Ein stotziger Grat für schneefreie Zeiten

Dicker Nebel lastet auf dem Zugerberg, während wir von Walchwil die steile Strasse über Äsch, Obergaden und den Hof Chatzen­strick zur Chatzenbergegg hochfahren. Hier biegen wir gegen Südosten ab und folgen dem Strässchen bergwärts bis zum Waldrand vor dem Hochmoor Heumoos, Höhenquote 1042 m. Hier beginnt unser Anmarsch zum Nordgrat des Gnipen, dem westlichsten Gipfel des Rossbergs. Es ist ein düsterer Januartag und wir haben für einmal keine Hoffnung, die hoch liegende Nebeldecke zu durch­stossen. Föhn und Regen haben den Schnee auf der Süd- und Westseite des Rossbergs bereits wieder stark abgetragen, wogegen wir auf der Nordseite noch winterliche Verhältnisse erwarten.

In östlicher Richtung verläuft ein Weg entlang des Waldrandes zur Heumoosegg, wo dieser sich verzweigt. Wir wählen den oberen Weg, über den wir immer mehr gegen Süden drehend auf den Nordgrat des Gnipen gelangen (Abb. 1). Der untere Weg würde ins Alpli­bachtal hineinführen, durch welches man ebenfalls zum Gnipen und Wildspitz aufsteigen kann. Am Anfang des Gnipengrätlis steht eine kleine Schutzhütte mit Kochherd, Tisch und Bänken. Nach kurzer Rast steigen wir entlang des zu Beginn breiten Gratrückens auf.
Hier ist der verregnete Schnee nun aber beinhart gefroren und je steiler der Grat wird, desto häufiger müssen wir mühsam Stufen treten, was der Vereisung wegen nur schwer gelingt.

Der Nordgrat des Gnipen schwingt sich in zwei Steilstufen über Unter und Ober Beichli zum Gipfel hoch. An beiden Stellen verschmälert er sich und fällt gegen Osten steil ab. Die vereinzelten Nagelfluhbänder wären im Sommer problemlos zu meistern, doch unter den gegebenen Verhältnissen gerät der Aufstieg zu einer Eistour, bei der Steigeisen und ein Pickel sehr hilfreich wären. So bleibt uns nichts anderes übrig, als kräfteraubend Stufe für Stufe zu treten, jeden Sturz vermeidend, der des vereisten Schnees wegen nicht aufzuhalten wäre. Eine Winterbegehung des Grates soll also jenen vorbehalten bleiben, die in Firn und Eis ausgebildet und trittsicher sind.

Auf Unter Beichli erlaubt ein kurzer ebener Abschnitt eine Verschnaufpause, bevor es wieder steil wird und der Ausstieg zum Ober Beichli durch eine letzte, mehrere Meter hohe Nagelfluhbank führt, die mit einem Stahlseil gesichert ist (Abb. 2). Dieses liegt aber unter Schnee und Eis begraben und muss vorerst mit Hilfe der Stöcke und von Hand freigelegt werden, bevor wir es als Steighilfe im
vereisten Fels verwenden können. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Gipfel des Gnipen und zur Abrissstelle des Goldauer Bergsturzes vom 2. September 1806. Der Tiefblick über die rund 30° gegen Süden geneigten Nagelfluhbänke wäre atemberaubend. Nur verwehrt uns heute der Nebel weiterhin die Sicht und müssen wir uns mit der Lektüre der Informationstafeln zufrieden geben (siehe auch www.goldauerbergsturz.ch) (Abb. 3). Damals donnerten auf nach wochenlangem Regen seifig aufgeweichten Mergelschichten zwischen 30 und 40 Millionen Kubikmeter Gestein zu Tal und zerstörten die Dörfer Röthen, Buosingen und Goldau. 457 Menschen verloren dabei ihr Leben. Mitursache für den Bergsturz war ein Seitenarm des Reussgletschers, der den unteren Teil der schräg gegen Norden aufgerichteten Gesteinsschichten abgetragen und so ihres Widerlagers beraubt hatte. Der Schuttkegel war mehrere hundert Meter breit und fast zwei Kilometer breit. Er erreichte eine Höhe von bis zu 80 Metern und füllte den westlichen Teil des Lauerzersees auf. Eine Flutwelle zerstörte in Lauerz Häuser und kostete auch dort einigen Menschen das Leben. Noch grösser war der prähistorische Oberarther Bergsturz kurz nach der letzten Eiszeit. Zudem hatte 1222 ein nordwestlich des Gribsch abgegangener Bergsturz schon einmal das Dorf Röthen getroffen. Auch heute noch kommt der Berg nicht zur Ruhe, brachen doch 2005 am Gribsch weitere rund 100‘000 m3 Gestein ab und fuhren in den darunter liegenden Wald.

Abb. 4: Routenverlauf

Unser Abstieg führt uns über den Gratkamm gegen Südwesten zu den Weideflächen der Spitzbühlalp hinunter. Des vereisten Schnees wegen verzichten wir auf den Zickzackpfad, der beim Stallgebäude auf der Höhenquote 1388 m gegen Nordosten zum Dürrenboden hinunterführt. Wir folgen weiter dem Gratrücken bis zur Höhenquote 1278 m, wo wir das Fahrsträsschen erreichen, das den Dürrenboden mit der oberen Hütte der Spitzbühlalp verbindet. Auf Dürrenboden wenden wir uns gegen Norden und erreichen über einen Feldweg nach kurzer Zeit wieder das Moor Heumoos und den Ausgangspunkt unserer kleinen, bei winterlichen Verhältnissen herausfordernden Rundtour.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

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Über Eggen, Flüe und Stöcke

Den Auftieg zur Rotenflue, den wir schon oft zu allen Jahreszeiten hinauf wie hinunter gegangen sind, ersparen wir uns und benutzen die Gondelbahn, die mit dem Generalabonnement gratis benutzt werden kann, mit dem Halbtax zum halben Preis. Die Talstation in Rickenbach ist mit dem Bus vom Bahnhof oder Hauptplatz in Schwyz erreichbar. Nach Verlassen der Bergstation wenden wir uns dem Skilifthäuschen im Osten zu und finden so den in gleiche Richtung weisenden Gratrücken, der uns weglos zum Karrenweg zur Müsliegg und weiter zur Alpwirtschaft und Alpkäserei Zwäcken hinunterbringt. Hier bietet sich nach dem Bergstubli auf der Rotenflue die nächste Einkehrmöglichkeit. Gleich bei der Hütte zweigt ein Weg gegen Nordosten ab und führt bei der Halbegg zum Grat hinauf, über den wir den Furggelenstock erreichen. Hier erwartet uns ein weites Panorama über das Hoch-Ybrig-Gebiet hinaus zum Glärnisch, Tödi, Clariden und Schärhorn, bis hin zu den Urner Bergen (Abb. 1). Im Vordergrund liegen die Klippen des Grossen und Kleinen Mythen, des Chli- und Gross-Schijen, des Roggenstocks sowie des Chli und Gross Aubrig, die während der alpinen Gebirgsbildung von ihren Deckenfronten abgebrochen und auf teilweise jüngerem Untergrund gegen Norden abgeglitten sind. Wir befinden uns nun inmitten des weitläufigen Naturschutzgebietes der Ibergeregg, das eine einmalige Hochmoorlandschaft umschliesst.

Etwas stotzig steigen wir zur Furggelen ab, wo die gemütliche und gastfreundliche Alpwirtschaft Furggelen liegt. Hier wartet die herzliche, aus Bayern stammende Gastwirtin mit allerlei Spezialitäten auf. Selbst die Sonnencreme auf jedem Tisch der Terrasse darf nicht fehlen. Nördlich der Hütte tauchen wir in einen besonders reizvoll, nordisch anmutenden Teil des Hochmoors ein. Jetzt im Spätsommer blühen hier der blaue Eisenhut und der Schwalbenwurz-Enzian. Zwischen den Bäumen tauchen immer wieder die jenseits des Alptals wuchtig aufragenden Mythen auf (Abb. 2 und 3). Über ein paar steile Kehren erreichen wir schliesslich die Butziflue. Hier teilt sich der Grat in zwei Schenkel, die die Jäntenenruns begrenzen. Wir wählen den Weg über den östlichen Grat, der im Bereich des längsgezogenen Gschwändstocks stellenweise recht schmal ist und vor allem gegen Norden über Felsbänke mitunter senkrecht abfällt. Der Weg ist aber gut und kann bei entsprechender Achtsamkeit ohne Schwierigkeiten begangen werden. Im Winter jedoch kann diese Passage in Abhängigkeit der Schneeverhältnisse gefährlich sein. Durch dunklen Wald gelangen wir schliesslich zu den Weiden der Rägenegg, wo sich der Blick wieder weitet.

Weiter dem erneut breiten Gratrücken folgend führt uns der Weg zur nächsten Erhebung, dem Spital. Von hier aus queren wir am Stall der Bögliegg vorbei und über einen Sattel zum nördlich gelegenen Hügel mit der Höhenquote 1498 Meter hinüber. Noch vor Erreichen des höchsten Punktes zweigt gegen Norden ein Waldweg ab, der durch den Mösliwald und über den Hummel mit herrlichem Blick auf den Siehlsee zu den Häusern von Unterhummel hinunterleitet. Gleich bei dieser Abzweigung fallen wir im Wald der Blauzungenkrankheit zum Opfer, die, wie deren Name besagt, schlagartig nicht nur die Zunge, sondern auch die Finger dunkelblau zu färben vermag. Die Ursache ist natürlich ein Feld von grossen Heidelbeeren, die wir gleich hampfelweise geniessen.

Am Stallgebäude von Unterhummel vorbei folgen wir gegen Nordosten dem Wiesenrücken bis zum Waldrand hinunter. Hier beginnt ein Zickzackpfad, der stotzig und direkt zu den Höfen von Rotmoos hinunterführt. An Fleugenberg mit der Damhirschzucht vorbei erreichen wir schliesslich über Wiesen den Grossbach. Der Verlauf dieses Wegabschnitts lässt sich anhand der in den Wiesen verlegten Steinplatten erkennen. Gleich über die erste Brücke finden wir nach Ebenau und zur dortigen Bushaltestelle (Abb. 4). Gleich gegenüber dieser befindet sich der Landgasthof Seeblick, der sich als kulinarischer Abschluss zu dieser doch etwas längeren Wanderung geradezu anbietet. Im warmen Spätsommer ist natürlich auch ein erfrischendes Bad im nahen Sihlsee nicht falsch; also den Badeanzug nicht vergessen.

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Einsamer Höhenweg für einsame Spätherbsttage

Zwei kleine Klippen gilt es zu Herbstzeiten im Vorfeld dieser Rundwanderung hoch über dem Urner Reusstal zu umschiffen. Einerseits sollte man die Tour nicht zu spät im Jahr planen, um dem Wintereinbruch zuvor zu kommen. Auf der anderen Seite kann ein heftiger Föhn die Seilbahnfahrt von Amsteg nach Mittel-Arni hinauf vereiteln. Allerdings braucht es hier schon einen starken Sturm, da die Bahn recht gut geschützt im Windschatten des Axeli liegt, im Gegensatz zu jener von Intschi nach Arni, deren Trasse wesentlich exponierter verläuft und es deshalb häufiger zu Betriebseinstellungen kommt.

Die Seilbahn vom Amsteger Industriegebiet hinauf nach Mittel-Arni ist atemberaubend steil und lässt tief in die zerfurchten Felswände blicken. Von der Bergstation aus erreichen wir auf breitem Weg und nach kurzer Zeit den Arnisee. Bei der Sennhütte zweigt bergwärts ein schmaler Pfad ab, der an einer Wegkapelle vorbei direkt zum Eingang des Leitschachtals führt. Dort queren wir den gleichnamigen Bach bei dessen Fassung über eine Brücke. Am jenseitigen Ufer beginnt der kurze steile Aufstieg durch den stotzigen Wald zur Hangterrasse von Twären hinauf. Hier lassen sich die verschiedenen Verläufe der Gletschermoränen noch gut erkennen (Abb. 1). Zwischen diesen liegen vereinzelt kleine Tümpel, die seit der Eiszeit noch nicht ganz verlandet sind. Auf diesem ersten Wegabschnitt scheuchen wir mehrere Birkhühner auf, die mit gurrendem Alarmschrei davonfliegen. Zudem kommen wir kaum vorwärts, weil es so viele süsse Heidelbeeren zu naschen gibt.

Von nun an folgt der Pfad mehr oder weniger eben der Hangschulter bis zur Strahler- oder Jägerhütte von Redelbalmen und weiter zur Alp Wichel, die gut geschützt vor Lawinen auf einem Gratausläufer des Mittelstocks liegt. Leicht absteigend queren wir den aus dem nördlich gelegenen Felsenkessel abfliessenden Bach und verlassen den ins Tal führenden Weg bei der zweiten Abzweigung, die nicht zur Schindlachtalhütte, sondern unterhalb dieser den Steilhang traversiert bis zum breiten Weg, der dem Fuss des Wittenstocks entlang verläuft bis zur Sennhütte und dem langen Stall der Wildampferen, die schon von weitem zu sehen sind.

Der gesamte Höhenweg verzaubert durch seine Aussicht hinüber zu den Windgällen und zum Bristen, dessen Pyramide zwischen Maderaner- und Fellital hoch aufragt. Eindrücklich am Bristen sind das Gross- und Teiftal, durch die im Winter immer wieder mächtige Lawinen zu Tal fahren. Den Durchreisenden auf der Autobahn ist die von den umliegenden Bergen ausgehende Bedrohung wohl kaum bewusst, unterfahren sie doch diese Gefahrenstelle im sicheren Tunnel. Und der Felssturz von den Hälen Platten dürfte längst vergessen sein, auch wenn die Anrissstelle noch immer weithin gut sichtbar ist.

Wir steigen gegen Nordwesten zur Seewlisegg ab, wo sich die Alphütte hinter einen mächtigen Felsen duckt (Abb. 2 und 3). Die Längsseiten der Holzkonstruktion werden zudem durch dicke Steinmauern geschützt. Wir folgen dem Pfad weiter bis zur unteren der zwei Brücken, die zur Alp Staldi hinüberführen. Gleich jenseits des Intschital Bachs zweigt talwärts ein schmaler Weg ab, der kurz entlang des Wassers verläuft, dann aber gegen Nordosten in den Rostwald eintaucht. Er liegt über einer Wasserleitung und führt zur Heissigegg hinüber. Hier erreichen wir das Fahrsträsschen, das uns nach Hinter- und Mittel-Arni zurückbringt (Abb. 4).

Aufgepasst

In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (T1 bis T6) und für Schneeschuhwanderungen (WT1 bis WT6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.

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Im Banne eines rätselhaften Bergsturzgebietes

Die nachfolgende Wanderung liegt in einem prähistorischen Bergsturzgebiet, das der Wissenschaft nach wie vor viele Rätsel aufgibt. So fällt beispielsweise die Datierung kontrovers aus: erfolgte der Bergsturz vor 18 000 bis 13 000 Jahren vor unserer Zeitrechnung, also zu einer Zeit, als der Rhone-Gletscher noch das Tal bedeckte, oder erst vor rund 8000 Jahren, nach Rückzug des Eises? Zudem bleibt unklar, ob es sich um ein oder zwei Bergsturzereignisse handelt. Betrachtet man die Geländetopographie auf dem Blatt 1287 der Landeskarte 1:25 000 oder von der gegenüberliegenden Talseite aus, z.B. vom Illhorn, so glaubt man tatsächlich zwei unterschiedlich orientierte und strukturierte Anriss- und Rutschgebiete zu erkennen: eine grössere östliche, nach Süden orientierte Zone am Fusse der Varneralp mit dem glatten, nur spärlich bewachsenen Gleithorizont, der den Namen Blatte trägt, und eine westliche, nach Südwesten orientierte Zone unterhalb des Murmilitangil, die möglicherweise später zu Tal fuhr und deshalb von den bereits im Tal liegenden Gesteins- und Schuttmassen gebremst wurde, was die bucklige Topographie in diesem Bereich erklären könnte. Wie auch immer, ungeklärt bleibt auch die Tatsache, dass der Geschiebestrom erst bei Grône, also gut 12 Kilometer von der Abrissstelle entfernt zum Stillstand kam. Dies ist an der hügeligen Struktur im Talboden zu erkennen, die heute den westlichen Teil des Pfynwaldes und die Region von Sierre formt. Wie ist dies möglich, wenn nicht der Rhone-Gletscher die Schuttmassen weiter nach Westen transportiert hätte? Einig ist man sich dagegen über die Ursache des Bergsturzes. Durch den allmählichen Rückzug des Rhone-Gletschers am Ende der letzten Eiszeit blieb an seinem Fuss ein instabiler Hang zurück, dessen Abrutschen durch die gleichmässig abfallenden Kalksteinschichten begünstigt wurde. Da das Rhonetal in einer geologischen Störzone liegt, ist auch denkbar, dass ein Erdbeben das Abreissen der Gesteinsmassen ausgelöst hat (Quelle: Flüeler E: Berge entstehen – Berge vergehen. Wanderungen zu Bergstürzen entlang der Alpen. Hep Verlag, Bern 2011).
Hiermit haben wir genug Stoff zum Beobachten und Nachdenken während unseres Aufstiegs durch das Rutschgebiet zur Varneralp. Wir starten am oberen Ende der Maiensiedlung Cordona und folgen dem schmalen Weg gegen Osten in Richtung des Flottuwaldes. Wir bewegen uns hier im Bereich der Sprachgrenze, sodass uns abwechslungsweise französische und deutsche Flurnamen begegnen. Der Waldwuchs ist vorerst noch spärlich. Wir begegnen zur Hauptsache Waldföhren, die den gegebenen Bedingungen mit geringer Humusdecke sowie wenig Niederschlag und hohen Temperaturen bestens angepasst sind. In höheren Lagen wird der Waldwuchs dichter und vielfältiger, weil hier eine mächtigere Schicht von mineralienreichem Bergsturzmaterial liegen geblieben ist.


Der Pfad quert zweimal ein Fahrsträsschen, dem wir noch mehrmals begegnen werden. Auf 1520 Metern Höhe stossen wir auf den Pfad, der von der Varneralp nach Varen hinunterführt. Wir folgen diesem bergwärts in nordwestlicher Richtung bis zur Lichtung Couvinir, wo der Weg gegen Nordosten abbiegt (Abb. 1). Nach Verlassen des Waldes erkennen wir oberhalb der zweiten Hütte einen Pfad, der gegen Südosten in die Abrisszone des Bergsturzes am Rand der Varneralp hineinführt. Zwischen riesigen Blöcken hindurch erreichen wir die Alpwiesen bei Planitschal, von wo aus wir das nahe Ziel, die langgezogene Alphütte von Planigrächti sehen können. Einer der Blöcke hat die Form einer Mitra, weshalb er im Volksmund auch «Bischofschappe» genannt wird (Abb. 2). In Planigrächti geniessen wir eine herrliche Walliser Platte, während draussen ein heftiger Platzregen vorbeizieht. Dieses Jahr werden 200 Stück Vieh zur Muttertierhaltung, sieben Milchkühe für die Käseherstellung und fünf Pferde auf der Alp gesömmert. Bei der Besprechung des Rückweges mit den Alpleuten wird deutlich zwischen dies- und jenseits der «Grenze» unterschieden, also zwischen welsch und deutsch. Und noch eine Grenze ist nicht in Vergessenheit geraten: das schlechte Wetter kommt immer nur von der Berner Seite.


Auf dem Rückweg wenden wir uns vorerst gegen Westen bis zur Alphütte von Nüschelet, wo wir zum Aufstiegsweg zurückkehren (Abb. 3). Diesem folgen wir bis zur dritten Querung des Fahrsträsschens. Auf diesem erreichen wir talwärts nach rund hundert Metern in der ersten Geländeeinziehung eine undeutliche Pfadspur, die uns zu einer langgezogenen Lichtung hinunterführt, an deren Ende wir einen breiten Waldweg finden, der uns direkt nach Cordona zurückbringt (Abb. 4).

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Hoch über dem Illgraben

In St. Luc im Val d’Anniviers bieten sich zwei Doppelbesteigungen an einem Tag an, nämlich das Rothorn und die Bella Tola sowie das zum Rothorn unmittelbar nördlich benachbarte Schwarz- und Illhorn. Wir entscheiden uns diesmal für die letzteren beiden. Dabei verkürzen wir des unsteten Wetters wegen unseren Aufstieg, indem wir den vor Chandolin gelegenen Sessellift nach Tsapé hinauf benutzen.

Die Bergbauern von Chandolin, dem höchst gelegenen Walliser Dorf, betrieben früher eine Mehrstufenwirtschaft, Transhumanz genannt, wie sie auch in anderen Bergregionen der Alpen vorkam. Die hohe Lage des Dorfes führte jedoch dazu, dass sich die alljährliche Wanderung von Stufe zu Stufe in zwei Richtungen bewegen musste. Die Maiensässe und die Rebberge lagen talwärts, die Alpen bergwärts, eine spezielle Herausforderung, die vieler helfender Hände und somit kinderreicher Familien bedurfte.
Von Tsapé aus richten wir uns gegen Osten zum Illpass, von wo aus wir immer noch in östlicher Richtung über einen Moränenrücken den Lac Noir erreichen (Abb. 1). Der Aufstieg zum Schwarzhorn führt auf den ersten Metern entlang des Ostgrates, bevor er sich in einer weit ausholenden Kehre gegen Südosten den Südwesthang des Berges querend zum Gipfel wendet. Dort würde sich der Blick über das Rhonetal und die im Norden gelegenen Gebirgszüge öffnen, doch leider verwehren uns Nebel und Nieselregen diese Aussicht.

Auf dem Rückweg zum Illpass lassen wir uns aber trotzdem das Bad im sommerwarmen Lac Noir nicht nehmen, bevor wir den Verbindungrat zum Illhorn hinüber überschreiten. Der kleine Felszacken mit Kreuz wird gegen Westen umgangen und bei der kleinen Hütte kurz vor dem Abstieg zum Pas de l’Illsee lädt bei schönem Wetter ein Tisch mit Bänken zu beschaulicher Rast ein. Auch der Aufstieg zum Illhorn weiter gegen Norden ist kurz (Abb. 2). Der Tiefblick in den Illgraben ist atemberaubend. Dieser nährte über Jahrtausende den ausgedehnten Schuttkegel, auf dem heute der Pfynwald sowie das Dorf Susten liegen. Die Rhone wurde an den Nordrand des Tales gedrängt. Weit reicht die Aussicht gegen Westen über das Rhonetal. Interessant ist auch der Blick gegen Norden hinüber zur sogenannten Blatte oberhalb von Salgesch. Dieser Hang bildete in prähistorischer Zeit die Gleitfläche für einen riesigen Bergsturz, der die Hügel zwischen Sierre / Siders und Pfyn zurückgelassen hat. In diesem Hang mit seinem lockeren Bewuchs von Waldföhren im oberen und Flaumeichen im unteren Teil fallen zwei praktisch horizontal verlaufende Linien mit dichterem Baumbestand auf. Diese markieren den Verlauf der Grossi Wasserleitu von Varen und der tiefer gelegenen Suone von Salgesch, die beide aus der Raspille gespiesen werden. Die Raspille erhält ihr Wasser aus den von den Faverges und dem Trubelstock herunterziehenden Zuflüssen. Das wertvolle Wasser dient noch heute der Bewässerung der Rebberge und Felder von Salgesch und Varen.

Wir kehren zum Pas de l’Illsee zurück und steigen gegen Westen zur Cabane Illhorn ab, die am oberen Rand des Arvenwaldes von Chandolin liegt (Abb. 3). Hier geniesst man eine köstliche Küche. Der neue Anbau aus Holz bietet Übernachtungsmöglichkeit in sauberen Sechsbettzimmern und im Winter direkten Zugang zu den Skipisten.


Auf dem letzten Wegabschnitt queren wir gegen Südosten zum langen Stall von Plan Losier und weiter, allmählich gegen Süden drehend, auf einem schmalen Pfad unter dem Sessellift hindurch bis zum Geländepunkt 2076 Meter hinunter. Hier biegen wir gegen Norden auf den Weg nach Chandolin ab. Gleich nach erneuter Unterschreitung des Sesselliftes führt eine Wegspur zur Talstation hinunter (Abb. 4). Im Bereich dieses unteren Randes der Alpage de Chandolin stossen wir auf zahlreiche Spuren von alten Wasserleiten, auf Französisch Bisses genannt, die die Wiesen und Felder von Chandolin bewässert haben. Vor Erreichen des Weges nach Chandolin finden sich sogar noch ein paar ineinandergefügte Holzkennel. Die Fugen zwischen den einzelnen ausgehölten Stämmen wurden mit Moss abgedichtet. In meiner Kindheit wurden diese Wasserleiten noch benutzt und ich sehe in meiner Erinnerung die Bauern, wie sie nach dem auf Holzplättchen festgeschriebenem Plan zum festgesetzten Zeitpunkt ihre Wasserrechte wahr nahmen und mit Metall- oder Schieferplatten den Lauf der Bisse unterbrachen, um das Wasser auf ihre Wiesen und Felder zu leiten. Wehe dem, der sich nicht an die Vorgaben hielt; er wurde hart bestraft.

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Appenzeller Winterimpressionen

Das Appenzeller Land war bisher, und ich gestehe es freimütig, zu Unrecht ein weisser Fleck auf unserer Landkarte. Zu römischen Zeiten hätte auf diesem weissen Fleck ‚Hic sunt leones, hier leben Löwen‘ gestanden, wie um zu rechtfertigen, warum man sich noch nie dorthin gewagt hat. Einen solchen Grund gibt es im Appenzeller Land nicht. Und trotzdem hat uns nur der Zufall nach Gais und auf den Gäbris bzw. den Höch Hirschberg geführt, weil sich eine Schneeschuhtour auf die Berra im Kanton Freiburg zerschlagen hat. Im Internet sind wir per Zufall auf das Gästehaus Bären in Gais gestossen und haben dort nicht nur ein heimeliges Zimmer mit Gartenterrasse und reichhaltigem Frühstück, sondern auch eine herzliche und zuvorkommende Bedienung durch die Familie Willi gefunden. Bei der Planung der zwei kleinen Winterwanderungen stiegen in mir Erinnerungen auf an ein Ferienlager auf dem Schwäbrig in der dritten Primarschulklasse; ich war also schon einmal vor langer Zeit im Appenzeller Land und begann zu rechnen, das war vor 52 Jahren!

Den Aufstieg zum Gäbris starten wir im Weiler Zwislen südlich des Dorfkerns von Gais und folgen dem Ausläufer des Sommersbergs nach Hebrig. Jenseits der Strasse und Bahnlinie Gais – Altstätten beginnen wir den Aufstieg zum Sommersberg mit seinem einsam gelegenen Bauernhof, wo wir herzliche Aufnahme in der vom Kachelofen geheizten Gaststube von Andrea und Köbi Brunner finden. Für die warme Jahreszeit gäbe es hier auch Tische und Bänke vor dem Haus mit herrlichem Ausblick. Heute herrscht Eiseskälte und die Wälder sind durch Reif verzaubert. Frisch aufgewärmt setzen wir unsere Winterwanderung gegen Nordosten über die Zufahrtsstrasse des Bauernhofes fort. Wir verlassen diese nach der ersten Linkskurve im Wald und steigen gegen Norden zur Moorsenke von Hofguet ab und am gegenüberliegenden Hang kurz wieder zum Hof Schwäbrig auf. Hier taucht das Ferienheim meiner Schulzeit aus dem Nebel auf mit den grossen Bäumen rundherum. Das Rauschen des Windes in den mächtigen Blätterkronen hatte uns in unsere Träume voller Abenteuer und Heimweh begleitet – eine Flut von Erinnerungen überwältigt mich, nicht zuletzt auch an den grässlichen Griessbrei mit der klebrigen Himbeersauce. Trotzdem, welch wunderbarer Ort für ein Ferienlager, es fällt mir nicht leicht, mich wieder loszureissen.

Gegen Westen ist es nicht mehr weit bis zum zugefrorenen Gäbris-Seeli und weiter leicht ansteigend zum Hof Unterer Gäbris, wo wir erneut einkehren, es ist ja auch wirklich kalt. Verdursten und verhungern muss man im Appenzeller Land offensichtlich nicht.
Wir geniessen die würzige Gerstensuppe und einmal mehr die Wärme des Kachelofens. Dann überraschen uns die Einheimischen mit ihrem mehrstimmigen Gesang und Zäuerlen, dem Naturjodel, der uns noch lange in den Ohren nachschwingt, die letzten Meter bis hinauf zum Gipfel des Gäbris und weiter über seinen Südwestgrat nach Obergais und Gais hinunter (Abb. 1 und 2).

Beim Aufstieg zum Höch Hirschberg am nächsten Tag herrscht noch grössere Kälte und fällt leichter Schnee. Wir wenden uns in Zwislen gegen Osten und durchwandern die Ebene bis zum Schiessplatz südlich von Schachen. Hier beginnt gegen Süden der Aufstieg praktisch in der Falllinie hinauf zur Lichtung der Brandegg. Der schmale Weg ist unter der Schneedecke nur schwer zu erkennen. Trotzdem fällt die Orientierung dank der vielen gelben Wegmarkierungen leicht. Wieder umgibt uns ein stiller, vom Raureif verzauberter Wald. Über den breiten Bergrücken erreichen wir schliesslich das Gasthaus auf dem Höch Hirschberg mit seiner herrlichen Rundsicht über das Rheintal und das Appenzeller Land hinaus bis hin zum Alpsteingebirge. Heute reicht der Blick nur bis zum Fänerenspitz, dafür erfreuen wir uns an der Schönheit des im Raureif erstarrten Waldes. Wir folgen weiter gegen Westen der Zufahrtsstrasse zum Höch Hirschberg bis in den Sattel vor Hütten. Von dort steigen wir in nördlicher Richtung vorerst über Weiden zur östlichen Ecke der langgezogenen Waldlichtung ab, wo wir auf einen Weg treffen, der uns nach Zwislen zurückführt.

Wer sich auch literarisch auf diese zwei Wanderungen einstimmen möchte, dem sei das 2008 im Verlag Appenzeller Volksfreund erschienene Büchlein ‚Wildermann: Geschichten vom Hörensagen – über Johann Fuchs, den Bölere-Bueb‘ von Praxedis Kaspar (ISBN 9783729110908) herzlich empfohlen, das im Bücherladen in Appenzell (www.buecherladen-appenzell.ch) bezogen werden kann. Es erzählt die wahre Geschichte eines Aussenseiters, die trotz aller Traurigkeit immer wieder zum Lachen anregt und uns diesem ursprünglich gebliebenen Landstrich sowie seinen Menschen näher bringt. Wer zum Abschluss auch noch ein besonderes kulinarisches Erlebnis wünscht, dem sei in Gais die ausgezeichnete Küche von Silvia Manser im Restaurant Truube wärmstens empfohlen.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

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