprechende Kost, v. a. pflanzliche Laxativa), regelmässige NSAR vermeiden (Aspirin in kardio-präventiver Dosis ist hingegen erlaubt) und nicht rauchen (6, 24). Leider gibt es keine hinreichende Evidenz, dass nicht absorbierte Antibiotika wie Rifaximin (Xifaxan®), intestinale Immunmodulation (z. B. mit Mesalazin [Salofalk®]) oder Probiotika die Rezidivrate senken (7).

Soll die Patientin ihre Diät umstellen?

Gross angelegte Studien zeigen eine tiefere Divertikulitis- Inzidenz bei vegetarischer und faserreicher Ernährung (35, 36). Die US-Guidelines empfehlen entsprechend eine «umsichtige» bzw. «hochwertige» Ernährung, nicht aber spezifisch zur Vermeidung von Rezidiven (weil Evidenz sehr schwach) (7, 31, 34, 37). Konkret: viel Ballaststoffe aus Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten; wenig rotes Fleisch und Süssigkeiten (6). Ballaststoffhaltige Nahrungszusatzprodukte seien kein Ersatz für eine gute Ernährung (6). Wichtig: Die Divertikulitis wird nicht begünstigt oder gar ausgelöst durch Nüsse, Körner (inkl. Popcorn), Fruchtschalen, Beeren mit kleinen Kernchen (z. B. Erdbeeren, Himbeeren) (6, 24, 31, 37) oder fasrige Früchte und Gemüse (Rhabarbern, Spargeln) (38).

Darf ich eine antibiotikafreie Therapie nur bei hospitalisierten Patient/-innen wagen?

Nein. Bei sonst gesunden Patient/-innen in gutem Allgemeinzustand und mit guter Compliance (engmaschige Nachkontrolle) darf die unkomplizierte Divertikulitis selbstverständlich ambulant behandelt werden. In den früheren randomisierten Studien zur antibiotikafreien Therapie erfolgte zugegebenermassen die Therapie ganz im Spital (17) bzw. die ersten 48 h im Spital (15). Es gibt erst eine randomisierte Studie zur antibiotikafreien Therapie, wo die gesamte Behandlung ambulant erfolgte (8).

Historie
Manuskript eingegangen: 24.09.2024
Angenommen nach Revision: 07.01.2025

Die wichtigsten Referenzen
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10. Boggian K, Tissot F, Rafeiner Ph, Ris F. Divertikulitis. Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie. 2024. https://ssi.guidelines.ch/guideline/2300 letzer Zugriff: 23.07.2024.
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Prof. Dr. med. Philip Tarr

Universitäres Zentrum für Innere Medizin
Kantonsspital Baselland
4101 Bruderholz

philip.tarr@unibas.ch

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Im unkomplizierten Stadium 1a kann grundsätzlich antibiotikafrei und symptomatisch behandelt werden – Komorbiditäten beachten und nach 48–72 h nach­­kon­trollieren.
• Antibiotika selektiv ab Hinchey-Stadium 1b einsetzen.
• Eine Bildgebung (vorzugsweise Ultraschall) ist vor allem bei Erstmanifestation und Therapieentscheidung und zur Beurteilung des Schweregrades grundsätzlich indiziert.
• Bei gutem Allgemeinzustand und wiederkehrender milder Divertikulitis kann zu Beginn auf eine Bildgebung verzichtet werden.
• Falls Antibiotika, dann empfohlene Dauer von vier bis sieben Tagen, je nach Umständen.

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Zwei Fallberichte einer seltenen, potenziell reversiblen Enzephalopathie

Fallbeschreibung

Vorgestellt werden zwei Patienten mit unterschiedlichem Verlauf bei rasch fortschreitenden Wesensveränderungen und Demenz.

Fall 1

Ein 69-jähriger Mann litt seit März 2019 an unklaren rezidivierenden Dysästhesien und einer motorischen Beinschwäche links. Eine Magnetresonanztomographie (MRI) mit Angiographie des Neurokraniums zeigte keine Hinweise auf eine Durchblutungsstörung, Ischämie oder Raumforderung. Im Sommer 2019 erfolgte bei einer notfallmässigen Vorstellung aufgrund derselben Symptomatik eine Computertomographie (CT) mit Angiographie. Hier fanden sich weiterhin keine Hinweise auf eine Ischämie, jedoch kam eine mässige, am ehesten mikroangiopathische Leukenzephalopathie zur Darstellung. In der nachfolgenden Elektroenzephalographie (EEG) zeigte sich ein bitemporaler Herdbefund rechtsbetont mit Epilepsie-verdächtigen Einzelpotenzialen. Bei Verdacht auf rezidivierende fokal-epileptische Ereignisse wurde eine anfallssupprimierende Therapie mit Levetiracetam eingeleitet. Zunächst kam es zu keinen erneuten epileptischen Ereignissen. Neu wurde seitens der Ehefrau eine depressive Symptomatik beschrieben. Ein Montreal-Cognitive-Assessment(MoCA-) -Test im Januar 2020 fiel mit 18/30 Punkten pathologisch aus, sodass eine demenzielle Entwicklung vermutet wurde. Die empfohlene neuropsychologische Testung wurde nicht durchgeführt. Im Sommer 2020 wurde der Patient schliesslich bei raschem Fortschreiten der demenziellen Entwicklung und Allgemeinzustandsverschlechterung bei uns auf der neurologischen Station hospitalisiert. In der Lumbalpunktion fanden sich nun neben einer Schrankenstörung eine stark erhöhte Proteinzahl von 3600 mg/l (Normwert: 150–450 mg/l) und eine Erhöhung der Zellzahl von 21 mononukleären Zellen/μl (Normwert: < 4 Zellen/μl). Das Tau-Protein war mit 1266 pg/ml (Normwert: < 445 pg/ml) ebenfalls erhöht und das Beta-Amyloid-Protein mit 282 pg/ml (Normwert: > 375 pg/ml) erniedrigt. Das Phospho-Tau-Protein lag mit 35.5 pg/ml im Normalbereich (Normwert: < 61 g/ml). Diese Konstellation im Liquor mit erhöhtem Tau-Protein und erniedrigtem Beta-Amyloid-Protein kann sowohl für eine Demenzform wie Alzheimer aber auch eine inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (Englisch: cerebral amyloid angiopathy related inflammation; CAA-RI) sprechen. Ein MRI des Neurokraniums mit Kontrastmittel zeigte eine ausgeprägte superfizielle Siderose, eine frische subarachnoidale Sickerblutung und ein Ödem frontal beidseits (Abb. 1). Diese Befunde waren passend für eine CAA-RI. Eine zentrale Manifestation einer systemischen Vaskulitis erschien bei negativen antinukleären Antikörpern (ANA) und antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) unwahrscheinlich. Eine serologische Testung des sauren Gliafaserproteins (Englisch: glial fibrillary acidic protein; GFAP) und der Neurofilament-Leichtketten (NFL) erfolgte nicht. Insgesamt wurde nun die Verdachtsdiagnose einer inflammatorischen cerebralen Amyloidangiopathie gestellt. Eine Steroidstosstherapie mit Methylprednisolon intravenös 1 g/Tag über 5 Tage mit anschliessender Erhaltungsdosis mit Prednisolon von 1 mg/kg Körpergewicht wurde eingeleitet. Hierunter kam es zu keiner signifikanten klinischen Besserung. Im MRI des Neurokraniums mit Kontrastmittel nach 1 Woche konnte noch keine wesentliche Befundänderung dokumentiert werden. Die zuvor in der Liquorpunktion erhöhten Werte waren rückläufig (Proteinzahl 465 mg/l, 12 mononukleäre Zellen/μl).

Es erfolgte ein Übertritt in die neurologische Rehabilitation über 1 Monat. Dort wurde vor allem die antiepileptische und psychiatrische Therapie weiter angepasst. Insgesamt blieb der Patient im Antrieb stark gemindert, selektiv mutistisch und konnte keine Handlungen ohne Handlungsplan durchführen. Der Patient wurde anschliessend bei Verdacht auf ein hypoaktives Delir direkt in die Psychia­trie zur weiteren medikamentösen Einstellung überwiesen. Aufgrund einer akuten Vigilanzminderung, Fieber, Tachykardie und Meningismus wurde er nach 10 Tagen wieder ins Spital überwiesen. Laborbefunde zeigten nun ein isoliert erhöhtes CRP. Im CT-Schädel fand sich eine diskrete akute Subarachnoidalblutung im rechten Temporallappen. Neben einer wieder erhöhten Proteinzahl von 1398 mg/l (Normwert: 150–450 mg/l) war die Liquoruntersuchung inklusive einer Multiplex-PCR (polymerase chain reaction) für Meningitis-Erreger unauffällig. Blutkulturen blieben ohne Wachstum. Entsprechend wurde die auf dem Notfall etablierte antimikrobielle Therapie mit Ceftriaxon und Aciclovir wieder ausgesetzt. Auch ein Therapieversuch mit Levetiracetam, welcher bei Verdacht auf einen nicht konvulsiven Status epilepticus gestartet wurde, zeigte keine Symptombesserung, und die Therapie wurde im Verlauf abgebrochen. Da eine Hochdosis-Steroidtherapie bei der ersten Hospitalisation ohne Besserung auf die rasch fortschreitende demenzielle Entwicklung blieb, wurde auf einen zweiten Zyklus verzichtet.

In Rücksprache mit den Angehörigen wurde bei infauster Prognose schliesslich eine palliative Therapie eingeleitet, und der Patient verstarb auf der Palliativstation am 10. Hospitalisationstag Ende Oktober 2020. Die Autopsie bestätigte schliesslich die Diagnose einer CAA-RI aufgrund einer deutlichen Beteiligung der Gefässe in den Leptomeningen und im Cortex, mit fokal geringer begleitender T-lymphozytärer Entzündungsreaktion sowie zahlreichen kortikalen Infarkten und perivaskulären Mikroblutungen (Abb. 2). Die CAA-RI führte über Gefässverschlüsse zu ­einer diffusen vaskulär-ischämischen Leukenzephalopathie und mehreren frischen und älteren, nicht raumfordernden Subarachnoidalblutungen. Das gesamte Bild sprach für eine CAA-RI und nicht für eine Beta-Amyloid-assoziierte Angiitis (ABRA), welche ein ähnliches histologisches Bild zeigt, jedoch mit ausgeprägter vaskulitischer Komponente und fibrinoiden Gefässwandnekrosen. Es zeigten sich dazu deutliche Alzheimer-assoziierte Veränderungen mit Tau-positiven Neurofibrillendegeneraten und neuritischen Plaques im Hippocampus und Temporal-Cortex und vereinzelt Tangles im frontalen Cortex (Stadium IV nach Braak und Braak, CERAD-3 und ABC-Score A3 B2 C3), dies bei deutlicher äusserer und innerer Hirnatrophie. Zudem fand sich überraschenderweise ein Hämatom der vorderen Bauchwand mit einem Volumen von ca. 1500 ml, und es wurde eine Lobärpneumonie beider Lungen dia­gnostiziert. Ob die Pneumonie ursächlich für die bislang unklare CRP-Erhöhung war oder die Infektion in den letzten Lebenstagen auf der Palliativstation entwickelt wurde, konnte nicht abschliessend geklärt werden. Die Ätiologie des Hämatoms blieb letztlich unklar. Histologisch fanden sich hier keine Hinweise auf eine Gefässmalformation, Amyloidangiopathie oder Vaskulitis. Ein stumpfes Trauma wurde in der aktuellen Hospitalisation nicht beobachtet, der Patient war nicht antikoaguliert, und während der letzten Hospitalisation erfolgten keine Massnahmen abdominal (z. B. Insulin- oder Heparinspritzen). Nicht eruierbar waren mögliche Vorfälle in den vorangehenden Institutionen. Abdominale Blutungen bei Patienten mit CAA-RI wurden bisher nicht als Assoziation beschrieben. Als Todesursache wurde ein kardiopulmonales Versagen aufgrund der Pneumonie sowie Volumenmangel aufgrund des Hämatoms angegeben.

Fall 2

Eine 74-jährige Patientin wurde im Januar 2022 mit seit einigen Wochen fortschreitender Verwirrtheit, Verlangsamung sowie kognitiver Beeinträchtigung aus einem peripheren Spital in unsere Notaufnahme überwiesen. Ausserdem bestand ein progredienter Mutismus, welcher im Rahmen einer Trauersituation nach dem Tod des Ehemannes 1 Monat zuvor aufgrund von Covid-19 angesehen wurde. Die Patientin selbst litt an Covid-19 mit milden Symptomen. Nun zeigte das MRI des Neurokraniums eine ausgedehnte Leukenzephalopathie, ein vasogenes Ödem und mehrere Mikroblutungen (Abb. 3). Die Ergebnisse des Liquors waren negativ für Treponema pallidum und Lyme-Borreliose, ebenso eine Multiplex-PCR für Meningitis-Erreger. Die Immunphänotypisierung im Liquor, welche bei Verdacht auf ein Lymphom durchgeführt wurde, war negativ für B-Zell- und T-Zell-Neoplasien. Eine Bestimmung im Liquor von Beta-Amyloid, Tau-Protein und Phospho-Tau-Protein als Demenzmarker sowie Neurofilament-Leichtketten (NFL) als Marker bei Multipler Sklerose erfolgte nicht. Ebenso wurden die Biomarker GFAP und NFL serologisch nicht untersucht. Es wurde ein EEG angefertigt. Neben moderaten Allgemeinveränderungen und bifrontaler fokaler Verlangsamung fanden sich Epilepsieverdächtige Einzelpotenziale rechtshemisphärisch, welche unter Levetiracetam-Therapie nach 1 Woche abnahmen. Klinisch kam es jedoch noch zu keiner objektivierbaren Verbesserung. Die Patientin erzielte im MoCa-Test 12/30 Punkte, was für eine starke kognitive Beeinträchtigung steht. Schliesslich wurde eine Biopsie des Hirngewebes entnommen. Diese zeigte Veränderungen im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit mit Tau-positiven Neuronen, neurofibrillären Tangles und eine grosse Menge an Beta-Amyloid-Plaques sowie Amyloidablagerungen an den Gefässwänden (Abb. 4). Zusätzlich fanden sich subarachnoidal Zeichen einer wenige Tage alten Einblutung. Aufgrund der perivaskulären Entzündung wurde schliesslich eine cerebrale Amyloidangiopathie-assoziierte Entzündung (CAA-RI) als am wahrscheinlichsten angesehen. Eine Therapie mit Methylprednisolon intravenös 1 g/Tag gefolgt von oralem Prednisolon mit 1 mg/kg Körpergewicht wurde eingeleitet. Nach der Entlassung erfolgte eine stationäre neurologische Rehabilitation. Hier kam es zu einer klinischen Verbesserung mit jedoch relevanten Einschränkungen in Bezug auf die täglichen Routinen und das Kurzzeitgedächtnis. Die Prednisolon-Dosis wurde langsam reduziert.


In den Verlaufskontrollen bis August 2022 nahmen die Ödemareale im MRI des Gehirns weiter ab, und es fanden sich keine neuen Läsionen. Die multiplen Mikroblutungen supratentoriell beidseits und vereinzelt infratentoriell blieben stationär. Klinisch zeigte die Patientin weiter eine Besserung mit weniger anhaltenden Einschränkungen. Im MoCA-Test wurden 3 Monate nach Diagnosestellung und Therapiebeginn 15/30 Punkte und 7 Monate nach Dia­gnose 25/30 Punkte erzielt. Im November 2023 wurde eine neuropsychologische Testung durchgeführt, da die Patientin die Fahrtauglichkeit wieder anstrebte. Hier konnte eine Verbesserung der Grundaktivierung, allerdings aber auch eine relevante Verschlechterung der Aufmerksamkeitsteilung, objektiviert werden. Die kognitiven Defizite umfassten fronto-temporo-parietale Ausfälle, und es bestand ein unveränderter Unterstützungsbedarf im Alltag. Die Fahreignung konnte aus neuropsychologischer Sicht weiterhin nicht bestätigt werden. Auch wurde aufgrund der Befunde des letzten MRI des Gehirns von 2022 von keiner weiteren Regredienz der kognitiven Defizite ausgegangen.

Diagnose und Kommentar

Die inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (CAA-RI) ist eine seltene Erkrankung und potenziell reversibel. Sie gehört zu den cerebralen Amyloidangiopathien (CAA), bei denen es zu einer Ablagerung von Beta-Amyloid-Peptiden in den vorwiegend kleineren cerebralen Arterien kommt (1). Hierdurch entstehen degenerative Veränderungen, Gefässverschlüsse, Mikroaneurysmen, welche schliesslich zu einer diffusen vaskulär-ischämischen Leukenzephalopathie und Hirnblutungen führen. Die CAA ist für ca. 20 % aller intrazerebralen Blutungen verantwortlich (1).

Die Amyloidablagerungen sind bei einem Teil der Patienten mit einer Entzündung der Gefässwand vergesellschaftet, was schliesslich zu einem multifokalen Marklagerödem führt. Insgesamt zeigen diese Veränderungen im MRI ein typisches Bild, welche für die Diagnosestellung einer CAA-RI wesentlich sind. Die Veränderungen lassen sich vor allem in der FLAIR-Sequenz (fluid attenuated inversion recovery) und bei der SWI (Suszeptibilitätsgewichtete Bildgebung) feststellen (2, 3). Dazu gehören Mikroblutungen, eine kortikale superfizielle Siderose und eine asymmetrische fleckförmige oder konfluierende Leukenzephalopathie, welche den angrenzenden Kortex und das subkortikale Marklager miteinbeziehen können. Ebenfalls kann sich als Zeichen der entzündlichen Reaktion ein vasogenes Ödem in der ADC- (apparent diffusion coefficient) Wichtung präsentieren (2, 4, 5). Es wurden die sogenannten modifizierten Boston-Kriterien entwickelt, welche auf eine gute Sensitivität und Spezifität geprüft wurden (6) (Tab. 1) und bei der Diagnosesicherung helfen. Zusätzliche klinische Diagnosekriterien sind ein akuter/subakuter Symptombeginn, Alter über 55 Jahre, Symptome wie Kopfschmerzen, Wesensveränderungen, kognitive Defizite oder fokal neurologische Defizite oder epileptische Anfälle. Andere Ursachen (z. B. infektiös oder paraneoplastisch) müssen ausgeschlossen werden. Sind alle diese Kriterien erfüllt, gilt eine CAA-RI als wahrscheinlich. Zur definitiven Diagnosesicherung wird eine histologische Bestätigung im Rahmen einer Autopsie benötigt, wobei sich neben frischen und alten Ischämien und Einblutungen auch entzündliche, perivaskuläre Veränderungen ohne Gefässbeteiligung finden lassen. Hier kann eine Unterscheidung zur Beta-Amyloid-assoziierten Angiitis (ABRA) gemacht werden, welche ausgeprägtere vaskulitische Veränderungen und fibrinoide Gefässwandnekrosen zeigt. Diese erheblichen Zerstörungen des Hirnparenchyms direkt durch invasive zytotoxische T-Lymphozyten und indirekt durch vaskulitische oder begleitthrombotische Gefässverschlüsse bedingen eine stärkere Immunsuppression als bei der CAA-RI. Teils wird in der Literatur jedoch die ABRA synonym zur CAA-RI genannt. Ob eine Histologie zur Diagnosestellung einer CAA-RI immer zwingend ist, steht aktuell immer noch zur Diskussion. Eine genaue Diagnose hat jedoch teils therapeutische Konsequenzen. Vor allem bei fehlendem Therapieansprechen sollte eine Biopsie angestrebt werden.

Männer und Frauen sind etwa gleich häufig von einer CAA-RI betroffen (7). Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei ca. 67 Jahren. Tritt die Erkrankung bei jüngeren Personen auf, kann eine seltene familiäre Form einer CAA-RI in Betracht gezogen werden (8). Es werden monophasische, schubförmige und primär progrediente Verlaufsformen beschrieben. Über 70 % der Patienten mit CAA-RI sind homozygot für das Apolipoprotein-E-ε4-Allel (ApoE-ε4), jedoch nur < 5 % der Patienten mit CAA (7, 9, 10). ApoE-ε4 ist ebenfalls assoziiert mit der Alzheimer-Erkrankung. Eine Überlappung von Alzheimer mit CAA-RI wird auch in Autopsiestudien beschrieben. Typischerweise sind bei der CAA-RI die Proteine und Zellzahl im Liquor erhöht, das Beta-Amyloid ist erniedrigt.

Differenzialdiagnostisch zur CAA-RI sind neben der ABRA und der primären ZNS-Angiitis (primary angiitis of the central nervous system; PACNS) unter anderem das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES), eine progrediente multifokale Leukenzephalopathie (PML), Neurosarkoidose, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit oder eine Herpes-simplex-Enzephalitis zu nennen (11–13). Zunehmend häufiger werden Autoimmunenzephalitiden diagnostiziert, welche ebenfalls einen subakuten kognitiven Abbau, eine langsame Bewusstseinstrübung und epileptische Anfälle zeigen können. Weitere gut behandelbare und daher relevante Differenzialdiagnosen sind die Steroid-responsive Enzephalopathie assoziiert mit autoimmuner Thyroiditis (SREAT, Hashimoto-Enzephalopathie), eine Riesenzellarteriitis und die superfizielle Siderose des Zentralnervensystems (14–16).

Die CAA-RI zeigt ein gutes Ansprechen auf Kortikosteroide, worunter es zu einer klinischen Besserung und Regredienz der radiologischen Befunde kommt. Am geringsten kommt es zu einer Verbesserung der kognitiven Symptome. Die rechtzeitige und frühe Therapieeinleitung ist essenziell, um ein möglichst gutes Outcome zu erreichen. Bei Nichtansprechen auf die Steroidtherapie oder bei einer Progression oder Rezidiv (ca. 25 % der Fälle [7]) wurden teils erfolgreich auch andere immunsuppressive Therapien (z. B. Methotrexat, Cyclophosphamid, Immunglobuline) eingesetzt (13, 17). Die Therapiedauer mit einem langsamen Ausschleichen der Kortikosteroide ist eine Einzelfallentscheidung und vom Verlauf abhängig.

Die Diagnose einer CAA-RI gestaltet sich aufgrund des unterschiedlichen, wenig spezifischen klinischen Bildes oft als sehr schwierig. Bei entsprechenden Symptomen soll aber auch an eine CAA-RI gedacht werden und entsprechend die weitere Diagnostik verfolgt werden. Wichtige Säulen bilden das MRI und, sofern möglich, die Histologie.

Dipl. med. Dominik Imhoff

Medizinisches Zentrum gleis d
Gürtelstrasse 46
7000 Chur

d.imhoff@mez-chur.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Die inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (CAA-RI) ist eine seltene und potenziell reversible Erkrankung, welche sich klinisch in rasch progredienten Wesensveränderungen, Kopfschmerzen, kognitiven Defiziten und epileptischen Anfällen zeigt.
• Multiple, auf lobäre, kortikale oder kortikosubkortikale Regionen beschränkte Blutungen im MRI oder der CT des Neurokraniums oder auch in einer Hirnbiopsie erhärten die Verdachtsdiagnose einer CAA-RI.
• Zur Diagnosebestätigung wird eine vollständige Obduktion benötigt.
• Eine rechtzeitige Therapieeinleitung ist essenziell, um ein gutes Ansprechen zu erreichen, wobei primär Kortikosteroide das Mittel der Wahl sind.

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Fieber und Panzytopenie – nicht immer ein Fall für die Onkologie

Anamnese und Befunde

Wir berichten über einen 68-jährigen Patienten mit Fieber bis 40 °C, Nachtschweiss, Inappetenz und Nausea ohne Emesis seit 10 Tagen. Der Patient war zuvor von einem Aufenthalt in Salerno (Süditalien) zurückgekehrt. Er besuchte dort immer wieder seine Mutter. Der Patient unternahm dort keine speziellen Aktivitäten ausserhalb des Alltags, eine Exposition zu Tieren oder Insektenstiche waren nicht erinnerlich.

Initial zeigte sich ein kardiopulmonal stabiler Patient in reduziertem Allgemeinzustand. Klinsch präsentierte sich ein febriler Patient ohne objektivierbare kardiopulmonale oder abdominelle Auffälligkeiten. Laboranalytisch konnte eine leichte Panzytopenie mit deutlich erhöhtem CRP nachgewiesen werden (Tab. 1a). Bei persistierendem Fieber, zervikaler Lymphadenopathie und unklarem Infektfokus erfolgte eine CT des Halses/Thorax/Abdomens zur Suche nach Infektfokus, neoplasieverdächtiger Raumforderung und pathologischen Lymphknoten. Diese zeigte eine zervikale Lymphadenopathie und eine Splenomegalie ohne weitere pathologische Befunde. Bei unklarem Infektfokus erfolgte initial eine empirische antimikrobielle Therapie mit Co-Amoxicillin und Valacyclovir.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Fieber und Panzytopenie erfordern eine umfassende Abklärung, da sie auf bakterielle, virale oder parasitäre Infektionen, hämatologische Erkrankungen wie aplastische Anämie, Myelodysplastisches Syndrom oder Leukämie, Autoimmunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes oder maligne Knochenmarkinfiltrationen hinweisen können. Auch medikamentöse Ursachen müssen differenzialdiagnostisch miteinbezogen werden.

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

In der serologischen Diagnostik gelang ein Ausschluss von HIV, viralen Hepatitiden, CMV, EBV, der nasopharyngeale Abstrich auf SARS-CoV-2 und Influenza war negativ. In den Blutkulturen gelang kein Keimnachweis. Mittels Immunfixation konnte eine monoklonale Gammopathie ausgeschlossen werden. Im mikroskopischen Differenzial-blutbild am Eintrittstag wurden in den Monozyten keine Leishmanien beschrieben, im zur Anreicherung hergestellten «Dicken Tropfen» gelang ebenfalls kein Nachweis von Malaria oder anderen Parasiten. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Progredienz der Panzytopenie mit laboranalytischen Zeichen einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) (sinkende Thrombozyten und Fibrinogen, erhöhte D-Dimere) sowie einem Anstieg des CRP, Ne­opterins und Interleukin-2-Rezeptors (sIL-2 Rezeptor). In der erweiterten infektiologischen Diagnostik konnten HSV, Parvovirus, Rickettsien und Francisella tularensis ausgeschlossen werden. Die Leishmanien-Serologie war hingegen positiv. Zeitgleich erfolgte aufgrund der Progredienz der Panzytopenie eine Knochenmarkbiopsie 5 Tage nach Eintritt. Hier konnte kein klarer Nachweis auf einen lymphoproliferativen Prozess oder eine Plasmazell-Dyskrasie gefunden werden. Stattdessen zeigten sich phagozytierende Histiozyten mit intrazytoplasmatischen Strukturen, verdächtig auf eine Leishmaniose (Abb. 1). Die qPCR für Leishmania sp. aus Blut und Knochenmark war positiv. Die Sequenzierung des Mini-Exon-Gens identifizierte den Erreger als Vertreter des L. donovani-/L. infatum-Komplexes (Tab. 1b).

Diagnose

Bei passender Klink (Fieber, AZ-Reduktion), Epidemiologie (Aufenthalt in Salerno), Labor (Panzytopenie, Hämophagozytose, erhöhtes Neopterin), radiologischen Befunden (Splenomegalie) sowie positiver Leishmanien-Serologie und mikroskopischem und molekularem Nachweis von Leishmanien im Knochenmarkaspirat waren die Beschwerden des Patienten im Rahmen einer viszeralen Leishmaniose erklärt.

Bei erhöhtem löslichem Interleukin-2-Rezeptor (sIL-2- Rez.) und Hyperferritinämie waren zusätzlich die laboranalytischen Kriterien für ein Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) erfüllt.

Kommentar

Die Tropenkrankheit Leishmaniose, eine parasitäre Infektionskrankheit, stellt auch im 21. Jahrhundert weiterhin eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar. Die Leishmaniose ist besonders in Mittelamerika, West- und Südostasien sowie in Nord- und Ostafrika vertreten (1). In Europa ist die viszerale Leishmaniose (VL) eher sporadisch und hauptsächlich im Mittelmeerraum verbreitet mit Vorkommen insbesondere in Italien, Spanien und Griechenland (2). 2022 wurden der WHO aus der Schweiz 8 allochthone Fälle gemeldet (1), die Erkrankung ist allerdings nicht meldepflichtig. Bei der VL handelt es sich um eine disseminierte Form der Leishmaniose. Die Leishmaniose selbst ist eine parasitäre Infektionskrankheit ausgelöst durch Protozoen der Gattung Leishmania (3).

Bei immunkompetenten Patienten verursachen Leishmania donovani und Leishmania infantum die viszerale Form der Leishmaniose (4). Als Vektor dient die weibliche Sandmücke (Phlebotominae), die Übertragung erfolgt über ihren Stich (3). Patienten präsentieren meist Fieber, Gewichtsverlust, Diarrhoe und eine Hepatosplenomegalie. Eine Lymphadenopathie in Zusammenhang mit VL ist selten in Gebieten ausserhalb von Ostafrika und hat daher, bei Ansteckungen innerhalb Europas, meist keine klinische Relevanz (5). Laboranalytisch zeigt sich typischerweise die Reduktion einzelner Zelllinien im peripheren Blut oder eine Panzytopenie (6).

Derzeit wird davon ausgegangen, dass nach der Übertragung L. infantum und L. donovani über die Haut in Lymphknoten einwandern und von dort in Milz, Knochenmark und Leber vordringen. Überwindet der Parasit die Immunabwehr, folgt eine Anpassung der Immunantwort an die Bedürfnisse des Parasiten inklusive der Hochregulierung von Makrophagen, die Erkrankung bricht aus (3). Im Rahmen der Hochregulierung von Makrophagen kommt es zu einem Anstieg von Neopterin (7).

Das MAS ist eine akute, generalisierte Entzündungsreaktion. Ein MAS kann z. B. im Rahmen rheumatologischer Erkrankungen oder als Komplikation von Infektionen (parasitär, viral, bakteriell) auftreten (8, 9). Pathophysiologisch betrachtet liegt eine verminderte Aktivität der Killerzellen und Perforin vor. Dies führt zu einer übermässigen Aktivierung von Lymphozyten mit der Ausschüttung von INF‑γ- und Granulocyte-Macrophage-Colony-Stimulating-Factor (GM-CSF). Es kommt zu einer unkontrollierten Aktivierung und Proliferation von Makrophagen (9). Derzeit besteht noch kein internationaler Konsens bezüglich Diagnosekriterien für das MAS. Davi et al. benennen die 9 häufigsten klinischen, laboranalytischen und histopathologischen Merkmale des MAS wie folgt: fallende Thrombozytenzahl, Hyperferritinämie, Makrophagen-Hämophagozytose im Knochenmark, Transaminasenerhöhung, fallende Leukozytenzahl, Fieber > 38 °C, fallende BSG, Hypofibrinogenämie, Hypertriglyceridämie (10). Als weniger häufig wird ein Anstieg des sIL-2-Rez. genannt.

Im hier vorgestellten Fall präsentierte der Patient bei beiden Krankheitsbildern beschriebene Merkmale. Passend zur Diagnose des MAS zeigten sich eine Erhöhung des sIL-2-Rez. sowie eine Hypofibrinogenämie und Hyperferritinämie. Bei zusätzlichem Nachweis von Leishmanien im Knochenmark und Leishmania-DNA und IgG mit erhöhtem Neopterin waren aus unserer Sicht die Diagnosekriterien für sowohl MAS als auch VL erfüllt. Aus Sicht der Autoren sollte die Diagnose einer (viszeralen) Leishmaniose bei Fieber, Gewichtsverlust, Hepatosplenomegalie, Panzytopenie und Aufenthalt in einem Endemiegebiet in Betracht gezogen werden. Zur Diagnostik ist in der Schweiz eine PCR Goldstandard, die Serologie ist hauptsächlich in wenig entwickelten Ländern mit hoher Prävalenz wichtig, da Sensitivität und Spezifität mit steigender Prävalenz ebenfalls zunehmen (11). Im peripheren Blutausstrich sind nur selten Amastigoten zu sehen, weshalb dieser im Alltag zur Diagnostik einer Leishmaniose keine Relevanz hat (5).
Die Therapie der VL hängt von der Region ab, in der die Infektion erworben wurde. Derzeit ist liposomales Amphotericin B die empfohlene Erstlinientherapie basierend auf Daten verschiedener Endemiegebiete weltweit (4). Die Dosierung und Therapiedauer variieren gemäss Endemiegebiet und Immunstatus. Bei unserem Patienten erfolgte die Gabe von 3 mg/kg KG liposomales Amphotericin B an den Tagen 1–5, 14 und 21 (12). Eine Kostengutsprache zur Verschreibung von Amphotericin B, auch im ambulanten Setting, ist nicht notwendig. Gemäss der Spezialitätenliste des Bundesamts für Gesundheit darf die Erstverschreibung allerdings nur durch eine/einen Fachärzt/-in Infektiologie oder Hämatologie erfolgen (13).

Die Therapie des MAS basiert zum grössten Teil auf der hoch dosierten, intravenösen Gabe von Steroiden. Etoposide wird in der Literatur ebenfalls als Therapieoption diskutiert (14, 15). Unser Patient erhielt Steroide und Etoposide 300 mg i.v. zweimalig im Abstand von 4 Tagen. Aufgrund der Steroidtherapie erfolgte eine Pneumocystis-jiro­ve-
­­cii-Prophylaxe mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol.

In den darauffolgenden ambulanten Verlaufskontrollen zeigten sich eine stetige Besserung des Allgemeinzustands des Patienten sowie ein kontinuierlicher Abfall der Antikörper mit zudem negativer PCR. Generell wird der Behandlungserfolg anhand klinischer Verlaufskontrollen über 12 Monate überprüft. Es sollte sich eine Besserung des klinischen Bildes mit z. B. Gewichtszunahme, Rückgang der Hepatosplenomegalie und Abklingen des Fiebers zeigen. Ein Zeitfenster von 12 Monaten sollte eingehalten werden, da die meisten Rückfälle innerhalb von 6–12 Monaten auftreten (16). Der Verlauf der Serologie hat keinen prognostischen Wert und wurde in diesem Fall aus Inte­resse bestimmt.

Fälle wie dieser zeigen, wie schwierig die Diagnosestellung von VL und MAS, insbesondere in Kombination, ist. Speziell bei Patienten, die nicht in Endemiegebieten leben. Verzögerte Diagnosestellung und Therapie verschlechtern die Prognose bei ohnehin deutlich erhöhtem Mortalitätsrisiko beider für sich genommenen Erkrankungen.

Historie
Manuskript eingereicht. 24.09.2024
Manuskript angenommen: 04.11.2024

Stephanie Kirch

Stadtspital Zürich Waid
Klinik für Innere Medizin
Tièchestrasse 99, 8037 Zürich

stephanie.kirch@gmx.net

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Unspezifische klinische, laboranalytische und histopathologische Merkmale, Seltenheit und ähnliche Präsentation der VL und des MAS erschweren die Diagnostik.
• Eine schnellstmögliche Diagnosestellung ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung bei hohem Mortalitätsrisiko.

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Das VEXAS-Syndrom – ein Chamäleon der entzündlichen Syndrome

Anamnese und Status

Ein 72-jähriger Patient wird aufgrund von Anämie und rezidivierenden orbitalen Entzündungen in unser Ambulatorium zur weiteren Abklärung zugewiesen. Nach einer initialen Blepharokonjunktivitis kam es im selben Monat zu einer bilateralen periorbitalen Zellulitis mit einer Begleitkonjunktivitis, welche antibiotisch behandelt wurde. Circa fünf Monate später erfolgte aufgrund einer Orbitaphlegmone des linken Auges eine erneute antibiotische Behandlung. Trotz des vorübergehenden Ansprechens auf Antibiotika trat ein Rezidiv rechtsseitig auf.

Bereits seit dem ersten Spitalaufenthalt wurde eine milde Anämie festgestellt. In der erweiterten Anamnese berichtete der Patient über einen Gewichtsverlust von 20 kg innerhalb der letzten sechs Monaten. Ferner wurde er aufgrund anhaltenden Fiebers über zwei Wochen in einem anderen Spital etwa sechs Monate zuvor hospitalisiert. Alle bildgebenden Verfahren sowie serologischen Untersuchungen lieferten keine wegweisenden Ergebnisse, und die Symptome besserten sich spontan. Der Patient leidet an arterieller Hypertonie sowie an einer substituierten Hypothyreose. Hinsichtlich Noxen bestand ein sistierter Nikotinkonsum mit fünf pack years, kein Alkohol- oder Drogenkonsum. Eine Koloskopie zur Krebsvorsorge, die vier Jahre zuvor durchgeführt wurde, ergab unauffällige Befunde. Die Familienanamnese war unauffällig. Zum Zeitpunkt der Überweisung war sowohl der internistische als auch der neurologische Status unauffällig.

Befunde

Im Hämatogramm fielen eine milde hyporegenerative normochrome und normozytäre Anämie (Hämoglobinwerte zwischen 110 g/l und 129 g/l), eine milde Thrombozytopenie (Thrombozyten 100–121 g/l) sowie eine Leukozytose (Leukozyten 15–17.3 g/l) auf. Der Gerinnungsstatus war unauffällig. Das mikroskopische Blutbild zeigte reichliche Vakuolen in den myeloiden Vorstufen. Ferner wurden schwankende CRP-Werte bis 74 g/l bei normwertigem Procalcitonin festgestellt. Die Substrate (Eisen, Vitamin B12, Folsäure) waren normwertig. Urinstatus und Urinsediment waren bland, ohne Hinweise auf eine Nephritis. In den weiteren serologischen Abklärungen waren die Komplementfaktoren sowie antinukleäre Antikörper und Anti-Neutrophile zytoplasmatische Antikörper negativ. Die ergänzende Eiweisselektrophorese im Serum und im Urin ergab einen normalen Befund. Die HIV-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Serologien sowie der Quantiferon-Test zeigten sich negativ. In sämtlichen abgenommenen Blut- und Urinkulturen kam es zu keinem bakteriellen Wachstum. In den Bildgebungen zeigten sich keine Hinweise auf eine thorakoabdominale Raumforderung. Stattdessen wurde wiederholt eine orbitale Entzündung abwechselnder Lokalisation festgestellt (Abb. 1 A und B).

Differenzialdiagnostische Überlegungen und weitere Abklärungsschritte

Bei Fieber und unklarem Entzündungszustand ist die Differenzialdiagnose sehr breit. Nach Ausschluss einer Immunosuppression kann man die möglichen Ursachen in vier Gruppen unterteilen: infektiöse Erkrankungen, Neoplasien, entzündliche Erkrankungen und weitere Ursachen. Die weiteren Überlegungen richten sich nach den Befunden, die durch eine ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung, Basisuntersuchungen im Labor sowie Röntgen des Thorax und Ultraschall des Abdomens festgestellt wurden. Wie bereits aus den oben genannten Befunden hervorgeht, ergaben sich beim Patienten keine Hinweise auf eine infektiöse Genese.

In Zusammenschau der rezidivierenden orbitalen Entzündungen wurde mit dem Verdacht auf eine entzündliche Systemerkrankung eine empirische Steroidtherapie eingeleitet, unter welcher sich sowohl die Symptome verbesserten als auch die Entzündungsparameter abfielen. Die Reduktion der Steroidtherapie ging mit rasch steigenden CRP-Werten einher. Zur weiteren Abklärung des unklaren rezidivierenden Entzündungszustands wurde eine PET-CT veranlasst, bei der eine Grossgefässvaskulitis ausgeschlossen wurde.

Angesichts der Bizytopenie mit Anämie und Thrombozytopenie kam eine beginnende myeloproliferative Erkrankung infrage; differenzialdiagnostisch wurde aufgrund der Vakuolisierung im peripheren Blut sowie bei multiplen orbitalen Entzündungen das VEXAS-Syndrom als mögliche Diagnose in Betracht gezogen. Im Falle einer Vakuolisierung müssen jedoch weitere Differenzialdiagnosen wie ein myelodysplastisches Syndrom, eine Alkohol- oder Zinkintoxikation sowie ein Kupfermangel ausgeschlossen werden.

Bei diesem Patienten erfolgte somit als nächster Schritt eine Knochenmarkpunktion, die eine dysplasiefreie, ausreifende Hämatopoese zeigte. Auch hier fiel eine gehäufte Vakuolisierung der myeloischen und erythropoetischen Vorläuferzellen auf (Abb. 2). Die molekulargenetische Diagnostik konnte schliesslich eine pathogene Variante des UBA1-Gens nachweisen, womit die Diagnose eines VEXAS-Syndroms bestätigt wurde.

Diagnose

Das VEXAS-Syndrom

Das VEXAS-Syndrom ist eine autoinflammatorische Systemerkrankung, die erstmalig von Beck et al. bei 25 Männern mit Inflammation und Myelodysplasie im Jahr 2020 beschrieben wurde. Es betrifft überwiegend Männer mittleren bis höheren Alters und ist durch eine somatische Mutation im UBA1-Gen auf dem X-Chromosom gekennzeichnet, wodurch die Protein-Ubiquitinierung beeinträchtigt wird. Das Akronym VEXAS steht für «vacuoles, E1 enzyme, X-linked, autoinflammatory, somatic» (1). Die Mutation führt zu einer Dysfunktion des UBA1-Proteins, wodurch eine verminderte Ubiquitinierug resultiert und dadurch Signalwege des angeborenen Immunsystems inadäquat aktiviert werden.

Klinik

Zu den häufigsten Symptomen zählen Fieber, Gewichtsverlust und Lymphadenopathie sowie verschiedene hämatologische Manifestationen wie makrozytäre Anämie, Thrombozytopenie, rezidivierende Thrombosen und myelodysplastische Syndrome. Okuläre und orbitale Manifestationen, die initial bei etwa 28 % der Patienten auftreten, umfassen vor allem ein periorbitales Ödem, können sich aber auch als Dakryoadenitis, Blepharitis, Konjunktivitis und Augenmuskelmyositis bis hin zur orbitalen Zellulitis, Uveitis, Skleritis und Episkleritis präsentieren. Selten sind beide Augen simultan betroffen (2, 3). In der Studie von Vitale et al. wurde die okuläre/orbitale Beteiligung bei 92 % der Patienten als erstes Symptom des VEXAS-Syndroms beschrieben (3). Im Allgemeinen kann jedoch fast jedes Organ von der Erkrankung betroffen sein (Abb. 3) (4, 5). Insbesondere wird über rezidivierende Polychondritiden, pulmonale Infiltrate und Alveolitis sowie dermatologische Manifestationen wie kutane Vaskulitiden, das Sweet-Syndrom und das Erythema nodosum berichtet (4). In einer Studie von Lavialle et al. wird der Phänotyp der Erkrankung erweitert, indem zusätzlich Beschwerden im gastrointestinalen Trakt sowie Arthralgien im Rahmen des VEXAS-Syndroms identifiziert wurden. Darüber hinaus werden drei unterschiedliche Cluster vorgeschlagen. Im ersten Cluster finden sich Patienten mit Thrombosen und MDS, welche zusammen mit den Polychondritiden relativ häufig gleichzeitig auftreten können. Der zweite Cluster umfasst Patienten mit einem milderen Verlauf, die in der Regel weniger Fieber, Chondritiden und Thromboembolien aufweisen. Im dritten Cluster werden Patienten mit ausgeprägter Entzündung zusammengefasst; in diesem Fall sind häufig kutane Manifestationen und eine hohe Rezidivrate zu beobachten (6). Typischerweise liegt eine Vakuolisierung der Erythrozyten- und Granulozyten-Vorläuferzellen vor, wobei die genaue Pathogenese dieses Phänomens nicht vollständig aufgeklärt ist (7).

Diagnostik

Die Diagnose wird aufgrund des klinischen Verdachts und mittels Genetik durch Nachweis einer Mutation im UBA1-Gen gesichert. Bisher liegen keine konkreten Empfehlungen vor, wann eine Mutation im UBA1-Gen gesucht werden sollte. In der Publikation von Hagiya et al. werden Symptome und Befunde aufgeführt, bei denen eine Testung evaluiert werden sollte. Diese Kriterien sind in der Tab. 1 zusammengefasst (Tab. 1) (7). Die Vakuolisierung im peripheren Blut und im Knochenmark stellt ebenfalls einen sehr häufigen Befund dar. Bei der Beteiligung von erythroiden und myeloiden Vorläuferzellen scheint ein VEXAS-Syndrom wahrscheinlicher zu sein (8).

Therapie und Prognose

Zurzeit gibt es keinen Konsens über die Therapie, welche individualisiert an die Symptomatik erfolgen sollte. In der Literatur werden mehrere Ansätze vorgeschlagen. Insbesondere wird neben dem initialen Ansatz mit Glukokortikoiden, welche in der Regel zu einem vorübergehenden Ansprechen führen, über Azacytidine und JAK-Inhibitoren berichtet (9, 10).

Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass JAK-Inhibitoren und insbesondere Ruxolitinib, durch eine selektive Inhibition von JAK1 und JAK2, eine vielversprechende Wirkung zeigen. Unter dieser Therapie kann eine klinische und laborchemische Besserung erreicht werden, die eine nachhaltige Reduktion der Steroiddosis ermöglicht (11).
Ferner wurde ebenfalls häufig mit Immunosuppressiva wie Methotrexat, Tocilizumab und Anakinra behandelt. Jüngere Patienten respektive Patienten mit lebensbedrohlichen, nicht einstellbaren Entzündungszuständen wurden gelegentlich mit einer allogenen Stammzelltransplantation therapiert, wobei der Erfolg spärlich war (9, 10).
Aufgrund der multiplen schwerwiegenden Komplikationen besteht eine hohe Mortalität von bis zu 40 % (1).

Therapie und klinischer Verlauf

In diesem Fall wurde die initial eingeleitete Steroidtherapie fortgeführt und nach Diagnosestellung durch eine Therapie mit Methotrexat sowie dem JAK-Inhibitor Upadacitinib ergänzt. Zu Beginn wurde Methotrexat in einer Dosierung von 7,5 mg wöchentlich verabreicht, welche bei guter Verträglichkeit auf 15 mg wöchentlich gesteigert wurde. Nach Erhalt der Kostengutsprache wurde zusätzlich Upadacitinib in einer Dosis von 15 mg täglich verschrieben, welche im weiteren Verlauf auf 30 mg täglich erhöht wurde. Vor der Diagnosestellung erhielt der Patient bis zu 100 mg Prednison täglich, wobei wiederholt Ausschleichversuche durchgeführt wurden. Nach Einleitung der oben genannten immunsuppressiven Therapie konnte die Steroiddosis innerhalb von sechs Monaten in 2.5-mg-Schritten von 25 mg auf 5 mg reduziert werden.

Kommentar

Das VEXAS-Syndrom ist ein autoinflammatorisches Syndrom, welches erst in den letzten Jahren beschrieben wurde. Angesichts der Symptomvielfalt ist die Diagnosestellung oft schwierig und erfolgt dementsprechend häufig verzögert. Daher ist es wichtig, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, damit immer mehr Ärzte die Krankheit rechtzeitig erkennen können. Bei unklarem Entzündungszustand sollte das VEXAS in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn eine Vakuolisierung der hämatopoeitischen Vorläuferzellen nachweisbar ist. Die Therapie ist noch nicht eindeutig definiert und sollte individuell für jeden Patienten gemäss klinischer Manifestation besprochen werden.

Abkürzungen
CRP C-reaktives Protein
HIV Human Immunodeficiency Virus
JAK Januskinase
MDS Myelodysplastisches Syndrom
MGUS Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz
PET-CT Positronen-Emissions-Tomographie/Computertomographie
UBA1 Ubiquitin-like modifier activating enzyme 1
VEXAS vacuoles, E1 enzyme, X-linked, autoinflammatory, somatic

Historie
Manuskript eingegangen: 28.08.2024
Angenommen nach Revision: 03.12.2024

Verdankungen
Wir bedanken uns bei Frau Dr. med. Janna Pape für die sprachliche Revision sowie bei Herr Dr. med. Marco Roncador für die Hämatologiebilder.

Author Contributions
Konzept, Schreiben, Überprüfen, Editieren, dipl. Ärztin Elisa Leggeri; Radiologiebilder und Befunde, Überprüfen, KD Dr. med. Athina Pangalu; Supervision, Editieren, Überprüfen Prof. Dr. med. Florence Vallelian. Alle Autorinnen haben das eingereichte Manuskript gelesen und sind für alle Aspekte des Werkes mitverantwortlich.

Dipl. Ärztin Elisa Leggeri

Entzündungssprechstunde
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

elisa.leggeri@usz.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Das VEXAS-Syndrom ist ein neu beschriebenes autoinflammatorisches Syndrom, welches durch eine Vielzahl an Symptomen und Befunden gekennzeichnet ist, die anderen Erkrankungen ähneln können.
• Zu den häufigsten Symptomen des VEXAS-Syndroms gehören Fieber, hämatologische Manifestationen (MDS, Thrombosen) sowie Polychondritiden und pulmonale Infiltrate. Orbitale/okuläre Beschwerden treten jedoch auch häufig als erste Manifestation des Syndroms auf. Das Syndrom kann nahezu jedes Organ betreffen, einschliesslich der Haut, des muskuloskelettalen und gastrointestinalen Systems und der Niere.
• Mit wachsender Kenntnis der Erkrankung lässt sich die Diagnose zunehmend schneller stellen.

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Brucellose als Reisesouvenir

Anamnese und Befunde

Anamnese

Die Zuweisung des 66-jährigen-Patienten in der infektiologischen Sprechstunde des Zuger Kantonsspitals erfolgte zur Abklärung eines unklaren Entzündungszustandes. Anamnestisch bestanden seit einem Monat trockener Husten, Kopfschmerzen, generalisierte Myalgien und Arthralgien. Weiter wurden über Müdigkeit, vermehrtes Schwitzen sowie Inappetenz mit konsekutivem Gewichtsverlust von 2 Kilogramm seit Symptombeginn berichtet. Die Beschwerden hätten anlässlich eines mehrwöchigen Ferienaufenthaltes mit seiner Familie im Heimatland Kosovo begonnen. In der medizinischen Vorgeschichte des Patienten fanden sich eine koronare Herzkrankheit, eine arterielle Hypertonie, eine Dyslipidämie sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit.

Befunde

Klinisch präsentierte sich der Patient in leicht reduziertem Allgemeinzustand, hämodynamisch stabil mit einer Temperatur von 37.1 °C, in leicht reduziertem Allgemeinzustand. Bis auf ein 2/6 Systolikum mit Punctum maximum über dem 2. Interkostalraum rechts ergaben sich keine pathologischen Untersuchungsbefunde.
Im Labor bestand eine isoliert humorale Entzündungsaktivität (CRP 54 mg/l; Norm < 5 mg/l). Das Blutbild war bis auf eine milde normochrome normozytäre Anämie unauffällig (Hb 138 g/l; Norm 140–180 g/l). Elektrolyte, Nierenfunktion, Transaminasen und Cholestaseparameter waren normal.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Die klinische Präsentation sowie die laboranalytischen Befunde erlaubten eine breite Differenzialdiagnose aus dem infektiologischen, onkologischen und rheumatologischen Formenkreis. Aufgrund der grippalen Symptomatik dachten wir an eine virale Genese, insbesondere HIV, Hepatitis B und C. Gegen diese Hypothese sprachen eine unauffällige Expositionsanamnese sowie normwertige Transaminasen. Weiter dachten wir aufgrund der Reiseanamnese an mit einer Reise oder mit dem Heimatland des Patienten assoziierte Erkrankungen wie Tuberkulose, Brucellose und Q-Fever. Gemäss Angaben des Patienten hatte der Patient im Heimatland unpasteurisierten Ziegenkäse gegessen. Aufgrund der protrahierten konstitutionellen Symptome erwogen wir auch eine infektiöse Endokarditis. Auch ein Malignom, insbesondere ein Bronchuskarzinom oder ein Lymphom, erschien uns plausibel. Die generalisierten Myalgien und Arthralgien liessen uns weiter an eine rheumatologische Erkrankung denken.

Weitere Abklärungsschritte und Diagnosestellung

Es wurden Blutkulturen asserviert. Zudem erfolgte eine Testung auf Hepatitis B, C und HIV, welche negativ ausfielen. Die Bestimmung des Rheumafaktors war negativ. Im Röntgen-Thorax ergaben sich keine pathologischen Veränderungen, insbesondere keine Hinweise für eine Tuberkulose. Nach einer Bebrütungszeit von zwei Tagen zeigten sich die Blutkulturen positiv mit Nachweis von Brucella melitensis. Somit konnte die Diagnose eines Maltafiebers (Brucellose) gestellt werden.

Therapie und Verlauf

Eine antiinfektive Therapie mit Gentamicin 5 mg/kg i.v. alle 24 h und Doxycyclin 100 mg p.o. alle 12 h wurde eingeleitet. Aufgrund von zwischenzeitlich entwickeltem Fieber und dem neu beschriebenen Systolikum wurde eine transthorakale und danach eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt, welche als unauffällig beurteilt wurden. Bei zwei Minor-Duke-Kriterien (Mikrobiologie, Fieber) wurde somit eine Endokarditis als unwahrscheinlich erachtet. Unter der etablierten Antibiotikatherapie zeigte sich ein rasches klinisches Ansprechen. Gentamicin wurde für sieben Tage verabreicht, Doxycyclin für sechs Wochen. Am Therapieende war der Patient beschwerdefrei. Das Blutbild war normalisiert, und es bestand keine Entzündungsaktivität mehr.

Akquiriert wurde die Infektion mutmasslich durch den Verzehr kontaminierter Lebensmittel. Der Patient hatte anlässlich seines Aufenthaltes im Kosovo, rund zwei Wochen vor Symptombeginn, unpasteurisierten Ziegenkäse gegessen.

In den folgenden drei Monaten stellte sich die Ehefrau und später der Sohn des Patienten in unserem Spital vor. Sie litten an Fieber, Schüttelfrost und Kopfschmerzen. Bei beiden gelang der Nachweis von B. melitensis in den Blutkulturen. Unter Therapie mit Gentamicin und Doxycyclin kam es zu einer Restitutio ad integrum. Es stellte sich he­raus, dass auch Ehefrau und Sohn denselben Ziegenkäse gegessen hatten, mit welchem sich auch der Patient mutmasslich infiziert hatte.

Kommentar

Die Brucellose ist eine Zoonose, welche durch Bakterien der Gattung Brucella verursacht wird. Brucellen sind hitzeempfindliche, aerob wachsende gramnegative kokkoide Stäbchenbakterien. Humanpathogen sind die Spezies B. melitensis, B. suis und B. canis. Die Transmission erfolgt durch Konsum kontaminierter Lebensmittel oder durch direkten Kontakt zu infizierten Nutz- und Haustieren. Bei Brucella melitensis, dem Auslöser des Maltafiebers, sind Ziegen und Schafe das Reservoir. Unpasteurisierte Schaf- und Ziegenmilchprodukte stellen die Hauptinfektionsquelle dar (1, 2).

Die Inzidenz der Brucellose ist nicht bekannt. 2006 wurde global von ca. 500 000 Neuinfektionen pro Jahr berichtet (3). Aufgrund von mangelhafter Surveillance wird von einer grossen Dunkelziffer ausgegangen. Eine aktuelle modellbasierte Schätzung postuliert weltweit über zwei Millionen Fälle pro Jahr (4, 5). Der Mittelmeerraum, Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie die arabische Halbinsel stellen das Endemiegebiet dar (3, 6). Durch Tourismus, Migration und Tierhandel können Erkrankungsfälle aber auch in Länder, wie z. B. die Schweiz, importiert werden, welche als brucellosefrei gelten. In der Schweiz sind Infektionen mit Brucella sp. sowohl beim Menschen wie auch beim Tier meldepflichtig. Die Fallmeldungen beim Menschen in der Schweiz lagen in den letzten Jahren kon­stant unter zehn pro Jahr (7) (Abb. 1).

Ein Pathogenitätsmerkmal von Brucellen ist die Fähigkeit, intrazellulär zu überleben und sich zu vermehren. Nach Inokulation werden Brucellen durch Gewebelymphozyten aufgenommen und gelangen via regionale Lymphknoten in die Blutbahn. Durch hämatogene Dissemination kann es in nahezu jedem Organ zu einer Absiedelung kommen, wobei ein Tropismus für das retikuloendotheliale System besteht (1). Die klinische Manifestation der Erkrankung ist entsprechend der Pathogenese vielfältig. Leitsymptom ist anhaltendes, intermittierend oder schubweise auftretendes Fieber. Begleitend kann es zu ausgeprägtem Schwächegefühl, Arthralgien und Nachtschweiss kommen (8). Die Mehrheit der Infektionen verlaufen jedoch subklinisch. Unbehandelt können sich lokale Komplikationen und chronische Verläufe entwickeln. Osteoartikuläre Komplikationen, insbesondere Sakroiliitis und vertebrale Osteomyelitis, treten bei bis zu 70 % der betroffenen Patienten auf. Wesentlich seltener sind urogentiale (Orchitis, Epididymitis) und neurologische Komplikationen (Meningitis, Encephalitis, Myelitis) (9–11).

In Anbetracht der unspezifischen klinischen Präsentation bedarf es zur Diagnosestellung einen hohen Verdachtsgrad. Schlüsselelement ist eine detaillierte Anamnese und beinhaltet das Erfragen der Reiseaktivität, des Konsums von unpasteurisierten Milchprodukten oder Kontakts zu (kranken) Tieren in einem Endemiegebiet. Die variable Inkubationszeit (Wochen bis mehrere Monate) sollte bei der Anamnese berücksichtigt werden. Die klinische Untersuchung und Laboruntersuchungen weisen oft unspezifische Befunde auf und sind daher für den diagnostischen Prozess wenig hilfreich. Gemäss einer Metaanalyse aus China, in welche 68 Studien inkludiert wurden, zählten Lymphadenopathie (32 %), Hepato- (23 %) oder Splenomegalie (29 %) zu den häufigsten klinischen Auffälligkeiten, im Labor waren es Anämie (23 %), Thrombopenie (15 %) und Leukozytose (10 %) (12) (Tab. 1).

Die definitive Diagnose kann durch den kulturellen Nachweis des Organismus aus Gewebe oder Körperflüssigkeiten (Blut, Liquor, Urin) gestellt werden. Die Kultur gilt zwar als Goldstandard, die Anzucht von Brucellen ist aber aufgrund ihrer Anforderungen an Kulturbedingungen anspruchsvoll. Alternativ kann die Diagnosesicherung mittels Serologie erfolgen. Ein vierfacher Titeranstieg in zwei aufeinanderfolgenden (im Abstand von zwei bis drei Wochen entnommenen), parallel untersuchten Serumproben gilt als beweisend für eine akute Infektion (13). Bei begründetem Verdacht auf eine Infektion mit Brucella sp. sollte das mikrobiologische Labor informiert werden, da die Verarbeitung der klinischen Proben die Einhaltung erhöhter Sicherheitsmassnahmen (Biosicherheitsstufe 3) bedingt.

Therapie der Wahl ist Doxycyclin p.o. für 6 Wochen in Kombination mit Gentamicin i.v. für sieben Tage. Alternativ kann anstelle des Aminoglykosids Rifampicin für sechs Wochen verabreicht werden, mit dem Vorteil einer peroralen Gabe und reduzierter Nephrotoxizität bei allerdings breitem Interaktionspotenzial. Von Monotherapien oder verkürzter Therapiedauer ist aufgrund von hohen Rezidivraten abzusehen (14). Patienten mit osteoartikulären Komplikationen, Endokarditis und Neurobrucellose werden deutlich länger und zum Teil mit angepassten Therapieschemata behandelt (15). Trotz adäquater Behandlung kann es zu einem Rezidiv der Erkrankung kommen, dieses tritt meist innerhalb der ersten sechs Monate nach Therapieende auf (17). Bis anhin kam es bei sämtlichen Familienmitgliedern aus unserer Fallserie zu keinem Rezidiv.

Historie
Manuskript eingegangen: 23.10.2024
Manuskript angenommen: 08.01.2025

Dipl. Arzt Valentino Monaco

Schlössliweg 2
6345 Neuheim

vmonaco1289@gmail.com

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Die Brucellose ist eine meldepflichtige Zoonose.
• Leitsymptom der Erkrankung ist Fieber. Dieses ist oftmals begleitet von unspezifischen Allgemeinsymptomen (Malaise, Arthralgien, Nachtschweiss). Die Verdachtsdiagnose ergibt sich bei Fieber, passender Reise- und Expositionsanamnese (Konsum von unpasteurisierten Milchprodukten, Kontakt zu kranken Schafen/Ziegen).
• Goldstandard ist der kulturelle Erregernachweis aus Blut oder anderen biologischen Materialien. Alternativ kann die Diagnose serologisch gestellt werden.
• Das Labor sollte über die Verdachtsdiagnose der Brucellose informiert werden. Die Probenverarbeitung bedarf erhöhte Sicherheitsmassnahmen (BSL 3).

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