Mostelberg – Schwyz

Johann Wolfgang Goethes Übergang auf dem alten Pilgerweg von Einsiedeln nach Schwyz war von einiger Unbill begleitet und zwang den Dichter und Forscher zur Übernachtung in der Herberge auf der unwirtlichen Haggenegg. Der kleine Übergang zwischen dem Alptal und dem Talkessel von Schwyz kann auch heute noch seine Tücken haben bei garstigem Sommer- oder Winterwetter. Als unvergesslich ist mir die nächtliche Überquerung des Passes als Begleitung der Primarschulklasse unserer Tochter Julia geblieben. Zu Beginn waren die Fünftklässler kaum zu bremsen, drei laut schnatternde Schulklassen verliessen den Flecken Schwyz, als wären sie Wothans wilde Schar. Beim kleinen Schulhaus Haggen, das allem Widerstand zum Trotz geschlossen wurde, gab es eine stärkende Suppe. Dennoch hatte ich danach zwei müde Buben an der Hand, die ich mit Erzählen von Geschichten bis zum Pass hochschwatzte, wo sie sich artig bei mir bedankt hatten mit dem Hinweis, den Abstieg ins Tal würden sie nun selber schaffen. Ich bewunderte die Kinder, die eisern bis Einsiedeln durchhielten und erst dort beim Frühstück mehrheitlich den Kopf auf die Tischplatte legten zu einem kurzen Nickerchen, um anschliessend wieder fitt zu sein für die Besichtigung des Klosters. Eine weitere unvergessliche Erinnerung ist an eine Vollmondnacht im Winter geknüpft, in der ich mit Schneeschuhen vom Mostelberg aus nach Schwyz gewandert bin.
Heute wählen wir das Tageslicht und die Luftseilbahn von Sattel auf den Mostelberg, weil dieser Aufstieg wenig bietet. Bei der Bergstation wenden wir uns gegen Südosten Richtung Herrenboden. Wir durchwandern ein Feuchtgebiet, in dem im Frühjahr ungezählte Orchideen blühen. Im Herrenboden lädt das gleichnamige Gasthaus die bereits Durstigen zu einer Stärkung ein. Bis zur Mostelegg im Süden folgen wir dem Natursträsschen. Auf diesem Übergang öffnet sich der weite Blick auf den Talkessel Schwyz bis hin zum Vierwaldstätter See zwischen dem Rigimassiv und Niederbauen, Oberbauenstock sowie Uri Rotstock (Abb. 1).

Hier zweigt gegen Osten auch der Fussweg zur Haggenegg ab, die den Südhang des Hochstuckli quert. Neben dem Gasthaus steht noch die frisch renovierte Kapelle am Pilgerweg, zu Beginn des stotzigen Abstiegs nach Schwyz. Wir folgen diesem nur ein kurzes Stück, bevor wir in südlicher Richtung zum Stockwald und zur Lichtung von Schwändi auf der Westseite des Kleinen Mythen queren (Abb. 2 und 3). Das Quellgebiet des Nietenbachs unterhalb des Haggen liegt in einem nie zur Ruhe kommenden Rutschgebiet mit Verwerfungen und sumpfigen Tümpeln. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass dieser Abstieg dem um sein Gepäck besorgten Goethe kaum gefallen hat, bei Regen sowie ausgerüstet mit Schuhwerk und Kleidern, die alles andere als wetter- und trittfest waren.

Unser bequemerer Weg, den wohl auch Goethe vorgezogen hätte, verlässt die Lichtung von Schwändi an ihrer Südwestecke. Er windet sich, gut mit Bruchsteinmauern befestigt, aber kaum begangen in wenigen Kehren durch den Brändliwald zum Bauernhof von Dietental hinunter. Wir meiden dabei das in der ersten Kehre abgehende Forststrässchen, das in den weiter südlich gelegenen Mythenwald am Fuss des Grossen Mythen hinüberquert. Ab Waldrand führt eine asphaltierte Fahrstrasse über das steil am Hang liegende Quartier Loo nach Schwyz hinunter. Bei gemähten Wiesen sind viele kreative Abkürzungen möglich, die wir gerne jedem Einzelnen überlassen.
Am oberen Dorfrand zwischen dem Hinterdorf und der Mangelegg wenden wir uns durch das Einfamlienhausquartier Richtung der Kirche St. Martin von Schwyz und gelangen so zu den Herrenhäusern im Feldli unweit der noch herrschaftlicheren Ital Reding Hofstatt. Diese Herrenhäuser sind beredte historische Zeugen des Reisläuferwesens, an dem Schwyzer Offiziere in fremden Diensten gut verdient haben. Sie verdingten die auf den Höfen überzähligen Männer an die verschiedensten Herrscherhäuser Europas, sodass es nicht selten vorkam, dass sich auf den zahlreichen Schlachtfeldern Vater und Sohn oder Brüder gegenüber standen. Die zu Wohlstand und lokaler Macht gelangten Schwyzer Offiziere stellten auch, neben den anderen Ständen der alten Eidgenossenschaft die Landvögte im Tessin, die nicht nur über die strategisch wichtigen Passwege zu wachen hatten, sondern sich an dem mausarmen Landstrich zusätzlich bereicherten – ein Thema, das man noch heute im Flecken Schwyz besser nicht anspricht. Erst im Rahmen der napoleonischen Kriege vermochte sich das Tessin vom Joch der fremden Herren von jenseits des Gotthards zu befreien.

Unterhalb der Dorfkirche liegt der leider nicht verkehrsfreie Hauptplatz von Schwyz mit dem schmucken Rathaus, auf dessen Westfassade die Schlacht von Morgarten in kräftiger Bildersprache dargestellt ist. Platz und Kirche werden überragt vom mächtigen Klotz des Grossen Mythen, dem Meinrad Inglin in seinem Roman ,Die Welt in Ingoldau‘ den Namen Rothorn gegeben hat. Wer dem Wesen dieses Ortes näher kommen möchte, dem sei dieses Werk bestens zur Lektüre empfohlen. Es hat Inglin seines treffenden Inhalts wegen nicht nur Freunde eingebracht. Westlich des Hauptplatzes liegt der Busbahnhof, wo die Linie 7 nach Sattel abgeht (Abb. 4)

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

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Rund- und Höhenweg der Superlative

Schon oft hatten wir die Rundtour um den Grand Chavalard im Sinn, und trotzdem bekam immer wieder eine andere Route den Vorrang. Schliesslich gibt uns unsere Tochter Julia mit einer Foto des Mont Blanc-Massivs, aufgenommen auf dem Col de Fenestral, den endgültigen Anstoss. Da es unsere erste Tour der Sommerferien ist, ersparen wir uns mit Hilfe des Sessellifts den Auf- und Abstieg durch den Wald zwischen Ovronnaz und der Bergstation Jorasse.

Nach einem stärkenden Kaffee wenden wir uns oberhalb des Restaurants nach Süden und erreichen über einen breiten Weg schon nach kurzer Zeit die Alp Petit Pré, kleine Wiese. Gegen Westen gelangen wir über einen schmaleren Pfad zum Grand Pré, der grossen Alpwiese, wo früher, eingebettet zwischen Grand Chavalard und Dent Favre ein glazialer Restsee gelegen haben dürfte, der mittlerweile verlandet ist. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Col de Fenestral und der gleichnamigen Berghütte, die sich jenseits der Passhöhe befindet (Abb. 1). Die grossen Panoramafenster der modernen Hütte ermöglichen es auch bei stürmischen Wind, den herrlichenBlick auf das Mont Blanc-Massiv und die Walliser Alpen zu geniessen.
Die gesamte Rundwanderung verläuft in einem geologisch äusserst interessanten Gebiet, sind hier doch, ähnlich wie in Derborence, die Deckenschichten des Jura, der Kreide und des Tertiärs aufgeschlüsselt. Die obersten, über dem Flysch des Tertiärs liegenden Felswände bilden den Verkehrtschenkel der Morcles-Decke und stammen aus der älteren Kreidezeit. Entsprechend sollten sie eigentlich unter den Gesteinsmassen des Tertiärs liegen, wären sie nicht als Deckenfalte überschoben worden. Die zahlreichen Faltenbildungen und Verdoppelungen der Schichten lassen unschwer und auch ohne geologisches Kartenmaterial nicht nur die Komplexität, sondern auch die Gewalt der alpinen Gebirgsbildung erahnen.

Für den Abstieg nach Sorgno und den Lac Inférieur de Fully lohnt es sich, den Bergpfad entlang der Westflanke des Grand Chavalard und nicht denjenigen durch den Talgrund und entlang des Lac Supérieur de Fully zu wählen. Er ist nicht nur kürzer, sondern auch aussichtsreicher. Anfangs Juli durchwandert man hier einen prächtigen Blumenrasen mit gelbem punktierten sowie Purpurenzian, Männertreu und Türkenbund, um nur einige wenige der vielen Pflanzen zu nennen (Abb. 3). Wer bereits wieder durstig ist, findet in der Alpwirtschaft von Sorgno genügend Tranksame. Von hier aus bietet sich für Nimmermüde die Möglichkeit einer kleinen Rundtour über den Col du Demècre, wo sich ebenfalls eine Schutzhütte befindet, und um den Diabley sowie die Tête du Portail.
Wir lassen es gemütlich angehen und folgen dem Fahrsträsschen über dem Ostufer des
Lac Inférieur de Fully bis zum breiten, nach Osten abzweigenden Bergweg, der in wenigen Kehren in die steile Südostwand des Grand Chavalard hinaufführt. Hier erwartet uns ein gut ausgebauter, aber luftiger Höhenweg 1700 Meter über dem Rhonetal (Abb. 2). Der schwindelerregende Tiefblick auf das Flechtwerk der Felder und Plantagen sowie die Stadt Martigny, aber auch die Weitsicht auf die Walliser Riesen Grand Combin und Mont Vélan sowie das bereits erwähnte Mont Blanc-Massiv mit Aiguille du Tour, Aiguille du Chardonet, Aiguille d’Argentière und Tour Noir, um nur einige der zahlreichen Gipfel aufzuführen, ist einmalig und atemberaubend. Sie brauchen keinen Vergleich mit irgend einem anderen Höhenweg der Schweizer Alpen zu scheuen. Immer wieder bleiben wir stehen und können uns trotz der vielen Wolken am heutigen Tag nicht genug satt sehen.
Auf der Alp Erié erreichen wir die Fahrstrasse, die vom Rhonetal in ungezählten und abenteuerlichen Kehren bis auf 1850 Meter hinaufführt. Hier stehen zwar viele Autos, uns ist aber kaum eine Menschenseele begegnet. Wenige Schritte unterhalb des Parkplatzes zweigt in der ersten Strassenkehre ein schmaler Pfad nach Norden ab, der geschickt die Gras- und Waldabsätze zwischen den untersten Felsbändern der Ostwand des Grand Chavalard nutzt und über den wir leicht ansteigend die lang gezogene Alphütte von Lui d’Août erreichen, wo erneut die Möglichkeit zur Einkehr besteht. Verdursten braucht man auf dieser Rundwanderung wahrlich nicht. Von hier aus schliesst sich auf kurzem Weg der Kreis auf der Alp Petit Pré, von wo wir auf dem zu Beginn benutzten Weg zur Bergstation der Sesselbahn zurückkehren (Abb. 4). Wer sich von den Anstrengungen dieser Rundwanderung erholen möchte, dem sei das Thermalbad in Ovronnaz empfohlen.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

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Über die kargen Schrattenfelder am Pragelpass

Für den nächsten Tag ist ausgiebiger Schneefall angesagt und somit heute die letzte Gelegenheit, ohne Ski oder Schneeschuhe zur Silberen am Pragelpass aufzusteigen. Auf der Passhöhe beginnt unser Aufstieg beim Denkmal zum Gedenken an die Übergabe der neuen Fahrstrasse 1974 durch den damaligen Kommandanten des Gebirgsarmeekorps, F. Wille, an die Zivilbehörden. Der schmale Pfad windet sich gegen Osten den steilen Hang des Ruch Tritts und mit einem weiten Schlenker gegen Süden zu den Alphütten von Butzen hinauf. Hier steht der letzte Brunnen bis weit jenseits des Gipfels der Silberen für alle, die bis dahin ihre Wasserflaschen noch nicht aufgefüllt haben.

Gleich oberhalb der Hütten beginnen die Schrattenfelder am Rampferenstöckli, die jeden Tropfen Wasser in der Tiefe der zahllosen Schründe verschwinden lassen (Abb. 2). Die grauen Karren und Schratten, die im Licht- und Schattenspiel der Sonne mit den Wolken immer wieder weiss aufleuchten, narren das Auge, als wären sie ein vor Ewigkeiten zu Stein erstarrter Gletscher. Kein Wunder, dass sich um diese abweisende Felsenwüste ungezählte Sagen und Geschichten ranken. Der Weg ist heute gut markiert im Gegensatz zu früheren Zeiten. Trotzdem wünscht man sich keinen Nebel und schon gar keinen Schneefall, der die Wegzeichen überdecken würde.

Im östlichen Ausläufer der Butzenwand braucht es auch einmal die Hände, um ein paar grössere Stufen zu überwinden. Im Bereich des Ochsenstrichs verlässt der Weg für einen Augenblick die scharfen Schrattenklüfte und führt über Kies zum Gipfelaufschwung, hinter dem endlich das Massiv des Glärnisch mit dem Vrenelisgärtli auftaucht (Abb. 3). Gegen Südosten ragt der Bös Fulen und der Grisset auf, im Süden der Pfannenstock. Im Norden liegen die steilen Wände des Drus- und Forstbergs, gegen Westen reicht der Blick weit über das Muotathal hinaus.

Ein weiter runder Rücken bildet den Gipfel der Silberen, der nach allen Seiten etwa gleich aussieht. Deshalb lohnt es, sich gut zu orientieren, bevor man auf einer anderen Route den Abstieg in Angriff nimmt. Wir wenden uns ziemlich genau nach Süden in Richtung der kargen Weiden der Oberist Twärenenalp. Dort stossen wir erstmals wieder auf Wasser, das aus einer Quelle in einen kleinen Holztrog sprudelt. Beim Geländepunkt 2136 Meter wenden wir uns gegen Westen und folgen dem Pfad über Mittlist und Underist Twärenen zum nächsten Ruch Tritt, der in das kleine Charental hinunterführt. Dort zweigt ein Weg gegen Norden ab, über den man wieder die Butzenalp erreichen könnte. Wir steigen aber weiter gegen Nordwesten ab und lassen die Oberist Hütte im Süden liegen. Im Zingel, wo wir die Ausläufer des Bödmerenwaldes mit seinen teilweise mehrere hundert Jahre alten Fichten erreichen, nehmen wir den in nördlicher Richtung abzweigenden Pfad (Abb. 1). Dieser leitet uns, vorerst leicht ansteigend am Chalberloch vorbei, zum Stafel am Pragelpass zurück (Abb. 4).

Der Ortsname Chalberloch weist auf die vielen abgrundtiefen Schründe und Einsturzdolinen des Silberengebietes hin, in die nicht nur Vieh, sondern auch Menschen gestürzt und für immer verschwunden sind. Es ist und bleibt ein wildes Gebiet, das noch heute den Menschen in seinen Bann zu ziehen vermag, ganz besonders an Tagen wie heute, vor den Wolken des aufkommenden Sturmtiefs.

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Eine Gletschertour

Diese Gletschertour sind wir mit der ganzen Familie bereits einmal vor vier Jahren gegangen, einmal bis zum Pass, und einmal bis zum Refuge des Bouquetins. Schon damals war ich erschüttert angesichts des Gletscherschwundes, der seit meiner Jugendzeit und der alljährlichen Gebirgsausbildung im Centre Alpin d’Arolla stattgefunden hat. Der Bas Glacier d’Arolla ist zu einem Nichts zusammengeschrumpft, unvorstellbar, dass wir auf ihm damals Spaltenrettung trainiert hatten. Selbst der Glacier du Mont Collon weist bereits ein grosses eisfreies Fenster auf. Der Gletscherarm des Glacier de Vuibé, der unterhalb der Pointe des Vignettes herunterfloss und erfüllt war vom Krachen der berstenden Séracs, ist mittlerweile ganz verschwunden. Wir schätzen, dass die Zunge des Haut Glacier d’Arolla, den wir heute erneut begehen wollen, sich in den letzten vier Jahren um gut 40 Meter zurückgezogen hat.

Wir beginnen unseren Aufstieg (August 2017) beim Parkplatz von Les Magines, der bei der letzten Hahrnadelkurve der Talstrasse nach Arolla gelegen ist. Dieses erste Wegstück, das entlang der Borgne d’Arolla bis zum Vorfeld des Bas Glacier d’Arolla führt, ist leider teils asphaltierte, teils naturbelassene Fahrstrasse. Vor uns dominiert der mächtige Klotz des Mont Collon, der zum Dent Blache-Gebirgssockel gehört und ganz aus dem basischen Eruptivgestein Gabbro besteht. Eher ungewöhnlich ist, dass dieser von sauren Magmen begleitet wird, weshalb wir auf unserer Tour immer wieder auf farbige Granite stossen. Der gesamte Talabschluss wird von mehreren Tunnels durchzogen, die die verschiedenen Stauseen zwischen Zermatt und Grande Dixence verbinden.

Am Ende der Fahrstrasse, beim früheren Parkplatz im Gletschervorfeld, folgen wir gegen Südosten dem Hüttenweg der Cabane de Bertol bis in das Tälchen oberhalb der Zugangsstollen mit der Madonnenstatue, wo der Pfad zum tiefer liegenden südlichen Teil der Plan de Bertol abzweigt. Eine Tafel erinnert hier an den Tod eines Mädchens, das im ersten Schnee verloren ging und in der Blütezeit der ersten Bergblumen des darauffolgenden Jahres wieder gefunden wurde. Auf Plan de Bertol beeindruckt der Blick über den Eisabbruch des Glacier du Mont Collon hinaus zum Petit Mont Collon und Pigne d’Arolla, dessen Normalroute gegenüber früher keine reine Eistour mehr ist (Abb. 1). Seine Nordwand, einst eine bekannte Eiswand, ist mittlerweile vollständig ausgeapert.
In einem kurzen Abstieg erreichen wir das Tal des Haut Glacier d’Arolla zwischen Mont Collon und der Gipfelkette der Bouquetins. Wir passieren zahlreiche Murgänge, die die Instabilität der Moränenhänge unterhalb der Dents de Bertol erkennen lassen. Kurz vor der Gletscherzunge beginnt die blau-weisse Wegmarkierung. Vor vier Jahren erreichte man über den seitlichen Eisrand die Mittelmoräne des Gletschers. Dieses Mal ist der östliche Gletscherrand von Spalten durchzogen, sodass wir eine schmale, von Geröll bedeckte Eisrippe benutzen müssen, um auf den Gletscher zu gelangen.

Wir folgen der Mittelmoräne bis auf Höhe der im Westen gelegenen Mitre de l’Evêque und wenden uns erst dann in Richtung des vom Col de l’Evêque herunterziehenden oberen Teils des Gletschers. So umgehen wir das westlich gelegene Spaltenfeld. Oberer und unterer Teil des Haut Glacier d’Arolla haben ihre Verbindung verloren. Das Gelände dazwischen ist instabil und birgt teilweise noch Eis unter den Geröll- und Schuttmassen (Abb. 2). Deshalb kann der Routenverlauf in Abhängigkeit der aktuellen Verhältnisse stark variieren. Vor vier Jahren stiegen wir über die nördliche Moräne zum Col Collon auf, der südwestlich des Felszackens der La Vierge gelegen ist. Dieses Mal müssen wir das südliche Moränenfeld wählen, da die alte Route unter Muren längst begraben worden ist.
Der Col Collon ist mittlerweile ebenfalls frei von Eis und Firn. Zurück bleibt auf der italienischen Seite ein kleiner Gletschersee. Unmittelbar unterhalb des Passes überraschen uns zwei Steingeissen mit ihren Jungen (Abb. 3). Zuerst beobachten sie uns, dann beginnen sie in atemberaubender Weise herumzuklettern, als wollten Sie uns Zweibeinern zeigen, wie man sich wirklich elegant im schwierigen Gelände bewegt. Nach ausgiebiger Rast kehren wir auf demselben Weg nach Arolla zurück (Abb. 4).

Abb. 4: Routenverlauf

Gutes Wetter vorausgesetzt, handelt es sich um eine einfache Gletschertour. Nebel kann die Orientierung allerdings wesentlich erschweren, da die Stangenmarkierungen auf dem Gletscher wenig zuverlässig sind und diese im Übergang zum oberen Gletscherfeld gänzlich fehlen. Es empfiehlt sich, Eispickel, Steigeisen und Seil dabeizuhaben, da die stetigen Veränderungen des Terrains einzelne Passagen ohne Hilfsmittel deutlich erschweren können. Wer nicht gletscherkundig ist, dem sei der Weg bis zur Gletscherzunge trotzdem empfohlen, da er Einblick in eine gewaltige Gebirgslandschaft bietet. Der Unermüdliche mag auch noch das nicht bewirtete Refuge des Bouquetins besuchen wollen. Zu beachten sind die Spalten westlich der Hütte, die man gegen Süden umgeht. So erreicht man auch den im Süwesten der Schutzhütte beginnenden Pfad, über den man das rund hundert Meter höher gelegene Biwak erreicht. Dieser Umweg beansprucht hin und zurück rund zwei Stunden und sollte in seiner Länge nicht unterschätzt werden.

Aufgepasst

In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (B, EB, BG) und für Schneeschuhwanderungen (WT 1 – 6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.

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Ein vergessener Ort hoch über der Magadinoebene

Die Alpe di Ruscada liegt am bergseitigen Ende der unwegsamen Valle di Cugnasco, einem der wenig beachteten kleinen Täler unmittelbar nördlich der Piano di Magadino. Die Alp ist eingebettet zwischen den Felskreten des Madonetto im Westen und der Cima di Morisciolo im Osten. Gegen Norden begrenzt die Cima dell’Uomo die Alpweiden. Ein kleiner Pass erlaubt den Übergang in die Val della Porta der Valle Verzasca mit den weiten Weiden der Alpe Mognora und der Capanna Borgna, die aus den Häusern des obersten Stafels dieser Alp errichtet wurde. Vor rund 40 Jahren war auch dieser oberste Stafel noch mit Grossvieh bestossen und übernachteten wir dort in der zugigen Alphütte, wärmten uns am offenen Feuer, dessen Rauch zwischen den Steinplatten des Daches und durch die offene Tür abzog. Heute erwarten uns zwei komfortable Selbstversorgerhütten, in denen nicht nur Gas- und Holzherd zur Verfügung stehen, sondern auch eine warme Dusche möglich ist.
Eine Fahrstrasse führt gegen Nordwesten von Cugnasco über Agarone und Monti di Ditto zu den Monti di Motti hinauf. In der Val del Carcale zweigen wir bei der Höhenquote 1028 Meter gegen Südosten ab und erreichen nach kurzer Zeit den Parkplatz bei der Barriere auf den Monti della Motta. So lassen sich die ersten 900 Höhenmeter leicht überwinden. Zu Fuss folgen wir weiter der Fahrstrasse bis zu den Häusern der Monti della Gana. Hier zweigt ein Bergweg gegen Osten ab und schwenkt später gegen Nordosten in die Valle di Cugnasco ein. Talseitige Abzweigungen lassen wir unbeachtet. Immer steiler fallen die Talflanken in die Schlucht, bis der gute Weg eine überhängende Felswand umgeht und schliesslich in östlicher Richtung zu den Alpweiden von Ruscada mit den Corti di fondo, di mezzo und di cima hinüberleitet. Nun lassen wir die letzten Geräusche des hektischen Lebens unten in der Ebene endgültig hinter uns zurück und sind plötzlich von einer tiefen Stille umgeben, die nur noch vom Rauschen des Baches durchbrochen wird. Jetzt im Herbst erstrahlt der Bergwald in den herrlichsten Farben, leuchten die Alpweiden goldgelb (Abb. 1).

Abb. 1: Alpe di Ruscada, Corte di fondo

Beim Corte di mezzo können wir uns noch nicht für ein Bad in einem der grün schimmernden Felsenbecken motivieren und folgen gleich dem Pfad in exakt nördlicher Richtung zum Corte di cima, wo wir Mittagsrast halten. Die aus dem anstehenden Gneis erbauten Alphütten verschmelzen mit den Geröllhalden, die vom Madonetto herunterziehen. Einige kleine und ein grösseres Stallgebäude sind direkt an oder unter Felsblöcke gebaut, eine mächtige
Felsplatte diente als Dach für einen Keller, in dem Milch, Butter und Käse kühl gelagert werden konnten. Das am weitesten talwärts liegende Stallgebäude wurde bergwärts durch eine massive Steinmauer gegen Steinschlag und Lawinen geschützt. Ein Rundgang macht einerseits deutlich, unter welch einfachen Bedingungen die Menschen noch im letzten Jahrhundert die Sommermonate in dieser Abgeschiedenheit verbringen mussten, sich andererseits aber auch auf äusserst geschickte Weise den Gegebenheiten der Natur anzupassen wussten (Abb. 2).

Abb. 2: Alpe di Ruscada, Corte di cima

Immer gegen Norden steigen wir zu dem kleinen Passübergang auf, über den wir später gegen Südwesten die Capanna Borgna erreichen. Vorerst gönnen wir uns allerdings noch ein herbstlich erfrischendes Bad in einem der letzten Wasserbecken des Baches und lassen uns anschliessend in der warmen Sonne trocknen. Auf Borgna treffen wir zwar keine Menschenseele an, werden dafür aber durch eine grosse Herde schwarzer Ziegen der Nera Verzasca-Rasse begrüsst. Diese nehmen sich neugierig unserer glücklicherweise gut verschlossenen Rucksäcke an, während wir den Schalensteinen nachgehen, die auf eine bereits sehr frühe Besiedelung der Valle Verzasca hinweisen. In der Hütte findet sich eine Beschreibung dieser Steine.
Für den Abstieg wählen wir den Pfad, der gegen Süden zur Forcola östlich der Cima di Sassello quert und danach in mehreren langen Kehren zu den Monti di Gana zurückführt. Vorerst beherrscht uns der weite Rundblick vom Pizzo di Vogorno über die Val della Porta bis hin zu den Walliser Alpen, später der Tiefblick auf die Piano di Magadino und den Lago Maggiore (Abb. 3).

Abb. 3: Im Abstieg zur Forcola mit Blick auf die Val della Porta und den Corte di fondo der Alpe Mognora

Wir können uns nicht genug sattsehen am herbstlichen Aufflammen der Farbenpracht, bevor der Winter seinen Einzug halten wird. Entlang der Fahr-strasse zurück zu den Monti della Motta leuchtet hoch über uns die Felszinne des Sassariente im abendlichen Licht und lässt uns den harten Strassenbelag vergessen (Abb. 4).

Abb. 4: Routenverlauf

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Wundervoll wie ein guter Tropfen Wein

Diese Wanderung führt uns in ein Gebiet, das ich mit meinen Eltern schon als kleiner Junge erkundet hatte. Damals war Montana noch ein kleines Feriendorf und die Meinung über die im Bau befindlichen ersten grossen Ferienhäuser sehr gespalten, die in Form überdimensionierter Chalets in die Landschaft gesetzt wurden. Die Frauen auf den Maiensässen trugen noch ihre schwarze Arbeitstracht und strickten, die eine Nadel unter dem Arm eingeklemmt, während sie das Vieh hüteten. Die Alpweiden waren von grossen Herden der stämmigen, schwarzen Eringer Kühe bestossen, das Glockengeläut und Muhen der Tiere weit herum zu hören. Diese Bilder steigen auch heute wieder in mir auf und es ist mir, als würde ich das Rufen der Hirten und das Bellen der Herdenhunde wieder hören. Doch mittlerweile hat sich Vieles im Zeichen des Massentourismus verändert.

 

Wir folgen der Suone, wie die deutsche Bezeichnung dieser Wasserführungen lautet, bis zur Kreuzung mit der Fahrstrasse, die zur Cave de Merdechon hinaufführt. Dort liegt, gleich hinter der nächsten Bodenwelle versteckt, die ganzjährig bewirtete Cabanne de la Tièche, wo wir als erste Gäste des Tages bei heissem Kaffee den Blick über die Alpweiden von Montagne du Sex und Montagne du Plan bis hinauf zu den Faverges schweifen lassen, den Felskamm, der den Glacier de la Plaine Morte nach Süden begrenzt.

Wir verlassen später die Fahrstrasse an der Stelle, wo sie zur Tièche hinunter leitet, und queren auf einem schmalen Pfad zur Steilstufe im Norden hinüber, über die das Gletscherwasser in mehreren Fällen in die Tiefe stürzt. Eine abschüssige Passage ist mit Fixseilen und in die Felsen geschlagene Stufen gut gesichert. Danach erreichen wir den hohen Wasserfall, der über die Wand der Arête de Nusey herunterstürzt (Abb. 1). Über eine kleine Brücke gelangen wir zum Wandfuss und lassen uns die Dusche unter dem herabstürzenden Wasser nicht nehmen. Allerdings müssen wir uns mit dem Sprühwasser begnügen, da die Gewalt der Wassermassen der Hitze der letzten Wochen wegen zu gross ist.
Der Weg wendet sich nun gegen Osten in Richtung des Mont Bonvin, dem grösseren Bruder des Kleineren, zu dem wir unterwegs sind. Oberhalb der Creux de la Tièche zweigt unser Pfad auf genau 2300 Metern Höhe gegen Süden ab. Über die schmale Weide der Alpage de Béveron gewinnen wir schliesslich den Felskopf des Petit Mont Bonvin (Abb. 2). Zum Gipfel gelangt man über eine gegen Norden ausstreichende Verschneidung. Hier ist bei feuchtem Untergrund Vorsicht geboten. Die Aussicht ist atemberaubend. Jenseits des Rhonetales schimmert die schier endlose Reihe der Walliser Viertausender, eine prachtvolle Rundsicht, zu der, getreu dem Namen des kleinen Berges, auf dem wir stehen, ein guter Tropfen Wein gehört (Abb. 3).

Der Abstieg über die weiten Alpweiden von Les Granzettes hinunter zum langen Stallgebäude von Prabaron lässt sich vom Gipfel aus gut planen. Unseren Gelenken zu liebe meiden wir die harten und steinigen Alpsträsschen. Den letzten Abschnitt unserer kleinen Rundwanderung kürzen wir über die stotzige Waldschneise ab, die gegen Osten zur Cave de Colombire hinunter leitet (Abb. 4). Hier hat sich mittlerweile die Masse der Spätaufsteher versammelt und begrüsst uns mit Lärm und Klamauk – wo ist nur das Geläut der Glocken, das Rufen der Hirten geblieben?

Aufgepasst

In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (B, EB, BG) und für Schneeschuhwanderungen (WT 1–6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.

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