- 33. Jahrestagung für Phytotherapie
Die 33. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie vom 22.11.18 in Baden wurde von der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Wädenswil, dem Institut für komplementäre und integrative Medizin des UniversitätsSpitals Zürich sowie dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FibL in Frick durchgeführt. Die grosse Beteiligung von interessierten Ärzten, Tierärzten, Apothekern und weiteren Fachpersonen aus In- und Ausland (total etwa 420 Teilnehmende) zeigten es deutlich: Die Phytotherapie hat in der Human- und Veterinärmedizin einen hohen komplementären Stellenwert, und dies ist auch durch wissenschaftliche Studien belegt.
Die zahlreichen prämierten Zertifikats-Arbeiten für die Erlangung des Fähigkeitsausweises für Phytotherapie beweisen den hohen Anspruch an die kompetente Anwendung dieser Therapieform.
Die Tagung stand unter dem Motto «Ätherische Öle und ihr therapeutisches Potential» und war deshalb vor allem der oftmals belächelten Aromatherapie gewidmet. Natürlich fanden die Besucher in der begleitenden Ausstellung ein sehr grosses Angebot an Substanzen in verschiedenster galenischer Form und Anwendungshilfen.
Der erste Hauptvortrag von Prof. Dr. mult. H. Hatt (Bochum) wies schon im Titel «Das Potential der Aromatherapie – Riechrezeptoren nicht nur in der Nase» darauf hin: die Riechrezeptoren wirken nicht nur in der Nase, und das Potential der Aromatherapie ist offenbar viel grösser als vom Laien angenommen. Im hochwissenschaftlichen und doch praxisnahen Referat konnte man erfahren, dass der Mensch ca. 350 verschiedene Riechrezeptor-Proteine besitzt, und zwar in jeder Körperzelle; ca. 10% davon sind schon genau aufgeschlüsselt und können entweder potenziert oder blockiert werden, was therapeutisch und bald auch diagnostisch immer mehr genutzt wird. Diese extranasalen olfaktorischen Rezeptoren finden sich auch in grösserer Menge in vielen Tumorzellen (so Blasen-, Mamma- und Prostata-Karzinom). Interessanterweise nimmt der «chemische Sinn» mit zunehmendem Alter deutlich ab.
Der zweite Referent, Prof. Dr. M. Melzig (Berlin) betonte unter dem Motto «Zusammen geht es besser» überzeugend die Bedeutung der Ätherischen Öle und anderer pflanzlicher Naturstoffe (allein und kombiniert mit Antibiotika) in der antimikrobiellen Therapie und in der Desinfektion, ganz besonders im Hinblick auf das stets wachsende Resistenzproblem. Die additive und synergistische Wirkung von Ätherischen Ölen gegen bakterielle und auch pilzverursachte Biofilmbildung ist erwiesen; eine Resistenzbildung wurde nicht gefunden, die Bioverfügbarkeit ist sogar in Körperhöhlen nachweisbar und eine Negativwirkung auf das Mikrobiom des Darmes besteht nicht. Allergische Reaktionen kommen nur bei sehr hoher Konzentration vor. Die therapeutische Dosierung liegt aber bei einer Konzentration von 0,5–3%.
Die Fachärztin für Labor- und Zytodiagnostik, Dr. med. univ. G. Dorfinger (Wien) verstand es, die mikrobiologische Diagnostik mittels Aromatogramm und Reihenverdünnungstest (beide mit Vor- und Nachteilen) auch für die Testung von Naturstoffen plausibel darzulegen und dies mit instruktiven Fällen aus der Urologie («therapieresistente» rezidivierende Harnwegsinfekte) zu dokumentieren.
In der ersten Nachmittags-Präsentation wurde von Frau R. Rudolf von Rohr (Psychiatrische Kliniken Basel UPK) as Augenmerk vor allem auf die Ätherischen Öle in der Psychiatrie gelegt. Die Referentin hat die Aromatherapie bereits 1996 in den UPK eingeführt und seither mit Erfolg weiterentwickelt. Duftstoffe unterstützen die Patienten im Umgang mit den Folgen psychiatrischer Erkrankungen. Die Indikation und Auswahl der Ätherischen Öle muss individuell erfolgen.
Prof. Dr. R. Saller (SMGP Zürich) eferierte in einem sehr engagierten Vortrag über die Anwendung der Ätherischen Öle in der Schmerzbehandlung. Viele davon wären möglich, aber nur wenige werden häufig gebraucht (so vor allem das Rosen-, Lavendel- und das «Wildkräuter»-Öl). Eine speziell gute Wirkung (z. B. bei Spannungs-Kopfschmerzen, mehr als bei Migräne) haben sie bei der Applikation auf den myofaszialen Triggerpunkten. Sie bewähren sich zudem als Koanalgetika, um den Teufelskreis von chronischen Schmerzen und seinen Folgen zu durchbrechen (olfaktorisch bedingte Beruhigung, Angstlinderung, Entspannung).
Später lobte Prof. Dr. Ch. Schempp (Freiburg i.Br.) das Potential des Korianderöls als natürliches Antiseptikum und damit breit angewendetes Mittel in der Dermatologie (muss als 1%-Zusatz in Unguentum leniens rezeptiert werden).
Dr. med. Ch. Imboden, EMBA (Münchenbuchsee) propagierte Lavendelöl (Lasea®, Dosis 80 mg/die, ev. 160 mg) als wirksame Therapie bei generalisierter Angststörung und gehäuften Panikattacken. Der Wirkungseintritt ist nicht vor 4 Wochen zu erwarten, kann dann aber verblüffend sein. Sowohl Korianderöl als auch Lavendelöl sind sehr gut verträglich und zeigen keine Interaktionen und auch kein Suchtpotential.
Schliesslich stellte die Apothekerin K. Fotinos-Graf (Bern) ihr Referat unter den humoristischen Titel «Schmieren und Salben hilft allenthalben − oder doch nicht?» und sprach dabei über die mannigfaltigen Applikationsformen der Ätherischen Öle. Das Referat richtete sich vorab an die Apotheker, gab aber auch interessierten Ärzten wertvolle Hinweise. Je nach Pathologie kommen unterschiedliche Wirkstoffe und galenische Formen zum Einsatz.
Die Diskussionen nach jeder Präsentation und die Zusammenfassung am Schluss ergab eine sehr positive Bilanz der Tagung. Auch ein kritischer Teilnehmer musste zugeben: Allfällige Vorbehalte und Zweifel gegen die Phytotherapie müssen hinterfragt werden. Ihre Wirksamkeit bei richtiger Indikation und korrekter Anwendung scheint erwiesen und wird auch wissenschaftlich unterstützt. Die gut organisierte Tagung, die interessanten Vorträge und Diskussionsbeiträge liessen es erkennen: der Wert dieser komplementären Therapieformen ist unbestritten.
Küsnacht