Was tun bei stabiler Kreatininerhöhung?

Eine stabile Kreatininerhöhung, die länger als 3 Monaten besteht, wird als chronische Niereninsuffizienz («chronic kidney disease, CKD») definiert. Die genaue Stadieneinteilung sowie Prognoseabschätzung erfolgt anhand der mittels Formel geschätzten glomerulären Filtrationsrate («estimated glomerular f iltration rate, eGFR») sowie der Albuminurie. In diesem zweiten Teil des Artikels werden spezifische Befunde und ihre Behandlungsmöglichkeiten sowie unter dem Aspekt, dass jede Nierenersatztherapie mit erhöhter Morbidität und Mortalität sowie enormen gesundheitsökonomischen Kosten verbunden ist, die Möglichkeiten der Nephroprotektion und der Progressionsverlangsamung diskutiert.

Metabolische Azidose
Gemäss den KDIGO Richtlinien ist eine metabolische Azidose bei CKD als ein Serum-Bikarbonat < 22 mmol/l definiert. Bereits eine milde metabolische Azidose ist mit Komplikationen wie z. B. vermehrtem Eiweiss-Abbau und Muskelverlust bis hin zu einer erhöhten Mortalität assoziiert. Interessanterweise gibt es in den letzten Jahren zunehmend Daten, dass eine metabolische Azidose die Progression einer chronischen Niereninsuffizienz verstärken kann. Wiederum konnte in mehreren klinischen Studien gezeigt werden, dass eine Alkalitherapie bei CKD Patienten zu einem geringeren Abfall der GFR führt (11–13). Allerdings benötigt es weiterhin multizentrische randomisierte Interventionsstudien, die noch offene Fragen wie z.B. die Bestimmung des optimalen Bikarbonat-Zielwerts oder den optimalen Zeitpunkt für den Beginn der Therapie in Zukunft klären werden. Bis zur Vorlage der fehlenden Daten gelten die bisherigen Therapieempfehlungen für CKD Patienten: Beginn der Alkalitherapie mit 0.5 mEq /kg KG / Tag bei einem Serum-Bikarbonat ≤ 22 mmol/l (1). Dies kann z. B. durch die orale Gabe von Natriumhydrogencarbonat (z. B. Nephrotrans®) erfolgen, was leider nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführt ist und somit für die Vergütung durch die Krankenkasse eine Kostengutsprache benötigt.

Renale Anämie
Die Anämie bei CKD ist oft multifaktoriell bedingt, eine rein renale (d. h. durch Erythropoietinmangel bedingte) Anämie stellt eine Ausschlussdiagnose dar. Auch im Kontext der CKD ist die Anämie definiert als eine Hämoglobin Konzentration von < 130 g/l bei Männern und < 120 g/l bei Frauen. Bei der Erstdiagnose einer Anämie bei Patienten mit CKD wird eine Anämieabklärung empfohlen. Nach Bestätigung der Diagnose einer renalen Anämie richten sich das Monitoring sowie die Therapie nach den Zielwerten. Gemäss der KDIGO Richtlinien wird für die Therapie der renalen Anämie die Gabe von Eisenpräparaten sowie Erythropoese-stimulierende Substanzen (ESA) empfohlen (1). Eine Therapie mit intravenöser Gabe von Eisen (oder oraler Eisengabe im Falle einer nicht-dialysepflichtigen CKD) wird bei einem Ferritin von ≤ 500 μg/l und einer Transferrinsättigung von ≤ 30% empfohlen. Die Gabe von ESA sollte bei einem Hämoglobin < 100 g/l begonnen werden. Mehrere Studien konnten zeigen, dass eine Normalisierung des Hämoglobinwerts bei CKD Patienten mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfall, Hypertonie sowie Probleme mit dem Gefässzugang für die Dialyse einhergeht, weshalb ein Anstieg des Hämoglobins auf einen Wert > 130 g/l gemieden werden sollte. Des Weiteren wird die adjuvante Gabe von Androgenen, Vitamin C, Vitamin D, Folsäure, ­Vitamin E, L-Carnitin und Pentoxifyllin zur Behandlung einer renalen Anämie nicht empfohlen. Die Gabe von Erythrozyten-Konzentraten sollte ebenfalls – insbesondere bei Patienten, die für eine Transplantation vorgesehen sind – möglichst gemieden werden (Gefahr der Immunisierung mit Bildung von Antikörpern).

Renal bedingte Knochenstoffwechselerkrankung
In den letzten Jahren konnte mit der Entdeckung neuer Parameter wie z. B. Fibroblast growth factor-23 (FGF-23) sowie neuen Studiendaten die Pathophysiologie der renal bedingten Knochenstoffwechselkrankheit besser verstanden werden, was wiederum dazu geführt hat, dass die internationalen Richtlinien aus dem Jahre 2009 kürzlich (Juli 2017) überarbeitet wurden (14). Entsprechend wird die Bestimmung von Calcium, Phosphat, intaktem Parathormon, alkalischer Phosphatase und 25-OH-Vitamin D3 ab CKD Stadium G3 empfohlen. Im Stadium CKD G3a-b sollte dies 1–2 x jährlich und im Stadium CKD G4 2–3 x jährlich durchgeführt werden. Bei CKD Patienten im Stadium G5 sollten Calcium und Phosphat 1- bis 3-monatlich und Parathormon 3- bis 6-monatlich untersucht werden. Die Bestimmung der alkalischen Phosphatase wird bei CKD Stadium G4 und G5 1x jährlich empfohlen. Die 25-OH-Vitamin D3 Bestimmung soll ebenfalls bei CKD Stadium G3a bis G5 regelmässig durchgeführt werden. Das Ziel der Therapie ist die Normalisierung des Phosphatwerts im Serum ohne Veränderungen des Serumcalciums (Hypercalciämie vermeiden). Als erste therapeutische Massnahme wird eine diätetische Phosphatrestriktion empfohlen, die im Verlauf mit Phosphatbindern ergänzt werden kann. Die früher noch häufig eingesetzten Aluminium-haltigen Phosphatbinder werden aufgrund der Gefahr einer Aluminiumintoxikation heute nicht mehr eingesetzt. Zur Auswahl stehen heute sowohl Calcium-haltige als auch Nicht-Calcium-haltige Phosphatbinder. Da jedoch durch die Gabe von Calcium Gefässverkalkungen zunehmen können, sollen diese insbesondere bei längerer Therapie- dauer bei Dialysepatienten nur limitiert eingesetzt werden. Bezüglich der Zielwerte für intaktes Parathormon im Stadium CKD G3 bis G5 gibt es zurzeit keine Empfehlungen. Bei Dialysepatienten sollte das Parathormon im Bereich des 2- bis 9-fachen des oberen Grenzwerts liegen. Falls die Indikation für eine PTH-senkende Therapie besteht, kommen Calcitriol (aktives Vitamin D3) oder Vitamin D Analoga zum Einsatz. Calcimimetika werden bisher nur bei dialysepflichtigen Patienten empfohlen. Bei Versagen der medikamentösen Therapie kann eine Parathyreoidektomie durchgeführt werden. Des Weiteren gibt es Hinweise, dass die Senkung von FGF-23 für CKD Patienten von Vorteil wäre. Somit werden mit Spannung zurzeit Studienergebnisse erwartet, die speziell den Effekt von Calcitriol und Calcimimetika auf FGF-23 untersuchen, da beide Medikamente einen unterschiedlichen Einfluss auf FGF-23 aufweisen (14).

Lipidprofil
Bei allen CKD Patienten wird eine Untersuchung des Lipidstatus empfohlen (15). Eine lipidsenkende Therapie ist gemäss den KDIGO Richtlinien bei allen ≥ 50-Jährigen CKD Patienten im Stadium G1 bis G5, die nicht dialysepflichtig sind, indiziert. Bei Dialysepatienten wiederum soll eine Therapie nicht begonnen werden, kann jedoch − falls vorbestehend − auch nach Dialysebeginn fortgeführt werden. Bei 18- bis 49-jährigen CKD Patienten (nicht-dialysepflichtig) wird ebenfalls bei Vorhandensein von folgenden Risikofaktoren eine lipidsenkende Therapie empfohlen:
1. Koronare Herzkrankheit
2. Diabetes mellitus
3. Schlaganfall
4. Geschätztes 10-Jahres-Risiko für kardiovaskulärem Tod oder Myokardinfarkt von > 10%
Bei Vorliegen einer Hypertriglyceridämie werden bei CKD Patienten (inkl. Dialysepatienten) Lebensstil-verändernde Massnahmen empfohlen (15).

Nephroprotektion und Progressionsverlangsamung

Der natürliche Verlauf einer chronischen Nierenerkrankung beinhaltet das langsame Fortschreiten mit einem kontinuierlichen GFR-Verlust über die Jahre, welches unabhängig von der zugrundeliegenden Nierenerkrankung ist. Daher ist eine optimale Einstellung der Progressionsfaktoren wie z. B. der Hypertonie oder Proteinurie für die Progressionsverlangsamung von grösster Bedeutung und bilden somit die Basis der nephroprotektiven Therapie (1). Weitere wichtige Progressionsfaktoren sind Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Hyperglykämie, Dyslipidämie, Nikotinabusus, Adipositas, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Einnahme von nephrotoxischen Medikamenten und weitere.

Blutdruckeinstellung
Die am besten untersuchte und somit wichtigste Massnahme zur Progressionsverlangsamung einer chronischen Niereninsuffi­zienz ist die Blutdruckeinstellung. Dabei ist der Nutzen unabhängig von der Wahl des antihypertensiven Medikaments (16). Allerdings können bestimmte Medikamente sowohl den Blutdruck senken als auch die Proteinurie signifikant reduzieren (durch Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS)), weshalb diese – falls möglich – als das Medikament erster Wahl gegeben werden sollen. Durch die RAAS-Blockade wird der intraglomeruläre Druck gesenkt, was in der Folge zur Reduktion der GFR aber auch der Proteinurie führt.
Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass auch Anpassungen des Lebensstils (Gewichtsreduktion, geringe Salzzufuhr, regelmässige körperliche Aktivität etc.) auch bei CKD Patienten sich günstig auf den Blutdruck auswirken können.
Der optimale Ziel-Blutdruck sollte dabei individuell anhand von Alter, Begleiterkrankungen, Progressionsrisiko, Vorhandensein einer diabetischen Retinopathie sowie Therapietoleranz festgelegt werden. Beispielsweise sollte gerade bei älteren CKD Patienten auf orthostatische Nebenwirkungen der antihypertensiven Behandlung geachtet werden. Bei CKD Patienten mit einer Albuminurie von < 30 mg/Tag und einem Office-Blutdruck von > 140 mm Hg systolisch oder > 90 mm Hg diastolisch wird ein Ziel-Blutdruck von < 140/90 mm Hg empfohlen. Im Falle einer Albuminurie von > 30 mg/Tag sowie einem Office-Blutdruck von > 130 mm Hg systolisch oder > 80 mm Hg diastolisch sollte der Ziel-Blutdruck < 130/80 mm Hg betragen. Bei Diabetikern mit CKD sowie einer Albuminurie von 30–300 mg / Tag wird der Einsatz von ACE (Angiotensin-Converting-Enzym)-Hemmern bzw. ARB (Angiotensin-Rezeptor-Blocker) empfohlen. Des Weiteren sollten ACE-Hemmer sowie ARB bei allen CKD Patienten mit einer Albuminurie von > 300 mg / Tag eingesetzt werden. Nach Therapiebeginn mit einem ACE-Hemmer oder ARB kann das Kreatinin stabil bleiben, leicht ansteigen (< 30%) oder um mehr als 30% ansteigen (17). Daher sollte das Kreatinin nach 1 bis 2 Wochen kontrolliert werden. Falls es zu einem Kreatininanstieg von > 30% kommen sollte und keine sonstigen nephrotoxischen Medikamente eingenommen werden, sollte ein Wechsel des Antihypertensivums (z. B. auf einen Calciumantagonisten) vorgenommen werden. Des Weiteren kann eine zusätzliche Gabe von Diuretika, NSAR sowie ein Volumenmangel den Effekt einer RAAS-Blockade verstärken und somit bei CKD-Patienten zum raschen Abfall der GFR führen. Von einer kombinierten ACE-Hemmer und ARB Therapie wird aufgrund von fehlender Evidenz eher abgeraten (16). Die Diskussion um optimale Zielwerte ist allerdings noch nicht abgeschlossen und auch die viel zitierte SPRINT-Studie (19) konnte diese Frage bisher nicht abschliessend beantworten.

Vermeidung nephrotoxischer Medikamente
Die Gabe von Medikamenten bei CKD Patienten sollte sehr sorgfältig erfolgen, um die Nieren nicht weiter zu schädigen. Hierbei gibt es verschiedene Medikamentengruppen wie z. B. Aminoglykoside, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Virustatika, Antimykotika (Imidazole, Amphotericin B) und andere wie phosphathaltige Abführmittel die bei CKD Patienten möglichst gemieden werden sollten bzw. mit grosser Vorsicht eingesetzt werden sollten. Für viele Jahre galten auch die jodhaltigen intravenös applizierten Kontrastmittel als potentiell nephrotoxisch. Allerdings gab es in den letzten Jahren mehrere Studien, die einen kausalen Zusammenhang vermehrt in Frage stellen (18). Gemäss den Richtlinien ist jedoch weiterhin beim Einsatz dieser Kontrastmittel bei einer eGFR < 60 ml/min auf folgende Punkte zu achten (1):
1. Keine hoch-osmolare Kontrastmittel verwenden
2. Die geringste Menge Kontrastmittel benutzen
3. Vor und nach der Prozedur keine anderen nephrotoxischen Substanzen einsetzen
4. Empfehlung zur Hydrierung mit NaCl-Lösung vor, während und nach der Untersuchung
5. eGFR-Kontrolle 48–96 Stunden nach dem Einsatz von Kontrastmittel

Auch der Einsatz von Gadolinium-haltigem Kontrastmittel (MRI-Untersuchung) muss bei Patienten mit CKD mit Vorsicht erfolgen. Bei Patienten mit einer eGFR von < 15 ml/min sollten diese Kontrastmittel aufgrund der Gefahr einer nephrogenen systemischen Fibrose nicht eingesetzt werden. Falls bei Patienten mit einer eGFR < 30 ml/min die Gabe von Gadolinium-haltigen Kontrastmittel indiziert ist sollten möglichst makrozyklische Präparationen ausgewählt werden (19). Ebenfalls zu erwähnen ist der potentiell nephrotoxische Effekt von Phosphat-haltigen oralen Präparationen für die Koloskopie-Vorbereitung. Bei CKD Patienten mit einer eGFR < 60 ml/min sollten diese aufgrund des hohen Risikos für eine Phosphat-Nephropathie nicht eingesetzt werden. Nicht zuletzt sollte bei allen CKD Patienten darauf geachtet werden, dass – falls indiziert – eine Dosisanpassung aller Medikamente an die Nierenfunktion erfolgt.

Danksagung: Ich danke Prof. Dr. R. P. Wüthrich für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die wertvollen Kommentare.

PD Dr. med. Nilufar Mohebbi

Klinik für Nephrologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Praxis und Dialysezentrum Zürich-City AG
Stockerstrasse 50
8002 Zürich

Nilufar.Mohebbi@usz.ch

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte in ­Zusammenhang mit diesem Beitrag.

  • Eine metabolische Azidose, eine renale Anämie und renal bedingte Knochenstoffwechselerkrankungen sind für die Lebensqualität und Prognose der Betroffenen von Bedeutung.
  • Die wichtigsten Massnahmen zur Progressionshemmung sind die optimale Blutdruckeinstellung, Reduktion der Proteinurie und das Vermeiden von nephrotoxischen Substanzen.
  • Die rechtzeitige nephrologische Zuweisung sowie die enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Nephrologen ermöglichen nicht nur eine optimale Therapie sondern sind auch für die Progressionsverlangsamung, Erkennung und Behandlung von Komplikationen sowie die rechtzeitige Planung einer Nierenersatztherapie inkl. Nierentransplantation von grosser Bedeutung.

Literatur:
1. Group KDIGOKCW. KDIGO 2012 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney International Suppl. 2013;3(1):150.
2. T W. Kreatin Supplementation und Nierenfunktion: Reines Kreatin ist nicht schädlich für die Nieren! Swiss medical forum. 2013;13(42):3.
3. Cockcroft DW, Gault MH. Prediction of creatinine clearance from serum creatinine. Nephron. 1976;16(1):31-41. Epub 1976/01/01.
4. Levey AS, Bosch JP, Lewis JB, Greene T, Rogers N, Roth D. A more accurate method to estimate glomerular filtration rate from serum creatinine: a new prediction equation. Modification of Diet in Renal Disease Study Group. Annals of internal medicine. 1999;130(6):461-70. Epub 1999/03/13.
5. K/DOQI clinical practice guidelines for chronic kidney disease: evaluation, classification, and stratification. American journal of kidney diseases : the official journal of the National Kidney Foundation. 2002;39(2 Suppl 1):S1-266. Epub 2002/03/21.
6. Inker LA, Schmid CH, Tighiouart H, Eckfeldt JH, Feldman HI, Greene T, et al. Estimating glomerular filtration rate from serum creatinine and cystatin C. The New England journal of medicine. 2012;367(1):20-9. Epub 2012/07/06.
7. Coresh J, Turin TC, Matsushita K, Sang Y, Ballew SH, Appel LJ, et al. Decline in estimated glomerular filtration rate and subsequent risk of end-stage renal disease and mortality. Jama. 2014;311(24):2518-31. Epub 2014/06/04.
8. Gansevoort RT, Matsushita K, van der Velde M, Astor BC, Woodward M, Levey AS, et al. Lower estimated GFR and higher albuminuria are associated with adverse kidney outcomes. A collaborative meta-analysis of general and high-risk population cohorts. Kidney international. 2011;80(1):93-104. Epub 2011/02/04.
9. Astor BC, Matsushita K, Gansevoort RT, van der Velde M, Woodward M, Levey AS, et al. Lower estimated glomerular filtration rate and higher albuminuria are associated with mortality and end-stage renal disease. A collaborative meta-analysis of kidney disease population cohorts. Kidney international. 2011;79(12):1331-40. Epub 2011/02/04.
10. Wetzels JF, Kiemeney LA, Swinkels DW, Willems HL, den Heijer M. Age- and gender-specific reference values of estimated GFR in Caucasians: the Nijmegen Biomedical Study. Kidney international. 2007;72(5):632-7. Epub 2007/06/15.
11. de Brito-Ashurst I, Varagunam M, Raftery MJ, Yaqoob MM. Bicarbonate supplementation slows progression of CKD and improves nutritional status. Journal of the American Society of Nephrology : JASN. 2009;20(9):2075-84. Epub 2009/07/18.
12. Phisitkul S, Khanna A, Simoni J, Broglio K, Sheather S, Rajab MH, et al. Amelioration of metabolic acidosis in patients with low GFR reduced kidney endothelin production and kidney injury, and better preserved GFR. Kidney international. 2010;77(7):617-23. Epub 2010/01/15.
13. Mahajan A, Simoni J, Sheather SJ, Broglio KR, Rajab MH, Wesson DE. Daily oral sodium bicarbonate preserves glomerular filtration rate by slowing its decline in early hypertensive nephropathy. Kidney international. 2010;78(3):303-9. Epub 2010/05/07.
14. KDIGO 2017 CLINICAL PRACTICE GUIDELINE UPDATE FOR THE DIAGNOSIS, EVALUATION, PREVENTION, AND TREATMENT OF CHRONIC KIDNEY DISEASE–MINERAL AND BONE DISORDER (CKD-MBD). Kidney International Suppl. 2017;7(1):60.
15. KDIGO Clinical Practice Guideline for Lipid Management in Chronic Kidney Disease. Kidney International Suppl. 2013;3(3):47.
16. KDIGO Clinical Practice Guideline for the Management of Blood Pressure in Chronic Kidney Disease Kidney International Suppl. 2012;2(5):77.
17. Wenzel UO. Angiotensin-converting enzyme inhibitors and progression of renal disease: evidence from clinical studies. Contributions to nephrology. 2001(135):200-11. Epub 2001/11/14.
18. Wilhelm-Leen E, Montez-Rath ME, Chertow G. Estimating the Risk of Radiocontrast-Associated Nephropathy. Journal of the American Society of Nephrology : JASN. 2017;28(2):653-9. Epub 2016/10/01.
19. Perazella MA. Current status of gadolinium toxicity in patients with kidney disease. Clinical journal of the American Society of Nephrology : CJASN. 2009;4(2):461-9. Epub 2009/02/10.

Behandlungsmöglichkeiten bei schmerzhafter Polyneuropathie

Die pharmakologischen Behandlungen für schmerzhafte Poly-neuropathie haben sich seit mehr als einem Jahrzehnt nicht wesentlich verändert und weniger als die Hälfte der Patienten erlangen eine adäquate Schmerzlinderung durch Erstlinienbehandlungen. Daher wird nach individuellen Prädikatoren gesucht, die eine Optimierung der Therapie erlauben könnten.

Zu diesem Zweck analysierten Forscher der dänischen Universitäten von Odense und Aarhus Daten aus vier veröffentlichten randomisierten, kontrollierten Studien zur medikamentösen Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien, um zu testen, ob ein ursächlicher Diabetes mellitus und die Dauer der neuropathischen Schmerzen einen Einfluss auf die Wirksamkeit der Medikamente hätten. Die Studien hatten ein Cross-Over-Design und waren ähnlich in Bezug auf Ergebnisaufzeichnungen und Registrierung von basalen Symptomen, Zeichen und quantitativen sensorischen Tests. Es wurden 244 Patientenakten über die Behandlung mit drei Antidepressiva (Imipramin, Venlafaxin, Escitalopram) und zwei Antikonvulsiva (Pregabalin, Oxcarbazepin) analysiert.
Diabetes als Ursache der Polyneuropathie hatte keinen Einfluss auf die Wirkung der Antidepressiva Imipramin, Venlafaxin oder Escitalopram, es bestand aber eine signifikante Interaktion mit dem Effekt von Antikonvulsiva bei Diabetikern (0,86 Punkte auf der numerischen Bewertungsskala (NRS-Punkte), p = 0,021) mit der stärksten Interaktion für Oxcarbazepin (1,47 NRS-Punkte, p = 0,032). Bezüglich Dauer der neuropathischen Schmerzen und der Behandlung mit Antidepressiva ergab sich eine Interaktion zugunsten einer besseren Wirkung bei Fällen mit einer Symptomdauer von weniger als 3 Jahren (0,62 NRS-Punkte, p = 0,036). Hingegen wirkten Antikonvulsiva tendenziell am besten bei einer Dauer der Schmerzen von mehr als 3 Jahren.
Die Autoren sind der Ansicht, dass trotz der geringen Stichprobengrösse und der begrenzten Anzahl von Medikamenten der Schluss gezogen werden kann, dass eine diabetische Ätiologie der
Polyneuropathie mit besserer Wirksamkeit von Antikonvulsiva zur Schmerzbehandlung assoziiert sei und bei kurzer Dauer der neuropathischen Schmerzen mit besserer Wirksamkeit von Anti-
depressiva.

Quelle: Impact of etiology and duration of pain on pharmacological treatment effects in painful polyneuropathy. Sindrup SH et al.: Eur J Pain 2017;21:1443-50

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich

Schulthess_hk@swissonline.ch

Canagliflozin als Behandlungsoption

Canagliflozin wurde vom Leitlinienausschuss der «American Diabetes Association (ADA)» und der «European Association for the Study of Diabetes (EASD)» als wichtige Behandlungsoption bei der frühen Behandlung von Patienten mit Typ 2 Diabetes (T2DM) und etablierter atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankung (ASCVD), Herzinsuffizienz (HF), chronischen Nierenerkrankungen (CKD) und als Teil der Gewichtskontrolle empfohlen. Darüber hinaus wurden SGLT-2-Inhibitoren (SGLT2i’s) nun als einzige orale Medikamente nach Metformin bei T2DM-Patienten mit etablierter ASCVD, HF, CKD und Gewicht empfohlen, mit Canagliflozin und Empagliflozin als bevorzugte SGLT2i-Behandlungsoptionen für diese Patienten (1).
Die Leitlinien betonen ferner die Bedeutung von Ärzten, die personalisierte Behandlungsmöglichkeiten anbieten, die auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten abgestimmt sind.
Die Aufnahme von Canagliflozin in die Leitlinien wurde durch die jüngste Entscheidung der EG unterstützt, das Canagliflozin-Label zu erweitern. Dies basierte auf den positiven Ergebnissen des CANVAS-Programms, der bisher grössten abgeschlossenen und veröffentlichten CV-Ergebnisstudie für einen SGLT2i. Diese Studie umfasste sowohl primäre als auch sekundäre Präventionspatienten und zeigte, dass Canagliflozin das primäre Ergebnis erreichte, d.h. eine Reduktion des relativen Risikos von schweren unerwünschten kardiovaskulären (CV) Ereignissen (MACE) um 14% und von HF um 33%. Darüber hinaus gab es Nierenvorteile in Form einer Verringerung der Verdoppelung des Serumkreatinins, der Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie und des Nierentodes um 47%. Auch eine 27%ige Reduktion des Fortschreitens der Albuminurie bei Menschen mit T2DM mit einer Vorgeschichte von CV Erkrankungen oder mindestens zwei CV Risikofaktoren konnte festgestellt werden (2, 3).
Ein Vergleich der Ergebnisse verschiedener Studien mit unterschiedlichen Studiendesigns und Patientengruppen ist schwierig. So wurden beispielsweise bei etablierter ASCVD die vom Komitee überprüften Daten mit Empagliflozin in der EMPA-REG-​
Studie als «moderat» stärker angesehen als die CANVAS-Daten mit Canagliflozin. Dies ist allerdings keine ausgewogene Interpretation der Daten, da die EMPA-REG-Studie für Patienten mit etablierter CV Erkrankung angereichert wurde, wobei die ASCVD-Population 15,4% der Patienten in der realen Welt ausmacht (4). Obwohl das CANVAS-Programm breiter und anwendbarer für eine reale Kohorte im Vergleich zur EMPA-REG-Studie (50.5% gegenüber 15.4%) war, zeigte Canagliflozin innerhalb der breiteren Kohorte von CANVAS eine ähnliche relative Risikoreduktion wie sie in EMPA-REG beobachtet wurde (14% gegenüber 14%).
Betrachtet man jedoch Patienten mit etablierter CV-Erkrankung, so steigt die Zahl auf 18%. Dies illustriert die Schwierigkeit, Studien mit verschiedenen Patientenpopulationen zu vergleichen.
Angesichts der potenziell vielversprechenden vollständigen Studienergebnisse von CREDENCE (5) am Horizont werden weitere Gespräche mit dem ADA/EASD-Leitlinienausschuss über den signifikanten Beitrag von Canagliflozin für T2DM-Patienten als führende Option im Behandlungspfad bei diesen Patienten für die nächste Aktualisierung der ADA/EASD-Leitlinien begrüsst.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Literatur:
1. Davies M et al. Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018.
A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the
European Association for the Study of Diabetes (EASD), Dabetes Care 2018;
Oct 4 pii.dci180033; doi 10.2337/dci18-0033 (Epub ahead of print)
2. Perkovic V et al. Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes: results from the CANVAS Programme randomised clinical trials, 2018; Lancet Diabetes &
Endocrinology. 2018;6:691-704
3. Neal B et al. Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes: N Engl J Med 2017; 377:644-657.
4. Zinman, B et al. Empagliflozin, cardiovascular outcomes and mortality in type 2 diabetes, November 2015: New Engl J Med 2015; 373:2117-2128.
5. Jardine MJ et al The canagliflozin and renal endpoints in diabetes with established nephropathy clinical evaluation (CREDENCE) study: rationale, design and baseline characteristics. Am J Nephrol 2017;13:462-472

Geniessen zwischen Arosa und Davos

Diese Wanderung habe ich meiner Frau als Überraschung und zum Geniessen geschenkt. Was liegt da näher als das Heimeli
in Sapün – Name ist Programm. Das Heimeli liegt oberhalb des Weilers Chüpfen, am Weg von Langwies zum Strelapass. Es ist ein altes Walserhaus mit einer über dreihunderjährigen Geschichte. Seit über hundert Jahren dient es als Gasthaus und Herberge. Das Lärchenholz der Aussenwände ist vom Wetter gegerbt und von der Sonne verbrannt. Betritt man die Herberge, so glaubt man sich in eine andere Zeit zurückversetzt. Den Gast erwarten gemütliche Holzstuben und eben heimelige Zimmer, in denen es sich herrlich träumen lässt.
Am Nachmittag des ersten Tages lassen wir die Seele baumeln und geniessen im Liegestuhl die warme Augustsonne. Weit oben in den Planggen der Chüpfenflue können wir mit dem Feldstecher ein grosses Rudel von über 40 Hirschen beobachten und die Geländegängigkeit dieser Tiere bewundern. Es scheint als ahnen sie die nahende Jagd und haben sich deshalb ins Banngebiet zurückgezogen.
Wir sind mit dem Auto angereist, da wir für den zweiten Tag eine grössere Rundwanderung planen und uns danach den langen Abstieg nach Langwies ersparen wollen. Das schmale Natur­strässchen von Langwies nach Sapün ist stellenweise sehr steil und etwas abenteuerlich, sicher nichts für tiefergelegte Fahrzeuge und schwache Nerven. Am Nachmittag auf der Terrasse werden wir mit warmen Pilzen auf einem frischen, reich mit Früchten garnierten Salat und später mit Malanser Schaumwein verwöhnt, am Abend in der Gaststube mit einem herrlich mundenden Wildschweinpfeffer, den wir mit einem fruchtigen Pinot Noir aus der Bündner Herrschaft veredeln. Wer am Heimeli vorbeigeht, tut sich wahrlich keinen Gefallen.
Ausgeruht steigen wir am nächsten Morgen zum Strelapass auf. Die Sicht ist klar und reicht im Osten über das Schanfigg hinaus bis zum Tödi und Oberalpstock. Nach Westen öffnet sich dann das Panorama auf dem weiteren Höhenweg vom Silvretta-Massiv über das Flüela-Wiss- und -Schwarzhorn bis hin zum Piz Kesch und Piz d’Err, zu den Bergeller Bergen sowie gegen den Piz Ela und die Corn da Tinizong hin, um nur einige der markantesten Gebirgsgruppen und Berge zu nennen. Zu unseren Füssen liegen die Täler Flüela, Dischma und Sertig sowie jene im Monsteingebiet.

Auf dem Strelapass wenden wir uns gegen Südwesten und folgen dem Höhenweg zur Latschüelfurgga zwischen Chüpfenflue und Wannengrat. Im Westen liegen der Trittpass und die Mederger Flue. Auf dem Pass habe ich vor vielen Jahren einmal während einer
längeren Alpenquerung gezeltet und auf der Mederger Flue den Sonnenuntergang genossen – ein unvergessliches Erlebnis. Wir queren zum Sattel zwischen Wannengrat und Chörbsch Horn und weiterhin gegen Südwesten zur Chörbschhornhütte. Im Westen können wir nun die Schwifurgga zwischen Mederger Flue und Schafgrind sehen, unserem nächsten Ziel, das wir durch das Tälchen des Sutzibachs in kurzer Zeit erreichen (Abb. 1 und 2). Hier wimmelt es nur so von Murmeltieren und wir können ein neugieriges Jungtier aus unmittelbarer Nähe beobachten.
Der Abstieg von der Schwifurgga nach Tieja, zwischen den Kalksteinwänden der Mederger und Tiejer Flue hindurch, ist im oberen Teil sehr abschüssig und rutschig. Vorsicht ist also geboten. Mehrere grosse Murzüge lassen die Gefährlichkeit der Hänge bei lang anhaltendem Regen erkennen. Von Tieja über Tschuggen nach Medergen folgen wir einem Fahrsträsschen (Abb. 3). Herrlich ist dabei der weite Rundblick über das Schanfigg. Im Restaurant Alpenrose kehren wir zu einer Erfrischung ein, bevor wir über eine sanfte Gegensteigung die Wangegg umrunden und über die Chüpferalp in Richtung des gleichnamigen Weilers von Sapün absteigen. Oberhalb von Chüpfen zweigt ein schmaler Pfad ab, über den wir direkt zum Heimeli hinüberqueren können (Abb. 4). Auch hier haben mehrere Murgänge den ehemaligen Weg verschüttet und das Anlegen einer neuen Trasse mit Brücke über den Sapüner Bach notwendig gemacht.
Nach einer erfrischenden Dusche beschliessen wir diese bezaubernden zwei Tage mit einem erneut köstlichen Abendessen, u.a. mit einem Sapüner Cordon bleu, das durch eine herrliche Füllung mit Rohschinken, Pilzen und Käse besticht, während oben in der Wand der Chüpfer Flue die Hirsche wieder auftauchen.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

Sichelzellerkrankung

In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme der Sichelzellerkrankung in unseren Breitengraden zu verzeichnen. Grund dafür sind die Flüchtlingsströme der letzten Jahre, wobei Menschen mit Sichelzellanämie aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Europa gekommen sind und noch immer kommen. Nicht nur die Hämatologen, sondern auch die Kollegen der Notfallmedizin sind gefordert. Eine Übersicht über die akuten und chronischen Komplikationen dieser für uns seltenen Krankheit und deren Therapie sind hier dargestellt.

Im Englischen wird die Sichelzellerkrankung mit dem Überbegriff „sickle cell disease“ bezeichnet. Dabei werden genetisch unterschiedliche Krankheiten zusammengefasst, die sich klinisch ähnlich äussern. Weitaus am häufigsten ist die homozygote Mutation in der Betaglobulinkette des Hämoglobins (Hb), wobei an der Position 6 ein Valin durch ein Glutamin ersetzt wird (Genotyp HbSS). Als Variante kann auch ein Gemisch aus einer heterozygoten Sichelbetaglobulinmutation mit einer anderen Betaglobulinmutation vorliegen. Erwähnenswert ist zudem die verhältnismässig häufige Kombination mit einer Thalassämie. Dabei ist die Sichelzell-Beta-Thalassämie klinisch am relevantesten. Je nachdem ob noch eine Restproduktion von Betaglobulinketten vorliegt, kann dabei zwischen Sichelzell-Beta+ Thalassämie (gehäuft bei Afro-Amerikanern) oder Sichelzell-Beta0 Thalassämie (gehäuft in Griechenland, Mittelmeerregion und mittlerem Osten) unterschieden werden.
Normales deoxygeniertes Hb ist im Erythrozyten (EC) gut löslich. Deoxygeniertes HbS jedoch agglutiniert schnell. Dies führt, zusammen mit einer Veränderung der Struktur und Funktion der EC-Membran sowie einer gestörten Kontrolle des Zellvolumens, zur Sichelform der EC. Die Sichelzellen weisen zudem eine erhöhte Adhärenz an Gefässendothelien auf.
Von der Sichelzellerkrankung heterozygot Betroffene entwickelten über die Jahrmillionen einen Selektionsvorteil. Die Anfälligkeit für Malaria ist geringer, da die Plasmodien in den Sichelzellen weniger lange überleben.

Diagnose

Wenn auch selten, so finden sich klassischerweise im mikroskopischen Ausstrich die sichelförmig verzogenen EC, die Sichelzellen. Daneben sind eine Polychromasie und Howell Jolly Körperchen als Zeichen einer funktionellen Asplenie häufig. Mittels Analyse des HbS (zum Beispiel Hb-Elektrophorese) kann die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden.

Klinik

Für die Klinik der Sichelzellerkrankung hauptverantwortlich sind folgende zwei Pathomechanismen: einerseits eine Hämolyse, andererseits Gefässverschlüsse durch Agglutinieren von ECs. Daraus lassen sich in der Folge die akuten und chronischen Komplikationen der Erkrankung herleiten.

Akute Komplikationen
Eine chronisch kompensierte hämolytische Anämie kann sich akut verschlechtern. Ursachen hierfür können eine aplastische Krise (zum Beispiel durch einen Infekt mit Parvovirus B19), Hyperhämolyse oder Milzsequestration sein.
Starke Schmerzen als Folge eines Gefässverschlusses sind für die Sichelpatienten klinisch mit am belastendsten. Sind beispielsweise die Mesenterialgefässe verschlossen, kommt es als Folge der Infarzierung zu einem paralytischen Ileus (auch Girdle Syndrom genannt). Prinzipiell können durch die Gefässverschlüsse alle Organsysteme betroffen sein, so dass es zu ophthalmologischen Syndromen (Retinalarterienokklusion, Glaskörpereinblutung, Amotio), Niereninfarkten, akuten neurologischen Komplikationen (das Risiko für einen Krampfanfall ist 3 x häufiger als in der Normalbevölkerung), Priapismus, Schwangerschaftskomplikationen und venösen Thromboembolien kommen kann.

Ein besonderes Augenmerk ist auf die folgenden beiden akuten Komplikationen zu legen:
1. Akutes Thoraxsyndrom, englisch Acute Chest Syndrome (ACS). Die Mortalität des ACS beträgt bei den Erwachsenen bis 10%. 50% aller Sichelzellpatienten erleiden in ihrem Leben ein ACS. Es tritt häufig ohne ersichtlichen Grund auf, kann aber mit einem viralen Infekt oder lokalen Traumata assoziiert sein (Tabelle 1). Differenzialdiagnostisch kommen für das ACS primär Lungenembolien, eine Pneumonie oder ein akutes Koronarsyndrom in Frage. Während Lungenembolien und Pneumonien sehr häufig sind, erleiden Sichelzellpatienten bezogen zur Normalbevölkerung nur selten einen Herzinfarkt. Grund dafür ist ein optimaleres Lipidprofil mit tieferen Werten von LDL und totalem Cholesterin (1).
2. Infekte. Diese sind nebst ACS Hauptursache für die Morbi-
dität und Mortalität der Sichelzellerkrankung. Das Leitsymptom ist dabei Fieber. Allerdings kann Fieber auch bei anderen sichelzelltypischen Erkrankungen wie dem ACS auftreten. Zu den häufigsten nachgewiesenen Erregern zählen Strept. pneumoniae, Salmonella spp., Hämophilus influenzae Typ b, E. coli, Staph. aureus. Insbesondere ist das Infektrisiko auf Grund einer funktionellen Asplenie (siehe unten) auch für andere bekapselte Erreger wie zum Beispiel Meningokokken erhöht.

Chronische Komplikationen
Unter der repetitiven Vasookklusion leiden alle Organe. Über die Jahre kann es zu kognitiven Einschränkungen, poliferativer Retinopathie, Kardiomyopathie, pulmonaler Hypertonie, Niereninsuffizienz, Cholezystolithiasis, Osteonekrose, Beinulcera, erektiler Dysfunktion, verzögerter Pubertät und Kleinwuchs kommen.
Die wichtigste Langzeitkomplikation ist eine funktionelle Hypo- bis Asplenie. Dies manifestiert sich bereits in jungen Jahren und zieht ein erhöhtes Infektrisiko mit sich.

Management und Therpie

Die Therapie der Sichelzellerkrankung ist vielschichtig:

Prävention:
1. Screening: Pränatal erfolgt das Screening mittels DNA-PCR aus einer Chorionzottenbiopsie. Eine liquid biopsy bei der Mutter hat aktuell (noch) keinen Stellenwert. Weil das HbS erst in den ersten Lebenswochen durch sukzessiven Ersatz des HbF entsteht, liefert die Hb-Elektrophorese beim Neugeborenen falsch-negative Resultate.
2. Schulung der Patienten: Beispielsweise sollten sich Sichelzellpatienten bei Fieber über 38.5°Celsius sofort in ärztliche Behandlung begeben.
3. Impfungen: Gegen Erreger, gegen welche Impfungen vorhanden sind, sollte geimpft werden (Pneumokokken, H. influenzae, Meningokokken und Influenza).
4. Penicillinprophylaxe: Bereits kleinste Kinder können eine funktionelle Asplenie haben, weswegen ale Kinder unter 5 Jahren eine Penicillinprophylaxe erhalten sollten.

Sichelzellspezifische Therapie

1. Management einer Schmerzkrise
Analgetika. Leichte Schmerzen können mit Paracetamol, nicht-steroidalen Antirheumatika oder Tramadol kontrolliert werden. Bei starken Schmerzen empfiehlt sich ein Opiat, wobei die erste Wahl Morphium und bei eingeschränkter Nierenfunktion Hdromorphon ist.
Sauerstoff. Die periphere Sauerstoffsättigung sollte wenn möglich über 95% liegen.
Flüssigkeit. Die Patienten sind in der Regel auf Grund verminderter Flüssigkeitsaufnahme und veränderter Konzentrierungsmöglichkeit der Niere hypovoläm. Das Ziel ist eine leicht positive Flüssigkeitsbilanz bei stabilem Gewicht.
Thromboseprophylaxe. Zur Vermeidung einer Thrombose wird am besten niedermolekulares Heparin eingesetzt.

2. Transfusion
EC-Transfusionen sind einerseits Prophylaxe, andererseits Therapie einer akuten Vasookklusion wie Insult oder ACS. Transfusionen heben den Hämatokrit und mindern den prozentualen Anteil vom HbS (Ziel wäre < 30%). was beides die Wahrscheinlichkeit einer Vasookklusion senkt. Durch die Transfusionen wird die Produktion von Erythropoietin vermindert, womit folglich weniger HbS produziert wird. Allerdings besteht die Gefahr einer Alloimmunisierung sowie Eisenüberladung. Es kann zwischen Top-up-und Austauschtransfusion unterschieden werden, wobei die Indikationen unterschielich sind (Abb. 1).

3. Hydroxyurea (HU)
Seit Jahrzehnten wird dieses Medikament in der Therapie der myeloproliferativen Erkrankungen eingesetzt. Nebst der Beeinflussung der Zellteilung durch Hemmer der Ribonukleotidreduktase bewirkt HU einen Shift in der Genexpression. Dadurch kommt es zu einer vermehrten Produktion von HbF und die relative Konzentration von HbS sinkt. Der Wirkmechanismus ist bei der Sichelzellerkrankung allerdings noch nicht zu 100% verstanden.

Organspezifische Therapie
Chronisch geschädigte Organe sollten best möglichst unterstützt werden, beispielsweise bei einer Niereninsuffizienz mit ACE-Hemmern.

Kuratio
Die einzige aktuell verfügbare kurative Therapie ist die hämatopoietische Stammzelltransplantation. Die besten Daten hierfür liegen für HLA-identische Familienspender vor (2). Weil durch die Sichelzellerkrankung schon früh viele Organe  geschädigt sein können und eine Transplantation damit schlechter toleriert wird, sollte diese möglichst vor dem Alter von 16 durchgeführt werden.

Experimentelle Therapie
1. Medikamente, die verhindern, dass Erythrozyten am Gefässendothel adhärieren, sind in Entwicklung. Ein Beispiel ist Crizanlizumab. Dieser P-Selectin-Antikörper wird aktuell in einer Phase 3 Studie geprüft, nachdem in einer Phase 2 Studie eine signifikante Verminderung von Schmerzkrisen gezeigt werden konnte (3).
2. Antioxidantien wie L-Glutamin. Auch dieses Medikament führte als Monotherapie oder in Kombination mit Hydroxyurea in einer kürzlich publizierten Studie zu einer Reduktion von Schmerzkrisen (4).
3. Schlussendlich stellt die Sichelzellerkrankung mit ihrerdefinierten genetischen Mutation prinzipiell eine ideale Erkrankung für die Gentherapie dar. Allerdings liegt die Anwendbarkeit für die Klinik noch in weiter Ferne.

Dr. med. Katharina Huss-Mischler

Onkologie KSGR
Loëstrasse 170
7000 Chur

katharina.huss@ksgr.ch

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Beitrag.

  • Auf Grund der Flüchtlingsströme aus Nahost und Afrika kommt es zu einem deutlichen Anstieg von Patienten mit Sichelzellerkrankung in Europa.
  • Die Sichelzellerkrankung ist mit einer signifikanten Morbidität, Mortalität und schlechten Lebensqualität verbunden. Die mittlere Lebenserwartung beträgt < 50 Jahre, die Arbeitslosigkeit und Behinderung liegen bei 30-50%.
  • Dank der heutigen Therapieoptionen konnte die Prognose in den letzten Jahren deutlich verbessert werden.

Literatur:
1. El-Hazmi MA. Cholesterol and triglyceride level in patients with sickle cell anaemia. Scand J Clin Lab Invest. 1987 Jun;47(4):351-4.
2. Gluckman E. Sickle cell disease: an international survey of results of HLA-identical sibling hematopoietic stem cell transplantation. Blood. 2017 Mar 16;129(11):1548-1556.
3. Ataga K.I. Crizanlizumab for the Prevention of Pain Crises in Sickle Cell Disease. N Engl J Med. 2017;376:429-439.
4. Yutaka N. A phase 3 trial of L-Glutamine in sickle cell disease. N Engl J Med 2018;379:226-235.