Medikamente in der Schwangerschaft

In der hausärztlichen Praxis kommt es häufig zu Konsultationen schwangerer Patientinnen. Welche Medikamente mit ausreichenden Erfahrungswerten und damit grösstmöglicher Sicherheit in der Schwangerschaft verabreicht werden dürfen, sorgt oft für Verunsicherung. Dieser Artikel soll einen Überblick geben über die häufigsten Konsultationsgründe schwangerer Patientinnen in der Hausarztpraxis und die gängigsten Medikamente vorstellen.

Wenn bei Wirkstoffgruppen auf einen spezifischen Wirkstoff verwiesen wird, so stellt dieser stets das Mittel der Wahl dar. Es wird bewusst nur auf die Pharmakotherapie in der Schwangerschaft eingegangen. Es ist zu beachten, dass in der Stillzeit zum Teil abweichende Empfehlungen gelten, so dass hier eine Therapie unbedingt neu evaluiert werden sollte.

Schmerzen, Fieber

Gemäss Swiss Teratogen Information Service (STIS) und der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Perinatale Pharmakologie (SAPP) ist Paracetamol weiterhin Mittel der Wahl bei Schmerzen und Fieber in der Schwangerschaft – auch zur Selbstmedikation. Fieber soll behandelt werden, da es Wehen auslösen kann. Gemäss aktuellen Forschungsdaten soll sich die Therapie mit Paracetamol aber auf einige Tage beschränken, da es bei längerer Anwendung zu unerwünschten Wirkungen auf den Fötus kommt (1, 2). NSAR (bevorzugt Ibuprofen) sollen aufgrund fehlender Datenlage nur in Einzeldosen eingesetzt werden und nur bis zur 28. SSW. Bei einer versehentlich längeren Einnahme von NSAR vor und bei jeder Einnahme nach der 28. SSW sollte eine sonographische Kontrolle des fetalen Ductus arteriosus Botalli erfolgen. Opiat- und Opioid-Analgetika (Morphin, Tramadol) sollten im ersten Trimenon nur in Einzeldosen gegeben werden – neuste Daten zeigen ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen v.a. unter Tramadol. Bei einer Entbindung unter Opiaten/Opioiden ist zu beachten, dass das Neugeborene aufgrund der in Terminnähe entwickelten Opiatrezeptoren u. U. stark sediert ist. Generell soll bei jeder Anwendung länger als wenige Tage zur Behandlung von Schmerzen eine kritische Evaluation und eine weitere Abklärung der Symptome erfolgen.
Ergänzend können nicht-medikamentöse Massnahmen wie Physiotherapie, Akupunktur oder Taping erwogen werden. Bei Kopfschmerzen gibt es eine gute Evidenz für Pfefferminzöl äusserlich; ausserdem zeigt Magnesiumaspartat (in einer Dosierung von 25 mmol/Tag; cave Durchfall) eine gute Wirksamkeit (3). Anhaltende Kopfschmerzen in der Schwangerschaft sollten geburtshilflich (Ausschluss Präeklampsie) und neurologisch (Ausschluss Sinusvenenthrombose, Migräne) abgeklärt werden.

Gastrointestinale Beschwerden

Eine Schwangerschaftsübelkeit kann zunächst mit Allgemeinmassnahmen behandelt werden. Hierzu zählen vor allem das Meiden von Triggern, die Einnahme von regelmässigen kleinen kohlenhydrat- und proteinreichen Mahlzeiten sowie ausreichendes Trinken. Ausserdem gibt es gute Wirksamkeitsnachweise für die Anwendung von Ingwer (als pulverisiertes Rhizom). Begleitend können Akupunktur und eine psychologische Betreuung hilfreich sein.
Mittel der Wahl zur Antiemese ist Meclozin kombiniert mit Vitamin B6. In Reserve können Metoclopramid und Ondansetron eingesetzt werden. Für die Behandlung von Gastritis und Refluxbeschwerden können aluminiumhaltige Antazida in therapeutischer Dosierung verwendet werden. Als zweite Wahl stehen H2-Rezeptorantagonisten (Ranitidin) zur Verfügung oder auch PPI (bevorzugt Omeprazol) (4). Rechtsseitige Oberbauchschmerzen ohne internistisches oder muskuloskelettales Korrelat müssen vor allem in der zweiten Schwangerschaftshälfte immer an ein HELLP-Syndrom denken lassen und erfordern eine labordiagnostische und gynäkologische Abklärung.

Allergien und Asthma bronchiale

Die Behandlung der allergischen Rhinitis erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie ausserhalb der Schwangerschaft. Es werden topische (Azelastin) oder orale Antihistaminika (Loratadin, Cetirizin) eingesetzt. Topische Glukokortikoide (Budesonid, Fluticason) können ebenfalls verwendet werden. Der Beginn einer spezifischen Immuntherapie ist in der Schwangerschaft kontraindiziert; eine bereits begonnene Therapie kann jedoch weitergeführt werden (5).
Eine vor der Schwangerschaft etablierte Asthmatherapie kann und sollte in der Regel fortgesetzt werden, da ein unkontrolliertes Asthma ein erhöhtes maternales und fetales Risiko darstellt (5). Bei den inhalativen Betamimetika ist Salbutamol Mittel der Wahl, als inhalative Kortikosteroide können Budesonid, Beclometason und Fluticason eingesetzt werden. Auch systemische Kortikosteroide können in der Schwangerschaft verwendet werden, hierbei ist Prednisolon zu bevorzugen. Bei längerer Anwendung ist eine Entbindung im Zentrumsspital aufgrund des erhöhten Risikos für neonatale Anpassungsstörungen und Hypoglykämien indiziert. Aus der Gruppe der langwirksamen Betamimetika sollten bevorzugt Formoterol und Salmeterol verwendet werden (6).
Die Behandlung der anaphylaktischen Reaktion unterscheidet sich nicht von der Behandlung ausserhalb der Schwangerschaft: Es werden je nach Schweregrad orale oder intravenöse Antihistaminika und Kortikosteroide gegeben, neben der Inhalation eines Betamimetikums. Auch die Gabe von Adrenalin intramuskulär oder intravenös sollte stufengerecht erfolgen (7).

Psychische Störungen

Bei leichten depressiven Verstimmungen und Schlafstörungen sind folgende Phytotherapeutika gut untersucht: Baldrian, Johanniskraut und Bryophyllum pinnatum (8). Eine medikamentöse antidepressive Therapie sollte in der Schwangerschaft unbedingt fortgeführt werden. Vor allem gilt es, ein abruptes Absetzen zu vermeiden, um Krisen mit möglicher Gefährdung von Mutter und Kind zu verhindern. Wenn immer möglich sollte bereits bei Kinderwunsch auf ein gut erprobtes Medikament umgestellt werden. Mittel der ersten Wahl bei sehr guter Datenlage sind SSRI (Citalopram, Sertralin); bei Citalopram ist ab dem 2. Trimenon aufgrund der gesteigerten Clearance eine Dosissteigerung unerlässlich (9). Bei den trizyklischen Antidepressiva gelten vor allem Amitriptylin und Nortriptylin als ausreichend sicher. Eine Dosisreduktion präpartal ist bei Amitriptylin oftmals notwendig.
Da alle Antidepressiva ein Risiko neonataler Anpassungsstörungen mit sich bringen, ist bei einer solchen Therapie die Entbindung im Zentrumsspital empfohlen. Unmittelbar postpartal sollte nach Dosisanpassungen in der Schwangerschaft immer wieder auf die ursprüngliche Dosis zurückgestellt werden. Bei Symptomen einer Wochenbettdepression ist unbedingt eine rasche Zuweisung an ein gynäkopsychiatrisches Zentrum und die Evaluation einer Hospitalisation indiziert.
Bei bipolar-affektiven Störungen ist Quetiapin (6) das am besten untersuchte Medikament und verfügt über das günstigste Risikoprofil. Valproat, Carbamazepin und Lithium dürfen aufgrund ihrer Teratogenität nur bei sehr strenger Indikation gegeben werden und erfordern eine detaillierte fetale Sonographie (10).

Hypertensive Erkrankungen

Vorbestehende hypertensive Erkrankungen sollten präkonzeptionell bereits auf ein schwangerschaftsverträgliches Medikament umgestellt werden. Generell sollten vor einer geplanten Schwangerschaft eine optimale Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren und Blutdruckeinstellung erreicht sein. Kontraindiziert in der Schwangerschaft sind ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-antagonisten, Diuretika sollten möglichst vermieden werden. Mittel der Wahl sind Methyldopa, Nifedipin und Labetalol, in Reserve Metoprolol (6, 11).

Infektionen

Eine Erkältung kann in der Schwangerschaft symptomatisch behandelt werden mit ätherischen Ölen (Eukalyptus, Thymian, Efeu), befeuchtenden Mitteln wie Meerwasser und Hyaluronsäure, lokalen Vasokonstriktoren (Xylometazolin, Oxymetazolin) und Acetylcystein als Sekretolytikum (12).
Als Antiinfektiva werden bevorzugt Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine) verwendet. In Reserve, z.B. bei Allergien, stehen Makrolide (insbesondere Erythromycin) sowie Clindamycin und Azithromycin bei speziellen gynäkologischen Infektionen zur Verfügung. Ein Harnwegsinfekt in der Schwangerschaft ist immer als komplizierter HWI anzusehen und sollte firstline mit Amoxicillin/Clavulansäure über 3-5 Tage behandelt werden (13).
Schwangere Patientinnen (und Mütter im Wochenbett sowie ihre Neugeborenen) zählen zu den Risikopatienten bei einer Influenzainfektion. Das Risiko für Komplikationen wie schwere Pneumonien, Abort, Frühgeburt und intrauteriner Fruchttod ist bei ihnen deutlich erhöht. Wenn die Symptome der Patientin noch nicht länger als 48 Stunden bestehen, ist eine Therapie mit Oseltamivir indiziert (14). Bei persistierender Verschlechterung des Allgemeinzustands muss eine Hospitalisation erfolgen.

Impfungen in der Schwangerschaft

Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte der Impfstatus der Patientin überprüft werden. Lebendimpfungen wie MMR und Varizellen dürfen nicht in der Schwangerschaft verabreicht werden, bei eventuellen Impflücken (MMR) oder negativer bzw. unklarer Anamnese (Varizellen) sollte die Impfung vor einer geplanten Schwangerschaft erfolgen. Der Abstand zwischen Lebendimpfung und Konzeption sollte einen Monat betragen (15). Falls doch unmittelbar nach der Impfung eine Schwangerschaft eintritt, stellt dies jedoch keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar.
In der Schwangerschaft sollte saisonal so früh wie möglich gegen Influenza geimpft werden, eine Nachimpfung ist aber auch später immer noch indiziert bis 4 Wochen postpartal. Ebenfalls in jeder Schwangerschaft indiziert ist – unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Impfung – die Pertussisimpfung (DTPa) im zweiten Trimester. Hier sollte ebenfalls der Impfstatus des Partners und weiterer naher Betreuungspersonen des Neugeborenen überprüft werden. Liegt bei den betroffenen Personen die letzte DTPa-Impfung mehr als 10 Jahre zurück, sollte auch hier eine Auffrischimpfung erfolgen (16).

Weitere Informationen

  • Swiss Teratogen Information Service (STIS; www.swisstis.ch)
  • Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für perinatale Pharmakologie (SAPP; www.sappinfo.ch)
  • Embryotox (www.embryotox.de)
  • Meldung über unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Mutter und (ungeborenem) Kind an Swissmedic über ElViS (Electronic Vigilance System)
Dr. med. Andrea Biener

Frauenklinik
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Andrea.Biener@kssg.ch

Dr. med.Tina Fischer

Kantonsspital St.Gallen
Frauenklinik Geburtshilfe
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

tina.fischer@kssg.ch

Beide Autorinnen geben an, keine Interessens-konflikte im Zusammenhang mit dem vorgelegten Manuskript zu haben.

  • Analgetikum und Antipyretikum der Wahl zur kurzzeitigen Behandlung in der Schwangerschaft ist Paracetamol, NSAR sollten vor der 28. SSW nur in Einzeldosen und ab der 28. SSW gar nicht mehr eingenommen werden.
  • Die gängigen Schemata zur Behandlung von allergischen Symptomen und Asthma bronchiale können und sollen auch in der Schwangerschaft fortgeführt werden.
  • Antibiotika der Wahl sind Penicilline, Cephalosporine und Makrolide.
  • In jeder Schwangerschaft sollte eine Impfung gegen Influenza (saisonal) und Pertussis erfolgen; ebenso sollten bei jungen Frauen in der hausärztlichen Praxis der Impfstatus überprüft und eventuelle Lücken vor einer Schwangerschaft geschlossen werden.

1. Stellungnahme der SAPP zur Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft vom 17.11.14
2. Alice Panchaud, David Baud. Le paracétamol reste l’antalgique de 1er choix pendant la grossesse. STIS, 2014
3. B. Lardi. Schmerz und Analgesie in der Schwangerschaft, Stillzeit und Neonatalperiode (Teil 1). pharmaJournal 5, 3.2012
4. B. Lardi. Gastrointestinale Beschwerden und Erkrankungen in der Schwangerschaft und Stillzeit. pharmaJournal 4, 2.2014
5. B. Lardi. Allergische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit (Teil 1). pharmaJournal 3, 2.2017
6. Pharmakovigilanz – und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Embryotox.de. Aufrufdatum 18.03.2019
7. B. Lardi. Allergische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit (Teil 2). pharmaJournal 4, 2.2017
8. U. von Mandach. SAPP-Jahrestagung 2012
9. Weisskopf E et al. Risk-benefit balance assessment of SSRI antidepressant use during pregnancy and lactation based on best available evidence. Expert Opin Drug Saf. 2015 Mar;14(3):413-27
10. B. Lardi, A. Heck. Mood Stabilizer während der Schwangerschaft und Stillzeit: Tabu oder möglich? pharmaJournal 13, 6.2012
11. August, P et al. Management of hypertension in pregnant and postpartum women. Up to date, Aufrufdatum 18.03.2019
12. U. von Mandach, K. Fürer. Schnupfen in Schwangerschaft und Stillzeit. pharmaJournal 1, 2018
13. Expertenbrief Nr. 58, 2018, SGGG
14. Guidelines.ch
15. Bundesamt für Gesundheit BAG, Empfohlene Impfungen für Frauen vor, während und nach der Schwangerschaft, Fact sheet, 2017
16. Bundesamt für Gesundheit BAG, Influenza- und Pertussisimpfung in der Schwangerschaft, Bulletin 5, 2019

Stomamanagement − Komplikationen vermindern und Lebensqualität schaffen

Die Anlage eines auch vorübergehenden künstlichen Darmausgangs, eines Stomas, stellt für Betroffene eine grosse Belastung dar. Um trotzdem eine hohe Lebensqualität erhalten zu können, ist die Vermeidung von Komplikationen des Stomas von zentraler Bedeutung. Dabei zeigt sich, dass die interdisziplinäre Betreuung auch unter Einbezug der Hausärztin die besten Aussichten auf Erfolg bietet. Im vorliegenden Artikel werden die einzelnen Aspekte einer optimalen Stomaversorgung vorgestellt.

Um die Adhärenz von Patientinnen und Patienten (im Folgenden gilt die weibliche Form für alle Geschlechter) für ihre Stomabehandlung zu fördern und eine möglichst hohe Lebensqualität zu gewährleisten, beginnt die pluridisziplinäre Information und Betreuung der Patientinnen bereits präoperativ. So können Fragen zur Operationstechnik und der Ernährung geklärt werden und Ängste/Vorurteile im Zusammenhang mit dem Stoma abgebaut werden. Wichtig ist auch das präoperative Einzeichnen des Stomas durch die Stomaberaterin, damit die Patientinnen ihr Stoma selbst versorgen können. Dabei werden nebst den anatomischen Begebenheiten (Falten, Knochen, Narben) auch die Fähigkeiten und Gewohnheiten der Patientinnen berücksichtigt. Es kann sein, dass jemand zum Beispiel eine taktile Einschränkung hat, welche postoperativ berücksichtigt werden muss.
Am Stadtspital Triemli erfolgen die kolorektalen Eingriffe gemäss dem ERAS®-Protokoll (enhanced recovery after surgery). Der Erfolg dieses Behandlungskonzepts basiert aus einem Zusammenspiel unterschiedlichster Interventionen (Operationstechnik, Anästhesie, Mobilisation, Ernährung etc.) sowie einer guten Patientinnenedukation und einer aktiven Mitarbeit der Patientinnen. Innerhalb des pluridisziplinären ERAS-Teams nimmt die ERAS-NURSE eine wichtige Rolle als Bezugsperson der Patientinnen ein.

Indikationen

Ein Stoma ist ein temporärer oder definitiver künstlicher Darmausgang. Es kann im Dünn- (Ileostoma) oder Dickdarm (Kolostoma), als doppelläufige, doppelflinten (geformt aus Dünn- und Dickdarm) oder endständige Konstruktion angelegt werden.
Verschiedene Krankheitszustände machen die Anlage eines Stomas notwendig (siehe Tabelle 1 für die häufigsten Indikationen) und dementsprechend ist die Unterbrechung des natürlichen Wegs des Gastrointestinaltraktes durch die Konstruktion eines Stomas in der kolorektalen Chirurgie ein häufiger Eingriff. Dank der Einführung von sphinktersparenden Operationstechniken, ist die Anzahl der definitiven Stomata deutlich zurückgegangen.

Permanent

Die Anlage eines permanenten Stomas erfolgt im Rahmen einer Rektumamputation bei Rektumkarzinom und seltener eines Analkarzinoms. Auch als definitive Lösung bei einer therapierefraktären Stuhlinkontinenz.

Temporär

Die Anlage eines temporären Stomas erfolgt zum Beispiel im Rahmen eines obstruierenden Karzinoms mit Ileus in einem Zustand, in welchem die Patientin eine initiale Resektion nicht toleriert. Häufiger wird dieses Verfahren jedoch angewendet, um eine nachfolgende Anastomose zu schützen, zum Beispiel nach tiefer anteriorer Rektumresektion im Sinne einer temporären Anlage eines doppelläufigen Schutzileostomas.

Dünn- oder Dickdarmstoma?

In der Literatur wird prinzipiell die Anlage eines Ileostomas favorisiert, da es hinsichtlich Komplikation, wie parastomale Hernie, Stomaprolaps, Narbenhernie etc. deutlich besser abschneidet als das Kolostoma. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass eine Dekompression des Dickdarms durch ein Ileostoma bei gut funktionierender Ileozökalklappe ungenügend sein kann. Andererseits ist die Anlage eines Ileostomas technisch häufig einfacher, bedingt durch die Mobilität des Dünndarms. Die Anlage eines Kolostomas bedingt immer eine gewisse chirurgische Mobilisation des Dickdarmes, was mit weiteren Komplikationen behaftet sein kann. In Bezug auf die Ernährung stellt das Kolostoma hingegen die deutlich geringere Herausforderung dar als ein Stoma im Dünndarm – während beim Ileostoma in erster Linie die Flüssigkeits- und Elektrolytresorption beachtet werden muss, ist bei einem Stoma weiter proximal (z.B. Jejunostoma) auch die Nährstoffresorption kritisch.
Die Entscheidung für ein Ileo- oder Kolostoma wird auch durch individuelle Patientenfaktoren beeinflusst: Anatomie, Gewicht und Grösse. Aber auch der Zeitraum, wie lange ein temporäres Stoma bestehen soll, kann die Wahl beeinflussen.

Abb. 1: Präoperative Stomamarkierung Kolo- und Ileostoma.

Stomakonstruktion

Um die Komplikationsraten so tief wie möglich zu halten, ist die korrekte Wahl der Stomaplatzierung entscheidend. Hier ist es zwingend, dass die Patientin präoperativ der Expertin für Stomapflege vorgestellt wird, um in ruhiger Atmosphäre die Lage des zukünftigen Stomas festzulegen (Abb. 1). Die Stomatherapeutin betreut die Patientinnen auch postoperativ und ist die erste Ansprechperson.
Grundsätzlich ist darauf zu achten, das Stoma durch die Rektusmuskulatur zu ziehen, dabei aber den Defekt in der Bauchdecke klein zu halten, um die Gefahr der parastomalen Hernie tief zu halten. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der verursachte Defekt nicht grösser sein sollte als zwei Querfinger. In Bezug auf die Anlagetechnik ist die laparoskopische Technik gegenüber der offenen Technik zu bevorzugen.

Komplikationen

Eine parastomale Hernie kann operativ mit einer Netzeinlage oder aber auch konservativ mit einem speziellen Herniengurt behandelt werden (Abb. 2). Grundsätzlich ist auch darauf zu achten, dass die Patientinnen in der ersten Zeit nach der Operation zurückhaltend mit schwerem Heben sind. Sie sollten zu Beginn nicht mehr als 10-15 kg heben. Zu einem späteren Zeitpunkt kann ein speziell angepasster Bauchgurt empfohlen werden, welche die Stomaberaterin anpasst.
Eine frühe Komplikation ist die Nekrose des Stomas (Abb. 3). Diese ist jedoch häufig nur oberflächlich und wird durch das initiale Schleimhautödem verursacht. Normalerweise erholt sich die oberflächliche Nekrose binnen Tagen.
Falls jedoch eine Nekrose alle Wandstrukturen erfasst, lässt dies auf eine Minderperfusion des entsprechenden Darmabschnitts schliessen und bedingt eine chirurgische Neuanlage (Abb. 4).
Häufige Komplikationen sind Hautirritationen, verursacht durch Dünndarmsekret insbesondere beim Ileostoma, wobei hier eine übermässige Flüssigkeitssekretion auch zu einem relevanten allgemeinen Flüssigkeitsverlust führen kann.
Deshalb ist es wichtig, dass die Patientin mit einem Ileostoma im Spital in Kontakt mit der Ernährungsberaterin ist, um zu wissen, was sie bei flüssigem Stuhlgang tun muss.

Ernährungs- und Flüssigkeitsmanagement

Bei einem tiefen Ileostoma ist die Nährstoffresorption vollständig gewährleistet, die Flüssigkeits(rück)resorption, welche zu einem beachtlichen Teil im Kolon stattfindet, ist jedoch reduziert. Liegt das Stoma weiter proximal (beispielsweise beim Jejunostoma) ist die Anatomie mit einem Kurzdarmsyndrom vergleichbar und die Nährstoffresorption und der Ernährungszustand müssen genau überwacht werden. Dementsprechend ist das Ziel der ernährungstherapeutischen Massnahmen beim Ileostoma, eine möglichst gute Flüssigkeitsresorption zu gewährleisten. Dies wird durch die Einnahme iso- bis leicht hypotoner Getränke mit einem hohen Natriumgehalt sowie durch Verhindern einer zu schnellen Darmpassage des Speisebreis erreicht. Da viele Patientinnen mit einem Ileostoma unter onkologischen Erkrankungen leiden, stellt die Prophylaxe oder Therapie einer Mangelernährung ein weiterer wesentlicher Aspekt der Ernährungstherapie dar. Dabei gilt es unnötige diätetische Restriktionen zu vermeiden und mit einer energie- und proteindichten, volumenarmen Ernährung, welche auf viele Mahlzeiten verteilt wird, eine ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr zu gewährleisten. Oft werden auch Trinknahrungen als orale Nahrungssupplemente eingesetzt.
Um all diese verschieden diätetischen Massnahmen miteinander zu vereinbaren und ein genussvolles Essen mit Freude und in sozialer Gesellschaft zu ermöglichen, wird die fachkundige Instruktion und Begleitung von Patientinnen mit Ileostoma durch eine spezialisierte Ernährungsberaterin SVDE empfohlen. Die Ernährungsberaterin ist dabei Teil eines interdisziplinären Behandlungsteam und spricht sich bei Bedarf mit den anderen Fachpersonen (Stomaberaterin, ERAS-Nurse, Chirurgin, Onkologin etc.) ab.

Massnahmen zur Optimierung der intestinalen Flüssigkeits- und Elektrolytresorption

Es gilt zu berücksichtigen, dass für die Flüssigkeits- und Natriumresorption die Osmolarität sowie das Vorhandensein von Glucose eine wichtige Rolle spielt. Die Osmolarität des Speisebreis und der intestinalen Flüssigkeit wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst – Osmolarität resp. Natrium und Glucosegehalt der Getränke, Salzgehalt der Speisen, Sekretion von Magensäure und Verdauungssekreten. Die aufgeführten Interventionen können helfen, die intestinale Flüssigkeitsresorption zu verbessern, deren Effekt soll jedoch stets klinisch evaluiert werden, da die Studienlage nicht eindeutig ist:

Massnahmen zur Verbesserung der intestinalen Flüssigkeitsresorption bei Ileostoma

  • Liberaler/grosszügiger Einsatz von Speisesalz bei den Mahlzeiten (Nachsalzen) und Konsum von salzreichen Snacks wie beispielsweise Salzstangen.
    – Falls eine Abneigung gegenüber sal-zigen Speisen besteht: Einsatz vonSalztabletten (bis zu 7 g Natriumchlorid pro Tag).
    – Reduktion von hypotonen (Wasser, Tee, Kaffee) und hypertonen Getränken (Fruchtsäfte, Limonaden etc.) und steigern des Konsums von isotonen Getränken.
    – Einsatz von oralen Rehydratationslösungen mit einem hohen Natriumgehalt von mindestens 90 mmol/l (Tab. 2).
  • Der getrennte Konsum von Speisen und Getränken zeigt in einer kleinen klinischen Studie mit 10 Patienten keine verbesserte Flüssigkeits- oder Nährstoffresorption. Im praktischen Alltag berichten jedoch viele Patientinnen, dadurch das Stuhlvolumen reduzieren zu können, und haben subjektiv den Eindruck, dass die intestinale Transitzeit weniger schnell sei.

Allgemeine Ernährungsempfehlungen zur Prophylaxe einer Malnutrition und Stuhlregulation beim Stoma

  • Grundsätzlich Verordnung einer energiedichten, volumenarmen Ernährung.
  • Initial reduzierte Nahrungsfaserzufuhr und meiden von Rohkost auf Grund des hohen Volumens und der Verkürzung der intestinalen Transitzeit.
  • Eine Verteilung der Speisen auf 6 – 8 Mahlzeiten pro Tag führt oft zu einer grösseren oralen Energie- und Proteinaufnahme und erfahrungsgemäss ist die intestinale Transitzeit bei kleineren Nahrungsportionen eher langsamer als bei grossen Mahlzeiten.
  • Bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme können Trink-nahrungen eingesetzt werden. Die Osmolarität der Produkte stellt dabei oft einen entscheidenden Faktor der Verträglichkeit dar und hyperosmolare Produkte führen tendenziell eher zu Diarrhoe. Erfahrungsgemäss besser toleriert werden Produkte mit einer Osmolarität unter 350 mosmol/l.
  • Eine allfällige Evaluation individueller Unverträglichkeiten erfolgt unter fachkundiger Begleitung einer Ernährungsberaterin SVDE: eine laktosearme Ernährung ist nicht grundsätzlich indiziert, kann jedoch beim Vorliegen einer Laktoseintoleranz das Stuhlvolumen reduzieren und Verdauungsbeschwerden wie Meteorismus lindern. Bei Meteorismus und flüssigem Stuhlgang kann auch die Wirkung einer FODMAP-armen Ernährung evaluiert werden. Die individuelle Verträglichkeit von potentiell laxativen Nahrungsmitteln wie zuckerreichen Speisen, Kaffee, Alkohol etc. ist sehr unterschiedlich.

Probleme zu Hause

Zu Hause beginnt ein neuer Abschnitt für die Patienten. Sie bewegen sich in der Regel mehr, das Gewicht verändert sich und sie essen anders als während des Spitalaufenthaltes. Das Stoma, welches während des Spitalaufenthaltes noch leicht ödematös war, wird kleiner und flacher und der gespannte Bauch weicher. Die Ausscheidung ist breiig, kann auch sehr flüssig sein. All diese Faktoren können zu Undichtigkeiten oder Hautschädigungen (Hautmazeration) führen (Abb. 5).
Eine Hautmazeration ist Folge einer enzymatischen oder mechanischen Schädigung der Haut, welche durch den aggressiven Stuhlgang beim Ileostoma entsteht. Die Haut wird mit einem Stomapuder (Hydrocolloid in Pulverform, Abb. 6) behandelt, damit die Feuchtigkeit auf der geschädigten Haut gebunden wird und die Grundplatte wieder besser haftet. Oft wird ein Hautschutz eingesetzt. Da der Bauch weicher geworden ist und das Stoma flacher, wird oft von einer flachen Platte auf eine convexe Platte gewechselt (Abb. 7). Die Stomaberatung überprüft die Grösse des Stomas und passt die Schablone an. Durch eine kontinuierliche ambulante Stomakontrolle können mögliche Komplikationen frühzeitig erkannt und behandelt werden. Durch die interprofessionelle Zusammenarbeit fühlt sich der Stomaträger sicher und gut aufgehoben.

Carla Civelli

Stomatherapeutin DVET
Stoma- und Kontinenzzentrum Zürich
eine Fachstelle der Spitex Zürich Limmat AG
Rotbuchstrasse 46
8037 Zürich

stoma@spitex-zuerich.ch

Maja Dorfschmid

BSc Ernährungsberaterin SVDE
Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Dr. med. Peter Sandera

FMH Viszeralchirurgie
EBSQ Coloproctology
Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

peter.sandera@triemli.zuerich.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die Anlage eines Stomas ist in der Abdominalchirurgie häufig.
  • Die Wahl des Stomas hängt ab von verschiedenen Faktoren.
  • Eine interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ernährungsberatung, Stomatherapeutin und Chirurg, kann die Gefahr einer begleitenden Komplikation deutlich verringern.

Bienen- und Wespengiftallergie

Für die Praxis ist nicht nur die korrekte Therapie der akuten allergischen Reaktion nach einem Bienen- oder Wespenstich von Bedeutung, sondern ebenfalls die adäquate Beratung über die Verhaltensmassnahmen. Die meisten Insektengiftallergiker können das auslösende Insekt nicht klar identifizieren. Bei über 50% der Patienten werden zudem bei der IgE-Bestimmung im Serum Sensibilisierungen gegen Bienen- und Wespengift nachgewiesen. In diesen Fällen hilft die moderne molekulare Allergiediagnostik mit Insektengiftkomponenten, das auslösende Insekt klar zu identifizieren, zudem werden relevante Zusatzinformationen geliefert, die den Arzt bei der optimalen Patientenbehandlung unterstützen.

The allergists like to be in Pharaoh Menes of the 1st Dynasty of Egypt the first allergic person in world history. Waddell (1) he was in an old age – about 2641 BC. – died during a trip to the British Isles as a result of a sting by a wasp or a hornet. Menes had been killed by a kheb. The symbol on its hieroglyph can be interpreted as a sting, but also as a “hippopotamus” (hippopotamus). According to Krombach et al. (2) Pharaoh Menes is a mythical figure and there are doubts as to whether he really existed.
In any case, an average of 3 deaths from a bee or wasp venom allergy are recorded annually in Switzerland (Table 1), with no deaths in the 0 to 19 year age group; It was shown that they did not respond to an emergency reaction.

Allergic reactions to hymenoptera stings and their frequency

It is common to classify the allergic reactions to insect bites, from urticaria to allergic shock, to grades I-IV according to Table 2 (3). In Europe, allergic reactions are mainly to bee or wasp stings (Hymenoptera) to be expected. Bumblebee bites are extremely rare and occur in Switzerland especially in biologists who study the behavior of the bumblebee scientifically. The 1991 SAPALDIA cross-sectional study also asked 8 322 people for the presence of insect venom allergies and carried out an allergy test for bees and wasp venom in the blood. 13.1% reported that they had an allergy to insect venom; 2.3% complained of a severe general reaction (anaphylactic shock, severe respiratory distress), 1.

Treatment of anaphylactic reaction and self-medication

The treatment of the allergic reaction by the physician has been extensively reported in this journal (5). In an emergency, adrenaline is the drug of choice and immediate in to apply (adults 0.3-0.5 mg im, children 0.01 mg / kg body weight). It is important that the insect sting allergic receives from the doctor an emergency kit, which he must always carry on himself. The emergency kit contains a fast-acting antihistamine, eg 2 tablets of 5 mg levocetirizine (Xyzal®) and one corticosteroid preparation, eg 2 tablets of Prednisone / Prednisolone (Spiricort®) à 50 mg. All four tablets should be taken by adults and children from the age of 12 years immediately after hymenoptera bites, without waiting for any reaction. In infants, the antihistamine can be used as drops (eg 10 – 20 drops of Xyzal® 5 mg / ml or 20 – 40 drops [1 – 2 ml] of Fenistil® or 10 – 20 ml of Tavegyl® syrup) and additionally water-soluble cortisone tablets (betamethasone, Betnesol® a 0.5 mg) , In addition, allergy sufferers with high clinical severity must also carry an adrenaline preparation as an autoinjector (Epipen®). This medicine belongs to the list B and is therefore prescription. For adults and children over 25 kg body weight Epipen® is administered with 0.3 mg adrenaline, in children with a body weight of 7.5-25 kg Epipen Junior® with 0.15 mg adrenaline is available. Patients must be accurately instructed in the use of the adrenaline auto-injector. Also the expiry date and on the storage (not in the heated car in the summer leave!) Must be considered. In children under 7.
In a bee sting the allergic person should not touch the poison sting, because at the upper end the poison bladder finds and otherwise penetrates further insect venom. The spine can be removed tangentially with a fingernail, with tweezers or with a sharp-edged object (eg pocket knife). The poison intake can be delayed by cooling (ice packs) at the sting site. A finger, arm or leg can easily be tied off for 15 minutes. Even the non-allergic person should consult a doctor immediately in case of a puncture event, as a grotesque tongue swelling or laryngeal edema may cause acute respiratory distress.

Diagnosis of insect venom allergy

In der heutigen Allergieabklärung ergänzt die molekulare Allergiediagnostik die In-Vitro-(IgE-Bestimmung auf Bienen- und Wespengift) und beim Allergologen die In-Vivo-Testung mit Gift-extrakten, wobei bei über 50% der Patienten doppelte Sensibilisierungen gegen Bienen- und Wespengift nachgewiesen werden. Gemäss Informationen von ThermoFisher ist in den meisten Fällen die Doppelpositivität bei Insektengiftallergikern im Sensibilisierungstest auf spezifisches IgE gegen die kreuzreaktiven, klinisch meist nicht relevanten Kohlenhydrat-Determinanten (CCD) zurückzuführen, die sowohl im Bienen- als auch im Wespengift enthalten sind (6). Die spezifischen ImmunoCAP Allergenkomponenten aus Bienen- und Wespengift sind biotechnologisch hergestellt (rekombinant) und enthalten deshalb keine kreuzreaktiven CCDs. Mit ihnen können Primärsensibilisierungen nachgewiesen werden. Für die Wespengift-Allergie kann mit der Testung von zwei Allergenkomponenten (rVes v 1 und rVes v 5, Tabelle 3) eine Sensitivität von ca. 96% erreicht werden (7). Für die Bienengift-Allergie gibt es mit Einführung der neuen spezifischen Allergenkomponente Api m3 nun ebenfalls die Möglichkeit, eine Sensitivität von über 90% zu erreichen (Tab. 3) ( 7).

Spezifische Immuntherapie bei Insektenstichallergie

Die Anamnese betreffend Schweregrad der allergischen Reaktion (Tab. 1), das Intervall bis zum Auftreten der Symptome, insbesondere die Erfassung von Schockfragmenten wie Larynxödem, Dyspnoe, Schwindel, Todesangst, Blutdruckabfall, sind in erster Linie zur Indikationsstellung einer allergen-spezifischen Immuntherapie (ASIT), und damit zur Überweisung an einen Allergologen oder an eine Allergiepoliklinik, von Bedeutung. Auch dient die allergologische Diagnostik zur Differentialdiagnose, eine echte allergische Insektenstichreaktion von neurovegetativen Reaktionen wie vagovasale Synkope oder Hyperventilationssyndrom zu unterscheiden. Auch muss durch Inspektion des Integumenten und der Bestimmung der Serum-Tryptase eine systemische Mastozytose ausgeschlossen werden. Unbestritten ist die Indikation zur ASIT bei schweren Allgemeinreaktionen mit kardiovaskulärer oder respiratorischer Symptomatik und positiven diagnostischen Allergietests. Eine ASIT gegen Wespengift ist in etwa 95% der Fälle erfolgreich, bei Bienengift in etwa 85%, wobei der Schweregrad der Reaktion in der Regel bei allen Patienten abnimmt. Lange Zeit waren Patienten, die Betablocker und ACE-Hemmer einnahmen, von einer AST mit Insektengiften ausgeschlossen. Inzwischen liegen jedoch Studien vor, die nachweisen, dass die Sicherheit einer ASIT dadurch nicht beeinträchtigt wird (9). Prinzipiell stehen als Möglichkeiten für eine ASIT die klassische ambulante Therapie, die Behandlung unter Spitalaufenthalt während 5 Tagen (Rush-Therapie) oder die sogenannte Ultra-Rush-Therapie unter Intensivüberwachung zur Verfügung. Beim «Ultra-Rush-Verfahren» injiziert der Allergologe sechs oder sieben Spritzen an einem Tag, bis zum Erreichen der gewünschten Enddosis von 100 μg Gift. Während dieser Zeit werden die Kreislaufparameter ständig kontrolliert. Wenn es dem Allergiker gut geht, kann er an dem Abend nach Hause gehen. Die Wahl der AST-Modalität überlässt der Hausarzt am besten dem Allergologen und dem Wunsch des Patienten. Nach einigen Injektionen der Erhaltungstherapie beim Spezialisten kann der Hausarzt anschliessend die Erhaltungsdosis von 100 μg Gift, entsprechend etwa 2 Bienen- und 5 Wespenstichen, verabreichen. Es wird empfohlen, die Immuntherapie in monatlichen, später etwa in 6-wöchigen Intervallen, während 5 Jahren durchzuführen, wobei der Allergologe über ihre definitive Absetzung zu Rat einbezogen werden sollte.
Wird auf Grund der klinischen Reaktion entschieden, keine AST durchzuführen, empfehle ich, jährlich die spezifische Serologie zu wiederholen, um festzustellen, ob mit der Zeit sich der Sensibilisierungsgrad abgeschwächt oder ob sogar nach Jahren die Sensibilisierung verschwunden ist, falls keine interkurrenten Stiche erfolgten. Bei erneutem Stich, auch wenn durch die Notfalltherapie keine oder nur eine schwache Reaktion auftrat, soll innerhalb von 6 Monaten erneut eine Serologie durchgeführt werden, um festzustellen ob der Titer an IgE-Antikörpern durch das Booster massiv angestiegen ist.

Prof. em. Brunello Wüthrich

Facharzt FMH für Allergologie und Immunologie
Facharzt FMH für Dermatologie
Langjähriger Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich
8125 Zollikerberg

bs.wuethrich@bluewin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • 2-3% der Schweizer Bevölkerung haben eine schwere allergische Reaktion nach einem Bienen- oder Wespenstich erlitten und im Durchschnitt kommen jährlich 3 Todesfälle infolge einer Insektengift-Anaphylaxie vor.
  • Im Notfall ist Adrenalin das Medikament der Wahl und sofort i.m. zu applizieren (Erwachsene 0,3–0,5mg i.m., Kinder 0,01 mg/Kg Körpergewicht)
  • Alle Insektenstichallergiker sollten einen Adrenalin-Autoinjektor und Notfalltabletten (z. B. 2 x 5 mg Levocetirizin und 2 x 50 mg Prednison) mit sich führen
  • Die Handhabung des Adrenalin-Injektors ist genau zu instruieren und das Verfalldatum sollte regelmässig kontrolliert werden
  • Bei der IgE Bestimmung auf Bienen- und Wespengift kommt bis in über 50% der Fälle eine Doppelpositivität zum Vorschein. Diese ist auf die meist nicht relevanten Kohlenhydrat-Determinanten (CCD) zurückzuführen, die sowohl im Bienen- als auch im Wespengift enthalten sind
  • Zur Identifizierung des allergieauslösenden Insektes und um den Grad der Sensibilisierung abzuschätzen ist – nebst der Anamnese mit Einteilung des Allergieschweregrades – die serologische Allergiediagnostik mit Bestimmung der spezifischen Giftkomponenten geeignet.
  • Die Hauptallergene von Bienengift sind das Api m1 (CAP i208), die Phospholipase A2, und das Api m 3 (CAP i215, die saure Phosphatase) und von Wespengift rVes v 1 (i211), die Phospholipase A1, und rVes v 5 (i209), das Antigen 5. Die rekombinante Allergene rVes v 1 und rVesp 5 sind CCD-freie Rekombinantproteine.
  • Nach einer schweren Allgemeinreaktion soll der Patient einem Allergologen zur Indikationsstellung einer spezifischen Immuntherapie zugewiesen werden

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3. Wüthrich B. Classification of sting insect sensitivity. J Invest Allergol Clin Immunol 2001; 11(2): 132.
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6. http://www.phadia.com/Global/Market%20Companies/Germany/Dokumentenbibliothek/Promotionsmaterial%20Allergie/Insektengift-Allergie/Insektengift-Allergie%20Brosch%C3%BCre%2012-2016.pdf
7. http://www.phadia.com/en/Products/Allergy-testing-products/ImmunoCAP-Allergen-Information/Venoms/Allergen-Components
8. Köhler J et al. Component resolution reveals additional major allergens in patients with honeybee venom allergy. J Allergy Clin Immunol 2014; 133: 1383-1389.
9. Sturm GJ, Varga EM, Roberts G, Mosbech H et al. EAACI guidelines on allergen immunotherapy: Hymenoptera venom allergy. Allergy.2018; 73:744–764.
https://doi.org/10.1111/all.13262.

Pruritus auf primär unveränderter Haut

Pruritus (Juckreiz, Jucken) gilt als das häufigste Symptom, das an der Haut auftritt. Seine Ursachen sind vielfältig. Da sich die Behandlung nach der Ursache richtet, ist eine genaue Abklärung zur richtigen Zuordnung des Pruritus wichtig. Besonders bei Vorliegen eines Juckreizes auf unveränderter Haut («Pruritus sine materia») sind spezielle Abklärungsschritte und Therapien ins Auge zu fassen.

By definition, pruritus is “an unpleasant sensation that causes a need to scratch”, as noted by the German doctor Samuel Hafenreffer in 1660. In addition to the perceived central nervous sensation belonging to the itching by definition also includes a reflex scratching reaction.
By definition, one differentiates between acute and chronic pruritus: it will last less than 6 weeks is called acute pruritus (1). This is very common and manifests itself daily in almost all people as irrelevant occasional itching, which occurs several times on the body several times a few seconds and – with or without scratching – subsides, without a greater disease value. The term “acute pruritus” thus includes agonizing itchy conditions, eg.B. after arthropod stings or in acute urticaria. However, the cause of the itching is history and clinically obvious.
Chronic pruritus is referred to as itching for more than 6 weeks (1). The chronic itching has different aetiologies, which are often not obvious and require further clarification. It is the chronic pruritus that is problematic in everyday medical practice. Chronic pruritus is now considered to be a disease of its own, for which there is an established methodology (2) and whose clarification and treatment are specified in its own guidelines (1, 3). Specifically of interest is the pruritus of the skin, which was formerly known as pruritus sine materia.

Classification of chronic pruritus

In 2007, the International Forum for the Study of Medicine (IFSI) proposed a classification of chronic pruritus that allows patients with pruritus to be assigned to three clinically defined groups (2). Based on the anamnesis and the clinical appearance, the allocation to one of the three groups takes place in a simple algorithm (Table 1). In the anamnesis, the crucial question is whether or not the skin is unremarkable.

Pruritus on ordinarily diseased (inflamed) skin

Bei dieser Juckreiz-Form haben anamnestisch beim Auftreten des Juckens immer schon sichtbare Hautveränderungen vorgelegen, der Juckreiz findet sich an den Stellen, wo die Haut entzündlich verändert ist. Im Hautstatus findet man klassische Primäreffloreszenzen wie Papeln, Vesikeln, Quaddeln oder auch Plaques, die typisch für eine juckende Hauterkrankung sind. Ursächlich ist auch eine Hauterkrankung, die es zu diagnostizieren gilt. Typische Hauterkrankungen, die mit chronischem Pruritus einhergehen, sind Ekzemerkrankungen, die Psoriasis, ein Lichen planus, eine Urtikaria, eine Tinea oder ein Arzneimittelexanthem.

Pruritus auf primär unveränderter Haut = Pruritus on primarily normal (non-inflamed) skin

Bei dieser Form von Juckreiz haben beim Auftreten des Pruritus keine Hautveränderungen bestanden, der Juckreiz hat auf normaler Haut begonnen. Falls Hautveränderungen sichtbar sind, sind sie sekundärer Natur und erst durch Kratzen entstanden. Ursächlich muss an innere Erkrankungen und Medikamente gedacht werden. Es können aber auch pathologische Hautzustände bestehen, die nicht mit sichtbaren Hautläsionen einhergehen. Der frühere Begriff «Pruritus sine materia» ist synonym zu verstehen, er wird heutzutage aber in der Literatur nicht mehr verwendet. Diese Form des chronischen Pruritus ist Thema dieses Artikels und wird unten ausführlich besprochen.

Chronischer Pruritus mit Kratzläsionen = Pruritus with chronic secondary scratch lesions

Bei dieser Form von Pruritus besteht der Juckreiz schon seit Jahren. Im klinischen Hautstatus finden sich nur sekundäre Hautveränderungen, die als Folge des Kratzens aufgetreten sind. Meist liegt vom klinischen Bild her ein Lichen simplex chronicus vor mit solitären Plaques mit lichenifizierter Haut oder eine noduläre Prurigo mit disseminierten zerkratzten Narbenknoten. Prurigoerkrankungen treten im Rahmen von Hauterkrankungen auf, aber auch im Gefolge von inneren Erkrankungen und nehmen deshalb eine Zwischenstellung zwischen den beiden erstgenannten Gruppen ein.

Pruritus auf primär unveränderter Haut (Pruritus sine materia)

Wie bereits erwähnt, ist für diese Form von Pruritus die anamnestische Angabe entscheidend, ob der Juckreiz auf normaler Haut begonnen hat. Die Frage nach dem Hautbild bei Auftreten des Juckreizes muss dem Patienten gezielt gestellt werden. Häufig bestehen im klinischen Status nämlich ausgedehnte Hautläsionen, so dass man fälschlicherweise an einen Pruritus auf veränderter Haut denkt. Die sichtbaren Hautveränderungen sind aber immer erst sekundär durch Kratzen entstanden. In der Regel berichten dies einem die Patienten auch entsprechend, wenn man direkt nachfragt.
Bei Juckreiz auf primär unveränderter Haut muss man ursächlich an innere Erkrankungen, Medikamente oder an Hauterkrankungen ohne sichtbare Hautveränderungen denken.

Pruritus auf primär unveränderter Haut bei inneren Erkrankungen
Eine Vielzahl von inneren Erkrankungen kann zu Juckreiz auf normaler Haut führen (4):

  • So gilt chronischer Pruritus bei terminaler Niereninsuffizienz, v.a. bei Dialyse-Pateinten, immer noch als typisch, auch wenn mit den heutigen Dialysetechniken Juckreiz weniger häufig vorkommt, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war, als bei über 80% aller Dialysepatienten über einen chronischen Pruritus berichtet wurde. Die genaue Ursache des Juckreizes bei der chronischen Niereninsuffizienz ist bis heute unklar geblieben.
  • Alle cholestatischen Lebererkrankungen können zu Juckreiz führen. Ursächlich dürften Gallensäuren sein, die in der Haut anfallen. Bei der primären biliären Zirrhose tritt Juckreiz besonders häufig auf, hier ist ein Pruritus bei 60% der Patienten das ini-
    tiale Leitsymptom. Ein in der Schwangerschaft auftretender Pruritus auf unveränderter Haut ist ebenfalls durch eine Schwangerschafts-Cholestase begründet.
  • Obschon die Polyzythämia vera selten ist, sollte bei unklarem Pruritus an diese Erkrankung gedacht werden: Chronischer Juckreiz wird in fast der Hälfte der Patienten beobachtet.
  • Bei lymphoproliferativen Krankheiten kann ein neu aufgetretener chronischer Juckreiz der Schlüssel zur Diagnose sein. Beim M. Hodgkin leidet ein Sechstel der Patienten bei der Diagnosestellung an Juckreiz. Dieser kann gelegentlich sogar das einzige initiale Symptom sein. Über einen chronischen Juckreiz wird ansonsten in einem Drittel der Patienten mit Lymphomerkrankungen berichtet.
  • Mit Juckreiz einhergehen kann eine intestinale Parasitose. Auch bei HIV kann chronischer Pruritus auftreten.
  • Wahrscheinlich seltener als erwartet ist ein chronischer Pruritus bei soliden Malignomen, einer Schilddrüsenfunktionsstörung oder einem Diabetes mellitus. Trotzdem wird man differenzialdiagnostisch bei unklarem Pruritus auch an diese Erkrankungen denken.
  • Ein zentraler neurogener Pruritus ist selten: In der Literatur sind nur wenige Fälle publiziert, bei welchen eine multiple Sklerose, Hirninfarkte oder Hirntumoren für einen Juckreiz verantwortlich waren. Hingegen sollte bei lokalisiertem und einseitigem Pruritus an eine periphere Neuropathie gedacht werden, die den Juckreiz erklärt: Der brachioradiale Pruritus findet sich einseitig (oder beidseitig) lokalisiert an den Armen und im Schulter-/Nackenbereich. Bei der Notalgia paraesthetica finden sich umschriebene juckende Areale am Rücken. Bei beiden Erkrankungen vermutet man Nervenschädigungen beim Austritt aus der Wirbelsäule als ursächlich.

Medikamentöser Pruritus auf primär unveränderter Haut.

Fast alle Medikamente können theoretisch einen Juckreiz verursachen, bei dem keine Hautveränderungen im Sinne eines Ausschlages beobachtet werden. Entscheidend ist bei Verdacht auf medikamentöse Ätiologie eines unklaren Pruritus ein herstellbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Neueinnahme eines Medikaments und dem Auftreten des Pruritus. Häufig tritt ein Juckreiz auf normaler Haut mit einer Verzögerung von drei bis vier Wochen nach Ersteinnahme des Medikaments auf, also mit einer deutlich grösseren Latenz als bei den klassischen Arzneimittelexanthemen, die als Typ IV-Reaktion nach Coombs und Gell typischerweise nach 7-14 Tagen auftreten. Ein Medikament, das länger als ein halbes Jahr eingenommen worden ist, dürfte für einen neu aufgetretenen Juckreiz kaum mehr verantwortlich sein.
Als typische pruritogene Medikamente gelten Opiate. Aber auch Chloroquin, Retinoide oder Penicillin-Antibiotika sind Auslöser eines Pruritus auf primär nicht-veränderter Haut (4).

Pruritus auf primär unveränderter Haut bei spezieller Hautpathologie

Juckreiz ohne ersichtliche Hautveränderungen kann auch durch eine Hautpathologie begründet sein, bei welcher die Haut unverändert erscheint.
Die häufigste Form eines Pruritus auf primär nicht-veränderter Haut ist der «Alterspruritus», der auf normal erscheinender, aber dem Alter entsprechender trockener Haut auftritt. Die Xerosis cutis ist hier Auslöser des Juckreizes. Rückfettende Massnahmen sind meist schon ausreichend, um den Juckreiz wegzubehandeln.
Eine Minimalform einer atopischen Dermatitis kann zu starkem Juckreiz führen, ohne dass sicher ersichtliche ekzematöse Effloreszenzen vorliegen. Ein bullöses Pemphigoid, das in seiner klassischen Form mit einer Blasenbildung auf entzündeter Haut einhergeht, kann selten mit Juckreiz auf normaler Haut beginnen. Ebenfalls selten ist das Auftreten eines Zosters (Gürtelrose) ohne sichtbare Hautläsionen mit nur juckenden Missempfindungen, die aber in typischer segmentaler Anordnung bestehen (4).

Abklärungen bei Pruritus auf primär nicht-veränderter Haut

Bei Pruritus auf primär unveränderter Haut muss im Labor eine Screening-Untersuchung durchgeführt werden, um eine auslösende innere Erkrankung nicht zu verpassen. Ausgeschlossen werden sollten die oben aufgeführten Erkrankungen. Mit den in Tabelle 2 aufgeführten Laborparametern lassen sich diese fast immer erfassen.
In der Medikamentenanamnese muss festgehalten werden, seit wann Medikamente eingenommen werden und ob eine Neueinnahme mit dem Auftreten des Juckens in Verbindung gebracht werden kann.
Da eine genetisch bedingte Hautdisposition von Bedeutung sein kann, sollten immer auch Atopie-Parameter (z.B. in Form eines Atopie-Scores) erfasst werden.

Therapie bei Pruritus auf primär unveränderter Haut

Wenn eine Ursache des Juckreizes gefunden wird, muss primär diese angegangen werden:
Eine ursächliche innere Erkrankung sollte (weg)behandelt werden, Juckreiz-auslösende Medikamente müssen weg- oder versuchsweise ausgelassen werden. Tatsächlich führt die Behebung der Juckreiz-Ursache häufig rasch zur Besserung des Pruritus. So klingt ein Pruritus nach Behandlung eines M. Hodgkin in der Regel rasch ab, ebenso nach dem Absetzen eines Medikamentes, wenn dieses für das Jucken verantwortlich war.
Bei einem chronischen Pruritus auf primär unveränderter Haut, bei dem die Ursache (noch) unklar ist, wird die Behandlung vorerst symptomatisch sein. Dabei empfiehlt sich ein stufenweises Vorgehen (1) (Tab. 3):

  • In einer ersten Stufe sollten Prurituspatienten angehalten werden, alles zu vermeiden, was zu einer Hautaustrocknung führt (v.a. zu viel Waschen und Baden) und was die Haut irritiert (Kleidung, reizende Topika). Zur Behandlung empfohlen werden als Basistherapie rückfettende Crèmes und Lotionen (unter Berücksichtigung des individuellen Hautzustands). Als Zusätze in diesen Topika wird gerne Harnstoff, Polidocanol, Campher und Menthol eingesetzt.
  • Zusätzlich kann ein H1-Antihistaminikum verabreicht werden, wobei dazu nach der letzten Leitlinie nur noch nicht-sedierende Antihistaminika empfohlen werden, diese dafür bei fehlendem Ansprechen auf die Standarddosierung – wie in der Allergologie – in bis zu einer 4-fachen Dosierung.
  • Die zweite Stufe der symptomatischen Behandlung umfasst Therapien, die sich in Studien hilfreich erwiesen haben, wenn sich eine bekannte Ursache nicht wegbehandeln lässt, wie z.B. eine terminale Niereninsuffizienz oder eine Leberzirrhose:
    – Beim nephrogenen Pruritus wird nach der AWMF-Leitlinie Gabapentin als Therapeutikum der ersten Wahl beurteilt vor dem Einsatz von Pregabalin und vor einer UVB-Phototherapie. Aktivkohle stellt eine Alternative dar, dies sich einfach einsetzen lässt (1).
    – Bei cholestatischem Pruritus gilt Colestyramin als Mittel der ersten Wahl. In einem nächsten Schritt wird Rifampicin empfohlen, danach der Opiatantagonist Naltrexon und anschliessend Sertralin. Ursodesoxycholsäure kommt bei Schwangerschafts-
    pruritus auf primär unveränderter Haut zum Einsatz. Man beachte, dass bei den in der Schweiz erhältlichen Ursodesoxycholsäure-Präparaten in den Fachinformationen die Schwangerschaft als Kontraindikation gilt!
    – Bei hämatologischen Neoplasien werden entweder Mirtazepin, Paroxetin oder Fluoxetin empfohlen. Gabapentin ist bei kutanen Lymphomen Therapie der Wahl vor Mirtazepin.
    – Der neuropathische Pruritus kann entweder topisch mit Capsaicin oder systemisch mit Gabapentin oder Pregabalin angegangen werden (1).
  • Wenn die Ursache des Pruritus trotz allen Abklärungen unklar bleibt oder der Pruritus therapierefraktär bleibt, bestehen in der dritten Stufe weitere therapeutische Optionen, sofern die vorgeschlagenen Behandlungen nicht schon durchgeführt worden sind:
  • Medikamentös kann immer als Erstes Gabapentin versucht werden. In einem nächsten Schritt werden Antidepressiva empfohlen (Paroxetin oder Mirtazapin). Eine Phototherapie mit UVB311nm ist die nächste Option. Schlussendlich kann auch Naltrexon eingesetzt werden (1).
  • Leider gelingt es trotz aller Abklärungen und therapeutischen Massnahmen nicht bei allen Patienten, den Juckreiz wegzubehandeln. Diese Patienten sollten speziellen Juckreiz-Zentren zugewiesen werden, wo auch Behandlungen im Rahmen von Studien angeboten werden können. In der Schweiz besteht eine spezielle Pruritus-Sprechstunde in der Dermatologie des Kantonsspitals Aarau.

Dr. med. Markus Streit

Chefarzt Dermatologie-Allergologie
Kantonsspital Aarau
Bahnhofplatz 3c
5001 Aarau

markus.streit@ksa.ch

Im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert der Autor, keine Interessenskonflikte zu haben.

  • Pruritus auf primär unveränderter Haut (Pruritus sine materia) ist eine spezielle Form des chronischen Juckreizes, bei welcher der Juckreiz auf initial normaler Haut auftritt und alle sichtbaren Hautveränderungen Folge des Kratzens sind.
  • Als Ursache eines Pruritus auf primär unveränderter Haut muss an innere Erkrankungen, Medikamente oder spezielle Hautpathologien gedacht werden.
  • Zu den Hauterkrankungen, die typischerweise zu Jucken auf normaler Haut führen, zählen eine terminale Niereninsuffizienz, cholestatische Lebererkrankungen, die Polyzythämia vera, lymphoproliferative Erkrankungen (v.a. der M. Hodgkin) und ein Eisenmangel. Solide Malignome, Schilddrüsenfunktionsstörungen und Diabetes mellitus sind demgegenüber seltene Ursachen eines Juckreizes auf normaler Haut.
  • Als häufigste Form des Pruritus auf primär unveränderter Haut gilt der Alterspruritus, der als Folge der altersbedingten Hauttrockenheit auftritt.
  • Die beste Behandlung eines Pruritus auf primär unveränderter Haut ist die Beseitigung der Ursache des Pruritus. Falls dies nicht möglich ist, erfolgt eine Behandlung symptomatisch unter Einsatz von lokalen und systemischen Therapeutika in einem stufenweisen Vorgehen.

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3. Weisshaar E, Szepietowski JC, Darsov U, Misery L, Wallengren J, Mettang T, Gieler U, Lotti T, Lambert J, Maisel P, Streit M, Greaves MW, Carmichael AJ, Tschachler E, Ring J, Stands S. European guideline on chronic pruritus. Acta Derm Venereol. 2012; 92 (5): 563-81
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«Wege zum künstlichen Pankreas»

In der Sitzung «Top Innovation Session» anlässlich des Frühjahrkongresses der SGAIM in Basel, die den medizintechnischen Fortschritten in der Diabetestherapie gewidmet war, referierte Prof. Dr. med. Roger Lehman, Zürich, über «Wege zum künstlichen Pankreas».

Was fehlt beim Typ 1 Diabetes? Im Pankreas gibt es 1 Million Pankreasinseln, welche von exokrinem Pankreasgewebe umgeben sind, das Gesamtgewicht beträgt 2 g, das Gesamtgewicht von Betazellen 1 g. Diese werden beim Diabetes zerstört, mit der Folge einer Neigung zu Ketoazidose. Pathogenetisch besteht eine geringe genetische Belastung, dann kommt es zu einer Autoimmunerkrankung – wobei auch heute nicht genau klar ist, was diese auslöst –, welche zu einer T-zellulären Zerstörung der gesamten Masse an Betazellen führt (Abb. 1).
Als Folge fehlt beim Typ 1 Diabetes der Glukosesensor und Insulin und dessen Ausschüttung ins Blut der Pfortader. Beide Faktoren sind für eine normale Blutzuckerkontrolle notwendig.

Abb. 1: Pathogenese des Typ 1 Diabetes

Zur modernen Therapie des Typ 1 Diabetes stehen verschiedene Strategien zur Verfügung wie Ersatz des Insulins, künstliche Glukose-Sensoren, Ersatz der Betazellen in Form von Inseltransplantation, Pankreastransplantation oder eben ein künstliches Pankreas. Die Strategien zur Beeinflussung der Autoimmunität und auch Stammzell/Gen-Therapien sind Ziele künftiger Forschung.
Die moderne Insulinersatztherapie versucht, das physiologische Sekretionsmuster von Insulin zu imitieren, einerseits mit einem lang wirksamen Basalinsulin und andererseits mit kurzwirksamen Insulinanaloga zu den Mahlzeiten (Abb. 2).

Abb. 2: Insulinersatz Typ 1 Diabetes

Das grösste Problem bei der Behandlung eines Diabetikers mit Insulin ist die Gefahr der Entwicklung von Hypoglykämien, und zwar steigt deren Inzidenz mit zunehmender Insulinbehandlungsdauer nach über 15 Jahren bis auf rund 50 %. Hypoglykämien sind gefährlich, sie führen zu Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand und damit zum Tod, andererseits führen sie über Entzündungsmechanismen und endotheliale Dysfunktion zu vaskulären Ereignissen und Tod. Am Beispiel eines 50-jährigen Mannes mit Typ 1 Diabetes seit 27 Jahren ohne Folgekomplikationen erläutert der Referent die Berechnung des Insulinbedarfs.
Weitere Fragen, die sich der behandelnde Arzt stellt, sind die Verteilung Basalinsulin/Essensinsulin, empfohlene Kohlenhydratemenge, Blutzuckermessung: wie?, Insulinapplikation: wie? Die Insulinverordnung geschieht in 3 Schritten, zuerst muss der Tagesinsulinbedarf berechnet werden, er liegt in den meisten Fällen zwischen 0,6-0,8 E / kg KG und Tag, bei einem neu entdeckten Diabetes 0,5 E. In der Pubertät ist wegen dem erhöhten Wachstumshormon der Bedarf mit 1,0-1,4 E deutlich höher (Abb. 3).

Abb. 3: Verordnung von Insulin in 3 Schritten

Im Beispiel des 50-jährigen Patienten wäre der Tagesinsulinbedarf 56 E. Der 2. Schritt ist die Bestimmung des Basisinsulins, welches 50 %, das heisst 28 Einheiten beträgt, der 3. Schritt die Bestimmung des Bolusinsulins, weitere 28 Einheiten oder rund 9 Einheiten pro Mahlzeit. Zu jeder Mahlzeit soll der Patient ca. 70 g Kohlenhydrate verspeisen, dazu muss er in der Lage sein, den Kohlenhydratgehalt von verschiedenen Mahlzeiten korrekt abzuschätzen. 10 g
Kohlenhydrate erhöhen den Blutzucker um ca. 2,0 mmol/l. Im gesamten Blutkreislauf befinden sich 4 g Glukose. Ohne korrektes Abwägen oder Schätzen der Kohlenhydrate ist eine gute Blutzuckereinstellung unmöglich. Im erwähnten Beispiel werden 28 E Essensinsulin für 210 g Kohlenhydrate benötigt. Daraus lässt sich der Kohlenhydratfaktor berechnen: 210/28 = 7,5 g Kohlenhydrate pro E Insulin. Zu Beginn einer Behandlung kann man mit 10 g Kohlenhydrate pro Einheit Insulin rechnen. Korrekturinsulin senkt den Blutzucker auf normale Werte. Es wird berechnet nach der Formel: 100-150 / Gesamtinsulin = 125 / 56 = 2,25 mmol/E, dabei ist zu berücksichtigen, dass das Korrekturinsulin den Blutzucker tagsüber schwächer senkt als in der Nacht, so dass der erwähnte Patient konkret tagsüber mit einer Einheit Insulin den Blutzucker um 2 und nachts um 3-4 mmol senken kann.
Bei konventionellen Insulinpumpen kann der physiologische Insulinbedarf durch Programmierung der stündlichen Insulinabgabe (kurzwirksames Insulin) individuell vorgegeben werden (Abb. 4).

Abb. 4: Pumpen-Basalrate und physiologischer Insulinbedarf

Die Schulung der korrekten Anwendung einer klassischen Pumpentherapie umfasst Instruktion über die Basalrate, den Kohlenhydratfaktor, den Korrekturfaktor, den Blutzuckerzielbereich, der Wirkdauer von Insulin und den notwendigen Anpassungen bei Sport oder Krankheit. Bei Pumpen, welche von einem Glukosesensor unterstützt werden, können neben den basalen Funktionen (Basis Insulinpumpe: Basalrate, Bolus, Korrekturbolus) Funktionen für postprandiale Glukose (Bolus Expert mit Kohlenhydratfaktor und Korrekturfaktor) benutzt werden und erweiterte Funktionen mit kontinuierlicher Blutzuckermessung.
Was ist ein künstliches Pankreas? Es besteht aus einer Insulinpumpe, einem Glukosesensor und einem Computer. Zur kontinuierlichen Glukosemessung wird ein feiner Metallkatheter in die Subcutis eingebracht, wo die Messung im interstitiellen Gewebe erfolgt. Das führt zu einer gewissen Verzögerung gegenüber einer Messung direkt im Gefäss. Es gibt heute Systeme, die punktweise oder aber kontinuierlich Blutzucker messen. Neuere Systeme können mit einer Pumpe gekoppelt werden, diese müssen obligatorisch kalibriert werden. Schliesslich gibt es implantierbare Systeme, die sich bis heute jedoch nicht bewährt haben. Moderne Sensor-unterstützte Pumpen mit prädiktiver Hypoglykämie-Abschaltung erlauben, Hypoglykämien weitgehend zu vermeiden (Abb. 5).

Abb. 5: Sensor-unterstützte Pumpen mit automatischer und mit prädiktiver Hypoglykämie-Abschaltung

Die aktuell neuesten halbautomatischen Pumpen, die für Patienten mit Typ 1 Diabetes älter als 14 Jahre zugelassen sind, kommen ohne definierte Basalrate aus. Der Glukosesensor misst und der Computer berechnet, wie viel Insulin benötigt wird, um einen normalen Blutzuckerspiegel aufrecht zu erhalten. Mit diesem System gelingt es, den Zielbereich von 3,9-10 Millimol pro Liter in 3/4 der Fälle zu erreichen, im Vergleich zu 2/3 bei älteren Pumpensystemen. Hypoglykämien konnten von 1,0 auf 0,6 % reduziert werden. Bei 75 % aller behandelten Patienten resultierte ein besseres HbA1c, so hatten über die Hälfte ein HbA1c unter 7 %, im Vergleich zu rund einem Drittel mit den alten Systemen. Die Handhabung dieser neuen halbautomatischen Pumpen ist grundsätzlich einfacher, jedoch ist die Kenntnis der Kohlenhydratfaktoren entscheidend. Unter dem Motto «ohne Kenntnis der Kohlenhydratemenge keine Kontrolle des Blutzuckers» muss der Patient in der Lage sein, den Kohlenhydratgehalt seiner Mahlzeiten exakt zu erfassen. Dazu ist es unerlässlich, den Kohlenhy-dratanteil einzelner Nahrungsmittel zu kennen. Müsli, Mehl und Haferflocken bestehen zu 2/3 aus Kohlehydraten, Brot 1/2, Reis und gekochte Teigwaren 1/4, Kartoffeln 1/7, Früchte 1/10, Milch, Joghurt Nature 1/20, Gemüse, Fleisch, Fett 0. Heute sind Projekte wie GoCarb in Entwicklung, welche eine automatische Erkennung von Kohlenhydraten erlauben, zum Beispiel mit Fotografie von Essen aus 2 Winkeln oder Apps mit Segmentation, Nahrungserkennung und 3-D Rekonstruktion (Abb. 6).

Abb. 6: GoCarb-Projekt: Automatische Erkennung von Kohlenhydraten

Da die ganze Insulinausschüttung von der korrekten Bestimmung des Blutzuckers abhängt, muss zusätzlich der Sensor 2- bis 3-mal kalibriert werden. Abschliessend legt der Referent Wert auf folgende Punkte: Technik kann immer versagen, deshalb braucht es für den Notfall eine eingehende Schulung. Empathie, Motivation und Individualisierung sind heute von grösster Bedeutung. Offenheit gegenüber Technologie und Verständnis ist die Grundvoraussetzung für die Diabetestherapie der Zukunft.
Als Ausblick in die Zukunft präsentiert der Referent die bahnbrechende Entdeckung einer Subpopulation von Lymphozyten bei Patienten mit Typ 1 Diabetes, welche sowohl B-Zell- wie auch T-Zell-Rezeptoren exprimieren. Diese Zellen codieren für ein Peptid, welches mit 1000-fach höherer Affinität als Insulin an Antigen- präsentierende Zellen bindet. Diese präsentieren das Peptid den T-Zellen, welche in Folge expandieren und die Betazellen zerstören. Wenn hier ein therapeutischer Ansatz gefunden würde, könnte eventuell auch die Autoimmunität behandelt werden.

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich

Schulthess_hk@swissonline.ch

Zirkulierende DNA beim klassischen Hodgkin Lymphom

Anlässlich der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM) wurde der Viollier Preis zum 17. Male vergeben. Den mit CHF 10 000.- dotierten Preis durfte Frau Dr. Valeria Spina Istituto Oncologico di Ricerca der Universita della Svizzera Italiana in Bellinzona aus den Händen von Dr. med. Edouard H. Viollier entgegennehmen.

Mit dem Viollier Preis werden jedes Jahr wissenschaftliche Originalarbeiten aus Schweizer Institutionen über klinische und experimentelle Studien auf den Gebieten des Preisstifters (Klinische Labordiagnostik, Kardiologie, Pathologie und ART) ausgezeichnet. Der Preis steht unter dem Patronat der SGAIM und wird jeweils an der Jahresversammlung dieser Gesellschaft vergeben.
Die Jury durfte auch dieses Jahr aus 9 hervorragenden Arbeiten auswählen, die allesamt in hochrangigen internationalen Fachzeitschriften publiziert wurden. Nach eingehender Diskussion fiel die Wahl auf die Arbeit von Frau Dr. Spina «Circulating tumor DNA reveals genetics, clonal evolution and residual disease in classical Hodgkin lymphoma», die in der renommierten Zeitschrift Blood, im Jahre 2018 erschienen ist.
Die Seltenheit neoplastischer Zellen in der Biopsie stellt eine grosse technische Hürde dar, die bislang genomische Studien beim klassischen Hodgkin Lymphom (cHL) limitiert hat.

Dr. Valeria Spina mit Dr. med. Edouard H. Viollier

Durch den Einsatz eines hochsensiblen und robusten Next-Generation-Sequenzierungsansatzes für zirkulierende Tumor-DNA untersuchten Dr. Valeria Spina und ihre Kollegen die Genetik von cHL in verschiedenen klinischen Phasen sowie deren Änderungen unter der Behandlung. Die Analyse basierte auf Proben, die von 80 neu diagnostizierten Patienten und 32 refraktären Patienten mit cHL entnommen wurden, einschliesslich longitudinaler Proben, unter ABVD-Chemotherapie (Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) und longitudinaler Proben von rezidivierenden Patienten, die mit Chemotherapie und Immuntherapie behandelt wurden. ctDNA spiegelte die Zellgenetik von Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen wider und etablierte damit die ctDNA als eine leicht zugängliche Quelle von Tumor-DNA für die cHL-Genotypisierung.

Dr. med. Edouard H. Viollier, Dr. Valeria Spina und Dr. Stefano Longoni

Der Signal Transducer and Activator 6 (STAT6) mit in ca. 40% der Fälle das am häufigsten mutierte Gen erlaubte den Forschern, das aktuelle Wissen über die cHL-Genetik zu verfeinern. Longitudinales ctDNA-Profiling identifizierte behandlungsabhängige Muster klonaler Evolution bei Patienten, die nach der Chemotherapie rezidivierten und bei Patienten in einer Teilremission unter Immuntherapie. Die Autoren schlagen vor, die Messung von ctDNA-Veränderungen während der Therapie als ein strahlungsfreies Werkzeug, welches die Positronen-Emissions-Tomographie-Bildgebung zur Verfolgung von Resterkrankung und zur frühen Diagnose von chemorefraktären Patienten in-tegrieren kann.
Diese Daten haben nicht nur einen signifikanten Einfluss auf unser Verständnis von cHL und deren Pathogenese, sondern auch für das Management dieser Erkrankung. Sie weisen auf ctDNA als potenziellen Präzisionsmedizin-Biomarker bei cHL-Patienten hin. Die Ergebnisse dieser Studie sollten von allgemeinem Interesse für Genetiker, Onkologen und Hämatologen sein.

Quelle: Spina V, Bruscaggin A, Cuccaro A, Martini M, Di Trani M, Forestieri G, Manzoni M, Condoluci A, Arribas A, Terzi-Di-Bergamo L, Locatelli SL, Cupelli E, Ceriani L, Moccia AA, Stathis A, Nassi L, Deambrogi C, Diop F, Guidetti F, Cocomazzi A, Annunziata S, Rufini V, Giordano A, Neri A, Boldorini R, Gerber B, Bertoni F, Ghielmini M, Stüssi G, Santoro A, Cavalli F, Zucca E, Larocca LM, Gaidano G, Hohaus S, Carlo-Stella C, Rossi D. Circulating tumor DNA reveals genetics, clonal evolution, and residual disease in classical Hodgkin lymphoma.
Blood. 2018;131:2413-2425.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch