Praxisassistenz und Curriculum: Bedeutung für den ­Nachwuchs in der Grundversorgung im Kanton Zürich

Praxisassistenzprogramme sowie hausärztliche Curricula bieten einen niederschwelligen und attraktiven Zugang zur Weiterbildung in der Grundversorgung. Dadurch sollen mittelfristig mehr Ärztinnen und Ärzte für eine Karriere in der Grundversorgung gewonnen werden. In dieser Arbeit wurden Ehemalige aus dem Kanton Zürich zu ihrem Karriereverlauf und der inhaltlichen Gestaltung hausärztlicher Curricula befragt. Von 178 Ehemaligen haben 46.6 % (83 Ehemalige) die Umfrage vollständig ausgefüllt. Eine abgeschlossene Weiterbildung haben 79.5 %, und 84.3 % möchten mittelfristig in der Grundversorgung arbeiten. Die Mehrheit hat eine Tätigkeit im Kanton Zürich aufgenommen. Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie wurden als die attraktivsten Fächer im Rahmen eines Curriculums bewertet. Die Resultate dieser Arbeit zeigen, dass die Programme ein wichtiges Instrument zur Förderung des ärztlichen Nachwuchses in der Grundversorgung sind.

Schlüsselwörter: Praxisassistenzprogramm, Praxisassistenz, Curriculum Hausarztmedizin, Schweiz, Zürich

Einleitung

Im Bereich der ambulanten medizinischen Grundversorgung, konkret in der Hausarztmedizin und der Kinder- und Jugendmedizin (KJM), fehlt es in der Schweiz an Ärztinnen und Ärzten. Aufgrund der Demografie der Ärzteschaft wird sich die Situation zunehmend verschärfen, wenn nicht mehr Ärztinnen und Ärzte eine Tätigkeit in diesem Bereich aufnehmen (1, 2). In Anbetracht des bereits spürbaren Mangels wurde in den letzten Jahren die Hausarztmedizin als auch die KJM sowohl in der universitären Ausbildung als auch in der Weiterbildung von Assistenzärztinnen und Assistenzärzten gestärkt.

Konkret ermöglichen Praxisassistenzprogramme jungen Assistenzärztinnen und Assistenzärzten, einen Teil ihrer Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin (AIM) oder KJM in einer Grundversorgerpraxis zu absolvieren (3). Praxisassistenzen stellen für junge Ärztinnen und Ärzte eine konkrete Möglichkeit dar, eine Alternative zur klassischen Spitalmedizin kennenzulernen bzw. zu erleben und damit ein potenzielles Karriereziel zu entdecken. Gleichzeitig ermöglichen die Praxisassistenzen, sich gezielt auf die spätere Tätigkeit in der Grundversorgung vorzubereiten. Die Attraktivität einer Karriere in der Grundversorgermedizin soll durch die Praxisassistenzprogramme somit erhöht und dem Mangel an Grundversorgern mittel- und langfristig begegnet werden. Zusätzlich zu den Praxisassistenzprogrammen bieten viele Kantone hausärztliche Curricula an (4). Diese bestehen neben einer Praxisassistenz aus zusätzlichen Weiterbildungsabschnitten in für die Hausarztmedizin relevanten Fachrichtungen, wie zum Beispiel der Dermatologie oder der Rheumatologie. Neben der unmittelbaren Bedeutung dieser Programme für die Ausbildung junger Ärztinnen und Ärzte erlangen gerade die Praxisassistenzprogramme für die etablierten Arztpraxen eine zunehmende Bedeutung. Viele Fachärztinnen und Fachärzte erreichen bald das Pensionsalter, und aufgrund des Nachwuchsmangels gestalten sich die Rekrutierung von ärztlichem Personal und die Übergabe der eigenen Praxis schwierig. Daten aus den Kantonen Bern und Solothurn zeigen, dass ehemalige Praxisassistentinnen und Praxisassistenten den Einstieg in die Praxistätigkeit häufig in der ehemaligen Lehrpraxis hatten (5, 6). Praxisassistenzprogramme stellen daher auch ein gewolltes Instrument der unmittelbaren Nachwuchsrekrutierung dar. Das Praxisassistenzprogramm im Kanton Zürich wurde über die letzten Jahre kontinuierlich ausgebaut, und aktuell (Stand 2024) können jährlich 42 Praxisassistenzstellen vergeben werden, wovon mindestens 8 Stellen für die KJM reserviert werden. Die verfügbaren Stellen im zweijährigen Curriculum Hausarztmedizin, mit Rotationen in die Dermatologie, Oto-Rhino-Laryngologie (ORL) und Rheumatologie, sind auf Jahre hin ausgebucht. Kenntnisse über eine erfolgreiche Nachwuchsförderung im Rahmen der Programme sowie Kenntnisse darüber, welcher Bedarf an Rotationsstellen im Rahmen hausärztlicher Curricula besteht, sind für die Organisation und den Ausbau der Programme von grosser Bedeutung. Das Ziel dieser Arbeit war es daher zu erheben, wie viele ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte sich für eine Grundversorgertätigkeit entschieden haben und welche Rotationsstellen im Rahmen eines hausärztlichen Curriculums als sinnvoll und damit attraktiv erachtet werden.

Methoden

Die Daten für diese Studie wurden mittels einer Online-umfrage erhoben. Ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem Praxisassistenzprogramm (AA-PA) sowie dem Curriculum Hausarztmedizin (AA-CU), welche ab 2015 an den Programmen teilgenommen hatten, wurden eingeladen, an der Umfrage teilzunehmen. Der Umfragezeitraum war von Dezember 2023 bis Februar 2024.
Die Umfrage bestand aus insgesamt 62 Fragen. Neben allgemeinen Fragen zur Person wurden spezifische Fragen zu den Themenblöcken aktuelle und zukünftige Arbeitssituation sowie zur Ausgestaltung eines Curriculums Hausarztmedizin gestellt. Die Umfrage beinhaltete adaptive Fragestellungen. So wurden zum Beispiel die Fragen zur Ausgestaltung eines Curriculums Hausarztmedizin als Teil des Facharztes AIM nicht an ehemalige AA-PA einer pädiatrischen Praxisassistenz gestellt.

Statistik

Für die Analyse wurden nur die Ergebnisse der vollständig ausgefüllten Fragebögen verwendet (complete case analysis). Die statistische Analyse erfolgte mit der Software R (Version 4.4.0) (7). Die Ergebnisse wurden deskriptiv als absolute Zahlen und Prozentsätze, N (%), für kategoriale oder binäre Variablen und als Mittelwert (Standardabweichung [SD]) für kontinuierliche Variablen dargestellt. Das kumulative Arbeitszeitpensum wurde aus dem Produkt von Anzahl Monaten und dem Arbeitspensum ermittelt (Stellenprozent).

Ethik und Informed Consent

Die Durchführung einer anonymen Onlineumfrage fällt nicht unter das Humanforschungsgesetz, und die kantonale Ethikkommission Zürich bescheinigte die entsprechende Nichtzuständigkeit (Basec Nummer: Req-2023-01085). Alle Teilnehmenden wurden auf der ersten Seite der Umfrage über Ziel und Zweck der Umfrage, die Freiwilligkeit der Teilnahme, die wissenschaftliche Auswertung und Intention zur Publikation der aggregierten Daten informiert. Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und anonym.

Resultate

Die Einladung zur Teilnahme an der Umfrage wurde an 178 ehemalige AA-PA/AA-CU versandt, und 109 (61.3 %) hatten die Onlineumfrage geöffnet. In die Auswertung einbezogen wurden die Antworten von 83 (46.6 %) vollständig ausgefüllten Fragebögen. Diese stammten mehrheitlich von ehemaligen AA-PA AIM (37, 44.6 %) und ehemaligen AA-CU (26, 31.3 %). 20 Antworten (24.1 %) stammten von ehemaligen AA-PA KJM. Das mittlere Alter betrug 36.3 Jahre (SD 4.1), und 72.3 % waren weiblich.

Aktuelle Arbeitssituation

Die Mehrheit der ehemaligen AA-PA/AA-CU (66, 79.5 %) gab an, bereits eine abgeschlossene Weiterbildung zu haben, welche ein eigenverantwortliches Arbeiten in der Grundversorgung erlaubt (Facharzt AIM/KJM oder Praktische Ärztin/Praktischer Arzt). Von diesen gaben 55 (83.3 %) an, in den zwölf Monaten vor Teilnahme an der Umfrage mindestens einen Monat in der Grundversorgung gearbeitet zu haben (Abb. 1). Durchschnittlich wurden 9.7 Monate (SD 3.3) in der Grundversorgung gearbeitet, und 18.2 % arbeiteten in mehr als einer Grundversorgerpraxis. Die Mehrheit (57, 87.7 %) der ehemaligen AA-PA/AA-CU hatte im Kanton Zürich gearbeitet (Abb. 2).
Nach Ende der Praxisassistenzzeit hatten 40 (48.2 %) der ehemaligen AA-PA/AA-CU noch einmal in ihrer alten Lehrpraxis gearbeitet. Von diesen hatten 31 (77.5 %) die Zeit in der Lehrpraxis unmittelbar an die Praxisassistenz verlängert, und 33 (82.5 % bzw. 50 % aller ehemaligen AA-PA/AA-CU mit abgeschlossener Weiterbildung) hatten ihren Praxiseinstieg in ihrer ehemaligen Lehrpraxis.

Karrierepläne der ehemaligen AA-PA/AA-CU

Unabhängig des aktuellen Weiterbildungsstands planen 70 % bzw. 84 % kurzfristig bzw. mittelfristig die Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit (Abb. S1). Bei Ehemaligen mit abgeschlossener Weiterbildung erhöhen sich die Anteile auf 82 % bzw. 89 %. Von den ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche mittelfristig die Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit planen, gab die Mehrheit an, den Entscheid bereits vor (34, 48.6 %) oder während (26, 37.1 %) der Praxisassistenz getroffen zu haben. Von den neun ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche mittelfristig keine Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit planen, gab die Mehrheit an, den Entscheid während (4, 44.4 %) oder nach (3, 33.3 %) der Praxisassistenz getroffen zu haben. Bei acht der neun ehemaligen AA-PA/AA-CU war eine Spitalkarriere das neue Karriereziel. Eine Übersicht über die Faktoren, welche den Entscheid über die zukünftige Karriere der ehemaligen AA-PA/AA-CU mitbeeinflusst haben, ist in Abb. S2 dargestellt. Stratifiziert nach ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche angegeben hatten, mittelfristig in der Grundversorgung zu arbeiten, zeigte sich, dass Faktoren wie der hohe Anteil an klinischer Arbeit und die Arzt-Patienten-Beziehung signifikant häufiger als wichtig bewertet wurden. Im Gegensatz wurden Karrieremöglichkeiten signifikant seltener als wichtig bewertet (Abb. S3).

Zukünftige Curricula in der Hausarztmedizin

Insgesamt haben 21 (56.8 %) der 37 ehemaligen AA-PA AIM berichtet, dass sie gerne an einem Curriculum Hausarztmedizin teilgenommen hätten. Abb. S4 zeigt die für ein Curriculum am relevantesten beurteilten Rotationsstellen. Die Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie wurden dabei als am relevantesten beurteilt. Ambulante Arztpraxen wurden von 95 % der Umfrageteilnehmer als die am ehesten geeigneten Ausbildungsstätten bewertet, wohingegen nur 61 % die Universitätsspitäler als geeignet betrachteten. Grössere und kleinere Spitäler wurden von 87 % bzw. 89 % als geeignet bewertet (Abb. S5).

Diskussion

In dieser Arbeit wurden ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem Zürcher Praxisassistenzprogramm sowie dem Curriculum Hausarztmedizin über ihre aktuelle und geplante Arbeitssituation sowie über als sinnvoll erachtete Rotationen in Bezug auf zukünftige hausärztliche Curricula befragt. Ein Grossteil der ehemaligen AA-PA/AA-CU hat die Weiterbildung bereits abgeschlossen und übt eine Grundversorgertätigkeit im Kanton Zürich aus. Im Hinblick auf hausärztliche Curricula werden die Fächer Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie als die am relevantesten Fächer für eine spätere Grundversorgerkarriere bewertet, und Ausbildungsplätze in diesen Fächern in ambulanten Praxen werden als am vorteilhaftesten angesehen.

Ein Grossteil der ehemaligen AA-PA/AA-CU plant, die aktuelle Grundversorgertätigkeit auch kurz- bzw. mittelfristig auszuüben. Ein Drittel der Befragten fällte diesen Karriereentscheid sogar während der Praxisassistenz. Die Angaben zur zukünftigen Tätigkeit ähneln den Resultaten vergleichbarer Umfragen aus den Kantonen Bern, Solothurn und Luzern, in denen 81 %, 77 % bzw. 74 % der Ehemaligen angegeben hatten, bereits in der Grundversorgung zu arbeiten oder kurz davorzustehen (5, 6, 8). Ebenso zeigten sich in Bezug auf den Praxiseinstieg ähnliche Resultate. Auch in den Kantonen Bern und Solothurn berichtete etwa die Hälfte aller Befragten, den eigenen Praxiseinstieg in der ehemaligen Lehrpraxis gehabt zu haben. Diese Zahlen verdeutlichen die Rolle der Praxisassistenzprogramme für die etablierten Grundversorgerpraxen. Eine gute Praxisassistenz ist nicht nur ein wichtiger Faktor für eine gute klinische Ausbildung und die spätere Berufswahl an sich, sondern auch ein effektives Instrument, für die Lehrpraxis Nachwuchs zu rekrutieren.

Betrachtet man die Einschätzung der Faktoren, welche die spätere Karrierewahl für die Grundversorgermedizin beeinflusst haben, zeigt sich, dass die ehemaligen AA-PA/AA-CU vor allem den hohen Anteil an klinischer Tätigkeit und die Arzt-Patienten-Beziehung schätzen und die Karrieremöglichkeiten weniger im Vordergrund stehen. Insgesamt wurde jedoch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit als der wichtigste Faktor bewertet. Schon bei Bachelor-Studierenden zeigt sich im Verlauf des Studiums die zunehmende Bedeutung von Teilzeitarbeit (9). Teilzeitarbeit ist gerade in Gruppenpraxen, wo die Mehrheit der Ehemaligen tätig ist, einfacher umsetzbar, und entsprechend überraschen die angegebenen niedrigen Stellenprozente der Befragten nicht. Die Zahlen dieser Umfrage sind damit sogar leicht tiefer als bei einer Umfrage unter jungen Hausärzten 2017, wo das gewünschte Pensum bei Männern bei 78 % und bei Frauen bei 66 % gelegen hatte (10). Auch zeigen die Daten aus den Kantonen Bern und Solothurn, dass nur etwa 40 % der Ehemaligen ein Arbeitspensum über 80 % haben (5, 6). De facto bestätigen die Zahlen zum Arbeitspensum, dass es aktuell fast zwei neue Ärztinnen und Ärzte braucht, um ein Vollzeitäquivalent eines Grundversorgers zu ersetzen.

Für die Planung und Organisation der hausärztlichen Curricula ist die Kenntnis über die von den Weiterzubildenden nachgefragten klinischen Rotationen von grosser Bedeutung. Auf der einen Seite müssen die Curricula für die Weiterzubildenden attraktiv sein, auf der anderen Seite müssen die Curricula den Anforderungen der späteren Grundversorgertätigkeit gerecht werden. Ehemalige AA-PA/AA-CU bewerteten die Fachgebiete Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie als am relevantesten für eine spätere Grundversorgertätigkeit. Aber auch Chirurgie und Geriatrie wurden als weitere relevante Fachgebiete identifiziert. Es zeigt sich hier eine grosse Übereinstimmung mit einer Umfrage, welche vor einigen Jahren unter Studierenden sowie jungen Hausärztinnen und Hausärzten durchgeführt wurde (11). Die Tatsache, dass vor allem Praxen und kleinere Spitäler als optimale Weiterbildungsstätten angesehen werden, überrascht nicht, da das Patientengut in den Universitätsspitälern häufig sehr selektiert und in der Regel nicht mehr unbedingt mit einer Grundversorgerpraxis vergleichbar ist.

Limitationen

Grösste Limitation der Arbeit ist die relativ geringe Antwortrate unter den Ehemaligen. Obwohl eine Antwortrate von knapp 50 % vollständig ausgefüllter Fragebögen objektiv gut ist (12), wäre eine höhere Antwortrate einer «Alumni»-Umfrage wünschenswert gewesen. Aufgrund der Anonymität der Umfrage konnte die Antwortrate nicht durch gezieltes Kontaktieren der ehemaligen AA-PA/AA-CU erhöht werden, sondern war beschränkt auf zwei allgemeine «Reminder». Entsprechend sind auch keine Aussagen über die Charakteristika der Nichtteilnehmenden möglich.

Ebenso muss erwähnt werden, dass für die wirkliche Messung der Effektivität von Praxisassistenzprogrammen Querschnittserhebungen einen entscheidenden Nachteil haben. Gerade die Berufsabsichten derer, welche die Programme erst vor Kurzem abgeschlossen haben, unterliegen einer gewissen Unschärfe. In informellen Gesprächen berichten viele Ehemalige, dass sie zwar mittelfristig in der Grundversorgung arbeiten möchten, jedoch vorher noch Erfahrung als z. B. Oberärztin bzw. Oberarzt im Spital sammeln wollen. Ob in einigen Jahren dann wirklich der Wechsel in die Praxis stattfindet, bleibt jedoch ungewiss. Umgekehrt mag der Arbeitsalltag im Spital dazu führen, dass Ehemalige, welche heute eine Spitalkarriere anstreben, mittelfristig doch in der Grundversorgung arbeiten werden.

Schlussfolgerung

Die Studie bestätigt die vorhandene Evidenz, dass ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Praxisassistenzprogramme und hausärztlichen Curricula mittelfristig in der medizinischen Grundversorgung arbeiten. Die Stärkung dieser Programme kann dazu beitragen, den Nachwuchs zu fördern und dem Mangel an Grundversorgern entgegenzuwirken.

Abkürzungen:
AIM Allgemeine Innere Medizin
AA-CU Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem ­Curriculum Hausarztmedizin
AA-PA Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem ­Praxisassistenzprogramm
KJM Kinder- und Jugendmedizin
ORL Oto-Rhino-Laryngologie
SD Standardabweichung

PD Dr med. Andreas Plate

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

andreas.plate@usz.ch

Die Autorin und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Die Mehrheit der ehemaligen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte strebt mittelfristig eine Karriere in der medizinischen Grundversorgung an.
• Die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit, die Arzt-Patienten- ­Beziehung und die Erfahrungen während der Praxisassistenz waren die wichtigsten Faktoren im Rahmen der Karrierewahl.
• Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie sind die für eine Grundversorgertätigkeit am relevantesten empfundenen Rotationsstellen im Rahmen eines hausärztlichen Curriculums.

1. Stierli R, Rozsnyai Z, Felber R, Jörg R, Kraft E, Exadaktylos AK, Streit S. Primary Care Physician Workforce 2020 to 2025 – a cross-sectional study for the Canton of Bern. Swiss Med Wkly. 2021;151:w30024.
2. Hostettler S, Kraft E. FMH-Ärztestatistik 2023 – 40% ausländische Ärztinnen und Ärzte. Schweizerische Ärztezeitung. 2024:105(12):32–36.
3. Gerber T, Häuptle C, Denti F, Graf S, Merlo C, Pasche O, et al. Praxisassistenz in der Schweiz: eine Übersicht in den Kantonen. PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN. 2022;22(11):331–334.
4. Häuptle C, von Erlach M. Weiterbildung in Hausarztmedizin: Praxisassistenz und Curriculaweiterbildung (Rotationsstellen) in der Schweiz. Praxis (Bern 1994). 2019;108(1):63-72.
5. Rozsnyai Z, Diallo B, Floriani C, Blum M, Streit S. Nachwuchs für die Grundversorgung im Kanton Bern. Primary and Hospital Care. 2022;22(9):281–283.
6. Zimmerli L, Fluri M, Droste P, Cina C, Leupold F, Streit S, Fenner L. Erfolgreiche Nachwuchsförderung. Schweizerische Ärztezeitung. 2020;101(31–32):948–949.
7. R Core Team. R: A language and environment for statistical computing. 2020. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, Austria. Available from https://www.R-project.org/
8. Studer C, Merlo C. Weiterbildung in Hausarztmedizin im Kanton Luzern. PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN. 2017;17(5):87–88.
9. Weiss K, Di Gangi S, Inauen M, Senn O, Markun S. Changes in the attractiveness of medical careers and career determinants during the bachelor’s program at Zurich medical schools. BMC Medical Education. 2024;24(1):693.
10. Gisler LB, Bachofner M, Moser-Bucher CN, Scherz N, Streit S. From practice employee to (co-)owner: young GPs predict their future careers: a cross-sectional survey. BMC Family Practice. 2017;18(1):12.
11. Rozsnyai Z, Tal K, Bachofner M, Maisonneuve H, Moser-Bucher C, Mueller Y, et al. Swiss students and young physicians want a flexible goal-oriented GP training curriculum. Scand J Prim Health Care. 2018;36(3):249-61.
12. Baruch Y, Holtom BC. Survey response rate levels and trends in organizational research. Human Relations. 2008;61(8):1139-60.

Metabolisches Syndrom und die Leber: Eine zunehmende Herausforderung für Internisten und Hepatologen

Die Steatohepatitis, eine Manifestation des metabolischen Syndroms in der Leber, ist inzwischen die häufigste chronische Lebererkrankung weltweit. In der Schweiz liegt die geschätzte Prävalenz bei etwa 5 % für Steatohepatitis und 25 % für die Lebersteatose, eine mildere Vorstufe (1). Global ist die Prävalenz der Lebersteatose von 25.5 % vor 2006 auf 37.8 % nach 2016 gestiegen (2). Wie andere chronische Hepatopathien kann die Steatohepatitis im fortgeschrittenen Stadium zu erheblichen Komplikationen wie Leberzirrhose, portaler Hypertonie, hepatischer Dekompensation und hepatozellulärem Karzinom führen. Dies stellt sowohl Grundversorger als auch Spezialisten vor grosse Herausforderungen in der Abklärung und Behandlung betroffener Patienten. Die europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften für Hepatologie und Endokrinologie haben kürzlich neue Leitlinien mit zahlreichen Empfehlungen veröffentlicht (3, 4). Dr. Vana und Kollegen beleuchten in ihrem Übersichtsartikel entsprechend aktualisierte dia­gnostische, therapeutische und pathophysiologische Aspekte der Steatohepatitis, welche ein optimales Management dieser Patienten ermöglichen.
Interessanterweise wurde diese chronische Hepatopathie erst vor etwas mehr als 40 Jahren beschrieben und lange als Alkohol-assoziierte Lebererkrankung fehldiagnostiziert. Der Begriff «nicht-alkoholische Steatohepatitis» (NASH) wurde erstmals 1980 von Prof. Jürgen Ludwig geprägt (5). Er beschrieb in Leberbiopsien von 20 abstinenten Patienten typische histologische Merkmale einer alkoholischen Hepatopathie, einschliesslich hepatozellulärer Steatose, lobulärem Entzündungsinfiltrat, sogenannten Mallory-Körpern, und teilweise fortgeschrittener Leberfibrose oder Leberzirrhose. Die meisten dieser Patienten wiesen eine oder mehrere Komponenten des metabolischen Syndroms auf. Erst Jahre später wurde der pathophysiologische Zusammenhang zwischen metabolischem Syndrom und Steatohepatitis etabliert. Angesichts der klaren Assoziation mit dem metabolischen Syndrom und dem mittlerweile pandemischen Vorkommen der nicht-alkoholischen Fettleber (NAFL) wurde 2023 die Nomenklatur nach einem internationalen Delphi-Konsensprozess angepasst. Dies erfolgte, um die bisherige Ausschlussdiagnose «nicht-alkoholisch» zu eliminieren, den stigmatisierenden Begriff «Fett» durch «steatotisch» zu ersetzen und die Assoziation zum metabolischen Syndrom hervorzuheben. Neu lautet die Bezeichnung «metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung» (MASLD) und bei histologischem Nachweis «metabolische Dysfunktion-assoziierte Steatohepatitis» (MASH). Zusätzlich wurde das Akronym «MetALD» eingeführt, um Personen mit konkomitierender Alkohol-assoziierter Lebererkrankung (ALD) und MASLD zu klassifizieren: metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung mit erhöhtem Alkoholgebrauch, definiert als ein täglicher Alkoholkonsum von durchschnittlich mehr als 20 Gramm für Frauen bzw. 30 Gramm für Männer (3, 4).

Für die Diagnosestellung der MASLD sind gemäss den neuen Empfehlungen neben der obligaten radiologisch oder histologisch nachgewiesenen Lebersteatose das Vorhandensein eines oder mehrerer kardiometabolischer Risikofaktoren erforderlich. Diese Risikofaktoren entsprechen den Komponenten des metabolischen Syndroms: Body Mass Index ≥ 25 kg/m2, Insulinresistenz, arterielle Hypertonie (≥ 130/85 mmHg), erhöhte Plasma-Triglyceride (≥ 1.7 mmol/l), erniedrigtes Plasma-HDL-Cholesterin (≤ 1.0 mmol/l für Männer bzw. ≤ 1.3 mmol/l für Frauen) (3, 4).

Patienten mit MASLD/MASH und fortgeschrittener Leberfibrose sind gefährdet, Komplikationen wie Leberzirrhose, Leberversagen und ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln. Daher wird in den aktuellen Leitlinien ein einfaches und kostengünstiges Screening bei Risikogruppen (z.B. Diabetes, Adipositas oder metabolisches Syndrom) empfohlen: Der Fibrosis-4- (FIB-4)-Score, basierend auf den Transaminasen AST, ALT, Alter und Thrombozytenzahl, ermöglicht eine einfache und nicht invasive Einschätzung des Risikos für fortgeschrittene Leberfibrose. Überschreitet der FIB-4-Score den Schwellenwert von ≥ 1.3, sollte der Patient einer Leberelastographie unterzogen werden (Schwellenwert ≥ 8 kPa) und je nach Befund hepatologisch weiter abgeklärt werden (3, 4).

Eine bedeutende Neuerung im Bereich der MASLD ist die kürzliche Zulassung von Resmetirom in den USA als erstes Medikament zur spezifischen Behandlung der MASH bei Patienten mit moderater bis fortgeschrittener Leberfibrose. Der orale Agonist des Schilddrüsenhormon-Rezeptors Beta (THR-β) Resmetirom zeigte in einer Phase-3-Studie nach 52-wöchiger Behandlung eine signifikante Abnahme der Steatohepatitis und Regression der Leberfibrose (6). Möglicherweise wird Resmetirom 2025 auch in der Schweiz zugelassen. Neben Resmetirom befinden sich mehrere weitere Medikamente, einschliesslich Glukagon-like Peptide-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) und andere (duale) Inkretine, Fibroblast Growth Factor 21 Rezeptoragonisten (FGF21-RA) und Peroxisome Proliferator-activated Rezeptoragonisten (PPAR), in fortgeschrittener klinischer Entwicklung für Patienten mit MASLD. Trotz dieser positiven therapeutischen Entwicklungen bleibt die interdisziplinäre, internistisch-hausärztliche und interprofessionelle Betreuung (Ernährungsberatung) von betroffenen Patienten hinsichtlich Lebensstil (ausgewogene, gesunde Ernährung, regelmässige körperliche Aktivität) und optimaler Behandlung des metabolischen Syndroms zentral, was Dr. Váňa und Kollegen in ihrer aktuellen Übersichtsarbeit darlegen.

PD Dr. med. et phil. nat. David Semela

Leiter Fachbereich Hepatologie
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
CH-9005 St. Gallen

david.semela@kssg.ch

1. Goossens N, Bellentani S, Cerny A, Dufour JF, u. a. Nonalcoholic fatty liver disease burden – Switzerland 2018-2030. Swiss Med Wkly. 2019; 149:w20152.
2. Riazi K, Azhari H, Charette JH, Underwood FE, u. a. The prevalence and incidence of NAFLD worldwide: a systematic review and meta-analysis. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2022;7(9):851-61.
3. European Association for the Study of the Liver (EASL). EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines on the management of metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease (MASLD). J Hepatol. 2024;S0168-8278(24)00329-5.
4. Rinella ME, Tacke F, Sanyal AJ, Anstee QM, u. a. AASLD Practice Guidance on the clinical assessment and management of nonalcoholic fatty liver disease. Hepatology. 2023;77(5):1797-1835.
5. Ludwig J, Viggiano TR, McGill DB, Oh BJ. Nonalcoholic steatohepatitis: Mayo Clinic experiences with a hitherto unnamed disease. Mayo Clin Proc. 1980;55(7):434-8.
6. Harrison SA, Bedossa P, Guy CD, Schattenberg JM, u. a. A Phase 3, randomized, controlled trial of resmetirom in NASH with liver fibrosis. N Engl J Med. 2024;390(6):497-509.

Nicht-alkoholische Fettleber: Neuer Name, aber die Herausforderung bleibt

Aufgrund von Volkskrankheiten mit steigenden Patientenzahlen, wie etwa dem metabolischen Syndrom, werden metabolische Lebererkrankungen zu den häufigsten Lebererkrankungen der Zukunft. Im Artikel werden wesentliche Neuerungen erläutert, darunter die Nomenklaturänderung von nicht-alkoholischer Fettlebererkrankung zu metabolischer Dysfunktion-assoziierter steatotischer Lebererkrankung.

Schlüsselwörter: MASLD, NAFLD, Metabolisches Syndrom, Fibrose, Zirrhose

Die neuen Definitionen: Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) wird zu metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD)

Im Sommer 2023 gaben internationale Lebergesellschaften – einschliesslich der European Association for the Study of the Liver (EASL) – das Ergebnis eines Delphi-Prozesses zur Änderung der NAFLD-Nomenklatur bekannt. Diese Überarbeitung erfolgte, um diagnostische Kriterien anhand leicht messbarer Parameter zu standardisieren und somit Heterogenität zu minimieren sowie potenziell stigmatisierende Begriffe aus der Nomenklatur zu eliminieren (1).

Überbegriff der neuen Nomenklatur ist die «steatotische Lebererkrankung» (Engl. «Steatotic Liver Disease» [SLD]). Eine SLD liegt vor, wenn eine Steatose in ≥5 % der Hepatozyten nachgewiesen werden kann. SLD umfasst als Überbegriff verschiedene Ursachen der Lebersteatose, die in Untergruppen genauer klassifiziert werden (Abb. 1).

Die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) wird zu metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (Engl. «Metabolic Dysfunction-associated Steatotic Liver Disease» [MASLD]) umbenannt (2). MASLD ist definiert als das Vorliegen einer Lebersteatose von mindestens 5 % in Kombination mit mindestens einem kardiometabolischen Risikofaktor (kmRF). Gemäss aktuellem Kenntnisstand können NAFLD und MASLD weitestgehend synonym verwendet werden und erfassen ein ähnliches Patientenkollektiv (3). Bei Vorliegen von entzündlicher Aktivität spricht man nun von einer metabolischen Dysfunktion-assoziierten Steatohepatitis (Engl. «Metabolic Dysfunction-associated Steatohepatitis» [MASH]).

Zudem wurde ein neues Krankheitsbild definiert, welches bis jetzt wenig Aufmerksamkeit erhielt. Diese neue Entität, MetALD, umfasst Patienten, welche die diagnostischen Kriterien für MASLD erfüllen und zudem relevante Alkoholmengen konsumieren (durchschnittlich >30g/Tag bei Männern, >20g/Tag bei Frauen). Diese Gruppe umfasst ein dynamisches Spektrum zwischen MASLD, wo der Krankheitsverlauf massgeblich bestimmt wird durch kmRF und Alkohol-bezogener Lebererkrankung (Engl. «Alcohol-associated Liver Disease» [ALD]), wo Alkoholkonsum der treibende Faktor ist. Das Risiko für eine schwere Lebererkrankung ist bei gleichzeitigem Vorliegen von kmRF und relevantem Alkoholkonsum stark erhöht (4). Bisher wurde dieser Tatsache durch die strikte Trennung von NAFLD und ALD kaum Rechnung getragen. Es ist davon auszugehen, dass MetALD Betroffene von gezielten klinischen Studien und der Sensibilisierung des Versorgungssystems profitieren werden. Weiterhin bestehen bleibt das Krankheitsbild der ALD. Hierbei steht der Alkoholkonsum im Vordergrund, und es liegen keine kmRF vor (Tab. 1).

Wenn auch nach Ausschluss von kmRF und seltenerer Ursachen (z.B. Wilson-Krankheit, Hypobetalipoproteinämie, vgl. Abb. 1) keine spezifische Ätiologie identifiziert werden kann, wird die Erkrankung als kryptogene steatotische Lebererkrankung (Engl. «Cryptogenic SLD») klassifiziert. Besonders in pädiatrischen Populationen ist es dabei wichtig, bei Fehlen eindeutiger kmRF andere mögliche Ursachen auszuschliessen. So sollte bei Verdacht auf eine Stoffwechselerkrankung insbesondere auch eine Untersuchung auf LAL-D (Lysosomale saure Lipase-Defizienz) in Betracht gezogen werden, da es sich um eine seltene, aber fatale und behandelbare Erkrankung handelt. In Fällen, in denen die Behandelnden eine Stoffwechselerkrankung ohne zunächst eindeutiges Vorliegen von kmRF vermuten, wird empfohlen, weitere Untersuchungen (z.B. Oral Glucose Tolerance Test, OGTT) durchzuführen und den Begriff «mögliche MASLD» zu verwenden (1).

Progression der MASLD: Von einfacher ­Steatose zur Steatohepatitis, Fibrose und Zirrhose, ­Dekompensation bis zum hepato­zellulärem Karzinom (HCC)

MASLD beinhaltet ein weites Spektrum an Schweregraden (Abb. 2). Eine Insulinresistenz von Fett- und Lebergewebe, welche v.a. bei Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) und metabolischem Syndrom vorliegt, bedingt eine gestörte Homöostase des Glukose- und Fettsäurestoffwechsels. Hierdurch werden in Hepatozyten vermehrt Triglyceride synthetisiert und eingelagert. Durch mitochondriale Dysfunktion entstehen toxische reaktive Sauerstoffradikale (ROS). Die resultierende Entzündung, sog. Steatohepatitis, wird durch Aktivierung von hepatischen Makrophagen (Kupfferzellen) und systemischen Entzündungsmediatoren vermittelt. Im Zusammenhang mit MASLD spricht man hier von einer metabolischen Dysfunktion-assoziierten Steatohepatitis (MASH).

Es kommt zum Untergang von Lebergewebe und einer Dysregulation verschiedener Zellpopulationen. Endotheliale Zellen der Lebersinusoide verändern ihre Konfiguration (z.B. Verlust von Fenestrae, Kontraktion), was den hepatischen Blutfluss und Gewebefunktionen (z.B. Entgiftung und Verstoffwechselung) beeinträchtigt. Hepatische Sternzellen werden zu Myofibroblasten aktiviert. Dies führt zu einer gesteigerten Produktion von extrazellulärer Matrix mit zunehmender Fibrose. Einen kritischen Punkt stellt die Entwicklung einer signifikanten Fibrose (≥F3) dar, da dies mit erhöhter Mortalität assoziiert ist.

Mechanische und hämodynamische Veränderungen führen zu portaler Hypertonie, die das Risiko für hepatische Dekompensation mit Ikterus, Aszites, Ösophagusvarizenblutung oder hepatischer Enzephalopathie erhöht und mit einer schlechten Prognose einhergeht. Bei Vorliegen einer fortgeschrittenen Leberfibrose (F3-Fibrose) und Leberzirrhose (F4-Fibrose) besteht zudem ein hohes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC). Im Gegensatz zu anderen Lebererkrankungen wie viralen Hepatitiden oder ALD, bei denen ein HCC meist erst in späteren Stadien auftritt, kann bei MASLD bereits in früheren Fibrosestadien ein HCC entstehen (vgl. Abb. 2) (5, 6). Das Risiko für ein HCC steigt jedoch mit zunehmender Fibrose und insbesondere bei Vorliegen einer Zirrhose signifikant an.

Fortgeschrittene Fibrose und Zirrhose bei MASLD sind reversibel

Fibrose ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der auch in fortgeschrittenen Stadien zumindest teilweise reversibel ist. Voraussetzung für eine Regression der Fibrose ist die Abwesenheit leberschädigender Faktoren. Im Kontext von MASLD sind dies insbesondere kmRF, jedoch auch zusätzliche Stressoren wie Alkohol. Kürzlich wurde nachgewiesen, dass eine Regression der Zirrhose mit einer Verbesserung der Prognose bei MASLD assoziiert ist (7). Somit stellt Fibroseregression ein wichtiges therapeutisches Ziel bei MASLD dar.

MASLD ist eine Herausforderung für die ­kommenden Jahrzehnte

In der Schweiz waren 2020 etwa zwei Mio. Personen (rund 23 % der Bevölkerung) von MASLD betroffen (8). Insgesamt variiert die Prävalenz in Europa zwischen 20 % und 30 % (Stand 2019) (9). Nur ein geringer Anteil dieser Personen entwickelt eine schwere Lebererkrankung. Aufgrund der grossen Anzahl Betroffener ist dennoch die absolute Zahl derer, die eine Leberzirrhose oder ein HCC bei MASLD entwickeln, sehr hoch und steigend. Durch Fortschritte, vor allem bei der Behandlung der Hepatitis C (10), wird MASLD zukünftig eine zentrale Bedeutung unter den Lebererkrankungen haben. Aufgrund der hohen MASLD-Prävalenz sind zudem viele transplantierte Lebern von Steatose betroffen (11).

Evidenz-basierte Tests und Algorithmen sollten zur Diagnose und Risikostratifizierung eingesetzt werden

Evidenz-basierte Ansätze zur Diagnostik und Risikostratifizierung sind aufgrund der hohen Anzahl Betroffener unabdingbar. Im klinischen Alltag dient häufig der abdominelle Ultraschall zur Diagnose einer Steatose. Der hepato-renale Index vergleicht die Echogenität von Nierenparenchym und Leber. Eine relativ «hellere» Leber und abgeschwächte Gefässzeichnung weisen auf relevante Steatose hin. Weiterhin ist der controlled attenuation parameter (CAP; FibroScan®) ein verbreitetes, günstiges Verfahren zur Diagnose der MASLD (Grenzwert ≥275 dB/m). Magnetresonanz-basierte Methoden (v.a. MRI-PDFF) sind genauer, aber aufwendiger und werden daher in dieser Indikation selten klinisch eingesetzt. CAP und MRI-PDFF erlauben eine quantitative Bestimmung der Steatose. Ein direkter prognostischer Wert der Steatosequantifizierung konnte bisher nicht belegt werden. Da man jedoch annimmt, dass eine Reduktion der Steatose zur einer Reduktion von entzündlicher Aktivität führt, kann CAP in der klinischen Praxis eingesetzt werden, um eine Tendenz des Verlaufs abzuschätzen. In klinischen Studien dient die eine Reduktion der Steatose, gemessen mittels MRI-PDFF, als akzeptierter Endpunkt.

Erhöhte Transaminasen können eine klinische Einschätzung bezüglich Vorliegen einer Steatohepatitis erlauben, eine Biopsie ist jedoch für die Diagnose nötig. Unbedingt zu beachten ist, dass Transaminasen für die Einschätzung des Fibrosegrades ungeeignet sind. Normwertige Transaminasen schliessen eine Zirrhose nicht aus. Stattdessen sollten einfache Tests wie der Fibrosis-4-Score (FIB-4; Link) und der NAFLD-Fibrosis-Score (NFS; Link) angewandt werden. Diese bieten sich als wertvolle Screening-Tools besonders in der allgemeinmedizinischen Praxis an, sind leicht anwendbar und kosteneffizient.

Gemäss aktuellen EASL sowie deutschen Leitlinien sollte bei Personen mit erhöhten Werten (z.B. FIB-4 ≥1,30) eine erweiterte Diagnostik mittels Elastographie (z.B. FibroScan®) durchgeführt werden (12, 13). Bei der klinischen Einschätzung sollten neben nicht invasiven Tests Faktoren, die eine schwerwiegende MASLD begünstigen, wie kmRF, postmenopausaler Hormonstatus (14), Alkoholkonsum und das Vorliegen anderer Lebererkrankungen (z.B. virale Hepatitis B) einbezogen werden.

Gewichtsreduktion ist eine effektive Therapie und kann Fibrose verbessern

Therapie der ersten Wahl sind Lebensstiländerungen mit Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und Alkoholabstinenz (14). Hausärzte spielen dabei eine enorm wichtige Rolle in der Motivation und Unterstützung der Patienten. Eine Gewichtsreduktion ≥10 % durch 12-monatige Diät und erhöhte körperliche Aktivität führen zu einer Fibroseregression (16). Empfohlen wird daher eine schrittweise Gewichtsreduktion von 5–10 % bei Übergewicht und 3–5 % bei Normalgewicht unter Vermeidung von Sarkopenie (Muskelschwund). Sarkopenie ist mit einer schlechteren Prognose bei Lebererkrankungen assoziiert.

Hinsichtlich Ernährung ist eine mediterrane Kost mit pflanzlichen Proteinen, weissem Fleisch, ballaststoffreichen Nahrungsmitteln und Nüssen zu bevorzugen (17, 18). Rotes Fleisch und gesättigte Fettsäuren sollten reduziert werden. Die WHO empfiehlt zudem eine Zuckeraufnahme von <50 g/Tag.

Der häufig verwendete Tafelzucker ist ein Disaccharid, das aus Glukose und Fruktose besteht. Insbesondere eine erhöhte Zufuhr von Fruktose (isoliert oder als Bestandteil des Disaccharids Kristallzucker) führt im Vergleich zu Glukose zu einer ungünstigen intrahepatischen Stoffwechsellage mit vermehrter Steatose. Daher sind mit Zucker oder Fruktose gesüsste Getränke zu meiden. Zudem ist komplette Alkoholabstinenz bei MASLD essenziell, da bereits geringe Mengen das Risiko für schwere Lebererkrankungen erhöhen. Kaffeekonsum hingegen hat einen positiven Einfluss auf die Erkrankung.

In der Schweiz ist bariatrische/metabolische Chirurgie (BMC) nicht für MASLD, aber für metabolische Komorbiditäten zugelassen (19). Insgesamt stellt BMC eine wirksame Therapie bei sorgfältig ausgewählten Patienten dar. 84 % der adipösen Patienten wiesen 5 Jahre nach BMC keine entzündliche Aktivität mehr auf, und die Fibrose verbesserte sich bei 70 % (20). Jedoch kann es auch bei Patienten mit präoperativ normaler Leberfunktion bei unerkannter portaler Hypertension postoperativ zu einer Verschlechterung der Leberfunktion und zu Komplikationen kommen, sodass hier eine sorgfältige Evaluation nötig ist (21). Weitere mögliche Risiken sind rascher Gewichtsverlust mit Malnutrition und Sarkopenie sowie ein erhöhter Alkoholkonsum (sog. addiction shift) (22).

Aktuell sind in Europa und der Schweiz keine spezifischen Therapien zugelassen

In der Schweiz und im deutschsprachigen Raum ist bisher kein Medikament zur Behandlung der MASLD zugelassen. Die konsequente Behandlung von kmRF ist essenziell, da sich dies positiv auf MASLD auswirken kann und eine erhöhte Mortalität in frühen Erkrankungsstadien insbesondere durch kardiovaskuläre Ereignisse bedingt ist.

Die GLP-1-Analoga Semaglutid und Liraglutid, die in der Schweiz für T2DM bzw. Adipositas zugelassen sind, haben in Studien positive Ergebnisse bei MASH gezeigt. Eine Studie mit Semaglutid zeigte im Vergleich zu Placebo eine häufigere Remission der Entzündung und 13 % Gewichtsverlust in der Hochdosisgruppe (23). Die LEAN-Studie zeigte eine vermehrte Steatohepatitis-Resolution und geringere Fibroseverschlechterung unter Liraglutid (24). Re­trospektive Daten weisen bei Patienten mit T2DM und Zirrhose auf eine geringere Rate hepatischer Dekompensation unter GLP-1-Analoga hin (25).

Vitamin E und Pioglitazon, die in den EASL-NAFLD-Leitlinien 2016 erwähnt werden (26), sind gemäss deutscher Leitlinie nicht empfohlen (11). Die PIVENS-Studie (27) zeigte eine Verbesserung der Steatohepatitis unter Vitamin E. Andere Studien brachten jedoch hohe Dosen von Vitamin E mit einem erhöhten Risiko für Mortalität, Schlaganfall und Prostatakrebs in Verbindung. Pioglitazon führte in Studien bei Personen mit MASH (mit und ohne T2DM) zu einer Verbesserung der entzündlichen Aktivität und Steatose sowie Resolution der Steatohepatitis. Es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Gewichtszunahme, Verschlechterung einer Herzinsuffizienz sowie Frakturen (28).

Resmetirom, selektiver Agonist des Schilddrüsenhormon- rezeptors-β (THR-β), erreichte in einer Phase-2- und -3-Studie eine Reduktion der Steatohepatitis sowie Leberfibrose (29–32). Seit Kurzem ist Resmetirom für die Behandlung der MASH in den USA zugelassen. In der Schweiz ist das Präparat aktuell nicht verfügbar, und es ist unklar, ob eine Zulassung auf dem europäischen bzw. dem Schweizer Markt erfolgen wird (Tab. 2).

Fibroseregression in klinischen Studien

Regression der Fibrose ist aufgrund der oben genannten prognostischen Bedeutung ein wichtiges therapeutisches Ziel in der Behandlung der MASLD. Obeticholsäure (OCA), ein FXR-Agonist und Gallensäureanalogon, zeigte in Studien eine positive Wirkung hinsichtlich Fibroseregression (33). Allerdings wurde OCA kürzlich von der FDA für die MASLD-Therapie abgelehnt aufgrund von Sicherheitsbedenken, im Zusammenhang mit Fällen von akutem Leberversagen. Der Pan-PPAR-Agonist Lanifibranor, der derzeit nur in Studien erhältlich ist, wirkt auf alle drei Isoformen des nuklearen PPA-Rezeptors. In der Phase-2-NATIVE-Studie verbesserte Lanifibranor die Fibrose bei etwa der Hälfte der Patienten in der Hochdosisgruppe (1200 mg/Tag) im Vergleich zu 30 % in der Placebogruppe, mit weiteren Verbesserungen bei anderen histologischen Indikatoren, einschliesslich Resolution der Steatohepatitis (34). Weitere Medikamente, für welche bisher ein Effekt auf Fibrose nachgewiesen werden konnte, sind die FGF21-Analoga Pegozafermin und Efruxifermin. In der Phase-2-­ENLIVEN-Studie zeigte sich unter Pegozafermin (44 mg QW) eine Reduktion der Fibrose bei 26 % der Teilnehmenden gegenüber 2 % unter Placebo (35). Efruxifermin führte zu einer Fibrosereduktion in 39 % der Teilnehmer gegenüber 20 % unter Placebo (36).

Abkürzungen:
FXR = Farnesoid-X-Rezeptor; GLP-1 = Glucagon-like Peptid 1; LDL = Low Density Lipoprotein; MRI-PDFF = MRI-proton density fat fraction; NASH = nicht-alkoholische Steatohepatitis; PPAR = Peroxisom-Proliferator-aktivierter Rezeptor (Englisch: peroxisome proliferator-activated receptor); SCD1 = Stearoyl-CoA-Desaturase 1; T2DM = Typ 2 Diabetes mellitus; THRß = Schilddrüsenhormonrezeptor ß (Englisch: thyroid hormone receptor ß).

MUDr. MSc. Miroslav Vána

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, UVCM
Hepatologie
Freiburgstrasse
3010 Bern

vana_miroslav@hotmail.com

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• NAFLD wird zu MASLD, definiert durch Lebersteatose (≥ 5 %) und mindestens einen kardiometabolischen ­Risikofaktor. NASH wird zu MASH.
• Risikopatienten mit metabolischen Störungen regelmässig mittels validierter Scores (z.B. FIB-4, NFS) auf Fibrose screenen.
• 5–10 % Gewichtsreduktion (3–5 % bei Normgewicht) durch Diät und Sport verbessert Inflammation und ­Fibrose. Mediterrane Diät mit Alkoholkarenz und Zucker <50 g/Tag (einschliesslich Getränke!).
• Bisher sind in der Schweiz und Europa keine Medikamente für die MASLD-Therapie zugelassen. GLP1-Analoga sollten bei bestehender Indikation (Diabetes, Adipositas) eingesetzt werden, da sie die MASLD verbessern.
• Medikamente, die Fibrose verbessern, sind bisher in der Schweiz und Europa nur in Studien erhältlich. In den USA wurde kürzlich Resmetirom zugelassen für die Therapie der MASH.

1. Rinella ME, Lazarus JV, Ratziu V, Francque SM, u. a. A multi-society Delphi consensus statement on new fatty liver disease nomenclature. Hepatol Baltim Md. 24. Juni 2023;
2. Berg, T., Messer, E. Änderungen zur Nomenklatur für Fettlebererkrankungen. Gastro-News 10, 24–27 (2023). https://doi.org/10.1007/s15036-023-3307-y
3. Song SJ, Lai JCT, Wong GLH, Wong VWS, u. a. Can we use old NAFLD data under the new MASLD definition? J Hepatol. 2. August 2023;S0168-8278(23)05000-6.
4. Israelsen M, Torp N, Johansen S, Thiele M, u. a. MetALD: new opportunities to understand the role of alcohol in steatotic liver disease. Lancet Gastroenterol Hepatol. Oktober 2023;8(10):866–8.
5. Parola M, Pinzani M. Liver fibrosis: Pathophysiology, pathogenetic targets and clinical issues. Mol Aspects Med. 1. Februar 2019;65:37–55.
6. Makri E, Goulas A, Polyzos SA. Epidemiology, Pathogenesis, Diagnosis and Emerging Treatment of Nonalcoholic Fatty Liver Disease. Arch Med Res. 1. Januar 2021;52(1):25–37.
7. Sanyal AJ, Anstee QM, Trauner M, Lawitz EJ, u. a. Cirrhosis regression is associated with improved clinical outcomes in patients with nonalcoholic steatohepatitis. Hepatol Baltim Md. 18. Oktober 2021;
8. Goossens N, Bellentani S, Cerny A, Dufour JF, u. a. Nonalcoholic fatty liver disease burden – Switzerland 2018–2030. Swiss Med Wkly (Internet). 17. Dezember 2019;(51). Verfügbar unter: https://smw.ch/article/doi/smw.2019.20152
9. Younossi Z, Tacke F, Arrese M, Chander Sharma B, u. a. Global Perspectives on Nonalcoholic Fatty Liver Disease and Nonalcoholic Steatohepatitis. Hepatology. 2019;69(6):2672–82.
10. Heim M. Hepatitis C ist heilbar: eine Erfolgsgeschichte der biomedizinischen Forschung. Swiss Med Forum. 30. März 2022;(2022/13-14):214–6.
11. Tien C, Remulla D, Kwon Y, Emamaullee J. Contemporary strategies to assess and manage liver donor steatosis: a review. Curr Opin Organ Transplant. 1. Oktober 2021;26(5):474–81.
12. Roeb E, Canbay A, Bantel H, Bojunga J, u. a. Aktualisierte S2k-Leitlinie nicht-alkoholische Fettlebererkrankung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – April 2022 – AWMF-Registernummer: 021–025. Z Für Gastroenterol. September 2022;60(09):1346–421.
13. Berzigotti A, Tsochatzis E, Boursier J, Castera L, u. a. EASL Clinical Practice Guidelines on non-invasive tests for evaluation of liver disease severity and prognosis – 2021 update. J Hepatol. 1. September 2021;75(3):659–89.
14. Balakrishnan M, Patel P, Dunn-Valadez S, Dao C, u. a. Women Have a Lower Risk of Nonalcoholic Fatty Liver Disease but a Higher Risk of Progression vs Men: A Systematic Review and Meta-analysis. Clin Gastroenterol Hepatol. 1. Januar 2021;19(1):61-71.e15.
15. Francque SM, Marchesini G, Kautz A, Walmsley M, u. a. Non-alcoholic fatty liver disease: A patient guideline. JHEP Rep Innov Hepatol. Oktober 2021;3(5):100322.
16. Vilar-Gomez E, Martinez-Perez Y, Calzadilla-Bertot L, Torres-Gonzalez A, u. a. Weight Loss Through Lifestyle Modification Significantly Reduces Features of Nonalcoholic Steatohepatitis. Gastroenterology. 1. August 2015;149(2):367-378.e5.
17. Vuille-Lessard É, Lange N, Riebensahm C, Dufour JF, u. a. Dietary Interventions in Liver Diseases: Focus on MAFLD and Cirrhosis. Curr Hepatol Rep (Internet). 19. April 2021; Verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/s11901-021-00563-z
18. European Association for the Study of the Liver. EASL Clinical Practice Guidelines on nutrition in chronic liver disease. J Hepatol. Januar 2019;70(1):172–93.
19. SMOB, Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders. Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht (Internet). 2021. Verfügbar unter: https://www.smob.ch/de/component/jdownloads/?task=download.send&id=116&catid=2&m=0&Itemid=101
20. Lassailly G, Caiazzo R, Ntandja-Wandji LC, Gnemmi V, u. a. Bariatric Surgery Provides Long-term Resolution of Nonalcoholic Steatohepatitis and Regression of Fibrosis. Gastroenterology. Oktober 2020;159(4):1290-1301.e5.
21. Reverter E, Cirera I, Albillos A, Debernardi-Venon W, u. a. The prognostic role of hepatic venous pressure gradient in cirrhotic patients undergoing elective extrahepatic surgery. J Hepatol (Internet). 19. Juli 2019; Verfügbar unter: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168827819304155
22. Mendoza YP, Becchetti C, Watt KD, Berzigotti A. Risks and Rewards of Bariatric Surgery in Advanced Chronic Liver Diseases. Semin Liver Dis (Internet). 9. Juli 2021; Verfügbar unter: http://www.thieme-connect.de/DOI/DOI?10.1055/s-0041-1731705
23. Newsome PN, Buchholtz K, Cusi K, Linder M, u. a. A Placebo-Controlled Trial of Subcutaneous Semaglutide in Nonalcoholic Steatohepatitis. N Engl J Med. 25. März 2021;384(12):1113–24.
24. Armstrong MJ, Gaunt P, Aithal GP, Barton D, u. a. Liraglutide safety and efficacy in patients with non-alcoholic steatohepatitis (LEAN): a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled phase 2 study. The Lancet. 13. Februar 2016;387(10019):679–90.
25. Simon TG, Patorno E, Schneeweiss S. Glucose-Like Peptide-1 Receptor Agonists and Hepatic Decompensation Events in Patients With Cirrhosis and Diabetes. Clin Gastroenterol Hepatol Off Clin Pract J Am Gastroenterol Assoc. 10. Juli 2021;S1542-3565(21)00724-2.
26. EASL–EASD–EASO. EASL–EASD–EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol. 1. Juni 2016;64(6):1388–402.
27. Sanyal AJ, Chalasani N, Kowdley KV, McCullough A, u. a. Pioglitazone, Vitamin E, or Placebo for Nonalcoholic Steatohepatitis. N Engl J Med. 6. Mai 2010;362(18):1675–85.
28. Lange NF, Graf V, Caussy C, Dufour JF. PPAR-Targeted Therapies in the Treatment of Non-Alcoholic Fatty Liver Disease in Diabetic Patients. Int J Mol Sci. 13. April 2022;23(8).
29. Harrison SA, Bashir MR, Guy CD, Zhou R, u. a. Resmetirom (MGL-3196) for the treatment of non-alcoholic steatohepatitis: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2 trial. The Lancet. 30. November 2019;394(10213):2012–24.
30. Harrison SA, Bashir M, Moussa SE, McCarty K, u. a. Effects of Resmetirom on Noninvasive Endpoints in a 36-Week Phase 2 Active Treatment Extension Study in Patients With NASH. Hepatol Commun. 2021;5(4):573–88.
31. Harrison SA, Taub R, Neff GW, Lucas KJ, u. a. Resmetirom for nonalcoholic fatty liver disease: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 trial. Nat Med. 16. Oktober 2023;
32. Harrison SA, et al A Phase 3, Randomized, Controlled Trial of Resmetirom in NASH with Liver Fibrosis. N Engl J Med. 2024 Feb 8
33. Neuschwander-Tetri BA, Loomba R, Sanyal AJ, Lavine JE, u. a. Farnesoid X nuclear receptor ligand obeticholic acid for non-cirrhotic, non-alcoholic steatohepatitis (FLINT): a multicentre, randomised, placebo-controlled trial. The Lancet. 14. März 2015;385(9972):956–65.
34. Francque S, Szabo G, Abdelmalek MF, Byrne CD, u. a. Nonalcoholic steatohepatitis: the role of peroxisome proliferator-activated receptors. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. Januar 2021;18(1):24–39.
35. Loomba R, Sanyal AJ, Kowdley KV, Bhatt DL, u. a. Randomized, Controlled Trial of the FGF21 Analogue Pegozafermin in NASH. N Engl J Med. 14. September 2023;389(11):998–1008.
36. Harrison SA, Frias JP, Neff G, Abrams GA, u. a. Safety and efficacy of once-weekly efruxifermin versus placebo in non-alcoholic steatohepatitis (HARMONY): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2b trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. Dezember 2023;8(12):1080–93.
37. Singh S, Allen AM, Wang Z, Prokop LJ, u. a. Fibrosis Progression in Nonalcoholic Fatty Liver vs Nonalcoholic Steatohepatitis: A Systematic Review and Meta-analysis of Paired-Biopsy Studies. Clin Gastroenterol Hepatol. April 2015;13(4):643-654.e9.

Optimierte ambulante interdisziplinäre Rauchstopp-Intervention

Dem Ablauf unserer Rauchstopp-Beratungssprechstunde am Universitätsspital Zürich liegt ein Konzept zugrunde mit ­diversen Elementen, die in einer längeren Erstberatung und mindestens vier Folgeberatungen innert circa 3 Monaten vermittelt werden. Je nach medizinischem Kontext, mentaler Verfassung, Motivationsstufe und Vorerfahrungen der rauchenden Person können Inhalte und Intervalle sowie die Anzahl erforderlicher Sitzungen individuell variieren. In aller Regel wird die wiederholte Beratung ergänzt durch eine medikamentöse Unterstützung, relativ oft auch durch medikamentöse Kombinationstherapien. Die Behandlungsfrequenz ist in den ersten 3 Monaten hoch, weil der Unterstützungsbedarf und die Rückfallgefahr dann am grössten sind. Anfänglich finden die Beratungen alle 2 bis 4 Wochen statt, dann werden sie individuell auf 6 bis 8 Wochen ausgedehnt. Idealerweise zieht sich die Beratung über ein halbes Jahr hin. So können der Verlauf über mehrere Monate verbindlich begleitet und bei Bedarf Anpassungen am Procedere vorgenommen werden.

Schlüsselwörter: Rauchstopp-Intervention, interdisziplinäre Beratung, Nikotinersatz, Trigger, Medikamente

Zuweisungsprozess

In der Regel erfolgt die Zuweisung von Patientinnen und Patienten zur Rauchstoppberatung spitalintern durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte der verschiedenen Kliniken. Sie entspricht derselben Praxis wie jener anderer Spezialsprechstunden, wie z. B. der Adipositassprechstunde, der Hypertoniesprechstunde oder der Diabetesberatung. Zuweisungen können ebenso von niedergelassenen externen Arztpraxen gemacht werden. Niederschwellig können sich Patienten auch selbst anmelden. Das Konzept «Die rauchende Person muss den ersten Schritt zur Anmeldung selbst unternehmen» ist aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäss und nur unzureichend zielführend. Aus diesem Grund erwarten wir primär Zuweisungen von medizinischen Fachpersonen und erlauben aber auch Selbstzuweisungen.

Die Anmeldung erfolgt mehrheitlich elektronisch oder über das Sekretariat der Pneumologie des Universitätsspitals Zürich (USZ). Dieses terminiert die Rauchstoppsprechstunden und informiert Patienten mittels Brief über Termin, Kontaktmöglichkeiten sowie Konditionen.

Vorbereitung

Aufgrund des Zuweisungsschreibens und klinikinterner Berichte werden die Erst- und Folgeberatungen vorbereitet. Es finden auch Fallbesprechungen zwischen Arzt und Beraterin statt, um geeignete Behandlungsansätze zu evaluieren, eine gemeinsame Strategie festzulegen und eine Behandlungsempfehlung zu machen. Der Fokus richtet sich dabei auf medikamentöse Therapiemöglichkeiten, Klärung allfälliger Medikamentenunverträglichkeiten, Kontraindikationen für gewisse Medikamente, Therapie- und Beratungsansätze unter Berücksichtigung medizinisch relevanter Diagnosen, Therapien sowie bereits erfolgter Massnahmen. Auch soziale anamnestische Aspekte werden beleuchtet und in der Planung berücksichtigt. So können bedarfsweise etwa Bezugspersonen in den Prozess einbezogen werden (1, 2, 3).

Die Erstberatung (Zeitaufwand 45–60 Min.)

Beim ersten Treffen wird nach der Begrüssung die Patientenidentität verifiziert. Je nach Persönlichkeit und Zustand des Patienten kann eine niederschwellige Konversation als Eisbrecher dienen. Patienten werden angehalten, auf Wunsch während der Beratung eigene Notizen zu machen. Dafür liegen ein Schreibblock und Stifte bereit (4).

Als Einstieg ins Rauchstoppgespräch werden weitgehend offene Fragen gestellt. Dazu zählen zum Beispiel:

  • «Sie wurden durch die Klink X oder durch Dr. Y in die Rauchstoppsprechstunde überwiesen. Welcher ist der Grund Ihrer dortigen Behandlung?»
  • «Berichten Sie mir von Ihrem Rauchverhalten.»
  • «Haben Sie schon einmal mit dem Rauchen aufgehört? Mit welcher Methode? Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Was führte zum Rückfall?»
  • «Sie möchten etwas an Ihrem Rauchverhalten ändern. Was möchten Sie ändern? Welche Ziele haben Sie?»
  • «Welche Folgen des Rauchens nehmen Sie wahr?» «Wo­ran spüren Sie, dass Ihnen das Rauchen nicht guttut?»
  • Situationsangepasst weitere Fragen.

Offene Fragen ermöglichen es dem Patienten, in eigenen Worten seine Intention zu formulieren, Vorstellungen und Erwartungen, aber auch Bedenken zu äussern. Durch die Art und Weise und den Inhalt seiner Formulierungen lassen sich erste Informationen und Erkenntnisse zum aktuellen Befinden, zur Rauchgeschichte, zur Sichtweise bezüglich des Rauchverhaltens, zum Kommunikationsverhalten und erste medizinische sowie verhaltenstypische Anhaltspunkte erkennen und dokumentieren. Patienten erhalten die Möglichkeit, ihnen wichtige Aspekte zu kommunizieren. Häufig sind solche frühe Aussagen für die Herangehensweise an die Thematik entscheidend. Sie werden daher oft wortwörtlich festgehalten.

Ein zentraler Anhaltspunkt ist die Ausführung der Patienten, ob sie «fremdbestimmt» zugewiesen wurden (ggf. Hinweis auf Absichtslosigkeit, geringe Motivation oder Ambivalenz) oder diesen Schritt selbst initiiert haben (ggf. Hinweis auf höhere Eigenmotivation). Die Antworten auf die Einstiegsfragen können für das weitere Vorgehen im Gespräch richtungsweisend sein.
Wird der Fokus auf das Thema konkreter Rauchstopp gerichtet, geht man darauf ein, wie die Patienten zur Beratung stehen. Kommen sie eher «fremdbestimmt», kann das Thema aufgenommen und vertieft werden. Lässt man die Patienten in eigenen Worten über ihre Intention und Motivation sprechen, erfährt man viel über ihre persönliche Haltung, ihre Erwartungen und über Erfahrungen aus der (Raucher-)Geschichte. Andere Patienten kommen hoch motiviert und erklären gleich zu Beginn, was sie erreichen möchten und welche Hilfe sie benötigen. Oder sie berichten, dass sie bereits mit dem Rauchen aufgehört hätten und den Fokus auf die Aufrechterhaltung legen wollten.

Nachdem die Patienten ein erstes Mal zu Wort gekommen sind, werden sie über das Angebot eines möglichen Standardablaufs und sonstige Aspekte der Rauchstoppberatung informiert. Zur Anamneseerhebung gehören Informationen zur Anzahl täglich gerauchter Zigaretten bzw. sonstiger Nikotinprodukte oder Suchtmittel, Alter bei Rauchbeginn, Berechnung der Anzahl Raucherjahre (py), Schweregrad der Abhängigkeit (Fagerström-Test, FTND), Auskunft zu Anzahl und Dauer früherer Rauchstoppversuche, Gründe für Rückfälle sowie Erfahrungen mit Nikotinersatzprodukten (NET/NRT).

Es gilt, situationsbedingt abzuwägen zwischen für die Beratenden relevanten Standardangaben und dem Hospital Quit Support (HQS)-Standard, wonach im ersten Gespräch nur ein minimales Datenset erhoben werden sollte. Der HQS-Standard gibt selektiv Auskunft über Abhängigkeit und Vorgeschichte mit Relevanz zur Beratungs- und Therapieplanung. Es besteht das Risiko, dass zu viele Details in Erfahrung gebracht werden, die nicht zwingend den Beratungs- und Therapieansatz beeinflussen und oft redundant sind. Andererseits können Aussagen, die auf den ersten Blick wenig bedeutend erscheinen, «zwischen den Zeilen» wichtige Hinweise enthalten. Diese gilt es abzuwägen, zu erfassen und zu dokumentieren, damit sie in den Behandlungsplan integriert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden können. Hier kommen Erfahrung, Empathie und Sensibilität der beratenden Personen zum Tragen.

Grundsätzlich ist rauchenden Personen die Schädlichkeit ihres Verhaltens bewusst. Je nach Situation kann es aber notwendig sein, einzelne Punkte hervorzuheben und zu erklären (Wirkungsspektrum des Nikotins im Gehirn, Teer, Kohlenmonoxid (CO) und was dies bei jeder Zigarette für den Körper bedeutet). Solche Informationen können allgemeingültigen Charakter haben oder individuell und im Kontext der Patientendiagnosen erläutert werden.

Eine CO-Messung in der Ausatmungsluft kann den Konsum objektivieren, die Informationen rund um das Thema Kohlenmonoxid untermauern und den Patienten veranschaulichen, wie positiv sich eine Änderung ihres Rauchverhaltens zeitnah auswirken kann. Üblicherweise ist der CO-Wert bei einer ersten Beratung, wenn Patienten noch rauchen, hoch (> 10ppm bzw. > 2 % HbCO). Die Aussicht auf tiefere Werte kann motivierend sein. Wann immer möglich, sollte eine CO-Messung durchgeführt werden. In einzelnen Fällen kann sie aber auch kontraproduktiv sein und sollte daher weggelassen werden. Vereinzelt lehnen Patienten die Messung von vornherein ab, weil sie einen hohen Wert befürchten und nicht damit konfrontiert werden möchten.

Aufgrund der erhobenen Informationen/Daten zur Stärke der Abhängigkeit (FTND), Dauer und Intensität des Tabakkonsums und unter Berücksichtigung ggf. schon gemachter Rauchstopperfahrungen kann in einem nächsten Schritt eine erste Therapiestrategie empfohlen bzw. gemeinsam festgelegt werden. Dies erfolgt in der Regel unter Einbezug der ärztlichen Fachperson mit Erfahrung in der Pharmakotherapie des Rauchstopps sowie der Kompetenz der Medikamentenverschreibung, insbesondere bezüglich Polypharmazie von älteren Patienten.

Wir erklären, dass es sich bei der Nikotinsucht sowohl um eine körperliche als auch um eine psychische Abhängigkeit handelt. Die psychische Abhängigkeit hat mit Gewohnheiten, Ritualen, Assoziationen, Belohnungs- und Bewältigungsmechanismen, Trigger sowie dem Umgang mit alltäglichen Situationen und Begebenheiten zu tun. Demgegenüber steht die körperliche Abhängigkeit, bei der es sich um physiologische und z.T. biochemische Reaktionen handelt (Abb. 1, Gewohnheit und Sucht) (5).

Für eine langfristige Nikotinabstinenz ist es unerlässlich, beide Komponenten zu betrachten. Viele Patienten sind sich nur unzureichend bewusst, wie bedeutend eine intensive und vertiefte Auseinandersetzung mit Gewohnheiten ist. Sie erhält in der Beratung ein starkes Gewicht. Erst eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen und die Ableitung konkreter und individuell zugeschnittener Bewältigungspläne ermöglichen es, Hochrisikosituationen erfolgreich zu bewältigen und Rückfälle längerfristig zu vermeiden. Dieser Prozess kann anhand der hier aufgeführten Unterlagen («Werkzeuge») gemeinsam mit den Patienten erörtert und vertieft werden.

Ein eigens für die Rauchstoppberatung entwickelter persönlicher Handlungsplan enthält neben Erklärungen zur Nikotinabhängigkeit und Themen rund um die Rauchgewohnheit eine Reihe von «Werkzeugen». Mit diesen wird ein individueller Rauchstopp-Plan gemeinsam erarbeitet. Dabei werden relevante individuelle Faktoren, die den Prozess in die Rauchfreiheit wesentlich beeinflussen, betrachtet und einbezogen.

In der ersten Beratung wird der Handlungsplan vorgestellt und einzelne individuell geeignete Instrumente hervorgehoben. Patienten bekommen die Aufgabe, bis zum zweiten Beratungstermin ausgewählte Themen zu erarbeiten.
In einem ersten Schritt können folgende Instrumente dienlich sein:

Die Motivationswaage (Abb. 2) ermöglicht es, Vor- und Nachteile des Rauchens sowie des Nikotinverzichts aufgrund persönlicher Überlegungen einzuordnen und zu dokumentieren. Daraus können mögliche Ambivalenzen erkannt und beim nächsten Beratungstermin angesprochen werden. Eine konkrete Auseinandersetzung und Formulierung einzelner Punkte dienen der Visualisierung, Gewichtung und Wertung der einzelnen Pro- und Contra-Argumente und können als Diskussionsgrundlage in der Beratung dienen.

Das Rauchprotokoll (Abb. 3, Mein Protokoll) dient der Selbstbeobachtung. Es wird über einige Tage oder Wochen, idealerweise in unterschiedlichen Situationen (Freizeit, [Berufs-]Alltag, Ferien …) geführt und soll Aufschluss darüber geben, in welchen Situationen typischerweise geraucht wird (z. B. in Zusammenhang mit Stress, Routine, Rückzugsbedürfnis, Entspannung, Geselligkeit, Genuss, Langeweile, Sucht). Erhoben wird auch die Selbsteinschätzung, ob die Zigarette im jeweiligen Augenblick als «notwendig» oder «nicht notwendig» betrachtet wird. Ziel ist es, Wahrnehmungen und Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und Tendenzen zu isolieren. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage im Beratungskontext.

Eine erste Auseinandersetzung mit Verknüpfungen von Gewohnheiten und Zigarettenkonsum hat zum Ziel, über mögliche Alternativhandlungen (Abb. 4) nachzudenken. Langfristig sollen neue Handlungen zu neuen Verknüpfungen führen, sich etablieren und so neue Verhaltensweisen zu neuen Gewohnheiten werden. Dieser Prozess der Abkoppelung von alten Verhaltensmustern wird sich über die Dauer der gesamten Beratung und darüber hinaus erstrecken. Patienten werden dazu angehalten, realistische, aber durchaus kreative und ansprechende Alternativen zu sammeln und Schritt für Schritt im Alltag einzuüben. Je nach Situation und Präferenzen können dies Ablenkungen für Hand, Mund, Kopf und/oder Körper sein. Daneben können auch Situationen definiert werden, die es ohne Alternative zu überwinden gilt.

Die meisten Rauchenden erwarten, dass sie mit der Erstberatung unmittelbar mit dem Rauchen aufhören müssen. Diese Erwartung wird besprochen und relativiert, weil ein Rauchstopp gut geplant und vorbereitet werden sollte. Dafür sind Tage oder sogar Wochen nötig. Manche Patienten sind erleichtert, dies zu hören. Allerdings soll die Dauer bis zum Rauchstopp als wichtige Vorbereitungszeit definiert und nicht als Aufschub betrachtet werden. Abhängig von der Bereitschaft zur Veränderung und der Motivationsstufe wird ein langsameres oder rascheres Vorgehen festgelegt.

Liegt eine niedrige Bereitschaft, Unentschlossenheit oder gar Absichtslosigkeit vor, wird der Fokus auf dem ­weiteren Gespräch liegen, mit dem Ziel, Patienten weitere Informationen zu möglichen unterstützenden Massnahmen zu vermitteln oder Ambivalenzen aufzulösen. Sie werden in ihrem Gedankenprozess unterstützt, sodass sich ihre Selbstwirksamkeit erhöht und sie mit gestärkter Zuversicht in den Prozess einsteigen. Hier kann das Motivational Interviewing (MI) als geeignetes Instrument eingesetzt werden. MI hat zum Ziel, mittels klientenzentrierter, direktiver Methode die intrinsische Motivation für eine Veränderung zu verbessern mittels Erforschung und Auflösung von Ambivalenz (Miller & Rollnick, 2002). Dabei sollen Patienten durch gezielte Fragestellungen eigene Bewältigungsschritte und Ziele definieren und formulieren. Sie sollen sich ihrer persönlichen Stärken bewusst werden und sich diese zunutze machen. Damit gewinnen sie an Selbstvertrauen und Zuversicht. Ein wichtiger Aspekt des MI ist gutes Zuhören bzw. Patienten ausreden zu lassen. So erhalten sie die Möglichkeit, eigene Gedanken zum Thema zu entwickeln, welche einen inneren Prozess (Auflösung der Ambivalenz) unterstützen können.

Mit Patienten, die hoch motiviert und gut vorbereitet sind, können bereits konkrete nächste Schritte besprochen werden. Wann immer möglich, wird die Schlusspunktmethode (abrupter Rauchstopp) angestrebt. In Ausnahmefällen kann eine Reduktionsstrategie als erstes Zwischenziel in Erwägung gezogen werden.

Medikamente in der Erstberatung

Meist wird in der ersten Beratung der Einsatz von unterstützenden Medikamenten empfohlen (European Strategy for Smoking Cessation Policy WHO, 2004). Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Patienten, die zu unserer Rauchstoppberatung kommen, häufig schon mehrere frustrane Rauchstoppversuche hinter sich haben, und eine gewisse Eskalation der Intervention notwendig erscheint.
Empfehlungen zu Wahl und Dosierung richten sich nach dem täglichen Zigarettenkonsum, Anzahl Packyears und FTND-Score (Tab. 1). Unsere Empfehlung wird mit den Präferenzen des Patienten abgeglichen und ein Konsens angestrebt (Adhärenz!).

Als Erfolg versprechendste Vorgehensweise zur langfristigen Rauchfreiheit wird – gestützt auf der Empfehlung der WHO – eine Kombination empfohlen aus medikamentöser Therapie und wiederholten Beratungssitzungen. Als medikamentöse Therapie kommen Nikotinersatztherapie (NET/NRT) infrage oder der Einsatz von Bupropion, Vareniclin oder Cytisin. Ganz selten wird das Hilfsmittel L-Cystein-Lutschtabletten (Acetium®) eingesetzt, besonders wenn die Motivation für den Rauchstopp gering ist und eine Rauchreduktion im Vordergrund steht.

Rauchreduktion, ob mit NRT (z. B. Inhaler) oder mit Acetium®, ist aus unserer Sicht nur ein Zwischenschritt zum Rauchstopp (reduce to quit) und wird nur ausnahmsweise als primäre Strategie empfohlen. Oft kommt es vor, dass Patienten den geplanten abrupten Rauchstopp beginnen, aber nicht fortführen können. Einige erfahren einen Rückfall mit wenigen Zigaretten. Andere erzielen gar nicht erst den vollständigen Rauchstopp, schaffen am Rauchstopp-tag aber eine deutliche Reduktion (zahlenmässig > 50 % Reduktion des bisherigen Konsums an Tabak) und können diesen reduzierten Konsum beibehalten. Dies wird in der Beratung als Zwischenerfolg gewürdigt und in einem zweiten Schritt der komplette Rauchstopp erarbeitet.

Patienten werden informiert, dass die medikamentöse Unterstützung lediglich ein Hilfsmittel darstellt, welches den Rauchstopp-Prozess erleichtert und die Entzugssymptome u.a. teilweise vermindert. Wenn es Patienten schaffen, mit dem Rauchen ganz aufzuhören und diesen Zustand über längere Zeit halten können (ohne Rückfall), dann ist das ihre Eigenleistung und nicht primär das Resultat einer medikamentösen Strategie. Es gibt kein Rauchstoppmedikament, welches dazu führt, dass «es plötzlich nicht mehr raucht». Bei einem adäquat gewählten Schmerzmittel darf man erwarten, dass die Schmerzen für die Dauer der Medikamentenwirkung vollständig verschwinden. Diese «einfache» Art der Problembehandlung gibt es für Rauchende nicht. Es braucht immer eigenes Zutun, Eigeninitiative, Anwendung von (erlernten) Strategien und Verhaltensänderung, damit eine langjährige Gewohnheit und Sucht definitiv überwunden werden kann.

Je nach Begleitdiagnosen, Eignung und Einstellung der Patienten werden Wirkungsweisen und die Einnahme der oben genannten Medikamente erklärt sowie mögliche Nebenwirkungen erläutert und mögliche Kontraindikationen geprüft. Nicht selten erscheinen mögliche Nebenwirkungen den Patienten plötzlich inakzeptabel. Manchmal hilft es dann, auf die «Nebenwirkungen» oder Folgen der Tabakzigarette hinzuweisen, welche ohne langen Beipackzettel verkauft wird, obwohl die Liste der schädlichen Effekte lang ist.
Gegen Ende der ersten Beratung sollen die Patienten drei Skalen-Fragen beantworten. Er/sie soll sich festlegen, wo er/sie sich auf einer Skala von 0–10 bezüglich Wichtigkeit, Zuversicht und Bereitschaft (für den Rauchstopp) zum aktuellen Zeitpunkt einstuft. Wir besprechen die momentane Einstellung/Einstufung anhand der Antworten. Auch hier können Fragen aus dem MI-Katalog helfen, Patienten dahingehend zu motivieren, dass sie sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst werden, indem sie diese herleiten und aussprechen. Patienten erhalten zusätzlich ein doppelseitiges Handout mit Rauchstopptipps für COPD-Patienten, damit sie wichtige Informationen (3) selbst nachlesen können.

Die Beratung endet mit aktuellen Fragen. Wir wollen von den Patienten wissen, ob das weitere Vorgehen nachvollziehbar und erste Schritte umsetzbar erscheinen und/oder zu welchem ersten Schritt sie sich aktuell imstande fühlen. Damit soll vermieden werden, dass Patienten einen zu grossen «Berg» vor sich sehen, sondern erkennen, dass der Prozess aus mehreren Etappen besteht, durch die sie begleitet werden, selbst Verantwortung übernehmen und das Tempo der einzelnen Schritte mitbestimmen dürfen.

Schwerpunkte in der 1. Beratung (abhängig von der Ausgangslage des Patienten)
– Vorstellen des Rauchstopp-Programms
– Fokussierte Anamnese, inkl. Fagerström-Test
– Wo steht die rauchende Person im Prozess? (Zuordnung im Transtheoretischen Modell nach Prochaska/Di Clemente, 1982), Haltung/Erwartungen/Erfahrungen
– Erfahrungen mit NRT?
– Informationsvermittlung/Patientenedukation: Komponenten der Tabakabhängigkeit, Grundsätze der Verhaltensänderung, erfolgreiche und bewährte Strategien (Beratung, verschiedene Medikamente, Komplikationen und Rückschläge möglich, erste Zieldefinition, regelmässige Beratungen wahrnehmen)
– Individualisierte Strategie – inkl. Empfehlung bezüglich Medikament mit erwarteten Vorteilen
– Hauptmotivation/«Guter Grund» für Rauchstopp
– Motivationswaage (Pros und Cons Rauchen/Nichtrauchen)
– Rauchprotokoll
– Thematik Alternativhandlungen
– Zuversicht/Wichtigkeit/Bereitschaft
– Ziele
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums und ggf. Rauchstopptages

Die Zweitberatung/Folgeberatung (Zeitaufwand 30–45 Min.)

Die Zweitkonsultation steht unter dem Motto: erste Schritte zur Verhaltensänderung (changing your habits). Nach der Begrüssung ist die Einstiegsfrage in der Regel «Wie ist es gegangen?» oder offener formuliert «Berichten Sie mir, was seit unserer ersten Sitzung passiert ist». Die Art und Weise der Berichterstattung sowie der Inhalt der Antworten können aufschlussreich sein. Den Patienten ist unbedingt genügend Redezeit zu geben, damit sie ihre Situation mit eigenen Worten beschreiben können. Allenfalls sind kurze Ergänzungsfragen oder konkrete Nachfragen notwendig, um die Beschreibung der ersten Erfahrungen zu komplettieren und richtig zu verstehen. Was hat sich verändert? Ist der Rauchstopp schon erfolgt, oder sind Sie noch in der Vorbereitungsphase? Wie reagiert Ihre Umgebung auf die Verhaltensänderung? Wie transparent wird der Prozess gegenüber dem Arbeitsumfeld kommuniziert? In welchen Situationen konnten Zigaretten vereinzelt oder gänzlich weggelassen werden? Werden Entzugserscheinungen wahrgenommen?

Welche Situationen wurden als schwierig empfunden? Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Insbesondere erfolgreich bewältigte Situationen sollen vom Patienten detailliert und repetitiv über die gesamte Beratungsdauer hinweg beschrieben werden. Es lohnt sich, den dafür notwendigen zeitlichen Raum zu geben. Mit jeder erfolgreichen Bewältigungsreaktion wird die Selbstwirksamkeit der Patienten erhöht. Sie bildet eine neue Grundlage für weitere erfolgreich zu bewältigende Situationen. Damit lässt sich das Rückfallrisiko senken (vgl. Rückfallmodell Marlatt & Gordon, 1985).

Nach einem ersten Erfahrungsbericht der Patienten wird das Rauchprotokoll (Selbstbeobachtung) gemeinsam besprochen und analysiert, und damit werden Tendenzen und Muster erkannt und isoliert betrachtet. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Basis für den weiteren Beratungsprozess.

Die Besprechung der bearbeiteten Motivationswaage gibt ebenfalls Aufschluss über mögliche Ambivalenzen, den Motivationsstand, über Zuversicht und Bedenken und ist wegleitend für den weiteren Verlauf der Beratung.

Eine Besprechung der Alternativhandlungen (Ablenkungen) sowie «Wenn-Dann-Pläne» für konkrete Handlungen, Orte, Zeiten oder Emotionen, welche bislang mit einer Zigarette verbunden sind, zeigen ebenfalls auf, wie- weit sich Patienten bereits mit dem Prozess auseinandergesetzt haben. Bei Patienten mit eher niedriger Motivation oder gar Absichtslosigkeit finden sich in der Regel noch keine Ergebnisse, bei höherem Engagement und höherer Motivationsstufe ist die Auseinandersetzung aufgrund der bereits ausgefüllten Alternativhandlungen oder Ideen dazu erkennbar. Themen können aufgenommen und ggf. gemeinsam weiterentwickelt und konkretisiert werden. Bei vereinzelten Patienten muss zu diesem Zeitpunkt nochmals erläutert werden, was der eigentliche Sinn dieses «Werkzeugs» ist, dass es letztlich um Entkoppelung alter Verbindungen und das Erlernen und Etablieren neuer Verbindungen geht.

Die Übersicht über Tipps für Hand, Mund, Kopf und Körper kann Inspiration und Ideen liefern zu praktischen Ablenkungsmassnahmen.
Tun sich Patienten schwer damit, sich auf Veränderungen festzulegen, können als erster Schritt ein- bis zwei Situationen definiert werden, in denen die Patienten den Einsatz von Alternativhandlungen ausprobieren könnten. Darauf aufbauend, können im Verlauf weitere Schritte dazukommen.

Erfahrungsgemäss bringen nicht alle Patienten den Handlungsplan zu Folgeberatungen mit. Dies kann ein Hinweis sein auf mangelndes Interesse oder darauf, dass dieses In­strument in der Form nicht zusagt. Ggf. können alternativ andere Vorgehensweisen, jedoch im Prinzip mit gleichem Inhalt, gewählt werden.

Je nachdem müssen Patienten aber auch daran erinnert werden, die Themen zu erarbeiten und den Handlungsplan mitzubringen. Andererseits gibt es aber auch Patienten, die den Handlungsplan detailliert erarbeiten und mit vorbereiteten Fragen in die Folgeberatung kommen.

Überprüfung Medikation

Je nachdem haben Patienten zum Zeitpunkt der Folgeberatung schon mit der Einnahme begonnen und erste Erfahrungen gemacht. Wir fragen nach Verträglichkeit, Wirkung und möglichen Nebenwirkungen und überprüfen die korrekte Anwendung (insbesondere bei NRT). Ggf. muss bei NRT die Dosierung angepasst oder bei Anwendungsschwierigkeiten erneut instruiert oder auf ein anderes, gleichwertiges Produkt gewechselt werden (z. B. Inhaler statt Kaugummi).

Wenn es um den Einsatz von Medikamenten geht, muss wiederholt erwähnt werden, dass diese lediglich eine Unterstützung im Rauchstopp-Prozess bedeuten: Die Hauptarbeit liegt bei den Patienten.

Planung des Rauchstopptages

«Quit Day» mittels Notizen zum Tagesablauf (Abb. 5, Mein Rauchstopptag). Patienten bestimmen wann der Rauchstopptag stattfindet. Je nach Situation kann ein konkreter Vorschlag vereinbart werden. Es empfiehlt sich, den Rauchstopptag und die ersten Tage danach konkret und detailliert zu planen, um unerwartete und damit unvorbereitete (Hochrisiko-)Situationen möglichst zu vermeiden. Unterstützend kann das Merkblatt «Checkliste Vorbereitung für den Rauchstopp» hinzugezogen werden.

Inhaltliche Vorschläge sind: Einkaufsliste schreiben mit Produkten, die den Rauchstopp unterstützen sollen (Getränke, Obst, Gemüse, Kaugummis, Bonbons, Süssholz, evtl. Nikotinersatzprodukte, neue Laufschuhe u.v.m.).

Planung von bewussten Ablenkungsaktivitäten: Verabredung mit Familie/Freunden (gemeinsame Aktivitäten, Wellness, Kino, Theater …), Massagetermine vereinbaren u.v.m.

Spuren des Rauchens entfernen: Sämtliche Zigarettenvorräte, Feuerzeuge, Aschenbecher entfernen. Haustextilien waschen (ggf. Abgabe des Merkblatts zu Third Hand Smoke), Auto grundreinigen lassen, Termin für professionelle Zahnreinigung vereinbaren etc. Diese minutiöse Planung dient einer Risikominimierung und Vorbeugung von schwer «handelbaren» Craving-Situationen oder zur Überbrückung von Zeitfenstern, in denen man nicht weiss, was ohne Zigarette zu tun ist. Falls Patienten noch nicht so weit sind mit der Festlegung des Rauchstopptages, kann man ankündigen, das Thema bei der nächsten Beratung wiederaufzunehmen.

Erfahrungsgemäss gibt es ein ca. zweiwöchiges Zeitfenster von erhöhter Motivation für einen Rauchstopp. Anschliessend beginnt die Motivation etwas abzuflauen. Der Quit Day sollte also nicht zu weit hinausgeschoben werden. Verhandeln Patienten das Rauchstoppdatum wiederholt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass die Bereitschaft, den Rauchstopp konkret umzusetzen, tief ist. Ggf. müssen in solchen Fällen neue Zwischenziele definiert werden. Der Beratende sollte konkret nachfragen, wo aktuell noch Hürden oder Bedenken bestehen. Darauf folgt die Frage, welche Massnahmen oder Umstände die Motivation und Zuversicht zu steigern vermögen.

Möglicherweise zu erwartende Entzugssymptome werden besprochen. Dabei kann das Merkblatt «Entzugserscheinungen nach einem Rauchstopp» abgegeben werden. Es gibt eine Übersicht über mögliche Symptome, deren ungefähre Dauer und Bewältigungstipps.

Die Sitzung endet mit der Frage nach der aktuellen Zuversicht und nach konkreten nächsten Schritten, die realistisch umsetzbar sind.

Schwerpunkte in der 2. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback
– Auswertung Protokoll, Motivationswaage, Alternativhandlungen
– Schwierige/gut gemeisterte Situationen/Feedback aus Umfeld
– Erste neue Gewohnheiten
– Tipps für Hände, Mund, Kopf und Körper
– Vorbereitung des Rauchstopptages, die ersten 24–48 Stunden
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums, Notfallmassnahmen besprechen, Notfallkarte mitgeben

3. Beratung (Zeitaufwand ca. 30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen der Patienten werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Falls noch nicht geschehen, wird die Festlegung des Rauchstopptages erneut besprochen und wenn möglich definiert. Falls der Rauchstopptag schon vorbei ist, fragen wir nach dem Abstinenzerfolg.Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Wo greifen die Ressourcen? Wo sind Hindernisse vorhanden? Wo sind Verhaltensanpassungen erforderlich? Welche Situationen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit? Welche möglichen Entzugssymptome sind aufgetreten? Wie wurden sie wahrgenommen? Was konnte dagegen unternommen werden? Welche Situationen haben sich als weniger schlimm erwiesen als befürchtet? Gab es unerwünschte Wirkungen der Medikamente?

Besprechung des Craving-Ampelmodells: Gedanken ans Rauchen können in 3 Stufen eingeteilt werden: Grün, Gelb und Rot. Gedanken ans Rauchen sind normal. Die Frage ist, wie stark sie eine Situation dominieren. Bei «Grün» wird der Gedanke wahrgenommen, er ist aber nicht quälend und vergeht rasch wieder. Bei der Farbe «Gelb» bleibt der Gedanke ans Rauchen hartnäckig, und es muss aktiv auf Bewältigungsstrategien zurückgegriffen werden. Dies in Form von Ablenkungen oder gezielten Beschäftigungen, wie beispielsweise Atemübungen. Quälende Gedanken, die sich kaum verdrängen lassen und unüberwindbar erscheinen, werden dem «roten» Bereich zugeordnet. In solchen Situationen kommen die Notfallmassnahmen (Abb. 6) zum Tragen. Wir geben eine Notfallkarte ab. Sie enthält Kontaktdetails der beratenden Personen (Pflegefachperson und Arzt) und auf der Rückseite die Notfallmassnahmen.

Welche körperlichen Veränderungen werden wahrgenommen? Was hat sich bisher verändert? Welche sozialen Reaktionen wurden erfahren? Wie ist der Umgang mit Hochs und Tiefs? Auf welche Unterstützung kann gezählt werden? Welche sind konkrete nächste Schritte?

Schwerpunkte in der 3. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback Abstinenzerfolge
– Positive Veränderungen
– Entzugssymptome/Gegenmassnahmen
– Ampelmodell des Suchtdrucks
– Zuversicht
– CO-Messung
– Folgeberatungsdatum fixieren

4. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Die Patienten werden aufgefordert, Situationen zu beschreiben, die sie gut gemeistert haben. Rauchfreiheit wird gewürdigt und zum Abstinenzerfolg gratuliert. Die Beratenden fragen nach Veränderungen, welche seit dem Rauchstopp spürbar und wahrnehmbar sind. Ggf. führen sie den Patienten die Anzahl rauchfreier Tage vor Augen und honorieren diese. Wie viel Geld konnten sie so einsparen? Mögliche Stolpersteine werden thematisiert. Es wird zwischen einem Vorfall, einem einmaligen Ausrutscher («slip»: ohne ins alte Muster zurückzufallen) und einem Rückfall («relapse»: gleiches Verhaltensmuster wie vor dem Rauchstopp) unterschieden. Gemeinsam wird besprochen, wie sich Rückfälle vermeiden lassen, wie sie im Falle eines Eintretens zu bewältigen sind und welche Konsequenzen daraus für zukünftige Situationen abzuleiten sind. Patienten sollen eigene Strategien erarbeiten und formulieren.

Thematisierung Trigger
Dabei geht es um die Vergegenwärtigung potenzieller Situationen, die mit Rauchen in Verbindung gebracht werden könnten und die somit ein erhöhtes Risiko für Vor- oder Rückfälle darstellen. Mögliche Trigger können bestimmte Tageszeiten, bestimmte Orte, verschiedene Tätigkeiten oder bestimmte Emotionen sein (Abb. 7, Triggersituationen). Wir erklären, wie wichtig es ist, eigene, individuelle Auslöser zu kennen. So kann man sich im Vorfeld auf riskante Situationen vorbereiten und unangenehme Überraschungen vermeiden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch das Wissen um und das Vertrauen auf persönliche Bewältigungsstrategien und die Vergegenwärtigung bereits positiv bewältigter Situationen.

Patienten werden zudem auf das Risiko einer gewissen Gewichtszunahme angesprochen (nach dem Rauchstopp durchschnittlich zwischen 3 und 5 kg). Wir erklären, warum der Körper im Durchschnitt ca. 200 kcal pro Tag weniger verbraucht. Falls erwünscht, machen wir zur Ernährung Vorschläge, z. B. bevorzugt Obst und Gemüse statt Schokolade essen, viel Wasser oder ungesüssten Tee trinken, die Wahl der Kohlenhydrate beachten (eher dunkles Mehl bzw. Vollkorn bevorzugen als Weissmehlprodukte) und Bewegungseinheiten im Alltag steigern. Auf Wunsch der Patienten oder nach Ermessen des Behandlungsteams kann auch die Ernährungsberatung einbezogen werden.

Inzwischen konnte seit dem Rauchstopp ein gewisser Betrag an Geld eingespart werden. Dieses Thema kann zu Motivationszwecken individuell vertieft werden. CO-Messung und Frage nach der Zuversicht, ggf. wird auf frühere Angaben hingewiesen. Es werden nächste Schritte und Schwerpunkte definiert.

5. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. An diesem Punkt werden die Themen Aufrechterhaltung der Nikotinabstinenz und erneut Vermeidung von Vor- und Rückfällen besprochen. Körperliche Veränderung über den Verlauf der Beratungen werden thematisiert. Der Abstinenzerfolg wird gewürdigt. Auf den Prozess der erfolgten Rauchentwöhnung zurückzublicken kann hilfreich sein, um einzelne wichtige Themen nochmals zu erörtern sowie positive Erfahrungen zu benennen und zu verinnerlichen. Patienten erkennen ihre Leistung, die sie in diesem Prozess erbracht haben, und fühlen sich befähigt, in eine rauchfreie Zukunft zu gehen. Im Weiteren geht es um die Thematisierung der neuen Identität als nicht rauchende Person. Auf Wunsch wird erneut eine CO-Messung gemacht, insbesondere dann, wenn seit dem Quit Day schon drei Monate vergangen sind.
Das Thema finanzielle Einsparungen kann noch einmal aufgenommen werden. Man kann beispielsweise empfehlen, das eingesparte Geld bewusst zu sparen und für etwas ganz Besonderes auszugeben, das man sich sonst nicht leisten würde. Den Patienten soll die Summe des eingesparten Geldes bewusst gemacht werden.

Ziel ist es, dass Patienten zuversichtlich, mit hoher Selbstwirksamkeit und dem Wissen um die Umsetzung von Bewältigungsstrategien in diversen Lebenslagen die Rauchstoppberatung abschliessen können.

Weitere Beratungstermine

Manchmal werden weitere Beratungstermine benötigt, insbesondere wenn der effektive Rauchstopp erst verzögert umgesetzt wurde. Ziel ist es immer, die Patienten über die ersten drei Monate nach einem Rauchstopp hinaus zu begleiten, wenn sich Bewältigungsstrategien, neue AlltagsAbläufe und Rituale festigen. Für Patienten kann diese zeitlich ausgedehnte «externe Verbindlichkeit» hilfreich sein, um in Hochrisikosituationen weiterhin abstinent zu bleiben.

Abschluss

Wir bieten an, auf Wunsch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Wir geben ggf. die Nummer der nationalen Rauchstopplinie an (https://stopsmoking.ch/) und motivieren Patienten, frühzeitig externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, falls erneute Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung der Rauchfreiheit eintreten sollten. Hierzu können sich Patienten auch niederschwellig per E-Mail mit der Rauchstoppberaterin in Verbindung setzen. Wann immer möglich wird versucht, den Rauchstatus nach 3 Monaten zu objektiveren (CO-Messung). Manchmal gibt es alternative Überprüfungsmöglichkeiten im Spitalsetting, z. B. arterielle Blutgasanalysen ohne erhöhten CO-Nachweis. Dies sind Bestimmungen, die im Kontext anderer medizinischer Indiktionen vorgenommen werden und uns zur Objektivierung des Rauchstopperfolges dienlich sind.

12 Monate nach Datum des Rauchstopps erfolgt ein telefonisches Follow-up. Dabei wird der Rauchstatus erfragt und dokumentiert. Sollten Patienten noch immer oder wieder erneut rauchen, wird der Zeitpunkt genutzt, um niederschwellig eine Wiederaufnahme der Beratungen anzubieten. Sind Patienten über die 12 Monate hinweg rauchfrei geblieben, berichten sie erfahrungsgemäss gerne vom neuen Lebensgefühl als Nichtraucherin oder als Nichtraucher.

Jenseits der Standardsituation / Grenzen der Rauchstoppberatung

Schwangere

Schwangeren wird zu Recht geraten, mit dem Rauchen gänzlich aufzuhören. Fortgesetztes Rauchen ist mit erhöhten Risiken für die Schwangere und das ungeborene Kind assoziiert. Beachtlich viele Frauen hören mit dem Rauchen auf, wenn sie erfahren, dass sie schwanger sind. Frauen in der Frühschwangerschaft, die es auf Anhieb nicht schaffen, den Tabak- und Nikotinkonsum aus eigener Kraft einzustellen, sind meistens motiviert, professionelle Unterstützung anzunehmen. Die besten Resultate werden bei diesen Frauen erreicht, wenn ihnen ein finanzieller Anreiz gegeben wird. Es kann eine Prämie (Geld) ausgezahlt werden, wenn der Rauchstopp für eine längere Zeit eingehalten wird. In der Schwangerschaft ändert sich der Nikotinmetabolimus, sodass z.T. eine erhöhte Nikotinzufuhr die Folge ist. Dies gilt es zu bedenken, wenn Nikotinersatz eingesetzt wird. Nikotin aus registrierten Nikotinersatzprodukten ist gesundheitlich besser als fortgesetzter Tabakkonsum. Das Beste ist der komplette Rauch- und Nikotinstopp (5, 6, 7).

Psychische Erkrankungen

Bei instabilen psychischen Situationen, z. B. schwerer Depression oder Schizophrenie, führen wir eine orientierende Beratung durch. Wir empfehlen dann eine psychiatrische Betreuung, bevor die Rauchstoppberatung weitergeführt wird. Ggf. erfolgt die Wahl und Dosierung unterstützender Rauchstoppmedikamente in Absprache mit dem behandelnden Psychiater / der behandelnden Psychiaterin. Sozial, psychisch oder emotional sehr stark belastete Menschen bewegen sich oft in komplexen Problemkreisen, wobei das Rauchen gewissermassen symptomatisch als zentrale Bewältigungsstrategie empfunden werden kann und der Gesundheitskontext zweitrangig ist. Bei solchen Personen kann die Empfehlung zum Rauchstopp eine schier unüberwindbare Hürde darstellen.

In solchen Fällen wird nicht auf einen Rauchstopp insistiert, sondern Verständnis gezeigt. Den Patienten wird das Angebot einer weiteren Beratung unterbreitet für die Zeit, wenn sich die Lebenskrise oder die momentane Situation gebessert hat. Allein das Gespräch übers Rauchen und über die aktuelle Belastungssituation kann unterstützend wirken. Es wird vereinbart, dass eine Folgeberatung oder eine telefonische Kontaktaufnahme durch uns geschieht, und ein Zeitpunkt dafür festgelegt, z. B. in sechs Monaten. Bei motivierten Patienten, die psychisch stabil eingestellt sind, kommen die klassischen Rauchstoppmedikamente ohne signifikante Erhöhung von Komplikationen zur Anwendung (8). Sind die Voraussetzungen weniger günstig, kann auch einmal eine Schadensminderungsstrategie, z. B. Benützung des Inhalers zur Reduktion der Anzahl gerauchter Zigaretten, ausnahmsweise zur Anwendung kommen.

Terminale Patienten / palliative Situationen

Es ist verständlich, dass Patienten mit beispielsweise Krebserkrankungen z. T. einen Rauchstoppwunsch haben. Bei gewissen Tumoren ist die Ansprechrate auf die Therapie deutlich besser nach einem Rauchstopp (verbesserte Durchblutung des Tumorgewebes bei Systemtherapien) (9). Wir beraten und behandeln auch diese Patienten bei einem Rauchstoppwunsch.

Danksagung
Wir möchten Eveline Rutz für die sprachliche Durchsicht und Korrekturen danken.

PD Dr. med. Macé M. Schuurmans

Klinik für Pneumologie
Leitung Rauchstoppsprechstunde
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

mace.schuurmans@usz.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Ärztliche Rauchstoppberatung. Die Dokumentation für die Praxis. Jacques Cornuz, Isabelle Jacot-Sadowski, Jean-Paul Humair. 3. Auflage. Frei von Tabak, 2016
2. Tabakkonsum und Tabakabhängigkeit. Christoph B. Kröger, Bettina Lohmann. 1. Auflage. Hogrefe Verlag, 2007
3. Macé M. Schuurmans, Marc Müller, Jürg Pfisterer, Carole Clair, Werner
Karrer. Rauchstopp für COPD Patienten. Schweiz Med Forum 2015;15(49):1155-1158
4. Macé M. Schuurmans, Anne-Katharina Burkhalter und Jean-Pierre Zellweger
Rauchstopp-Beratung für die Praxis Evidenz-basierte Informationen und erfahrungsmedizinische Tipps.
Psychiatrie 2•2009
5. Elisabeth Biewald, Denise Casanova, Macé Schuurmans. Individuelle Rauchstoppberatung Persönlicher Handlungsplan, Verein Lunge Zürich, The Circle 58, 8058 Zürich-Flughafen. Bildmaterial LUNGE ZÜRICH: Konzepte erarbeitet durch die Autoren dieses Aritkels.
6. Berlin I, Berlin N, Malecot M, Breton M, Jusot F, Goldzahl L. Financial incentives for smoking cessation in pregnancy: multicentre randomised controlled trial. BMJ. 2021 Dec 1;375:e065217. doi: 10.1136/bmj-2021-065217. Erratum in: BMJ. 2021 Dec 3;375:n3012. doi: 10.1136/bmj.n3012. Erratum in: BMJ. 2022 Feb 22;376:o448. doi: 10.1136/bmj.o448. PMID: 34853024; PMCID: PMC8634365.
7. Robijn AL, Tran DT, Cohen JM, Donald S, Cesta CE, Furu K, Parkin L, Pearson SA, Reutfors J, Zoega H, Zwar N, Havard A. Smoking Cessation Pharmacotherapy Use in Pregnancy. JAMA Netw Open. 2024 Jun 3;7(6):e2419245. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.19245. PMID: 38941092; PMCID: PMC11214111.
8. Correa JB, Lawrence D, McKenna BS, Gaznick N, Saccone PA, Dubrava S, Doran N, Anthenelli RM. Psychiatric Comorbidity and Multimorbidity in the EAGLES Trial: Descriptive Correlates and Associations With Neuropsychiatric Adverse Events, Treatment Adherence, and Smoking Cessation. Nicotine Tob Res. 2021 Aug 29;23(10):1646-1655. doi: 10.1093/ntr/ntab056. PMID: 33788933; PMCID: PMC8521682.
9. Chellappan S. Smoking Cessation after Cancer Diagnosis and Enhanced Therapy Response: Mechanisms and Significance. Curr Oncol. 2022 Dec 17;29(12):9956-9969. doi: 10.3390/curroncol29120782. PMID: 36547196; PMCID: PMC9776692.

Praktische Empfehlungen zur Nachbetreuung nach Myokarditis

Die Myokarditis ist eine heterogene inflammatorische Erkrankung des Myokards, welche ätiologisch, pathophysiologisch und nicht zuletzt in der klinischen Präsentation stark variiert. Diese drei Aspekte beeinflussen den Verlauf und die Prognose der Erkrankung. Am häufigsten ist die viral bedingte akute Myokarditis, die meist einen unkomplizierten Verlauf und eine gute Prognose aufweist. Therapieoptionen sind limitiert und spezifische Behandlungen beschränkt auf spezielle Formen der Erkrankung. Diese Zusammenfassung soll mit Blick auf klinisch relevante Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild eine praktische Anleitung für das Management in der Nachsorge geben.

Practical recommendations for follow-up care after myocarditis Myocarditis is a heterogeneous inflammatory disease of the myocardium that varies greatly in terms of aetiology, pathophysiology and clinical presentation. These three aspects influence the course and prognosis of the disease. The most common is acute viral myocarditis, which usually has an uncomplicated course and a good prognosis. Therapeutic options are limited and specific treatments are restricted to specific forms of the disease. This summary is intended to provide practical guidance for the management of follow-up care with regard to clinically relevant background information on the clinical picture.
Key words: Acute myocarditis, heart failure, arrhythmia, sudden cardiac death, return to play

Akute Myokarditis: eine Uebersicht

Allgemein

Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Definition von 1995 (1) ist Myokarditis eine inflammatorische Erkrankung des Herzmuskels, die basierend auf etablierten histologischen, immunologischen (2,3) und immunhistochemischen (3) Kriterien diagnostiziert wird. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat diese Definition übernommen (2).

Perimyokarditis oder Myoperikarditis: Ausräumen von Gerüchten

Perikarditis beschreibt die Entzündung des Herzbeutels und Myokarditis die des Herzmuskels. Diese Begriffe sind nur theoretisch trennbar, denn die Inflammation kennt keine anatomischen Grenzen und eine exakte Differenzierung der betroffenen Gewebestrukturen ist kaum möglich. Ueber die Bezeichnung der Mischformen bestehen oft Unsicherheiten. Im Gegensatz zu Patient/-innen mit Myoperikarditis haben die mit Perimyokarditis eine Einschränkung der linksventrikuären Ejektionsfraktion (LVEF) von <50% (2) und die Behandlung erfolgt gleich wie bei einer isolierten Myokarditis.

Diagnostik

Seit Einführung der Dallas-Kriterien für den histopathologischen Nachweis der Myokarditis (3) gilt die Endomyokardbiopsie als Goldstandard in der Diagnosestellung (Abbildung 1A). Jedoch hat es in den letzten zwei Dekaden seit Einführung und Entwicklung neuer Mittel – allem voran das Herz-Magnestresonanztomogramm (MRI) (Abbildung 1B) und kardiale hochsensitive Troponin T (hs-Trop-T) – eine Anpassung der diagnostischen Aufarbeitung gegeben. Die Kombination von Symptomen, Untersuchungsbefunden, Laborresultaten und kardialer Bildgebung mit transthorakaler Echokardiographie (TTE) und Herz-MRI, selten Positronen-Emissions-Tomographie (PET)-CT, ist in der klinischen Routine meist ausreichend, um die Diagnose zu stellen. Wir sprechen je nach Konstellation der Befunde von einer möglichen, wahrscheinlichen oder definitiven Myokarditis (4). Die Endomyokardbiopsie (EMB) bleibt schwerwiegenden Fällen vorbehalten, bei denen nach der Untersuchung eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist. Das Risiko für Komplikationen ist generell – wenn in Zentren mit Erfahrung für den Eingriff durchgeführt– gering (<1%), aber prinzipiell höher bei inflammatorischen Kardiopathien und bei linksventrikulärer Biopsie. Die EMB aus dem linken Ventrikel (LV) ist häufig bei allein linksseitigem Befall der Myokarditis nötig. Aufgrund der häufig fleckigen Verteilung der Entzündung ist der Stichprobenfehler meist hoch.

Herz-MRI: Diagnose und Prognose

Das Herz-MRI ist das zentrale nicht-invasive Tool für die Diagnosestellung und mithilfe der aktualisierten «Lake Louis Kriterien» (5) erreicht es eine Sensitivität von 88% und Spezifität von 96%. Dabei ist eine klare Differenzierung der Inflammation nicht möglich, doch können durch die regionale Verteilung mögliche Schlüsse auf die Aetiologie in Korrelation mit der Klinik gezogen werden, zum Beispiel die Beteiligung des basalen Ventrikelseptums bei kardialer Sarkoidose. Nicht zuletzt hilft das kardiale MRI bei der Prognoseeinschätzung für Patient/-innen mit vermuteter Myokarditis (Abbildung 2). So zeigt das Fehlen von late gadolinum enhancement (LGE) eine gute Prognose (6), während das Vorliegen von LGE in einer neueren Studie mit einer Verdoppelung der kardiovaskulären Ereignisse einherging (7).

Epidemologie

Vor der Covid-10 Pandemie betrug die globale Inzidenz der Myokarditis 1 bis 10 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr (8) mit dem grössten Erkrankungsrisiko für junge Männer im Alter von 20 bis 40 Jahre. Eine Zunahme dieser Zahlen ist – mit Verbesserung der «nichtinvasiven» diagnostischen Möglichkeiten und vermehrten Durchführung des Herz-MRIs für unkomplizierte Fälle – zu erwarten.

Pathophysiologie: das Drei-Phasen-Modell

Nach Kontakt mit einem auslösenden Pathogen, infektiös oder nicht-infektiös, kommt es zur Destruktion von Myozyten, entweder direkt durch einen toxischen Effekt oder indirekt durch das Auslösen autoreaktiver immunologischer Prozesse (Phase 1). In den meisten Fällen führt die Elimination der auslösenden Substanzen zur Heilung der Myokarditis, in anderen Fällen jedoch zur Autoantikörper-vermittelten Persistenz der Inflammation, was mit und ohne viraler Perisistenz vonstattengehen kann (Phase 2). Auch in diesem Stadium ist noch ein Uebergang zur Heilung möglich. Selten kommt es in Folge zur chronisch-inflammatorischen Kardiomyopathie mit anhaltender Destruktion und Remodelling des Myokards (Phase 3) und im späten Stadium kann eine dilatierende Kardiomyopathie ohne Nachweis von Mikroorganismen vorliegen. Ein genetischer Hintergrund, der die Neigung des Einzelnen zur Erkrankung an einer Myokarditis und/ oder zur Entwicklung der genannten Spätstadien definiert, wird vielfach diskutiert wie auch die überlappenden Kriterien mit bestimmten genetischen Kardiopathien (9). Die Kenntnis der möglichen Verläufe der akuten Myokarditis sind wichtig für die Planung der Nachsorge dieser Personen.

Präsentation und Behandlung

Das klinische Bild der akuten Myokarditis kann sehr variabel sein. Die Hauptmanifestationen sind «infarktähnlich» mit Thoraxschmerzen (97%) und ST-Streckenhebungen (62%) im Elektrokardiogramm (EKG) mit meist unkompliziertem Verlauf, das heisst anhaltend normaler LVEF, ohne Arrhythmien und mit transplantatfreiem Ueberleben (10). In einer geringeren Anzahl Fälle kommt es zu zunehmender Herzinsuffizienz, kardiogenem Schock bei fulminanter Myokarditis, lebensbedrohlichen Arrhythmien wie atrioventrikulärer (AV) Block oder anhaltende ventrikuläre Arrhtyhmien bis hin zum plötzlichen Herztod (sudden cardiac death, SCD).

Die kardialen Nekrosebiomarker high sensitive-Troponin-T (hs-Troponin-T), Creatinkinase (CK)-MB sowie N-Terminal pro-Brain (NT-pro-BNP) sind sehr häufig erhöht. Trotzdem schliessen tiefe Enzyme oder das Fehlen eine Myokarditis nicht aus. Die Höhe der Werte korreliert zumeist nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung.

Zusammengefasst erfolgt die Behandlung der Myokarditis vor allem symptomatisch für die auftretenden Symptome oder supportiv entsprechend den jeweiligen Leitlinien für z.B. Herzinsuffizienz, Arrhythmien, Verhinderung von plötzlichem Herztod mit internem Defibrillator/ Kardioverter (ICD), falls nötig. In der Regel wird mit einer ICD Implantation oder auch Radiofrequenzkatheterablation von Kammertachykardien bis zur Ausheilung der Inflammation gewartet, allenfalls kann diese Zeit mit einer Life Vest überbrückt werden. Ausnahmen für eine frühe ICD Implantation bilden die kardiale Sarkoidose und die Riesenzellmyokarditis. Auch eine immunsuppressive Therapie ist diesen spezifischen Formen der Myokarditis sowie der eosinophilen und der Immuncheckpointinhibitor (ICI)-Myokarditis vorbehalten, nachdem behandelbare Ursachen wie parasitäre Erkrankungen bei der Eosinophilie ausgeschlossen bzw. die auslösenden Noxen entfernt wurden. Nur wenige Studien haben eine günstige Wirkung auf die Entwicklung der LVEF bei chronischer Myokarditis gezeigt und die Behandlung kann wegen fehlender Evidenz nicht empfohlen werden (11-13). In einem aktuellen Expertenkonsensusdokument der American Heart Association (AHA) wird zu der Gabe von 1g Solumedrol bei fulminanter Myokarditis mit hohem Verdacht auf eine immunmediierte Form noch vor weiterführender Diagnostik wie EMB zum Virenausschluss aufgerufen (20).
Im Klinikalltag wird häufig bereits ab einer LVEF < 50% oder auch normaler Pumpfunktion eine RASS Blockade in protektiver Absicht eingeleitet und ein Betablocker für alle Patient/-innen eingesetzt. Der Nutzen der Therapie für die Betroffenen hinsichtlich Remodelling, Fibrosebildung respektive Arrhythmien ist unklar. Eine Therapieempfehlung kann daher nicht ausgesprochen werden. Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der ESC gestellt und weitergeführt werden (14).
Jede Myokarditis sollte für mindestens 48 Stunden hospitalisiert werden, um die Dynamik der Erkrankung zu beobachten.

Nachsorge

Die Nachbetreuung der Patient/-innen mit Myokarditis umfasst die Beobachtung des Rückgangs der Beschwerden und des Verlaufs der Inflammation, um sekundär auftretende Komplikationen zu erfassen, die eine Aenderung der Behandlungsstrategie erfordern würden. Die Einschätzung des Risikos für Arrhythmien und der Entscheid bezüglich Rückkehr zu sportlicher Aktivität ist eine andere wichtige Aufgabe der Nachsorge dieser Patient/-innen. Die Nachsorgeplanung beginnt bereits im Spital mit der Risikoklassifizierung.

Risikoklassifizierung

Für das primäre Management und die Nachsorgeplanung hat sich eine Risikoeinteilung als hilfreich erwiesen, welche insbesondere die initiale Präsentation der Erkrankung berücksichtigt (4, 8). Bei fulminantem Verlauf oder Auftreten von Komplikationen müssen die Nachsorgetermine engmaschiger geplant werden. Limitierend sind vor allem relevante Herzrhythmusstörungen wie AV-Block, anhaltende Kammertachykardien, Kammerflimmern und Herzkreislaufstillstand im Spital oder auswärts. Gerade bei Sportler/-innen ist der plötzliche Herztod eine gefürchtete Manifestation der akuten Myokarditis und kann in jeder Phase der akuten Erkrankung auftreten (7).
Als Hochrisikofaktoren gelten Symptome der akuten Herzinsuffizienz inklusive kardiogener Schock, die Einschränkung der LVEF auf weniger als 40% und das Auftreten relevanter Arrhythmien wie ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern oder AV-Block.Diese Menschen sollten an einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, weil das Risiko für eine akute Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation des Patient/-innen hoch ist und allenfalls eine provisorische Schrittmacherstimulation oder eine mechanische Kreislaufunterstützung (MCS) erfordert. Bei der mechanischen Kreislaufunterstützung kommen Geräte wie der «extracorporale life support» (ECLS/ECMO) und/ oder eine temporäre linksventrikuläre axiale Kreislaufpumpe zum Einsatz.

Plötzlicher Herztod

Das Risiko für einen plötzlichen Herztod bei akuter Myokarditis korreliert nicht immer mit dem Schweregrad der myokardialen Inflammation und/ oder der Troponinkonzentration im Serum. Zwar wird die linksventrikuläre Dysfunktion als wichtigster Prognosemarker für «adverse events» gesehen, doch kann ein plötzlicher Herztod auch bei normaler LVEF auftreten und ist am häufigsten mit Tachyarrhythmien assoziiert. Die pathophysiologische Entstehung der Arrhythmien bei akuter Myokarditis ist vielfältig. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die adrenerge Stimulation des inflammatorischen Myokards mit verändertem Milieu und Membranpotenial (19). Die Rückkehr zu sportli­cher Aktivität bzw. körperlich­er Anstrengung sollte erst nach voll­ständigem Ab­klingen der Ent­zündung erfolgen. In der kli­nischen Praxis gilt es, diesbezüglich auch die täglichen beruflichen Herausforderungen der Patient/-innen zu berücksichtigen; eine büroangstellte Person darf beispielsweise früher mit vollem Pensum zurück zur Ar­beit als ein Logistikmitarbeiter, der schwere Lasten heben muss.

Sportkarenz

Patient/-innen mit akuter Myokarditis wird die Empfehlung zur Sportkarenz für mindestens 3 bis 6 Monate in Anlehnung an die Vorgaben der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (2) und Empfehlung der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (4) ausgesprochen. Diese Empfehlung ist vor allem für Sportler/-innen, die an kompetitiven Wettkämpfen teilnehmen, gültig, unabhängig von Alter, Geschlecht und LVEF. Wegen fehlender Leitlinien für andere Patientengruppen – ausser Athleten – werden dieselben Richtlinien auch auf die Allgemeinbevölkerung angewandt.

Ein Modell (Abbildung 3)

Eine erste Kontrolle nach 1-4 Wochen dient in erster Linie der klinischen Verlaufsbeobachtung der Inflammation, denn häufig würde sich eine sekundäre Verschlechterung nach der Erstbeurteilung in diesem Zeitraum zeigen und ein Richtungswechsel des Managements könnte jetzt eingeleitet werden. Neben der anamnestischen Erhebung des Beschwerdeverlaufs erfolgt die Bestimmung der kardialen Biomarker und die Durchführung eines 12-Kanal-EKGs. Das in der Zwischenzeit durchgeführte Herz-MRI kann mit dem/der Patient/-in besprochen und eine bessere Einschätzung der Prognose als nach der ersten Risikobeurteilung erhoben werden. Nicht zuletzt ist diese Konsultation für die Patient/-innen wichtig, die bis anhin zumeist (herz)gesund waren, manche noch nie im Spital und nicht selten durch das Ereignis verunsichert sind. Es gilt, ihnen Sicherheit zu vermitteln und – insbesondere bei den am häufigsten unkomplizierten Verläufen – zu bestätigen, dass sie nach Abklingen der akuten Phase nicht beeinträchtigt sein werden. Der psychologische Aspekt und eine gute Aufklärung sind nicht unerheblich, insbesondere wenn die Patient/-innen Rezidive entwickeln.

Die Zweite Kontrolle erfolgt in der Regel nach 3 Monaten mit einem sogenannten «Triade Test», der 3 Untersuchungsmodalitäten umfasst: 12-Kanal-EKG, TTE, Troponinbestimmung. Die Rückkehr zur sportlichen Aktivität gilt als sicher, wenn zusätzlich keine relevanten Arrhythmien (anhaltende Kammertachykardien, AV-Block) in der 24 Stunden Rhythmusüberwachung und im kardialen Belastungstest vorkommen (15-17). Sofern ein Kriterium des Triade Tests pathologisch ausfällt oder Arrhythmien in einer Untersuchung nachgewiesen werden, gilt die Myokarditis als persistierend und weitere Verlaufskontrollen müssen folgen, z.B. nach weiteren 3 Monaten. Eine Erweiterung der diagnostischen und Aenderung der therapeutischen Strategie ist dann notwendig. In der Regel ist ein erneutes kardiales MRI und die Evaluation einer EMB zu empfehlen. Ein Sonderfall stellt die isolierte Erhöhung des Troponin-T dar. Differentialdiagnostisch muss an das Vorliegen heterophiler Antikörper, die mit dem Labor-Essay interferieren gedacht werden und die Bestimmung des ausschliesslich kardial exprimierten Troponin-I kann klären, ob es sich um einen laboranalytischen Fehler oder eine persistierende Inflammation handelt. Auch chronische Pathologien der Skelettmuskulatur führen zu einer Erhöhung des Troponin-T und müssen insbesondere in Hinblick auf systemische inflammatorische Erkrankungen mit myokardialer Beteiligung an dieser Stelle differenziert werden.

Nach Heilung der Myokarditis und Rückkehr des/der Patient/-in zu normaler körperlicher Aktivität muss die Entscheidung für die weiteren Nachkontrollen individuell, abhängig von der initialen Präsentation, dem klinischen Verlauf und zusätzlichen Befunden der kardialen Bildgebung wie Ausmass des Late Gadolinum Enhancements (LGE) und des Extrazellulärvolumens (ECV) im Herz-MRI getroffen werden. Bei unkompliziertem Verlauf sind zunächst jährliche Kontrollen mit Echokardiographie sinnvoll, später können die Abstände erweitert werden.

Fortsetzung der medikamentösen Therapie

Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für ­Kardiologie (ESC) 2023 (14) erfolgen und – insbesondere wenn anfangs nicht erfüllt – im Laufe der Nachsorgebehandlung in regelmässigen Abständen evaluiert werden. Nach Normalisierung der LVEF kann die Therapie formal sistiert werden. Eine partielle Fortsetzung, die sich nach den Komorbiditäten richtet, wie ACE-Hemmer bei Bluthochdruck oder Betablocker bei Vorhofflimmern, ist von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen. Die häufig gestellte Frage nach der Dauer einer «empirisch» begonnen medikamentösen Herzinsuffizienztherapie bei einer LVEF >40% bleibt an dieser Stelle unbeantwortet.

Rehabilitation

In der akuten Phase der Myokarditis ist ein kardiales Rehabilitationsprogramm selbstverständlich obsolet, da den Patient/-innen schon moderate körperliche Aktivität untersagt ist. Doch kann es während der Phase der Sportkarenz rasch zu einer Dekonditionierung kommen und die Symptome der Herzinsuffizienz bei kardialer Inflammation gehen in Leistungsminderung über.
Das Wiedererlangen, der Erhalt und der Aufbau der muskulären Kondition sind unerlässlich für die Rekonvaleszenz. Bleibt dies aus, können im Verlauf Symptome der Dekonditionierung häufig nicht von kardialen unterschieden werden. Ein multimodales Trainingsmodell zur kardialen Rehabilitation hilft, dass die Patient/-innen das Selbstvertrauen in ihr Körpergefühl, die körperliche Fitness zurückerhalten. Die Integration einer kardiopsychologischen Unterstützung in diese Programme fördert die Rückkehr zur Aktivität dieser Personen.

Schlussfolgerung

Daten zum Thema Nachsorge für Patienten und Patientinnen mit akuter Myokarditis sind begrenzt. Wir halten uns generell an die Richtlinien der ESC von 2013 (2) und der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (ACC) (4), die wir mit Hilfe von aktuellen Studien für unsere klinische Praxis adaptieren können.

Mit der Weiterentwicklung der kardialen Bildgebung, insbesondere dem Herz-MRI, sind mehr vielversprechende Untersuchungen zu erwarten, so dass eine weitere evidenzbasierte Verbesserung der Nachsorge von Patient/-innen mit Myokarditis wird folgen können.

Abkürzungen
AHA American Heart Association
AV-Block atrioventrikulärer Block
CT Computertomographie
ECLS/ECMO extracorporale life support
ECV extrazelluläres Volumen
EKG Elektrokardiogramm
EMB Endomyokardbiopsie
ESC europäische Gesellschaft für Kardiologie
hs-Troponin-T high-sensitive Troponin T
LGE Late Gadolinum Enhancement
LV linker Ventrikel
LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion
MCS mechanische Kreislaufunterstützung
MRI Magnetresonanztomographie
NT-pro-BNP N-Terminal pro-Brain Natriuretic Peptide
PET Positronen Emissions Tomographie
SCD Sudden Cardiac Death

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Maryam Pavlicek-Bahlo

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Kardiologie
Herz Gefäss Zentrum
Freiburgstrasse 20
3010 Bern

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die akute Myokarditis ist ein heterogenes Krankheitsbild; die häufigste Manifestation ist der akute Thoraxschmerz mit normaler LVEF und ohne Arrythmien mit meist folgenloser Ausheilung
◆ Die Behandlung erfolgt primär supportiv, eine Herzinsuffizienztherapie sowie Betablockerbehandlung, akut oder im späteren Verlauf, hat erst ab einer LVEF <40% nachweislichen Nutzen.
◆ Eine Risikoeinteilung für das Management initial und in der Nachsorge ist schon früh sinnvoll
◆ Hauptpfeiler der Nachsorgebehandlung sind regelmässige Verlaufskontrollen für die Beobachtung der Inflammation und die Bestimmung der Sportkarenzdauer
◆ Nach einem unauffälligen Triade Test mit EKG, Troponin-T, TTE sowie Belastungstest ohne auslösbare Herzrrhythmusstörungen ist eine Rückkehr zu sportlicher Aktivität nach frühestens 3 Monaten erlaubt.
◆ Bei Erkennen einer sekundären Verschlechterung (z.B. Abnahme der LVEF, Auftreten von Rhythmusstörungen, persistierend erhöhte oder steigende kardiale Biomarker) ist eine erweiterte Diagnostik mit erneutem Herz MRI, EMB und Abklärung von Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis indiziert.

1. Report of the 1995 World Health Organization/ International Society and Federation of Cardiology Task Force on the Definition and Classification of Cardiomyopathies. Circulation 1996;93:841-842.
2. Caforio A. et al. Current state of knowledge on aetiology, diagnosis, management, and therapy of myocarditis: a position statement of the European Society of Cardiology Working Group on Myocardial and Pericardial Diseases. Eur Heart J 2013 Sep;34(33):2636-48, 2648a-2648d.
3. Aretz HT. Myocarditis: the Dallas criteria. Hum Pathol 1987;18:619-624.
4. Ammirati et al. Management of acute and chronic inflammatory cardiomyopathy: an expert consensus document. Circ Heart Fail 2020;13(11).
5. Luetkens JA et al. Comparison of original and 2018 Lake Louise criteria for diagnosis of acute myocarditis: results of a validation cohort. Radiol Cardiothorac Imaging 2019;1(3): e190010.
6. Gräni et al. Prognostic Value of Cardiac Magnetic Resonance Tissue Charakterization in Risk Stratifying Patients With Suspected Myocarditis. J Am Coll Cardiol 2017.70(16):1964-1976.
7. Eichorn et al. Myocarditis in Athletes Is a Challenge: Diagnosis, Risk Stratification, and Uncertainties. JACC 2020.13(2):497-507.
8. Basso C. Myocarditis. N Engl J Med 2022; 387:1488-1500.
9. Lota AS et al. Genetic Architecture of Acute Myocardits and the Overlap With Inherited Cardiomyopathy. Circulation 2022.146(15):1123-1134.
10. Ammirati E et al. Clinical presentation and outcome in a contemporary cohort of patients with acute myocarditis: multicenter Lombardy registry. Circulation 2018;138:1088-1099.
11. Frustaci A et al. Randomized Study on the efficiacy of immunosuppressive therapy in patients with virus-negative inflammatory cardiomyopathy: the TIMIC study. Eur Heart J 2009;30:1995-2002.
12. Merken J et al. Immunosuppressive Therapy Improves Both Short- and Long-Term Prognosis in Patients With Virus-Negative Nonfulminant Inflammatory Cardiomyopathy. Circ Heart Fail 2018. 11(2).
13. Escher et al. Long-term outcome of patients with virus-negative chronic myocarditis or inflammatory cardiomyopathy after immunosuppressive therapy. Clin Res Cardiol. 2016 Dec;105(12):1011-1020.
14. Theresa A McDognagh et al. Focused Update of the 2021 ESC Guidelines for the Diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2023.44(37):3627-3639.
15. Bryde et al. Exercise After Acute Myocarditis : When and How to Return to Sports. Cardiol Clin 2013.41(1):107-115.
16. Pelliccia et al. 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease. (The Task Force on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease of the European Society of Cardiology (ESC)). Eur Heart J 2020 00, 1-80.
17. Pelliccia et al. Recommendations for participation in competitive and leisure time sport in athletes with cardiomyopathies, myocarditis, and pericarditis: position statement of the Sport Cardiology Section of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). Eur Heart J 2019.40(1):19-33.
18. Peretto et al. Arrhythmias in myocarditis: state of the art. Heart Rhythm 2019; 16(5):793-801.
19. Kociol RD et al. Recognition and initial management of fulminant myocarditis: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2020;141(6).

Das Prostatakarzinom im Fokus am ESMO 2024

Die ESMO 2024 präsentierte bedeutende Fortschritte in der Nuklearmedizin mit einem Fokus auf innovative Ansätze zur Behandlung des Prostatakarzinoms. Besonders hervorgehoben wurde die Rolle von PSMA-gerichteten Radioligandentherapien (RLT) in Kombination mit Chemotherapie, die vielversprechende Ergebnisse in der Verbesserung der PSA-Kontrolle und Progressionsfreiheit zeigten. Die UpFrontPSMA- und SPLASH-Studien demonstrierten das Potenzial von Lutetium-177 PSMA-617 in verschiedenen klinischen Szenarien, während die PEACE-3-Studie die Kombination von Enzalutamid mit Radium-223 als vielversprechende Strategie für Patienten mit Knochenmetastasen evaluierte. Ergänzend untersuchte die RAPSON-Studie die Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel, um toxische Nebenwirkungen zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die vorgestellten Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer präzisen Patientenselektion, optimaler Dosierung und Sequenzierung, um Therapieeffekte zu maximieren. Diese Entwicklungen markieren einen weiteren Schritt hin zu personalisierten Behandlungsansätzen und bieten neue Perspektiven für die klinische Praxis und zukünftige Forschung.

ESMO 2024 presented significant advances in nuclear medicine with a focus on innovative approaches for the treatment of prostate cancer. The role of PSMA-targeted radioligand therapies (RLT) in combination with chemotherapy was particularly emphasized, showing promising results in improving PSA control and freedom from progression. The UpFrontPSMA and SPLASH trials demonstrated the potential of lutetium-177 PSMA-617 in different clinical scenarios, while the PEACE-3 trial evaluated the combination of enzalutamide with radium-223 as a promising strategy for patients with bone metastases. In addition, the RAPSON study investigated the sequencing of radium-223 and docetaxel to minimize toxic side effects and improve quality of life. The results presented underline the importance of precise patient selection, optimal dosing and sequencing to maximize treatment effects. These developments mark a further step towards personalized treatment approaches and offer new perspectives for clinical practice and future research.
Key words: Nuclear medicine, prostate cancer, radioligand therapies, PET/CT imaging

Einleitung

Die diesjährige Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) brachte eine Vielzahl neuer Daten und Erkenntnisse im Bereich der Onkologie, insbesondere beim Prostatakarzinom. Besonders im Fokus stand die Nuklearmedizin, die in den letzten Jahren durch gezielte Radioligandentherapien (RLT) und funktionelle Positronen Emission Tomographie (PET) basierte Bildgebungsverfahren bedeutende Fortschritte gemacht hat. Insbesondere die PSMA (Prostata-spezifisches Membranantigen) gerichtete Therapie gewinnt zunehmend an Bedeutun

g in der Behandlung dieser Tumore, vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenem, metastasiertem Prostatakarzinom.
Auf der ESMO 2024 wurden mehrere interessante RLT-Studien präsentiert, die das Potenzial von PSMA-gerichteten Radioliganden-Therapien in Kombination mit anderen systemischen Ansätzen, wie der Chemotherapie, untersuchten. Diese Studien heben die wachsende Bedeutung der RLT in der Krebsbehandlung hervor, bei der Patienten gezielt anhand von Bildgebungsverfahren, wie der PSMA PET/CT, ausgewählt werden, um die bestmöglichen Therapieergebnisse zu erzielen.

Ein zentrales Thema war die Kombination von PSMA-gerichteten Therapien mit Chemotherapie. Die am EMSO 2024 vorgestellte UpFrontPSMA-Studie hat erste Ergebnisse zur Wirksamkeit von Lutetium-177 PSMA-617 in Kombination mit Docetaxel beim Hormon-Sensitiven Prostatakarzinom gezeigt. Diese Kombination könnte in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Behandlung von Patienten mit hohem Tumorvolumen und PSMA-positiven Metastasen spielen, wobei erste Ergebnisse auf eine verbesserte PSA-Kontrolle und längere Progressionsfreiheit hindeuten.

Zusätzlich zu den PSMA-basierten Therapien wurde auch die Rolle von Radium-223 bei der Behandlung von Knochenmetastasen erneut untersucht. Die PEACE-3-Studie präsentierte neue Daten zur Kombination von Enzalutamid und Radium-223, die das Potenzial dieser Kombinationstherapie bei der palliativen Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) verdeutlichen.

Insgesamt präsentierte die ESMO 2024 spannende neue Entwicklungen in der onkologischen Nuklearmedizin, die das Potenzial besitzen, die klinische Praxis bei der zukünftigen Behandlung von Prostatakarzinomen zu verändern.

UpFrontPSMA-Studie: PSMA und Chemotherapie in der Erstlinienbehandlung

Die UpFrontPSMA-Studie ist eine multizentrische, randomisierte Phase-II-Studie, die sich auf die Behandlung von Patienten mit metastasiertem, hormonsensitivem Prostatakrebs (mHSPC) konzentriert. Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie aus Lutetium-177 PSMA-617 und Chemotherapie (Docetaxel) im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie zu untersuchen. Die Studie umfasste Patienten mit PSMA-positiven Tumoren, die mittels PSMA-PET/CT und FDG-PET/CT charakterisiert wurden. Patienten mit hoher PSMA-Aufnahme (SUVmax > 15) und hohem Tumorvolumen (einschliesslich viszeraler Metastasen und mindestens vier Knochenmetastasen) wurden in die Studie eingeschlossen. Patienten mit umfangreichen FDG-positiven, PSMA-negativen Läsionen wurden ausgeschlossen, um eine möglichst homogene Gruppe zu schaffen, die von der PSMA-Therapie profitieren könnte. Ein zentrales Ergebnis der UpFrontPSMA-Studie war die signifikante Verbesserung der PSA-Kontrolle bei den Patienten, die zwei Zyklen PSMA-617 gefolgt von sechs Zyklen Docetaxel erhielten, im Vergleich zur alleinigen Gabe von sechs Zyklen Docetaxel. Nach 48 Wochen zeigten diese Patienten eine deutlich höhere Rate an PSA-Kontrolle im Vergleich zur Gruppe, die nur mit Docetaxel behandelt wurde. Dies unterstreicht den potenziellen synergistischen Effekt der PSMA-Therapie in Kombination mit Chemotherapie bei ausgewählten Patienten mit mHSPC. Die Überlebensanalysen zeigten ebenfalls vielversprechende erste Ergebnisse. Die radiographische progressionsfreie Überlebenszeit (rPFS) war bei Patienten, die PSMA-617 in Kombination mit Docetaxel erhielten, in der ersten Interimsanalyse im Trend bereits deutlich besser, signifikant länger als in der reinen Chemotherapie-Gruppe (HR 0.58, CI 0.32 – 1.05, p = 0.067). Das Gesamtüberleben (OS) ist noch nicht vollständig ausgewertet, jedoch gibt es Hinweise, dass die hohe Crossover-Rate der Patienten die Analyse der Studie erschweren könnte. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Studie war die Bewertung der Lebensqualität und der Nebenwirkungen, wobei sich Lebensqualität in beiden Gruppen trotz der Kombination nicht unterschied. Die Kombination von Lutetium-177 PSMA-617 und Docetaxel führte zu keiner signifikanten Zunahme schwerwiegender Toxizitäten, abgesehen von leichter Mundtrockenheit (Grad 1–2) in der PSMA Gruppe und die Lebensqualität der Patienten blieb in beiden Gruppen der Studie weitgehend stabil.

Die UpFrontPSMA-Studie hat gezeigt, dass die Kombination von PSMA-617 und Docetaxel bei sorgfältig ausgewählten Patienten mit mHSPC eine effektive und gut verträgliche Behandlungsoption darstellt. Die Kombinationstherapie zeigt eine bessere Kontrolle des PSA-Werts, und ein erstes Signal zeigt, dass die untersuchte Kombination das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen könnte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass PSMA-gerichtete Kombinationstherapien möglicherweise eine wichtige Ergänzung zur etablierten Chemotherapie darstellen, insbesondere bei Patienten mit hoher PSMA-Aufnahme und Tumorlast. Eine offene Frage bleibt jedoch, ob die zusätzlichen zwei Zyklen PSMA-617 eine echte synergistische Wirkung haben oder lediglich eine intensivere Therapie darstellen. Zukünftige Studien müssen klären, ob die Kombination von PSMA mit anderen Behandlungsmodalitäten, wie Immuntherapien (REF 1), möglicherweise noch bessere Ergebnisse liefert.

SPLASH-Studie: Untersuchung von Lutetium-177 PSMA I&T bei mCRPC-Patienten nach Progression Androgenrezeptor-gerichteten Therapie (ARPI)

Die SPLASH-Studie untersuchte Lutetium-177 PSMA I&T bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC), die nach einer Androgenrezeptor-gerichteten Therapie (ARPI) eine neue Behandlungsoption benötigten. Diese offene Phase-II-Studie hatte das Ziel, die Wirksamkeit und Sicherheit der PSMA-gerichteten Radioligandentherapie zu evaluieren und zu vergleichen. In die SPLASH-Studie wurden Patienten aufgenommen, die nach der Behandlung mit ARPI (wie Abirateron oder Enzalutamid) eine Progression zeigten und deren Tumore eine hohe PSMA-Expression aufwiesen. Die Studie wurde als randomisierte, offene Phase-II-Studie durchgeführt, wobei die Patienten entweder Lutetium-177 PSMA I&T erhielten oder in die Kontrollgruppe mit einer anderen ARPI (switch) eingeteilt wurden. Das Hauptziel der Studie war es, das progressionsfreie Überleben (PFS) zu untersuchen und zusätzliche Parameter wie die PSA-Ansprechrate sowie die allgemeine Lebensqualität der Patienten zu bewerten. Die SPLASH-Studie bestätigte die Wirksamkeit der PSMA-Therapie, jedoch schien die Effektivität im Vergleich zu früheren Studien, wie der PSMAfore-Studie, welche am ESMO 2023 vorgestellt wurde, weniger ausgeprägt zu sein (REF 2). Bei der Analyse des primären Endpunkts, dem bildgebend progressionsfreien Überleben (rPFS), zeigte sich eine Verlängerung der rPFS-Zeiten in der Lutetium-177 PSMA I&T-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (9.5 Monate versus 6 Monate, HR 0.71, p = 0.0088). Die PSA-Ansprechrate war in der PSMA-Behandlungsgruppe ebenfalls höher, mit einer deutlichen Reduktion des PSA-Wertes um mehr als 50 % bei einem signifikanten Anteil der Patienten und einer Verlängerung der Zeit bis zum Wiederanstieg des PSA (7.0 versus 3.9 Monate, HR 0.58, p < 0.0001). Der Unterschied zwischen der PSMA-Therapie und den Kontrolltherapien war jedoch weniger ausgeprägt als in der PSMAfore Studie (12.0 Monate versus 5.6 Monate, HR 0.43, p<0.0001). Dies könnte teilweise auf die Wahl einer etwas geringeren Dosis (6,8 GBq in der SPLASH-Studie im Vergleich zu 7,4 GBq in der PSMAfore-Studie) und ein längeres Intervall (8 Wochen in der SPLASH-Studie im Vergleich zu 6 Wochen in der PSMAfore-Studie) zwischen den Zyklen zurückzuführen sein. Ein erheblicher Anteil der Patienten wechselte nach Progression in die PSMA-Behandlungsgruppe, was ebenfalls die Interpretation des Gesamtüberlebens (OS) erschwert. Statistische Anpassungsmethoden wie das rank-preserving structural failure time (RPSFT) Modell und die inverse probability of censoring weighted (IPCW) werden angewendet, um den Effekt des Crossovers zu korrigieren. Diese Analysen könnten helfen, den tatsächlichen Überlebensvorteil der PSMA-Therapie besser zu verstehen.

Die Behandlung mit Lutetium-177 PSMA I&T erwies sich insgesamt als gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen umfassten leichte gastrointestinale Symptome und hämatologische Toxizitäten. Schwere Nebenwirkungen traten nur bei einem geringen Anteil der Patienten auf, und es wurden keine neuen Sicherheitssignale im Vergleich zu früheren Studien beobachtet. Dies unterstreicht das günstige Nebenwirkungsprofil der PSMA-Therapie. Die SPLASH-Studie bestätigte die Wirksamkeit von Lutetium-177 PSMA I&T bei der Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs nach Progression unter einem ARPI. Obwohl die Ergebnisse im Vergleich zu früheren Studien weniger ausgeprägt erscheinen, bleibt die PSMA-Therapie eine vielversprechende Option für diese Patientenpopulation.

Zukünftige Studien sollten die optimale Dosis und das beste Behandlungsintervall der PSMA-Therapie untersuchen, da die Ergebnisse darauf hindeuten, dass diese Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit haben könnten. Zudem sollte die Wahl des Kontrollarms in solchen Studien überdacht werden, um eine realistischere Vergleichsbasis für die Analyse der Überlebensvorteile zu schaffen.

PEACE-3-Studie: Enzalutamid und Radium-223 bei metastasiertem kastrationsresistentem
Prostatakrebs (mCRPC)

Die PEACE-3-Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit der Kombination von Enzalutamid und Radium-223 bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) und fortgeschrittenen Knochenmetastasen. Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob diese Kombinationstherapie im Vergleich zur alleinigen Gabe von Enzalutamid Vorteile bietet, insbesondere in Bezug auf das Überleben und die Lebensqualität der Patienten. Die PEACE-3-Studie ist eine randomisierte, offene Phase-III-Studie, in der Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen entweder Enzalutamid allein oder in Kombination mit Radium-223 erhielten. Die Patienten in der Radium-223-Gruppe erhielten zudem bone-protecting-agents wie Denosumab oder Bisphosphonate, um das Risiko von Frakturen zu minimieren, ein Problem, das in früheren Studien (z.B. ERA-223 (Ref 3)) aufgetreten war. Die Ergebnisse der PEACE-3-Studie zeigen, dass die Kombination von Enzalutamid und Radium-223 eine vielversprechende neue Behandlungsstrategie für Patienten mit Knochenmetastasen bei mCRPC darstellt. In Bezug auf das progressionsfreie Überleben (PFS 19.4 Monate versus 16.4 Monate, HR 0.69 (CI 0.54 – 0.87), p = 0.009) und das Gesamtüberleben (OS 42.3 Monate versus 35 Monate, HR 0.69, p = 0.0034) ergab sich ein deutlicher Vorteil für die Kombinationstherapie im Vergleich zu Enzalutamid allein. Auch die Zeit bis zur nächsten systemischen Therapie sowie die Zeit bis zum Fortschreiten der Knochenschmerzen wurden durch die Kombinationstherapie verlängert (50.9 Monate versus 29.9 Monate, HR 0.57, p < 0.001). Allerdings war der Effekt auf die Schmerzprogression in der Kombination geringer als erwartet. Trotz der Zugabe von Radium-223, das besonders bei der Linderung von knochenbedingten Schmerzen in der Palliation sehr effektiv ist, gab es keinen signifikanten Unterschied in der Zeit bis zur Schmerzentwicklung zwischen den beiden Gruppen. Dies deutet darauf hin, dass die Rolle von Radium-223 möglicherweise auch in der direkt zytotoxischen Aktivität als nur in der akuten Schmerzlinderung liegt. Ein zentrales Thema der PEACE-3-Studie war die Frakturrate, die in der vorherigen ERA-223-Studie, in der Radium-223 mit Abirateron kombiniert wurde, zu einem erheblichen Sicherheitsproblem und zuletzt zum Studienabbruch führte. In der PEACE-3-Studie konnte dieses Risiko jedoch durch die gleichzeitige Verabreichung von insbesondere Denosumab, deutlich verringert werden. Die Frakturrate in der Radium-223-Gruppe war vergleichbar mit der Enzalutamid-Monotherapie, was auf die Wirksamkeit, der dieser Strategien hinweist. Insgesamt zeigte die Kombinationstherapie kein erhöhtes Risiko für andere schwerwiegende Nebenwirkungen im Vergleich zur Enzalutamid-Monotherapie. Radium-223 wurde gut vertragen, und es traten keine neuen Sicherheitssignale auf.

Die Ergebnisse der PEACE-3-Studie legen nahe, dass die Kombination von Enzalutamid und Radium-223 eine vielversprechende Behandlungsoption für Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen darstellen könnte, insbesondere für jene, die von einer knochengezielten Therapie profitieren könnten. Der signifikante Vorteil in Bezug auf das radiografisch progressionsfreie Überleben zeigt das Potenzial dieser Kombination zur Verzögerung der Tumorprogression. Die Integration von knochenschützenden Mitteln war offensichtlich ein entscheidender Faktor, um die Frakturrate zu senken, was die Sicherheit der Therapie erheblich verbessert hat.
Zukünftige Studien könnten sich darauf konzentrieren, die Rolle von Radium-223 weiter zu untersuchen, insbesondere in Kombination mit anderen systemischen Therapien oder in verschiedenen Krankheitsstadien. Zudem bleibt die Frage, warum die Kombinationstherapie nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Schmerzlinderung geführt hat, obwohl Radium-223 bekanntlich in der palliativen Behandlung sehr wirksam ist.

RAPSON-Studie: Untersuchung der Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel bei mCRPC-Patienten

Die RAPSON-Studie, die auf dem ESMO 2024 präsentiert wurde, untersucht die Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) und Knochenmetastasen. Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, ob es Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt, je nachdem, ob Radium-223 vor oder nach Docetaxel verabreicht wird. In dieser Phase-II-Studie wurden Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen randomisiert, um entweder zunächst mit Radium-223 behandelt zu werden, gefolgt von Docetaxel, oder umgekehrt. Der Hauptfokus der RAPSON-Studie lag auf der Bewertung des progressionsfreien Überlebens (PFS) und der Gesamtüberlebensrate (OS) sowie der Lebensqualität und Toxizität, abhängig von der Reihenfolge der Therapien. Zum Zeitpunkt der vorgestellten Zwischenanalyse waren die Daten noch nicht ausreichend, um endgültige Schlussfolgerungen über die Überlegenheit einer Sequenz gegenüber der anderen zu ziehen. Die vorläufigen Ergebnisse zeigten jedoch, dass es zwischen den beiden Sequenzierungsansätzen hinsichtlich PFS und OS keine signifikanten Unterschiede gab. Es stellte sich aber heraus, dass die Sequenzierung eine Rolle bei der Hämatotoxizität spielte: Patienten, die zuerst Docetaxel und danach Radium-223 erhielten, hatten häufiger schwere Thrombozytopenien. Das deutet darauf hin, dass die Kombination dieser beiden Therapieformen eine sorgfältige Überwachung und möglicherweise angepasste Dosierungen erfordert, um Nebenwirkungen zu minimieren. Die RAPSON-Studie bewertete auch die Auswirkungen der beiden Therapiestrategien auf die Lebensqualität der Patienten mithilfe des FACT-P (Functional Assessment of Cancer Therapy-Prostate)-Fragebogens. Die Patienten, die zuerst Radium-223 erhielten, berichteten von einer geringeren Verschlechterung der Lebensqualität im Vergleich zu denen, die zuerst Docetaxel erhielten. Das könnte darauf hindeuten, dass Radium-223 eine vorteilhafte Erstbehandlung für Patienten mit symptomatischen Knochenmetastasen sein könnte, da es die Symptome besser kontrollieren kann, bevor eine systemische Chemotherapie verabreicht wird. Obwohl die RAPSON-Studie noch nicht genügend ausgereifte Daten vorlegen konnte, um eine klare Empfehlung zur idealen Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel abzugeben, deutet sie darauf hin, dass die Reihenfolge der Verabreichung insbesondere in Bezug auf die Toxizität wichtig ist. Die erhöhten Fälle von Thrombozytopenie in der Gruppe, die Docetaxel vor Radium-223 erhielt, lassen vermuten, dass eine umgekehrte Reihenfolge in einigen Fällen vorteilhaft sein könnte, um Nebenwirkungen zu reduzieren. Die endgültigen Ergebnisse der RAPSON-Studie könnten wichtige Hinweise darauf geben, wie mCRPC-Patienten mit Knochenmetastasen am besten behandelt werden, insbesondere hinsichtlich der Vermeidung von Nebenwirkungen und der Verbesserung der Lebensqualität. Zukünftige Studien, wie die DORA-Studie (NCT03574571), die ebenfalls die Sequenzierung von Docetaxel und Radium-223 untersucht, könnten zusätzliche Klarheit bringen und helfen, die Behandlung zu optimieren.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Niklaus Schaefer

Universitätsspital Lausanne – CHUV
Service de médecine nucléaire et imagerie moléculaire
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Fortschritte in der Nuklearmedizin, die auf der ESMO 2024 vorgestellt wurden, zeigen vielversprechende Ansätze zur Veränderung der Behandlung von metastasiertem Prostatakrebs.
  • Die Kombination von gezielten Radioligandentherapien mit Chemotherapie und anderen systemischen Methoden ermöglicht eine potenziell effektivere Therapie. Es ist jedoch entscheidend, die optimalen Patientenselektionen, Dosierungsstrategien und Sequenzierungen zu bestimmen, um die Behandlungen zu verbessern.
  • Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich darauf konzentrieren, diese Kombinationstherapien weiter zu verfeinern, um die Langzeitergebnisse zu optimieren, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu steigern.
  • Diese Entwicklungen stellen einen weiteren Fortschritt in Richtung einer personalisierten Krebstherapie dar, die die individuellen Bedürfnisse und Tumoreigenschaften jedes Patienten berücksichtigt und bieten eine Grundlage für die nächsten Schritte in der klinischen Forschung und deren Umsetzung in der Praxis.

1. 1. Aggarwal, R., Starzinski, S., de Kouchkovsky, I., Koshkin, V., Bose, R., Chou, J., Desai, A., Kwon, D., Kaushal, S., Trihy, L., Rastogi, M., Ippisch, R., Aslam, M., Friedlander, T., Feng, F., Oh, D., Cheung, A., Small, E., Evans, M., … Hope, T. A. (2023). Single-dose 177Lu-PSMA-617 followed by maintenance pembrolizumab in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer: an open-label, dose-expansion, phase 1 trial. In The Lancet Oncology (Vol. 24, Issue 11, pp. 1266–1276). Elsevier BV.
2. 177Lu-PSMA-617 versus a change of androgen receptor pathway inhibitor therapy for taxane-naive patients with progressive metastatic castration-resistant prostate cancer (PSMAfore): a phase 3, randomised, controlled trial. Morris, Michael J et al. The Lancet, Volume 404, Issue 10459, 1227 – 1239
3. ERA 223: A phase III trial of radium-223 (Ra-223) in combination with abiraterone acetate and prednisone/prednisolone for the treatment of asymptomatic or mildly symptomatic chemotherapy-naïve patients (pts) with bone-predominant metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC). Smith, M.R. et al. Annals of Oncology, Volume 29, viii723
4. A phase III trial of docetaxel versus docetaxel and radium-223 (Ra-223) in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC): DORA. Meeting Abstract: 2021 ASCO Annual Meeting. Morris, Michael J et al.